Ex-DDR-Staatsoberhaupt in Berlin: Einmal DDR-Kuscheln mit Egon Krenz

Zum 75. Jahrestag der DDR-Gründung tritt der einstige SED-Chef Egon Krenz in Berlin auf. Für Russland findet er lobende Worte, für die Ampel nicht.

Der frühere SED-Chef Egon Krenz lächelt eine andere Person an.

Umgeben von Fans, am 5. Oktober bei einem Auftritt in Berlin: Egon Krenz Foto: Stefan Boness/Ipon

Berlin taz | Bevor der ehemalige Staatsratsvorsitzende des verschwundenen Arbeiter- und Bauernstaats am Samstagabend die Bühne des Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin betritt, gibt es kurz Zeit für Selfies. Ein Jugendlicher legt seinen Arm um Egon Krenz. Stolz trägt der Knirps sein blaues Shirt mit der Aufschrift „DDR“, obwohl die Zeit der Freien Deutschen Jugend fast 35 Jahre zurückliegt.

Manche Weggefährten wie Günter Schabowski änderten mit der Zeit ihre Meinung über die DDR, Egon Krenz aber nicht. Der ehemalige Führer der SED ist heute froh, bei jungen Menschen wieder Aufmerksamkeit zu bekommen. Selbstverständlich macht der Politrentner aus Dierhagen an der Ostsee ein Erinnerungsphoto für die nächste Generation. Der 87-Jährige hat seine treue Anhängerschaft vor allem aber bei den Älteren. Seine One-Man-Show im Kino Babylon ist restlos ausverkauft.

An diesem denkwürdigen Abend taucht die real verschwundene DDR wieder ein wenig auf. Ein erster Gruß geht an die sozialistischen Brüder in Kuba, auch ein anwesender Botschaftsrat Russlands wird persönlich erwähnt. Eine Verantwortung für den mörderischen Krieg gegen die Ukraine bekommt Putin am Samstag nicht zugeschrieben. Für Krenz ist ein gefährliches Russland nichts weniger als „ein Märchen“.

Klage über angeblichen Russlandhass

Von der Zeitung Junge Welt eingeladen, setzt Krenz sich hinter ein Pult. Mit kräftiger Stimme schleudert er seine Evergreens ins Publikum, das regelmäßig applaudiert. Die DDR sei ein antifaschistischer „Friedensstaat an der Seite der Sowjetunion“ gewesen, beteuert er. Die Militarisierung des Alltags und der Erziehung, die Propaganda und den tolerierten Einmarsch der Roten Armee in der benachbarten Tschechoslowakei 1968 lässt der einstige NVA-Soldat unerwähnt.

Der „friedlichen DDR“ setzt Krenz, der wegen des Schießbefehls an der Berliner Mauer nach der Wende im Gefängnis saß, die Nato gegenüber, die den Kosovo bombardiert habe. Auch die Ampel-Regierung nennt Krenz „heuchlerisch“, weil sie keine „Verhandlungen“ mit Russland aufnimmt. Dass Moskau ein Telefonat mit Scholz vergangene Woche ablehnte, vergisst Krenz zu sagen.

Zurecht betont er aber, dass seine NVA-Soldaten 1989 in den Kasernen blieben. Nachdem Krenz im revolutionär-demokratischen Herbst im Politbüro Erich Honecker gestürzt hatte, kam es nicht zum Kugelhagel in Berlin und an den schwerstbewachten Grenzen.

Krenz nutzt seinen Auftritt zum Rundumschlag gegen die Bundesrepublik und ihre Regierung. Er kritisiert eine angebliche Gleichsetzung der DDR mit „Mief und Mauer“, mit „Stasi und Stacheldraht“. Dabei sei die DDR „ein kinderfreundliches Land“ gewesen, sagt der mehrfache Großvater – ohne die autoritären Jugendwerkhöfe mit einem Wort zu erwähnen. Auch preist Krenz die Wohnungspolitik der DDR. „Wir bauten Millionen Wohnungen“, sagt er über die neu errichteten Plattenbauten nach dem Krieg. Seine autoritär geführte DDR habe zudem „kein Spekulantentum, Arbeitslose oder soziale Kälte“ gekannt. Wie Sahra Wagenknecht beklagt er eine „obszöne Kluft zwischen Arm und Reich“.

Auf Linie mit Wagenknecht

Und der in Moskau geschulte Ex-Funktionär predigt wie Wagenknecht, die AfD oder jüngst Dietmar Woidke, Michael Kretschmer und Mario Voigt den Austausch mit dem Kreml. Die Verantwortung fürs blutige Sterben an der ukrainischen Front kommt ihm nicht über die Lippen. Krenz kritisiert auch einen angeblichen Russenhass, „das alte Feindbild“.

Und er wehrt sich gegen eine Gleichsetzung von 40 Jahre DDR mit der zwölfjährigen Zeit des Nationalsozialismus. „Die Ostdeutschen sind nicht braun“, mahnt er. Die Waffenlieferungen an die überfallene Ukraine lehnt er ebenso ab wie die Stationierung von amerikanischen Raketen in Deutschland. Die Ampel-Regierung müsse die Signale der Bevölkerung wahrnehmen. „Hört zu“, befiehlt der einstige SED-Chef Krenz.

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