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Pro-Palästina-Proteste in BerlinOft für Frieden auf die Straße

Timm Kühn
Kommentar von Timm Kühn

In der öffentlichen Wahrnehmung kommt es vor, dass alle Demo-Teilnehmer wie Israel-Hasser wirken. Dabei geht es vielen oft nur um ein Ende der Kämpfe.

Der Südstern in Kreuzberg war am Montag Schauplatz einer propalästinenschen Demonstration Foto: Christoph Soeder/dpa

E s war eine Eskalation mit Ansage: Zum Jahrestag des Hamas-Massakers am 7. Oktober und des darauf folgenden brutalen Einmarschs der israelischen Armee in Gaza hatten Palästina-Aktivist:innen am Montag ausgerechnet mit den Worten „Glory to the Resistance“ zum Protest mobilisiert. Bereits am Vortag hatte es auf einer weiteren Demo unter dem Motto „Es begann lange vor dem 7. Oktober“ geknallt. Auf beiden Demos flogen Flaschen, die Polizei pfefferte und nahm Menschen teils brutal fest. In der Nacht auf Dienstag brannten in Neukölln Barrikaden.

In der öffentlichen Wahrnehmung werden die Teil­neh­me­r:in­nen dieser Proteste alle in einen Topf geworden. Es handle sich um Hetzdemos, hieß es auch in der taz, deren Teil­neh­me­r:in­nen den Terror der Hamas glorifizieren wollten. Und tatsächlich spielte das Motto vom Montag offensichtlich genau darauf an. Die kommunistischen Kleinstgruppen, die zu der Demo aufgerufen haben, dürften der Bewegung damit einen Bärendienst erwiesen haben.

Denn wer auf der – wohl nicht zufällig wesentlich größeren – Veranstaltung am Sonntag war, konnte auch etwas ganz anderes als blanken Israelhass beobachten: Viele junge Menschen, die ihre Stimme gegen eine auch von Deutschland mit Waffenlieferungen unterstützte israelische Kriegsführung erheben, die bereits mehrere Zehntausend Zi­vi­lis­t:in­nen das Leben gekostet hat. Das Protestdatum des 7. Oktober markiert aus ihrer Sicht ein neues Kapitel der Unterdrückung, Vertreibung und Vernichtung palästinensischer Lebensgrundlagen – und kein pietätloses Zelebrieren islamistischen Terrors.

Der Staatsräson verpflichtet?

Doch die Öffentlichkeit bleibt für diese zentralen Motive vieler Menschen, die auf Palästinaproteste gehen, weitestgehend blind. Konsequent werden die extremsten Positionen, die auf den Protesten vertreten werden, verallgemeinert, womit die Bewegung als Ganzes delegitimiert wird. Viele Jour­na­lis­t:in­nen fühlen sich offenbar der Staatsräson moralisch verpflichtet – und passen ihre Berichterstattung entsprechend an. Überhaupt nicht mehr gesprochen wird so über ein wichtiges Narrativ der Protestierenden: dass ein Widerstand der Menschen in den Ländern, die mit ihren Waffenlieferungen diesen Krieg mit ermöglichen, die Gewalt beenden könnte.

Auch auf dieser Basis gäbe es dann viel zu kritisieren: Die antisemitischen Tendenzen in Teilen der Bewegung, die fehlende Bereitschaft, sich öffentlich von Hamas und Hisbollah abzugrenzen, der Hyperradikalismus, der immer wieder den Staat Israel als Schutzraum jüdischen Lebens negiert, die Feindmarkierungen, die Pressefeindlichkeit. Klar ist: Die Palästinabewegung muss sich verändern, will sie eine kämpferische Friedensbewegung werden, für die es auch in Deutschland eine breite Mehrheit gäbe: In Umfragen werden Israels Vorgehen in Gaza und deutsche Waffenlieferungen überwiegend abgelehnt. Ein wichtiger Faktor, um eine solche Friedensbewegung zu schaffen, wäre ein kritischer öffentlicher Diskurs – der nicht aus den Augen verliert, worum es im Kern geht.

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Timm Kühn
Redakteur
Schreibt seit 2020 für die taz über soziale Bewegungen, Arbeitskämpfe, Kapitalismus und mehr.
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23 Kommentare

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  • Jeder Demo, die einseitig Israel die Verantwortung für alles zuschiebt und allein an Israel Forderungen stellt, geht es eben NICHT nur um ein Ende der Kämpfe.

    Die Hamas könnte sich schließlich auch einfach ergeben und alle Geiseln freilassen.

    Welche propalästinensische Demo fordert dies?

  • "Ganz plötzlich" standen Menschen bei den Pegida Protesten neben Faschisten.



    " Ganz überraschend " fanden sich sog. Linke bei den "Spaziergängen" gegen die



    Corona Maßnahmen neben Faschisten.



    Das kann passieren. Allerdings nur Einmal.



