Attentate auf Hamas-Führer: Eine Demonstration der Präzision
Immer wieder tötet Israel hochrangige Offizielle seiner Gegner. Wie sinnvoll sind solche Operationen?
Nicht ein Luftschlag soll Ismael Haniyeh, Chef des Politbüros der Hamas, getötet haben – sondern eine Bombe, platziert in dem Gästehaus in Teheran, in dem sich Haniyeh zur Amtseinführung des neuen Präsidenten Irans aufhielt.
So berichtet es die New York Times mit Bezug auf Insiderangaben: Bereits vor zwei Monaten soll die Bombe in das für Haniyeh vorgesehene Zimmer in dem vom Staat Iran selbst betriebenen Anwesen geschmuggelt worden sein. Das Gelände soll nicht nur genutzt worden sein, um prominente Gäste zu beherbergen, sondern auch für geheime Treffen der Revolutionsgarden.
Wer auch immer den Anschlag ausgeführt hat – denn auch wenn Israel naheliegt, hat Jerusalem bisher nichts bestätigt –, hatte intime Kenntnisse des Geländes und Kontakte, die vielleicht sogar bis in die Revolutionsgarden selbst reichen könnten.
Haniyeh ist der jüngste Fall einer langen Reihe von gezielten Tötungen, zu denen sich Israel entweder bekannt hat, oder als Ausführer naheliegt. Gerade in den vergangenen Wochen häuften sie sich: Haniyeh in Teheran. Fuad Shukr, wichtiger Kommandant der Hisbollah und wohl verantwortlich für den Raketenangriff auf das auf den Golanhöhen gelegene Dorf Majdal Shams, in einem südlichen Vorort von Beirut. Und letzten Monat Muhammad Deif, oberster Befehlshaber des militärischen Flügels der Hamas, in Gaza.
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Allen ist gemein: Um die Angriffe auszuführen, waren präzise Insiderinformationen notwendig. Sie führen die Sicherheitsmaßnahmen Irans und seiner Milizen Hisbollah und Hamas regelrecht vor. Die Botschaft Israels ist deutlich: Greift uns an, und wir finden euch, egal wo.
Allein im vergangenen Jahr hat Israel 13 Offizielle seiner Gegner in hohen Positionen getötet – und dabei sind nur die Vorfälle außerhalb seiner eigenen Staatsgrenze, sowie außerhalb des besetzten Westjordanlands und Gaza mitgezählt.
Die Antwort Irans und seiner verbündeten Milizen wird sicherlich mit einer gewissen Härte ausfallen. Alles andere wäre für die Islamische Republik ein weiterer Gesichtsverlust. Doch nicht nur für Hamas und Iran, sondern auch für die noch immer über 120 im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln bedeutet der Tod von Haniyeh nichts Gutes.
Auch wenn Haniyeh entgegen vielen Medienangaben die Geiselverhandlungen wohl nicht selbst führte, ist es unrealistisch, dass die Hamas nach seinem Tod alsbald mit williger Mine an den Verhandlungstisch zurückkehren wird.
Manche Tötungen verlangsamen den Gegner
In Anbetracht dieses wohl hohen Preises stellt sich die Frage: Bringen diese gezielten Tötungen Israel überhaupt etwas?
Die so Getöteten befinden sich in Entscheidungspositionen, die Fäden essenzieller Informationen laufen oft bei ihnen zusammen. Ein gutes Beispiel ist Qassem Soleimani, Kommandeur der Eliteeinheit Quds der iranischen Revolutionsgarden und 2020 in der irakischen Hauptstadt Bagdad von den USA mit einem gezielten Luftschlag getötet.
Soleimani stand Ali Chamenei, dem obersten Führer Irans nahe, und galt als Hüter von Informationen, der Entscheidungen gerne selbst traf. Ihn auszuschalten, so Analysten, setzte die Operationsfähigkeit der Quds-Einheit zeitweise deutlich zurück. Ein weiteres Beispiel ist Mohsen Fakhrizadeh, der als Architekt des iranischen Atomprogramms galt, und 2020 von einer wohl aus der Ferne von Israel kontrollierten Schusswaffe getötet wurde. Auch sein Wissen galt als spezialisiert.
Anders ist es wohl bei Haniyeh. Er ist einfacher ersetzbar, seine Fähigkeiten und sein Wissen weniger einzigartig. Im Gegensatz zu Shukr in der Hisbollah im Libanon hatte er außerdem keine tragende Rolle in der Kommandostruktur des militärischen Flügels der Hamas.
Sein Tod erinnert an Sheikh Yassin Ahmad, Mitbegründer der Muslimbruderschaft und damit schließlich der Hamas in Gaza. Im Jahr 2004 tötete Israel ihn mit einem Luftschlag in Gaza. Die Proteste in den palästinensischen Gebieten waren damals immens. Rückblickend scheint seine Tötung keinen großen Unterschied für die Fähigkeiten der Hamas und damit für Israel gemacht zu haben.
Eher im Gegenteil: Nach Yassins Tod rückte die Hamas näher an Iran heran. Wer Haniyeh nachfolgen wird – und in welche Richtung der Nachfolger die Hamas lenken wird – ist noch unklar.
Leser*innenkommentare
*Sabine*
Wie bereits erwähnt, hätte ich die Herren Deif, Haniyeh und Shukr lieber vor einem Gericht gesehen, wie damals Herrn Eichmann. Das schien aber wohl nicht möglich zu sein.
Eine verbindliche Einschätzung, ob Herr Haniyeh von der jüdischen/Israel-Seite getötet wurde, traue ich mir im Moment noch nicht zu.
Tröstlich ist für mich als Apologetin der jüdisch/israelischen Seite, der nachfolgende Satz,
"... hatte intime Kenntnisse des Geländes und Kontakte, die vielleicht sogar bis in die Revolutionsgarden selbst reichen könnten. ...",
der bei mir den Eindruck erweckt, dass die jüdische/israelische Seite vielleicht doch mehr Freunde und Verbündete hat, als es auf den ersten Blick scheint.
In Anbetracht dessen, dass 1947 die Staaten Ägypten, Syrien, Jordanien und Irak gegen Israel Krieg führten, erscheint es mir als Fortschritt, dass gegenwärtig, so wirkt es auf mich, "nur der Iran (?)" gegen Israel Krieg führt und dies auch nur über seine Stellvertreter Hamas, Hizbollah und Huthi, ohne offizielle Kriegserklärung.
EffeJoSiebenZwo
@*Sabine* '... dass die jüdische/israelische Seite vielleicht doch mehr Freunde und Verbündete hat, als es auf den ersten Blick scheint...'
Ein wenig naiv: Dass Maulwürfe in der Regel nicht aufgrund ihrer Sympathie einer Sache / eines Staates gegenüber dazu gebracht werden, Maulwurf zu sein, sondern idR handfeste (Überlebens)Interessen dahinter stecken (Geld, Erpressung, persönliches Wohlergehen oder das von nahestehenden Personen), ist ihnen schon klar, oder?
rero
Begründet zu vermuten, was wie verlaufen wäre, hätten die Israelis das nicht gemacht, ist schwierig.
Wenn man einen Gegner hat, der Entgegenkommen als Schwäche ansieht, könnte diese Art des Vorgehens auch präventive Aspekte haben.
Die Israelis stammen zu einem großen Teil selbst aus Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas.
Es ist anzunehmen, dass sie die Denkweise besser kennen als jemand in Deutschland.
Sam Spade
Im Zusammenhang von Liquidationen von "sinnvoll" zu sprechen ist mehr als unangebracht. Die Verrohung in der Gesellschaft scheint sich auch auf den Gebrauch der Sprache auszuwirken.
Ein Artikel der zum Inhalt hat wie zielführend es ist einen bestimmten Personenkreis zu ermorden, löst bei mir generell Befremden aus.
EffeJoSiebenZwo
@Sam Spade Verstehe die moralischen Vorbehalte sehr gut (mir wäre Verhandlung vor und Urteil von einem internationalen Gericht in jedem Fall lieber als exterritoriale Morde) aber: vielleicht muss man das 'sinnvoll' in der Unterüberschrift eher als 'nützt es Israel' lesen. Und da macht die Autorin ja zwei grds Möglichkeiten auf :
(1) Opfer ist Träger von speziellem Wissen / know how, daher schwer zu ersetzen, Mord stoppt / verzögert daher Entwicklungen vs
(2) anderes Opfer, eher politisch interessant, aber grds leicht zu ersetzen, eher geringe (Sicherheits)Wirkung.
Und hier wird es interessant, da die Autorin (und vermutlich Israel auch) Haniyeh in die zweite Kategorie einordnet. Das untermauert aber eben auch, dass das Ziel nicht zusätzliche Sicherheit Israels war, sondern das Torpedieren eines Geisel -/ Waffenstillstandsabkommens, das ja (wieder mal) in greifbarere Nähe gerückt war. Für Netanjahu wäre ein solches Abkommen aber halt mindestens das politische Ende, deshalb besser mal nicht....
Lowandorder
Ach was! ©️ Loriot 💯💯💯
“Eine Demonstration der Präzisio“
&Däh
“… wie sinnvoll …“
Ja. Das frag ich mich bei Morden auch immer! Newahr
kurz - Wieviel blanker inhumaner Zynismus!
Ist mittlerweile eigentlich taz-kompatibel?!
Bellizismus accelerando auf Trappspfoten - drifting taz!
Normal - Quo vadis taz?
O.F.
@Lowandorder Danke - Sie haben es wunderbar auf den Punkt gebracht.
Hans-Rudolf Meier
Wenn Israel im Ausland politische Gegner umbringt, sind es "Tötungen", wenn das andere Regimes macht, ist von "Mord" die Rede.
Gorres
Wenn man Israel dafür kritisiert, zur Ausschaltung der Hamas verheerende Schäden unter Zivilisten anzurichten, muss man Israel für die Präzisionsschäge gegen die Hamas-Führer loben. Ich finde es richtig, dass die schwerreichen Drahtzieher, auch fern von Israel, zur Verantwortung gezogen werden. Es ist wie nach dem Olympia-Attentat von München. Wenn die Weltgemeinschaft keine ausreichenden Rechtssysteme hat, muss man die Mörder eben auf altmodische Art bestrafen.