piwik no script img

Foto: Florian Boillot

Palästinenser in DeutschlandEnde des Berliner Frühlings

Die Hauptstadt hat in den letzten Jahren viele palästinensische Künstler und Intellektuelle angezogen. Seit dem Krieg in Gaza sind sie ernüchtert.

Daniel Bax
Von Daniel Bax aus Berlin

Y asmeen Daher empfängt in ihren neuen Büroräumen, an den Tischen sitzen ihre Kollegen. Erst im vergangenen Herbst hat das Netzwerk unabhängiger arabischer Medien, für das sie arbeitet, die hellen Ladenräume im Berliner Stadtteil Mitte bezogen. „Wir waren euphorisch und voller Hoffnung“, sagt die 41-Jährige. Aber seit dem Krieg in Gaza, der auf den Angriff der Hamas am 7. Oktober folgte, sei die Stimmung gekippt. „Es ist viel Vertrauen verloren gegangen“, sagt sie.

Die Medienmanagerin

Yasmeen Daher ist in Nazareth aufgewachsen, der größten arabischen Stadt in Israel, und hat in Kanada Philosophie studiert. Vor acht Jahren kam sie mit einem Stipendium nach Berlin. Die deutsche Hauptstadt galt nach dem Ende des Arabischen Frühlings als Sehnsuchtsort für arabische Intellektuelle, die zum Teil aus ihrer Heimat fliehen mussten. Nicht Paris oder London, weil zu teuer, und auch nicht Istanbul, weil zu gefährlich – nein, Berlin zog damals viele junge Künstler, Wissenschaftler und Intellektuelle aus arabischen Ländern an, darunter auch viele Palästinenser.

Denn Berlin ist nicht nur die Heimat der größten palästinensischen Minderheit in Europa. Mit dem „Sommer der Migration“ kamen 2015 rund 40.000 weitere Menschen aus Syrien hinzu, die neuen Schwung mit sich brachten, Restaurants und Konditoreien eröffneten. Ein idealer Ort also, so schien es, um unabhängige und progressive Medien aus dem Nahen Osten und Nordafrika zu bündeln, wie es das unabhängige Netzwerk Febrayer macht. Yasmeen Daher ist dessen Co-Direktorin und Redaktionsleiterin.

Als sie vor acht Jahren nach Deutschland kam, merkte sie allerdings schnell, dass hier ein anderer Wind weht, als sie es von Kanada gewohnt war. Dort gab es eine große, universitäre Palästina-­Solidaritätsszene. Als sie in Berlin das erste Mal an einer Pro-Palästina-Demonstration teilnahm und auf ein Plakat das Wort „Apartheid“ pinselte, sagte man ihr: „Das kannst du in Deutschland nicht machen“, erinnert sie sich – das gelte als „anti­semitisch“, weil es Israel dämonisiere, wurde sie gewarnt. „Das war ein Schlüssel­erlebnis“, sagt sie.

Yasmeen Daher, feministische Aktivistin und Schriftstellerin und Co-Direktorin von Febrayer Foto: Miriam Klingl

Politisiert wurde Yasmeen Daher schon früh. Weil ihre Mutter aus Nablus im Westjordanland stammt, fuhr sie schon als Kind regelmäßig mit ihrer Familie dorthin. Dort erlebte sie Kontrollpunkte, Schikanen, Ausgangssperren, das ganze Programm der Besatzung. Auch in Israel selbst erfuhr sie Diskriminierung: „Palästinensische Eltern werden von den Behörden anders behandelt. Man bekommt keine Wohnung aufgrund seines Namens.“ Über Nazareth mit seiner arabischen Mehrheit thront eine Neubausiedlung mit Parks und Swimming Pools, in der überwiegend jüdische Israelis leben.

