BSW in Ostdeutschland: Plötzlich Minister?
Als Racheengel der Vergessenen ist Sahra Wagenknecht auf Kreuzzug gegen die Ampel. Ihre neue Rolle als Königsmacherin stellt sie vor ein Problem.
W agenknecht hat es geschafft. Seit Jahren kritisiert sie die Politik des Westens gegenüber Russland und die Waffenlieferungen an die Ukraine und teilt dabei vor allem gegen die Ampel-Parteien kräftig aus. Sie geriert sich als Anwältin der kleinen Leute und des Mittelstands und polemisiert gegen eine in ihren Augen zu woke Linke, die zu viel Rücksicht auf Minderheiten nehme, sowie eine Migrations- und Klimapolitik, die „die Menschen“ angeblich überfordere. Aus Talkshows ist sie damit nicht mehr wegzudenken, als Bestseller-Autorin füllt sie die Hallen.
Sahra Wagenknecht ist ein Popstar. Popstars sind Projektionsflächen für Wünsche und Fantasien: Sie sprechen und leben stellvertretend aus, was andere nicht können oder sich nicht trauen. Sie retten die Welt, setzen sich gegen alle Widerstände durch oder üben schlicht Rache, so wie Clint Eastwood als „Dirty Harry“ oder Sylvester Stallone als „Rambo“.
Auch Sahra Wagenknecht ist so ein Racheengel: Sie will der Ampel den Garaus machen und verspricht, das Land grundlegend zu verändern, nicht weniger. Damit macht sie insbesondere Menschen Hoffnung, die sich Sorgen um ihre wirtschaftliche Zukunft machen und solchen, die lange nicht mehr zur Wahl gegangen sind.
Mit ihrer erst im Januar gegründeten Partei hat sie bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg zweistellige Ergebnisse erzielt und ist jeweils drittstärkste Kraft geworden. Ihrer Partei fällt damit in allen drei Bundesländern eine Schlüsselrolle zu: Ohne das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ lässt sich keine Regierung bilden, wenn die AfD außen vor bleiben soll.
Maximale Forderungen
Sahra Wagenknecht reizt ihre neue Rolle als Königsmacherin aus: Sie hat schon vor den Wahlen die Ansprüche an mögliche Koalitionen sehr hoch gehängt und besteht darauf, bei den Verhandlungen persönlich dabei zu sein. Sie fordert, dass Deutschland keine weiteren Waffen an die Ukraine liefert und hierzulande keine US-Mittelstreckenraketen stationiert werden. Das will sie in die Koalitionsverträge hineinschreiben lassen, um so über den Bundesrat Druck auf die Bundespolitik auszuüben.
Schon in der Linkspartei hat sich Wagenknecht in der Opposition wohler gefühlt und es stets abgelehnt, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Aber die CDU braucht das BSW jetzt, um in Sachsen und Thüringen eine Regierung zu bilden. Der SPD geht es in Brandenburg genauso. Inhaltlich spricht wenig dagegen: Wie die SPD setzt das BSW auf soziale Sicherheit. Es fordert höhere Renten und bessere Löhne, will Krankenhäuser und Schulen in der Fläche bewahren und mehr in die Infrastruktur investieren. Wie das bezahlt werden soll, verrät das BSW allerdings nicht.
Mit der CDU weist das BSW ebenfalls Schnittmengen auf, etwa in der Migrationspolitik. Auch das BSW will die Einwanderung begrenzen und mehr Menschen abschieben. Flüchtlingen, die keinen Anspruch auf Asyl haben, will Sahra Wagenknecht sogar alle Sozialleistungen streichen.
Selbst mit Blick auf die Haltung zur Ukraine und Russland, dem Hauptthema von Sahra Wagenknecht, sind die Gräben zu den anderen Parteien nicht unüberwindbar, zumindest im Osten. Sowohl Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer wie der Sozialdemokrat Dietmar Woidke in Brandenburg haben sich schon für Verhandlungen mit Russland und mehr Diplomatie ausgesprochen.
Wie realistisch solche Friedensinitiativen auch sein mögen: Diese Haltung ist im Osten mehrheitsfähig. Es bringt deshalb wenig, die BSW-Wähler zu beschimpfen oder die Partei als „Extremisten“ zu bezeichnen. Nicht jeder, der das BSW wählt, will, dass die Ukraine kapituliert. Aber vielen macht die Militarisierung der deutschen Gesellschaft Sorgen. Und viele fragen sich, warum der Wehretat steigen soll, während bei Sozialleistungen, dem Deutschlandticket oder der Rente gespart wird.
Der Bundestag ist das Ziel
Doch Wagenknecht hat noch ein anderes Problem. Eigentlich ist es für ihre junge Partei noch zu früh, schon Regierungsverantwortung zu übernehmen. Sie verfügt kaum über Personal, viele ihrer Mitglieder sind absolute Politneulinge. Und jetzt: plötzlich Minister? Das dürfte viele Mitstreiter überfordern.
Außerdem will Wagenknecht im kommenden Jahr mit ihrer Partei wieder in den Bundestag einziehen. Das ist ihr wichtigstes Ziel, dem sie alles unterordnet. Sich in Bundesländern an Koalitionen zu beteiligen, birgt die Gefahr, Wählerinnen und Wähler zu enttäuschen, die sich davon mehr Veränderung erhoffen. Dieses Risiko ist groß.
Co-Parteichefin Amira Mohamed Ali machte nach der Wahl in Brandenburg eine Regierungsbeteiligung im Landtag dann auch direkt von „echter Veränderung“ abhängig. Nur für „ein paar Posten“ werde sich das BSW an keiner Koalition beteiligen. Die AfD dagegen höhnt bereits, das BSW sei auch nur eine weitere „Systempartei“. Diesem Vorwurf will das BSW keine Nahrung geben.
Duldung als Ausweg?
Um sich ihren Nimbus zu bewahren, dürfte es für Wagenknecht attraktiver sein, sich einer Zusammenarbeit in Landesregierungen zu verweigern – auch um den Preis, diese Länder in eine politische Krise zu stürzen. Eine Begründung für ihre Verweigerungshaltung wird sich schon finden.
Ein anderer Ausweg wäre es, Landesregierungen lediglich zu tolerieren – in Sachsen und Thüringen die CDU, in Brandenburg die SPD. Dann könnte sie maximalen Druck ausüben, ohne selbst Verantwortung zu übernehmen. Zur Bundestagswahl könnte sich Wagenknecht dann weiterhin als Alternative zu allen anderen und Retterin in der Not profilieren. Das ist schließlich ihr Erfolgsrezept.
Sollte es dagegen zu vorgezogenen Neuwahlen kommen, weil die FDP die Ampel-Koalition platzen lässt, wäre das für das BSW geradezu ideal. Es würde auf seiner aktuellen Erfolgswelle ganz sicher wieder im Bundestag landen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren