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Prozess zum Messerangriff in EnglandSchauriger Triumph für Rechte

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Die britische Justiz klagt den Mörder von Southport nun unter Terrorvorwürfen mit Islamismusbezug an. Ein Schlag ins Gesicht all jener, die sich der Hetze entgegenstellten.

Zeichnung des Täters vor Gericht, 1. August 2024 Foto: BBC/Helen Tipper via reuters

A ls am 29. Juli im englischen Southport ein Messerstecher drei kleine Mädchen abschlachtete, war das rechte Täternarrativ schnell zur Hand: Der am Tatort festgenommene Täter war ein Muslim, ein illegaler Einwanderer, eine Summe all dessen, was der britische Rechtsextremismus als Feindbild vor sich herträgt. Prompt ging der Hassmob auf die Moschee von Southport los, und einige Tage lang erfassten rechtsextrem inspirierte Aufmärsche und Pogrome das halbe Land.

Der Täter war Brite, sagte die Polizei damals – eine Halbwahrheit, wie klar wurde, als ein Richter aufgrund des öffentlichen Interesses die Aufhebung seiner Anonymität verfügte: Axel Rudakubana, 17 Jahre alt, aus einer legalen Zuwandererfamilie aus Ruanda und christlich aufgewachsen. Migrant also, aber ansonsten stimmte das rechte Täternarrativ immer noch nicht, es wurde auf Fake News rechter Influencer zurückgeführt.

Drei Monate später geschieht Folgendes: Bei der Hausdurchsuchung beim Täter und der Auswertung seiner elektronischen Geräte, heißt es in einer Erklärung der Polizei des Großraums Liverpool vom Dienstag, wurde eine Studie mit dem Titel „Military studies in the jihad against the tyrants: The Al-Qaeda training manual“ entdeckt sowie Rizin, ein extrem gefährliches verbotenes Gift, das mehrfach von islamistischen Terroristen genutzt worden ist, auch in Deutschland.

Irreführung der Öffentlichkeit

Rudakubana wird jetzt nicht mehr nur wegen dreifachen Mordes, zehnfachen Mordversuchs und Besitzes eines verbotenen Messers angeklagt, sondern auch wegen Besitzes verbotener biologischer Kampfstoffe und Besitzes von Informationen, die der Ausführung oder Vorbereitung eines Terroraktes dienlich sein könnten.

Die Messermorde selbst gelten zwar nicht als terroristischer Akt, weil das dafür erforderliche ideologische Motiv bisher nicht nachgewiesen ist – aber dass aus dem jungen ruandischstämmigen Christen jetzt plötzlich ein gewaltbereiter Islamist wird und zwei Terroranklagen gegen ihn erhoben werden, ist ein kommunikatives und politisches Desaster.

„Vielleicht hatte ich ja die ganze Zeit recht“, sinniert Rechtspopulistenführer Nigel Farage in einem Kurzvideo am Dienstagabend, das bis Mittwochmittag schon 2,5 Millionen Mal auf X gesehen wurde. Spitzenpolitiker der Konservativen erheben schwere Vorwürfe gegen die Regierung. Irreführung der Öffentlichkeit wird ihr vorgeworfen: Die Hausdurchsuchung fand ja schon wenige Tage nach den Morden statt, und laut Daily Telegraph weiß die Regierung seit Wochen über den Terrorverdacht Bescheid.

All dies ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die sich Ende Juli und Anfang August dem rechten Mob entgegenstellten, Muslime in Schutz nahmen und den gezielten Falschinformationen von rechts trotzten – und sich jetzt vorwerfen lassen müssen, selbst Falschinformationen oder zumindest Halbwahrheiten aufgesessen zu sein.

Und für Labour-Premierminister Keir Starmer, erst seit 5. Juli im Amt, bricht das letzte noch positiv gewertete Kapitel seiner kurzen bisherigen Amtszeit weg. Harte Sparpolitik sowie Daueraffären um persönliche Vorteilsnahme haben die Beliebtheitswerte des Premiers schon schneller in den Keller sacken lassen als die aller seiner Vorgänger. Das entschlossene Durchgreifen gegen die rechten Randalierer im August war bisher noch ein Pluspunkt.

Wenn aber sogar unpolitische Mitläufer der Randalierer in Schnellverfahren wenige Wochen zu mehrjährigen Haftstrafen verknackt werden – wieso werden zugleich die Hintergründe des Southport-Täters monatelang zurückgehalten?