    Wer diese Veranstaltungen weiterhin besucht, geht das Risiko ein, mit den Faschisten in einen Topf geworfen zu werden. Betrachten wir die jüngsten Wahlergebnisse als Teil der Entwicklung der genannten Demonstrationen,



    so darf angenommen werden, dass ein Großteil der Menschen sich im Zusammenhang mit dieser Entwicklung radikalisiert haben und mittlerweile "afd" Anhänger sind.



    Ich befürchte eine ähnliche Entwicklung bei " linken " UnterstützerInnen der Palästinaproteste.



    Lange wurde auch bei den rechts gelagerten Demos behauptet, " die Menschen hätten sich dorthin verlaufen". Die jüngere Geschichte belegt, dass das Gegenteil der Fall war. Es handelt sich um Menschen, die mit Ihrer Teilnahme eine klare Entscheidung fällten.

  • Wer mit solchen Leuten demonstriert muss sich nicht wundern. Israel hat Gaza und Südlibanon damals geräumt. Als Ergebnis hat es Terror geerntet. Der Einsatz ist brutal, aber notwendig, damit zumindest die militärischen Strukturen von Hamas und Hezbollah zerschlagen werden. Die schrecklich hohe Zahl ziviler Opfer ist vor allem dem geschuldet, dass diese widerlichen Terrororganisationen rein gar nichts getan haben, um Schutzräume für Zivilisten zu schaffen. Im Gegenteil. Die eigenen Toten werden zynisch als Trumpfasse gegen das ach so böse "zionistische Regime" ausgespielt.

    • @Reisehank:

      Ausgerechnet am 7. Oktober eine antiisraelische Demo zu besuchen, und dann unter so einem Motto, offenbart eine schwer verzeihliche Empathielosigkeit, jedenfalls wenn es sich um linke Mitläufer handelt (bei arabischstämmigen Betroffenen, die selbst jeden Tag Angehörige verlieren, kann man da eher Verständnis aufbringen, auch wenn Israelhass objektiv dennoch zu verurteilen und keine Lösung ist, was ja auch gerade dieses Datum verdeutlicht).



      Problematisch sind aber auch solche Reaktionen. Wer jetzt noch unkritische Israelsolidarität propagiert und die menschenverachtenden Propagandaerzählungen (Schutzschilde usw.) nachbetet, hat echt den Knall nicht gehört und steht den propalästinensischen Demonstranten in punkto Empathielosigkeit in nichts nach. Es gibt keine militärische Lösung und der Waffenstillstand wäre längst da, wenn Netanjahus Partei den Krieg nicht völlig unnötigerweise ausgeweitet hätte. Die Tötung Nasrallahs, wenige Stunden nachdem der Grünes Licht zum Waffenstillstand gegeben hatte, ist ein so offensichtlicher Beweis für die Absicht, den Verteidigungskrieg für eine rücksichtslose Neuordnung zu instrumentalisieren, dass man Scheuklappen haben muss, um das zu verleugnen.

    • @Reisehank:

      Zu den zivilen Opfer ist weiterhin anzumerken, dass die Hamas-Kämpfer eben nicht uniformiert sind, also als Zivilisten gelten. Es gibt dort keine Unterscheidung zwischen Kämpfern und sog., "Kollateralschäden". Daher ist es auch sehr schwierig, die Zahl der "wirklichen" Zivilisten festzustellen, für die Hamas sind alle Getöteten solche.

    • @Reisehank:

      Vielen Dank, genau so ist es. Und nein, wenn am Tag des Massakers uuund genau einen Tag davor demonstriert wird, noch dazu mit der Parole "Glory to the Resistance" hat das mit Kampf für die palästinensische Sache, oder gar "Friedensbewegung" absolut nix zu tun.

  • "In der öffentlichen Wahrnehmung kommt es vor, dass alle Demo-Teilnehmer wie Israel-Hasser wirken."

    Wir leben nun einmal in einer Welt in der "schwarz-weiß" denken trendy ist. Ähnlich verhält es sich doch mit dem Krieg in der Ukraine - wer zb mehr Diplomatie anmahnt wird schnell als Putinsympatisant diskreditiert.

    Dabei ist es durchaus möglich für Frieden im nahen Osten zu demontieren und kritisch zu hinterfragen, ob Israels Antwort, die ein vielfaches an Toten als die Anschläge forderte verhältnismäßig waren. Trotzdem muss das in keinster Weise bedeuten, dass man das Existenzrecht von Israel in Frage stellt!

    • @Alexander Schulz:

      Und doch steht man dann neben den Leuten, die genau dieses tun.

  • Guter Kommentar.

  • Ich pflichte Sam Spade und Jim Hawkins, mit denen ich oft nicht konform bin, komplett bei.

    Die Videos vom Ask Project und Berichte von Menschen aus Gaza die sich gegen die Hamas stellten und das Studium der Literatur und Gespräche mit Expert*innen haben bei mir dafür gesorgt, dass ich die Hamas und Menschen in Gaza realistischer wahrnehme als dies vorher der Fall war. Dort ist es eben zutreffend, dass die vokale öffentliche Mehrheit imlpizit hinter der Hamas steht.

