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BSW in Thüringen auf KoalitionskursWagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los

In Thüringen lässt sich das Bündnis Sahra Wagenknecht auf Koalitionsverhandlungen ein. Kritik aus dem Bund kommt auch von Wagenknechts Gefolgsleuten.

Wollen sie in die gleiche Richtung? Sahra Wagenknecht und ihre Thüringer Landeschefs Katja Wolf und Steffen Schütz Foto: Christoph Soeder/dpa

Berlin taz | Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in Thüringen ist nun auch offiziell für Koalitionsverhandlungen mit der CDU und der SPD bereit. Dem stimmten die Parteigremien am Dienstagabend zu. „Der Beschluss markiert einen wichtigen Schritt in Richtung einer stabilen und zukunftsorientierten Regierung für Thüringen, die die Interessen der Bürgerinnen und Bürger in den Vordergrund stellt“, teilte das BSW mit.

In Thüringen wie in Brandenburg und Sachsen kann eine Regierung ohne die AfD nur mit dem BSW gebildet werden: das gibt Sahra Wagenknecht eine Schlüsselrolle. Die BSW-Gründerin hatte es zur Bedingung für Koalitionen gemacht, dass diese sich gegen Militärhilfe an die Ukraine und die Stationierung von US-Raketen aussprechen müssten. In Brandenburg und Thüringen einigten sich die Parteien auf Bekenntnisse zu mehr Friedensinitiativen. In Brandenburg findet sich in der Präambel auch eine Formulierung, dass man die vom Kanzler gewünschte Stationierung von US-Raketen kritisch sehe. In Thüringen fehlt diese.

Die außenpolitischen Vereinbarungen mit dem BSW in Thüringen und Brandenburg sind parteiübergreifend auf scharfe Kritik gestoßen. „Die praktische Relevanz dieser Vereinbarungen geht zum Glück gegen null, aber für die wichtige Debatte um Frieden und Sicherheit ist es verantwortungslos, wie viel CDU und SPD Sahra Wagenknecht nachgegeben haben“, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Agnieszka Brugger, der Agentur Reuters. Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), übte Kritik. Ebenso Frank Sarfeld (CDU), der jede Zusammenarbeit seiner Partei mit dem BSW ablehnt und für einen Unvereinbarkeitsbeschluss wirbt.

Alle gegen den Thüringer Kompromiss

Kritik kommt aber auch von Sahra Wagenknecht selbst. Die Parteichefin hatte zuvor den Thüringer Kompromiss des BSW bereits am Montag deutlich kritisiert und von einem „Fehler“ gesprochen. Er falle weit hinter eine in Brandenburg gefundene Einigung zurück.

Auch andere Bundespolitiker der Partei gingen den Thüringer Landesverband hart an. Ihre thüringischen Parteikollegen seien auf dem besten Weg, „das BSW zu einer Partei zu machen, von der es nicht noch eine braucht“, schrieben die parlamentarische Geschäftsführerin Jessica Tatti und der Bundesschatzmeister Ralph Suikat in einem Gastbeitrag, der am Dienstag bei t-online erschien. Tatti und Suikat fehlt vor allem die klare Absage an mögliche Stützpunkte für US-Mittelstreckenraketen.

„Wo sind unsere zentralen Forderungen geblieben?“, fragen sie, und folgern: Dies lasse „für mögliche Verhandlungen über landespolitische Fragen nichts Gutes erwarten“. Das sei „definitiv nicht das, wofür man all die Anstrengungen und harten Konflikte auf dem Weg aus der ehemaligen Partei bis zur Gründung des BSW auf sich genommen hat“.

„Wir sind keine willfährigen Mehrheitsbeschaffer“, so Tatti und Suikat: „Wenn wir in eine Regierung gehen, dann für die Bürger und die Inhalte des BSW.“

Corona-Aufarbeitung und andere Prinzipien

Der BSW-Europaabgeordnete Friedrich Pürner, ein Mediziner, kritisiert auch die Passagen, die von der Aufarbeitung der Coronazeit handeln. Gegenüber der Berliner Zeitung forderte er sogar, die Verhandlungen mit CDU und SPD abzubrechen. „Wir als neue politische Kraft haben es versäumt, unsere Akzente in diesem Papier zu setzen“, sagte er. Der Unternehmer Oliver Jeschonnek, einer der beiden BSW-Landeschefs in Hessen, und Alexander King, einer der beiden BSW-Vorsitzenden in Berlin King, gingen auf Distanz zum Thüringer Landesverband. „Womöglich bieten die weiteren Verhandlungen ja Raum, um mehr auf die Friedensfrage einzugehen“, sagte King der Berliner Zeitung.