Eröffnet wurde das Verfahren gegen ihn an diesem Mittwoch – die Hauptverhandlung gibt es erst 2025. Der mittlerweile 18-jährige Rudakabana lauschte per Videolink aus der Untersuchungshaft der Verlesung der Anklagepunkte und schwieg. Es seien Notfallpläne erarbeitet worden, „damit die Ankündigung neuer Anklagepunkte gegen Rudakubana keine Wiederholung der Unruhen nach dem Angriff vom Juli auslöst“, berichtet derweil die Times unter Berufung auf „Quellen im Innenministerium“.

Heute ist Halloween, am 5. November folgt die traditionelle Feuerwerksnacht. Den Zündstoff liefert dieses Jahr die Polizei selbst.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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27 Kommentare

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  • Die verspätete Offenbarung beweist nur, wie ein junger Mann sich versucht hat an Terrormethoden, von denen er aus der Originalquelle gelesen hat, aber die Verspätung dieser Bekanntgabe kann ermittlungstaktisch wichtig gewesen sein, denn, das ist definitiv absolut UNSERE EIGENE HIESIGE deutsche Erfahrung mit den Hamburger 9/11-Attentätern: Ein Al-Kaida-Terrorist handelt oft und um so gemeingefährlicher im Verbund ganzer Terrorzellen, welche sich auf perfide Pläne geeinigt haben.

    Etwaige unentdeckte Mitverschwörer, die evtl. noch weitere Attentate planen, mussten erstmal gefunden oder ausgeschlossen werden. Kein Fehler der Polizei. Scotland Yard kann nichts dafür, dass Faragisten aufgrund ihrer hirnverbrannten Vorurteile Pogrome veranstalten. Wer sich dagegen gestellt hat, ist und bleibt ein Held für die Menschlichkeit.

    Der Kommentar suggeriert aber, dieser zivile Widerstand gegen die Widerlichkeit von Teilen der britischen Gesellschaft habe keinen Wert gehabt, weil sich nun rausgestellt hat, der Messerstecher sei nach dem Handbuch islamistischer Terroristen vorgegangen.

    Diese Suggestion ist falsch! Die Zivilcourage war auf jeden Fall absolut OK denn Pogrome machen nur Terroristen

  • Dass aus einem jungen ruandischstämmigen Christen durch entsprechende Verführung und Indoktrination u.U. ein Islamist wurde, ist durchaus vorstellbar. Auch ein Pierre Vogel war mal evangelisch...

    Dass im Laufe von Ermittlungen nach und nach neue Erkenntnisse gewonnen werden, ist doch überhaupt nicht ungewöhnlich. Zu kritisieren ist wohl die Informationspolitik, nach der solche Erkenntnisse veröffentlicht werden.

    Außerdem: Eine Anklage ist keine Verurteilung. Was wirklich Sache war und ist, haben jetzt Richter nach Prüfung aller Fakten zu entscheiden, nicht Polizisten, nicht Staatsanwälte, nicht der wütende Mob und auch nicht Journalisten.

  • Im Artikel steht jetzt viel nichts.



    Fordert der Autor jetzt etwa Beweise zurück zu halten?

  • Bin ich der Einzige der über das Wort "lauschte" stolpert?



    Der Angeklagte lauschte per Videolink?



    Im üblichen Sprachgebrauch ist mit lauschen etwas positives oder schelmisches konnotiert.



    Das ist bei einem Dreifachmörder ein interessanter Einsatz der Sprache. Vorsichtig formuliert.

    • @Dromedar:In:

      Was am " Lauschangriff " ist positiv oder schelmisch?

  • eine Anklage ist kein Urteil - das wird in GB auch so gelten wie in Deutschland. Was jedenfalls in Deutschland gilt, ob für GB ähnlich, weiß ich nicht: für die Anklage reicht eine Wahrscheinlichkeit und es kann nur verurteilt werden, was auch angeklagt wurde (notfalls nachträglich im Verfahren) - daher wird man bei der Anklage alles aufnehmen, wo eine Verurteilung wahrscheinlich erscheint.

    Der Strafprozess kann sich nicht danach richten, ob da Ergebnis opportun ist.