    Auf den Demos war deswegen nötig im vergangenen Jahr zu zeigen worum es den Leuten geht. Das ist nicht einmal in Berlin geschafft. Eine Distanzierung und Haltung ist nötig, sonst erzeugen die Demos korrekt eins: Eine Wahrnemung, dass viele auf ihnen Juden*Jüdinnen hassen oder ihre Ermordung ignorieren.

  • Wichtig wäre zu Beginn jeder Stellungnahme der Satz: weil die Hamas sich weigern, die Geiseln freizulassen , weiterhin Israel mit Raketen angreifen,…



    Da die Hisbollah weiter Raketen nach Israel feuern, sieht Israel sich gezwungen - nach Jahren der Geduld- …….



    Damit klar ist, wer der Täter ist ‚

  • Auch die gemäßigten Pro - Palästinenser haben den 7 Oktober für ihre Zwecke instrumentalisiert. Das hat schon einen faden Beigeschmack. Und den Hinweis, dass dieser Tag ein neues Kapitel für die Menschen in Gaza bedeutete, hätte man sich am Jahrestag auch ersparen können.

    Respekt hätte sich die gemäßigten Pro-Palästinenser nur dadurch verdienen können, wenn sie die israelischen Opfer des Massakers mit in ihren Apell mit einbezogen und auch deren gedacht hätten.

    Die Pflicht der Aufrichtigen wäre es gewesen, sich bei Zeiten von den autoritäen Linken und den Antisemiten zu distanzieren und ihnen zu zeigen, dass sie auf ihren Demonstrationen unerwünscht sind.

    Von allen habe ich bis heute nichts wahrgenommen. Daher bleiben für mich Aussagen, dass die Proteste sich einzig gegen die israelische Kriegsführung in Gaza richten würden leider reine Makulatur.

  • Das hier muss man sich ganz langsam auf der Zunge zergehen lassen:

    "Das Protestdatum des 7. Oktober markiert aus ihrer Sicht ein neues Kapitel der Unterdrückung, Vertreibung und Vernichtung palästinensischer Lebensgrundlagen – und kein pietätloses Zelebrieren islamistischen Terrors."

    Der genozidale Angriff auf Israel, das Morden, das Vergewaltigen, das Verstümmeln, das regelrechte Abschlachten von Menschen markiert also nicht das, was es war, sondern war ein Angriff auf die Täter dieses Massakers.

    Es ist als würde man sagen, Auschwitz war ein Angriff auf Nazi-Deutschland.

    Jeder tödliche Angriff auf Juden wird ihnen übler genommen als alles andere.

    • @Jim Hawkins:

      So ist es.

      • @rabu:

        Stimmt.

  • Sorry, wenn ich zu einer Demo gehe, dann unterstütze ich das Anliegen der Demo. Wenn das Ding unter dem Motto "Glory to the Resistance" läuft und am 7. Oktober stattfindet dann denke ich als friedensbewegter Mensch nach und mach vielleicht mal Pause. Es findet eigentlich jeden Tag eine palästinensische Demo in Berlin statt ...

  • Sorry, aber das ist Schwachsinn. Allein schon den 7. Oktober zu wählen ist pietätlos und läuft auf den Versuch einer Täter-Opfer-Umkehr heraus. Zur Erinnerung: am 7. hat die Hamas ein Massaker an Israelis begangen und nicht umgekehrt. An unser Haus wurde ein Hamasdreieck geschmiert; ich denke nicht, dass dies der Ausdruck eines Wunsches nach Frieden ist. Die Leute wollen einen Waffenstillstand? Warum nehmen sie dann nicht die Hamas in die Verantwortung? Diese könnte die Geiseln freilasse, so sie noch leben, und die Waffen niederlegen. Aber nein, immer nur Forderungen an Israel. Der Autor schreibt es doch selber: Es wird sich weder von der Hamas noch von der Hisbollah abgegrenzt und es wird das Existenzrecht Israels negiert. Beide Organisationen wollen explizit die Vernichtung Israels und nicht den Frieden. Wie glaubwürdig ist es also, dass die Leute für Frieden auf die Straße gehen? An Israel gibt es viel zu kritisieren, aber nicht so. Antisemitismus, Gewalt und Hetze sind keine legitime Kritik.

    • @Fran Zose:

      Danke, wahre Worte! Wird leider auch nichts nützen.

  • Hape Kerkeling vorige Woche bei Markus Lanz zur "in Teilen rechtsextremen" AfD: "Wenn man in ein Glas Wasser einen Schluck Kloakenwasser gibt, ist das ganze Glas ungenießbar." Dieser Satz fiel mir unweigerlich beim Lesen dieses Artikels ein.

    • @Walter Winzer:

      War das nicht bei Maischberger?

    • @Walter Winzer:

      Sagen sie das dann auch über "die in Teilen" rechtsextreme israelische Regierung?