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Debatte um Nancy FraserWelche Verfolgung?

Die Philosophin Nancy Fraser wurde von der Uni Köln ausgeladen, weil man sie beim Wort nahm. Mit McCarthyismus hat das nichts zu tun.

Die Philosophin Nancy Fraser während ihres Berlin-Aufenthalts im Juni 2022 Foto: Stephan Pramme

Die Formel für Generöse könnte in dieser Causa lauten: Die Uni Köln hat sich taktlos verhalten und zunächst ihre getroffene Entscheidung, die US-Philosophin Nancy Fraser mit dem Albertus-Magnus-Preis zu ehren, wieder zurückgenommen.

Wer öffentlich A sagt, kann dann nicht mehr vor dem B zurückweichen. Denn tatsächlich war ja schon länger bekannt, dass Fraser, ob in einem Anfall von für ihr Milieu klassischem Signaturwahn oder wohlüberlegt, eine öffentliche Petition gegen Israel unterzeichnet hat.

Das aber war nicht der Grund für den Kölner Unirektor Joybrato Mukherjee, Fraser die Auszeichnung (inkl. einiger Vorlesungen) wieder zu entziehen, sondern der Inhalt des Unterschriebenen selbst: In der Petition nämlich wird auch der Boykott der israelischen Universitäten gefordert.

Rektor Mukherjee konnte, so gesehen, nicht anders, als ­Fraser die Ehrenprofessur zu entziehen. Denn zu den Spezialitäten der Uni Köln gehören enge Kooperationen mit nämlichen israelischen Universitäten: Weshalb – die Kriterien der Identität der Uni Köln mal endlich ernst genommen – sollte eine Intellektuelle einen Preis zuerkannt bekommen, dem sie mit ihren Statements hohnspricht?

Verfolgte Unschuld?

So war das auch im Fall des in Südafrika lehrenden kamerunischen Philosophen Achille Mbembe: Nicht die Dämonisierung des jüdischen Staates war allein bizarr, sondern das Tun der prominenten Stimme des „Global South“: Weil er mit Verve die Ausladung einer israelischen Wissenschaftlerin von einer Tagung in Südafrika betrieb.

Was Fraser jetzt in zahllosen Interviews mit deutschen Medien betreibt, ist, die Rolle der verfolgten Unschuld zu geben. Ist sie nicht: Sie zählt, wie Masha Gessen, Judith Butler and you name it many more, zu jenen Stichwortgeberinnen* des antiisraelischen Zeitgeistes, der diesen Staat schlimmer als Nordkorea, Russland oder Iran zeichnet. Fraser kann weiterhin in Deutschland lehren, auch akademisch.

Manche Kol­le­g:In­nen hätten sie gern als Opfer eines Phänomens, das sie als Cancel Culture, gar neuen McCarthyismus bezeichnen. Das ist falsch: In Deutschland hat es un­glückliche Stornierungen gegeben, aber Verfolgungen dann doch nicht. Sie werden bloß alle nicht mehr wie moderne Man­da­ri­n­in­nen* in den Manegen der kritisch-theoretischen Weltbilder vorgeführt werden können, jedenfalls nicht mehr fraglos als Topcheckerinnen der Welten­läufte.

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18 Kommentare

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  • Positiv an dem Kommentar aus meiner Sicht: aus Kritik an der derzeitigen Politik Israels wird nicht "antisemitisch" gebastelt, Danke!



    Was ich mich frage: ist Kritik an dieser israelischen Regierungspolitik in der BRD in irgendeiner Form ein "Vergehen"?

  • Danke Jan Feddersen für diese Klarstellung.



    Ich wurde verstärkt den Eindruck nicht los, dass dieser Beitrag an dieser Stelle auch dringend nötig war.

  • "... dass Fraser, ob in einem Anfall von für ihr Milieu klassischem Signaturwahn oder wohlüberlegt, eine öffentliche Petition gegen Israel unterzeichnet hat."

    Israel ist ein demokratischer Staat. Selbst in Israel sind Petitionen gegen die israelische Politik zulässig. Es fanden und finden sogar große Demonstrationen statt.

    Und nun fängt man ausgerechnet in Deutschland an, selbst Menschen mit jüdischen Hintergrund an, vorzuwerfen, dass sie Petitionen gegen die weltweit kritisierte Regierungspolitik eines Staates unterschreiben

    Calm down Jan!

  • Was sind den Man­da­ri­n­in­nen*?

    Ansonsten finde ich die Begründung sie wieder auszuladen in Ordnung, dass sie aber Israel auf eine Stufe mit Nordkorea stellen würde ist doch etwas übertrieben.

    • @Jesus:

      You:

      Und was soll das mit den Mandarin innen ?

      Chatgpt:

      Entschuldigung für die Verwirrung. Der Ausdruck "wie moderne Mandarinen" bezieht sich auf eine metaphorische Darstellung von Expert:innen oder Autoritäten, die in der Öffentlichkeit präsentiert werden. Der Begriff "Mandarinen" kann auf eine alte chinesische Bürokratie verweisen, in der Mandarine hochrangige Beamte waren, die oft als Experten in ihren jeweiligen Bereichen galten.