  • Der Sohn einer aus Afrika eingewanderten Familie sympathisiert offensichtlich mit gewaltbereitem islamistischen Fanatismus, hält sich zuhause einen kleinen Rizin-Vorrat - na klar, sollte man immer im Hause haben, falls einem mal der Süßstoff ausgeht; die Breaking Bad-Fans werden dies verstehen ;-) - und schlachtet mit einem Messer drei kleine Mädchen ab.

    Darin ist nun wahrlich keine "schauriger Triumph" für irgendjemanden zu erkennen, auch nicht "für Rechte", wie auch immer man dieses von der taz so geliebte Feindbild auch definieren mag.

    Dass "die Öffentlichkeit" sehr emotional reagiert(e), ist wohl vor allem der Grausamkeit des Täters und seiner menschenverachtenden Vorgehensweise geschuldet. Das Gerichtsverfahren selbst wird wohl deutlich sachlicher verlaufen, und muss dies auch, wenn am Ende ein rechtskräftiges Urteil stehen soll.

  • Zitat:"Rudakubana wird jetzt nicht mehr nur wegen dreifachen Mordes, zehnfachen Mordversuchs und Besitzes eines verbotenen Messers angeklagt, sondern auch wegen Besitzes verbotener biologischer Kampfstoffe und Besitzes von Informationen, die der Ausführung oder Vorbereitung eines Terroraktes dienlich sein könnten."



    Darin sehe ich nicht das "man" (Polizei,Staatsanwaltschaft,"die Krone",etc.) dem "jungen ruandischstämmigen Christen" jetzt "plötzlich vorwirft ein gewaltbereiter Islamist "zu sein.

  • Es ist doch absolut nichts neues das insbesondere konvertierte die christlich/atheistisch aufgewachsen sind, später zu islamistischen Gewaltätern werden. Davon waren auch viele bei IS zu finden.



    Aber die TAZ ist der Meinung das bereits vor dem Prozess zu wissen dass dem nicht so sei….interessant.

  • Die Morde sind furchtbar, der junge Mann muss bestraft oder (wahrscheinlicher) psychiatrisch behandelt werden.



    Armselig, dass die Staatsanwaltschaft auch noch dem Mob auf der Straße Zucker gibt, das falsche Narrativ legitimiert. Macht die Sache noch trauriger als sie ohnehin schon ist.

    • @Bambus05:

      "Armselig, dass die Staatsanwaltschaft auch noch dem Mob auf der Straße Zucker gibt, das falsche Narrativ legitimiert."

      Welches angeblich falsche Narrativ meinen Sie ?



      Aus dem Artikel geht doch ganz klar hervor, daß die Behörden Informationen zurückgehalten haben.



      Informationen, die letztlich denen Recht geben, die von Anfang an gegen islamischen Terror demonstriert haben.

      Jetzt besteht noch Aufklärungsbedarf darüber, warum und auf wessen Anweisung die Behörden diese Informationen vertuschen wollten.

  • "Schaurige Triumphe" und "erschütternde Wahrheiten" sind es vor allem durch den Enthüllungshype und die Empörungswelle in Social Media. Unsere Gesellschaft kann als Demokratie aber nicht weiterbestehen, wenn wir andere Teile der Bevölkerung permanent als das abgrundtief Böse begreifen. Tatsächlich muss man den Islamismus wohl künftig immer als Teil einer Täterpersönlichkeit mit einkalkulieren, so wie man es schon immer mit kommunistischen oder faschistischen Überzeugungen getan hat. Die Normalität ist erst dann eingetreten, wenn das Publikum im Gerichtssaal, so wie oft bei Neonazis, hin und hergerissen ist zwischen der Meinung, " er ist eigentlich ein guter Junge" und dem Erschrecken, "dies ist eine gefährliche Bestie, die so lange wie möglich weggeschlossen gehört". Es fehlt also der Debatte ein bisschen an Empathie und ein bisschen an Normalität.

  • Es ist kein "Schauriger Triumph für Rechte", es ist leider augenscheinlich bittere Realität. Ebenfalls bittere Realität ist die "Irreführung der Öffentlichkeit", ein Bärendienst sondergleichen.

    • @Farang:

      Wenn sich Leute - zu Recht - über die zunehmende Gewalt (auch mündlich) einer rechtsextrem-islamistischen Gemeinde aufregen, ist das berechtigt. Erstaunlich finde ich es nur, dass in Deutschland die antisemitischen Ausschreitungen einer ganz bestimmten Klientel als Du-Du-Tat abgetan werden. Ich als Schwuler möchte, dass dieser islamistische, antisemitische, schwulen- und andersfeindliche Mob endlich die gleiche gesellschaftliche Ächtung bekommt, wie ihre rechten Brüder im Geiste.