Als die zweite Intifada im Jahr 2000 ausbrach, erschossen Polizisten bei Protesten in Orten wie Nazareth insgesamt 13 arabische Staatsbürger: Auch diese Erfahrung hat Yasmeen Daher geprägt. Der israelische Staat sorge dafür, die Überlegenheit einer Gruppe über die andere aufrechtzuerhalten, sagt Yasmeen Daher. In Israel seien Palästinenser wie sie Bürger zweiter Klasse, die Palästinenser aus der Westbank würden als billige Arbeitskräfte ausgebeutet, und die in Gaza weggesperrt: Es sei ein System des Teilens und Herrschens.

Deutsche Medien haben uns von Anfang an pauschal als Terroristen, Hamas-Sympathisanten und Antisemiten dargestellt

Yasmeen Daher, Redaktionsleiterin

Seit in Gaza der Krieg tobt, hat sich in Deutschland für Palästinenser wie sie vieles verändert. „Mein Sohn geht hier in die Kita“, erzählt sie. „Als der Krieg in der Ukraine begann, haben sie dort Kleidung gesammelt. Jetzt gibt es überhaupt keine Reaktion, es herrscht Schweigen.“ Das kann sie schwer nachvollziehen. Die fehlende Anteilnahme vieler Deutscher hat sie enttäuscht. „Viele haben kein vollständiges Bild von dem, was in Gaza passiert“, glaubt sie.

Schuld sei aber auch die mediale Berichterstattung über Palästinenser hierzulande. „Deutsche Medien haben uns von Anfang an pauschal als Terroristen, Hamas-Sympathisanten und Antisemiten dargestellt“, findet sie. Kein Wunder, dass sich viele Deutsche mit „solchen Gestalten“ nicht öffentlich solidarisieren wollten, auch wenn sie den Krieg ablehnten.

Haben nicht auch antisemitische Parolen Menschen verschreckt und davon abgehalten, an Kundgebungen teilzunehmen? „Bei den Demon­strationen, an denen ich teilgenommen habe, gab es keine antisemitischen Slogans“, sagt sie bestimmt. Der Vorwurf des Antisemitismus werde benutzt, um Menschen davon abzuhalten, sich mit Palästinensern zu solidarisieren, findet sie vielmehr. Das beste Mittel, um Antisemitismus entgegenzuwirken, sei es, gemeinsam mit jüdischen Partnern für einen gerechten Frieden auf die Straße zu gehen, aber auch das werde unterbunden.

Und die vielen palästinensischen Fahnen, schrecken die nicht auch manche Menschen ab? „Ich bin kein nationalistischer Mensch“, entgegnet die Medienmanagerin. „Aber ich kann einer Gruppe, die gegen ihre Unterdrückung kämpft, nicht vorschreiben, welche Fahne sie schwenken sollen. Das käme mir paternalistisch vor“ – insbesondere wenn man selbst einen Staat habe, der einem Rechte und Sicherheit gewähre. „Wir werden als eine homogene Gruppe dargestellt. Aber wir sind sehr unterschiedlich und haben verschiedene Meinungen“, betont sie.

Der Grafiker und Kulturvermittler

Das kann Fadi Abdelnour nur bestätigen. Mit 24 kam er zum Designstudium nach Deutschland, heute ist er 45 und ein Tausendsassa: Im Herbst 2020 eröffnete er den Buchladen Khan Aljanub („Herberge des Südens“) in Berlin. Er liegt in einer Hinterhofremise an einer Hauptverkehrsstraße, der Eingang befindet sich zwischen einem syrischen und einem marokkanischen Restaurant und ist nicht leicht zu finden.

Doch das Geschäft hat ein Alleinstellungsmerkmal: Es ist der einzige Buchladen in Berlin, der arabische Literatur, Kunstbände und Comics verkauft, aber auch Sachbücher und philosophische Werke. Demnächst wird der Buchladen nach Neukölln umziehen, in einen Laden mit Schaufenster. Zehn Jahre lang leitete Abdelnour zuvor das arabische Filmfestival „Alfilm“. Die nächste Ausgabe startet im April, der Schwerpunkt wird auf Palästina liegen. Abdelnour hat das Plakat gestaltet, es erinnert an palästinensische Stickereien.