      In der Passage wird darauf hingewiesen, dass bestimmte Personen oder Gruppen möglicherweise nicht mehr in derselben Weise als unumstrittene Autoritäten oder Expert:innen akzeptiert werden wie zuvor. Die Metapher der "modernen Mandarinen" bedeutet also, dass diese Personen nicht mehr unangefochten als Expert:innen oder Autoritäten auftreten können, insbesondere in Bezug auf komplexe Fragen der gesellschaftlichen und theoretischen Analyse.

  • Ich stimme nicht mit dem Meinungsbeitrag überein. Dennoch gut, dass er hier erscheint. Jeder Versuch einer halbwegs sachlichen Auseinandersetzung ist willkommen. Und ein bisschen Luft nach oben wäre in dieser Hinsicht auch noch, z.B. indem man direkt eingeht, auf das, was Nancy Fraser gesagt hat, anstatt die kostbaren Zeilen mit einigermaßen sachfremden Ausführungen zu Achille Mbembe zu füllen.

  • Treffende Einordnung!

  • "Sie zählt, wie Masha Gessen, Judith Butler and you name it many more, zu jenen Stichwortgeberinnen* des antiisraelischen Zeitgeistes, der diesen Staat schlimmer als Nordkorea, Russland oder Iran zeichnet."

    Es ist in der Tat diese merkwürdige Schieflage, die die Debatte auszeichnet. Ich bin ja völlig einverstanden mit der Kritik an Nethanjahu und seinen rechtsextremistischen Buddies, der Ablehnung einer Zweitstaatenlösung (und damit letztlich einer Zementierung des status quo) und der völkerrechtswidrigen Siedlungspolitik. Aber: Der Furor und die völlige Einseitigkeit, mit dem jetzt zuletzt Fraser (die einen noch viel übleren offenen Brief unterschrieben hat, der die Vergewaltigungen des 7.10. quasi leugnet) hier auftritt, steht in einem so krassen Missverhältnis, wenn man das Geschehen tatsächlich im globalen Maßstab betrachtet, dass es geradezu absurd ist, so zu tun, als ginge es "nur" um Kritik in der Sache und habe mit einem die Existenz Israels in Frage stellenden Antizionismus rein gar nichts zu tun. Vollends fragwürdig wird das Ganze aber dann, wenn man offensichtlich so wenig Berührungsprobleme mit der Hamas hat, indem man sich beeitwillig als deren akadamischer Sprecher und Verstärker andient. Obwohl natürlich alle wissen könnten, dass ein "freies Palästina" unter der Herrschaft der Hamas ein Widerspruch in sich selbst ist.



    PS.: "Topcheckerinnen der Welten­läufe" - auf die Formulierung bin ich geradezu neidisch! (den Schreibfehler habe ich jetzt mal selber korrigiert ;-))

  • Frau Fraser boykottiert Israel, Deutschland boykottiert Frau Fraser, darüber kann sie sich jetzt beschweren. Aber letztlich ist es ein wenig bigott von ihr.

  • Vielen Dank an Jan Feddersen für die knackige Einordnung.

    Bin gespannt wie lange noch die Causa Fraser durch die Feuilletons wabern wird.

  • Der Kommentar trifft den Nagel auf den Kopf; danke dafür. Selbstgefällig und lamoryant äußert sich diegute Frau. Selbstgefällig weil sie auch jetzt nicht einsehen kann und will was für einen relativierenden Brief inklusive Boykottaufrufen sie da gezeichnet hat und auch nicht die Größe besitzt sich jetzt von dessen Inhalten zu distanzieren. Lamoryant, weil sich jetzt verfolgt und boykottiert wähnt wie zu Zeiten McCarthy, unfähig zu sehen, dass sie sich sehr wohl weiter frei äußern darf in Deutschland; nur hat es halt Konsequenzen. Wie absurd andere aufgrund deren Nationalität pauschal boykottieren zu wollen aber selbst weinerlich zu werden, wenn man aufgrund einer klar nicht mit den Werten der Kölner Universität übereinstimmenden Positionen von dieser keine Ehrung erhält.

  • Wenn zukünftig ein kritischer Diskurs nur noch über Teilaspekte im eng gewordenen erlaubten Meinungskorridor stattfinden soll, dann armes Deutschland. Unliebsame Meinungen auszugrenzen, anstatt sich mit ihnen auseinandersetzen, ist wohl eher ein Merkmal autoritärer Staaten. Wir waren da schon einmal sehr viel weiter.

  • "Sie werden bloß alle nicht mehr wie moderne Man­da­ri­n­in­nen* in den Manegen der kritisch-theoretischen Weltbilder vorgeführt werden können, jedenfalls nicht mehr fraglos als Topcheckerinnen der Welten­läufte."

    Und das finde ich richtig gut. Na ja, bis auf das Gendern.

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Jim Hawkins:

      Jetzt ist der Gender-Stern am Ende.... 🌠

    • @Jim Hawkins:

      Klasse, genau den Kommentar wollte ich auch grade schreiben.

    • @Jim Hawkins:

      Ja, in Deutschland weiss man immer besser, wie ein Jude sich politisch zu äussern hat und was Deutsche dann als 'antisemitisch' dünken.