      • @Leningrad:

        Vollste Zustimmung 👍

  • "... unpolitische Mitläufer der Randalierer in Schnellverfahren wenige Wochen zu mehrjährigen Haftstrafen verknackt werden ..."



    "Eröffnet wurde das Verfahren gegen ihn an diesem Mittwoch – die Hauptverhandlung gibt es erst 2025."

    Ungeschickter kann man sich kaum verhalten. Das ist Wasser auf die Mühlen derer, die Kapital aus solchen Vorgängen schlagen. Und es löst gar nichts.

  • "Den Zündstoff liefert dieses Jahr die Polizei selbst."



    Wieso die Polizei? Ich denke, dafür ist die Justiz verantwortlich? Oder werden hier einfach persönliche Feindbilder von Herrn J. gepflegt.



    Abgesehen davon: gibts Hintergründe zu diesem Attentat? Das Töten dreier Mädchen ist ja nicht einfach eine gewöhnliche Straftat? Und warum sollten die gefundenen Indizien nicht für die genannte Anklage erhoben werden? Er ist ja nicht verurteilt.

    • @Emmo:

      Das wollte ich gerade selbst schreiben, volle Zustimmung zu ihrem Kommentar von mir. Die Polizei hat ihre Arbeit erledigt, die Justiz dann die Fakten nur häppchenweise erledigt. Ich muss dabei immer an den ehemaligen Innenminister de Maizière denken "Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern".

    • @Emmo:

      Justiz und POLITIK sind für das Kommunikationsdesaster verantwortlich.

  • Sehr differenzierter Beitrag, danke.



    Klassischer Fall von Framing einer üblen Sorte mit lehrreichen Wendungen durch Anpassung einer Manipulationsstrategie.



    Dafür braucht es freien Journalismus, um so etwas aufzudecken und damit Sensibilität zu schaffen für Angriffe auf die glaubhaften Informationsquellen der Zivilgesellschaft.

  • Michaela Dudley , Autorin , Journalistin/Kabarettistin

    Wo ist das Problem? Ein Messerstecher, der als Afficinado der Al-Qaeda-Literatur drei Mädchen brutal abschlachtet, muss mit der vollen Wucht des Gesetzes und der vollen Wut der Gesellschaft rechnen.

    • @Michaela Dudley:

      In einem Rechtsstaat muss niemand mit der "vollen Wut der Gesellschaft" rechnen - Strafen werden hier von Gerichten verhängt, nicht vom Mob. Im übrigen rate ich dazu, den Artikel zu lesen: denn in diesem geht es um Konsequenzen, die nicht nur den Täter betreffen, wie die rechten Ausschreitungen im UK gezeigt mehr als deutlich gezeigt haben.

    • @Michaela Dudley:

      Das Problem ist, dass es nicht nur um ein furchtbares Verbrechen sondern auch noch eine chaotische Aufbereitung des Falles geht. Gerüchte, Falschinformationen, Randale, Rechtsextremismus und nun die Frage ob der Täter aus terroristischen Beweggründen gehandelt hat und - für die Öffentlichkeit wichtig: Falls ja, ob diese Information zurückgehalten wurde um die explosive Stimmung nicht zu verschlimmern. Was ziemlich blöd wäre, weil die Öffentlichkeit ein Recht auf Information hat.

      • @N.Laj:

        "Was ziemlich blöd wäre, weil die Öffentlichkeit ein Recht auf Information hat."



        Ist das so? Und was ist mit dem Recht des Angeklagten auf Schutz vor Vorverurteilung und einen fairen Prozess? Und was ist mit den Rechten der Unbeteiligten auf Schutz vor einem gewalttätigen Mob?

    • @Michaela Dudley:

      Volle Zustimmung!

    • @Michaela Dudley:

      Mich beunruhigt am meisten der Rizin-Fund. Außer zur verdeckten Ermordung vieler weiterer Personen gibt es dafür außerhalb von gesicherten Biologielaboren wirklich keinerlei Verwendung. Das ist für mich der eindeutigste Indikator für Terrorismus.

    • @Michaela Dudley:

      Finde ich auch, die Relativierung und Verdeckung von Umständen nutzt keinem und führt zu noch mehr Wut.