Die Diskussion wirkt von beiden Seiten wie dogmatische Prinzipienreiterei. Denn in Thüringen dürfen ohnehin gar keine US-Raketen stationiert werden – das verbietet der Zwei-plus-Vier-Vertrag, der seit 1990 gilt.

Unklar ist, welche Folgen der offene Krach für das noch junge Bündnis Sahra Wagenknecht haben wird. Bedroht er den Frieden in der bislang sehr homogen wirkenden Partei und das Verhältnis zwischen Wagenknecht und ihren beiden Thüringer Landeschefs, Katja Wolf und Steffen Schütz?

Katja Wolf hatte bei der Vorstellung des Sondierungspapiers am Montag gesagt, Zustimmung von der Bundesspitze sei „rein formal nicht vorgesehen“. Formal ist das richtig.

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18 Kommentare

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  • Sarah Wagenknecht ist für die politische Kultur dieses Landes mindestens ebenso gefährlich wie Björn Höcke; vielleicht sogar noch gefährlicher da offensichtlich intelligenter und zumindest fotogener. Diese Frau ist nicht an Kompromissen interessiert oder einer Regierungsarbeit. Es lässt hoffen, dass zumindest der Thüringer Landesverband offensichtlich Zeichen eine zaghaften Emanzipation erkennen lässt. Umso schauerlicher ist das Verhalten der SPD und CDU in Brandenburg respektive Sachsen.

  • Frau Wagenknacht hat die Partei mit ihren Namen drauf nicht im Griff, anders als ihr Freund und Geldgeber vom Einigen Russland. Enttäuschend.

  • Das ist ein netter Trick: Weil BSW in drei Ländern gerade in den Vorverhandlungen steckt, kann SW aus dem off in Berlin, jedes Ergebnis in einem der Ländern brandmarken mit "ihr im Land A seid nicht so gut wie in Land B. " und das Spiel lässt sich laaaaaange spielen.



    Vielleicht sollten sich mal die Vertreter der anderen Seite an den 3 Tischen für einen Smalltalk treffen, um untereinander auszuformulieren, was dann alle 3 gleichlautend in den Verhandlungen anbieten. Und dann heißt es : "Vogel, friss oder....wir versuchen es vogelfrei...."

  • Verantwortung bei Fr. Wagenknecht? Sie ist für kein Amt von Wählern des BSW bislang gewählt.



    Aber... es gab doch mal einen Song in der DDR: ...die Partei, die Partei hat immer Recht.



    Das Politbüro entscheidet.



    In alter DDR Tradition wird die Linie von ganz oben vorgegeben, und der hat sich jeder in der Partei zu fügen: das Prinzip des demokratischen Zentralismus.



    Die WagenKNECHTE folgen gehorsamst. Man könnte auch denken, dass die Kommunistische Plattform vielleicht doch keine Jugendsünde von Fr. W. war, sondern tief verankerte Überzeugung.



    Besonders brisant: Leute, u.a. auch Frau W. selbst, die ausgesprochen wortstark und verurteilend gegen Katja Wolf austeilen, einer für den Landtag gewählten Vertreterin des BSW, sitzen selbst auf Listenplätzen der Linken im Parlament. Sie vertreten dort nicht die Politik der Linken, sondern kochen wie selbstverständlich ihr eigenes Süppchen. Offenbar finden sie es keineswegs unseriös, die Mandate zu behalten und anders auszufüllen als wofür sie ursprünglich gewählt wurden.



    Es bleibt abzuwarten, ob dieser Widerspruch dem Wahlvolk irgendwann auffällt.

  • Tja. Niemand legt sich mit der unfehlbaren und gottgleichen Oberführerin Dr. Sahra von und zu Wagenknecht an. Alleine ihre goldenen Worte im kleinsten anzuzweifeln verdient höchste Verachtung. Alle, die das Privileg haben gnadenvoll in ihre Kirche, aufgenommen zu werden, haben ihr bedingungslos zu folgen und zu lobpreisen.

  • Das sind doch gute Nachrichten!



    In der angeblichen Kaderpartei sind offenbar mehr DemokratInnen enthalten, als geweissagt.



    Ich gratuliere dem Thüringer Landesverband zu seiner Kompromissbereitschaft.



    Das ist das Wesen der Demokratie.



    In Thüringen eine Regierung zu bilden, ist außerdem das Beste Mittel gegen die Rechtsextremen.



    Nach soviel Angriffen auf das BSW scheint fast in Vergessenheit zu geraten, was unser derzeitiges Problem ist: die"afd"!



