Finanzwende-Chefin Anne Brorhilker: Der Staat verzichtet auf Milliarden

Finanzbehörden sollen das Geld aus Steuerbetrug zurückholen, fordert die Organisation Finanzwende. Lobbyisten hätten zu viel Macht.

Ein Frau mit Brille schaut konzentriert.

Anne Brorhilker hat bis vor kurzem als Kölner Oberstaatsanwältin gegen Finanz­kriminelle ermittelt Foto: Oliver Berg/dpa

BERLIN taz | Die Ampel-Parteien streiten erbittert über Geld für wichtige Projekte im Bundeshaushalt – und gleichzeitig holt sich der Staat durch Steuerbetrug verlorene Milliarden nicht zurück. Allein durch sogenannten CumCum-Betrug im Zuge von Aktiengeschäften ist bis 2021 ein Schaden von schätzungsweise 28,5 Milliarden Euro entstanden, kritisiert die Organisation Finanzwende.

Der Staat müsse dafür sorgen, dass das Geld zurückkommt, sagte die neue Finanzwende-Geschäftsführerin und frühere Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker am Dienstag vor Journalist:innen. Die von FDP-Minister Christian Lindner geplante neue Behörde gegen Finanzkriminalität tauge dazu nicht, weil sie nur für Geldwäsche zuständig sei – aber nicht für Steuerbetrug.

CumCum-Betrug bedeutet, dass Ak­ti­en­be­sit­ze­r:in­nen Steuerzahlungen geltend machen, die sie nicht geleistet haben. Bei diesem Geschäftsmodell werden Aktien rund um den Dividendenstichtag zwischen Händlern und Banken hin- und hergeschoben. Auf diese Weise können auch Be­sit­ze­r:in­nen Steuererstattungen geltend machen, die gar keine Abgaben geleistet haben.

Bekannt und teilweise juristisch verfolgt wurde diese Praxis bei den sogenannten Cum-Ex-Geschäften. Dabei wurde ein Teil des Geschäfts vor dem Dividendenstichtag abgewickelt, ein anderer danach. Das Wort Cum steht für „mit Dividendenanspruch“, das Wort Ex für danach. Bei CumCum-Geschäften wurde der gesamte Deal vor dem Stichtag abgewickelt.

„Seit 2015 ist unzweifelhaft klar, dass die Geschäfte steuerrechtlich nicht in Ordnung sind“, sagte Brorhilker. Trotzdem hätten die Finanzbehörden bislang kaum etwas getan, um sich das Geld aus dem CumCum-Betrug zurückzuholen. Denn obwohl in einem Urteil des obersten Finanzgerichts klare Kriterien für das illegale Treiben benannt wurden, seien diese durch Schreiben des Bundesfinanzministeriums in den Jahren 2016 und 2017 verwässert worden.

So konnten die Geschäfte fortgeführt werden. Damals wurde das Bundesfinanzministerium von Wolfgang Schäuble (CDU) geführt. Erst 2021, unter dem damaligen Minister Olaf Scholz (SPD), korrigierte das Finanzministerium seine Auffassung.

Finanzwende möchte herausfinden, wie die Einschätzung im Bundesfinanzministerium 2016 zustande kam. „Wir glauben nicht, dass sich das ein Ministeriumsbeamter ausgedacht hat“, sagte Vorstand Gerhard Schick, der früher für die Grünen im Bundestag saß. Finanz­wende geht davon aus, dass die Einschätzung auf den Einfluss der Finanzlobby zurückgeht.

Klagen gegen Ministerien

Um das zu belegen, hat die Organisation mehrere Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz an das Bundesfinanzministerium sowie drei Landesfinanzministerien gestellt. Die mauern aber unter anderem mit Hinweis auf mögliche Reputationsrisiken der Banken. Deshalb hat die Organisation Auskunftsklage gegen die Ministerien eingereicht. „Der Schutz der Banken wiegt für die Finanzbehörden offenbar schwerer als der Schutz von Steuergeldern der Allgemeinheit“, sagte Brorhilker.

Sie hat bis vor kurzem gegen Finanz­kriminelle ermittelt und ist als Kölner Oberstaatsanwältin im Zuge ihrer Ermittlungen zu Cum-Ex bekannt geworden. Im April wechselte sie zu Finanzwende. Brorhilker fordert, Ermittlungen zu Finanzkriminaltät zu zentralisieren, „damit wir die Chance haben, dass sich Fachexpertise bildet“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.

Ihren Kommentar hier eingeben