    Liebe ThüringerInnen, ich wünsche Euch zielführende Koalitionsverhandlungen!



    Zeigt den Rechten, dass es auch Anders geht!

  • Widerstand gegen Wagenknechts Wünsche? Das geht ja gar nicht. Wladimir übernehmen Sie.

  • Lustig. Katja Wolf will wohl wirklich koalieren und Realpolitik betreiben, worauf Wagenknecht vor der Bundestagswahl gar kein Bock hat. Ich lach mich schlapp.

    • @Andreas J:

      Vielleicht zeichnet sich da ein Konflikt ab, wie er bei den frühen Grünen auch abgelaufen ist: Da gab es Fundis und Realos.



      Und Frau Wagenknecht sieht mit Schrecken, was die Realpolitik mit Grünen Wahlergebnissen gemacht hat...



      Ein anderer Aspekt: da bahnt sich ein parteiinterner Großkonflikt zwischen 2 Frauen an. Es wird interessant sein, zu sehen, wie der in den Medien betextet werden wird.....



      Ob wir da eine andere Sprache sehen werden, als bei den Kerlen, zB Kohl-Biedenkopf, Merz-Söder oder beim "transgender" (sorry, npi, ;-)) Schlagabtausch Merkel-Merz?

    • @Andreas J:

      MIt Glück tritt die Sarah bald wutschnaubend aus der Partei aus, die ihren Namen trägt. Das wäre mal ein Anblick :D

  • Frau Dr. Wagenknecht wird sicher den Zwei-plus-Vier Vertrag - betreffend Thüringen von 1990, präsent haben....



    Ansonsten gilt - Taktik gehört zum politischen Geschäft.



    Da Frau Dr. Wagenknecht, im Gegensatz zu vielen anderen politischen Akteuren, über fachliche Kompetenz verfügt, was nicht ausschließt, auch mal einen Fehler zu machen, ist die Entscheidung richtig - die Bereitschaft an CDU und SPD zu senden - für Koalitionsverhandlungen bereit zu sein. Nur so funktioniert politische Zusammenarbeit im Sinne der Wähler.

    • @Alex_der_Wunderer:

      "Da Frau Dr. Wagenknecht, im Gegensatz zu vielen anderen politischen Akteuren, über fachliche Kompetenz verfügt, was nicht ausschließt, auch mal einen Fehler zu machen, ist die Entscheidung richtig - die Bereitschaft an CDU und SPD zu senden - für Koalitionsverhandlungen bereit zu sein."



      Damit ich Ihren Beitrag einordnen kann... auf wessen Entscheidung und Verhandlungsbereitschaft beziehen Sie sich hier?

  • Das BSW ist ja lustig. Die Landes-CDU soll sich von der Bundes-CDU abwenden, aber das Landes-BSW soll sich dem Bundes-BSW unterordnen.

    Ist dieses absolut gegenteilige Verhalten schon pathologisch? Man könnte mal den BSW Mediziner fragen…

    • @Gnutellabrot Merz:

      "Ist dieses absolut gegenteilige Verhalten..."



      Man muss es nur aus einer anderen Richtung betrachten. 'Alles Verhalten ist richtig, wenn es mir und meinen Interessen dient.'



      Et voila, kein Widerspruch mehr.

    • @Gnutellabrot Merz:

      Die Devise heipt machen.

  • Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass eine Partei, die explizit angetreten ist, für ihre Überzeugungen einzutreten, das dann auch tatsächlich versucht. Auch als Gegenentwurf zu den Grünen, die noch 2021 "Keine Waffen in Kriegsgebiete" plakatierten und nun diametral andere Politik machen. (Wer grün wählte, bekam plötzlich olivgrün.) Daher ist es richtig und verständlich, dass nun bei allen Kompromissen gerungen und gestritten wird; und es ist ein Zeichen einer ernsthaften Demokratie-Kultur und eines Respektes den WählerInnen gegenüber.

    • @Josefine.K.:

      Es ist allerdings überhaupt keine Selbstverständlichkeit, mit bundespolitischen Themen Landtagswahlkampf zu machen und zu suggerieren, man könne da auch nur das Geringste erreichen. Das ist populistischer Unsinn.



      Zweitens ist es nicht selbstverständlich, sondern im Grunde genommen sogar entgegen der politischen Verfasstheit unseres Landes, wenn bei Koalitionsbemühungen für einen Landtag eine gar nicht beteiligte Person, die bundespolitische Ambitionen hat, ständig querschießt und reinpalavert.

    • @Josefine.K.:

      Mehr Knecht wagen!