Doch bei den großen Kulturinstitutionen herrsche Verunsicherung und Angst, hat Abdelnour bemerkt. Es gab eine Welle von Absagen aufgrund von „Antisemitismus“-Vorwürfen, auch gegen jüdische Künstler. Palästinensische Stimmen würden kaum noch auf ein Podium geladen. Wenn es Veranstaltungen und Podiumsgespräche gibt, dann meist in unabhängigen Hinterhofkinos, in linken Treffpunkten oder akademischen Hinterzimmern. „Wer weltoffen denken möchte, für den wird der Raum immer kleiner“, sagt Fadi Abdelnour.

Der Grafik-Designer und Buchhändler Fadi Abdelnour Foto: Miriam Klingl

Man müsse vorsichtig sein, um nicht anzuecken. „Es war ein Labyrinth. Jetzt ist es ein Minenfeld.“ Ihm bereitet dieses Klima Sorgen. „Man dachte, demokratische Gesellschaften sind stabil“, sagt er. „Es ist erschreckend, wie schnell man bereit ist, die eigenen Werte wegzuschmeißen.“ Toleranz, Menschenrechte, Meinungsfreiheit – solche Dinge halt, die in Sonntagsreden so gerne beschworen würden.

Abdelnour ist im israelisch besetzten Westjor­danland aufgewachsen und hat dort an der Bir-Zait-Universität bei Ramallah studiert, bevor er nach Deutschland kam. Damals konnten auch Studenten aus Gaza noch im Westjordanland studieren. Aus dieser Zeit hat er noch Freunde, deren Familien in Gaza leben. „Aber es wird immer schwieriger, mit ihnen zu telefonieren“, sagt er. „Es gibt nichts mehr, was man sagen kann. Was soll man denn sagen? Ich hoffe, deine Familie ist noch nicht verhungert?“

Abdelnour ist deprimiert und fragt sich: Was hat er mit all seiner Arbeit erreicht? Mit all seinen Bemühungen um den deutsch-arabischen Kulturaustausch? Er will sich jetzt stärker auf seine Arbeit als freier Grafiker konzentrieren. „Ich habe mir hier ein Netzwerk aufgebaut“, sagt er. „Aber werden die Leute in Zukunft noch mit mir zusammenarbeiten wollen? Wie sicher ist mein deutscher Pass?“, fragt er sich.

Die Feministin

Fidaa al-Zaanin kam vor acht Jahren das erste Mal nach Berlin. Damals arbeitete sie noch für NGOs im Gazastreifen und besuchte den Bundestag. Die 34-jährige ist im Gazastreifen aufgewachsen und hat dort Informatik studiert. Ihr Vater ist Ingenieur, die Mutter Englischlehrerin. Inzwischen leben die Eltern in Schweden, die Kinder über verschiedene Länder verstreut, in Berlin oder in Kanada.

Ihre jüngeren Geschwister arbeiten in Berlin in medizinischen Berufen. „Ich war schon immer eine Rebellin“, sagt Fidaa al-Zaanin. Beim Treffen in einem Café sprudelt es nur so aus ihr heraus. Palästinenser wollten meist, dass ihre Kinder entweder Ingenieure oder Ärzte werden, lächelt sie. Sie aber ging zum Studium nach Island und belegte dort Kurse in Gender Studies. Island sei sehr fortschrittlich, findet sie: Sie habe sich dort willkommen gefühlt.

Fidaa al-Zaanin bezeichnet sich als Feministin und ist politisch aktiv. 2012 war sie beim Welt­sozial­forum in Brasilien, 2013 in Tunis. In Berlin arbeitet sie in einem Sozialunternehmen und hat viel mit deutschen Behörden zu tun. Beim Frauentag am 8. März demonstrierte sie mit feministischen und queeren Gruppen aus aller Welt im Stadtzentrum und hielt dort eine Rede. Anderswo demonstrierten am gleichen Tag Frauen gegen die Leugnung der sexualisierten Gewalt der Hamas nach dem 7. Oktober. Dass dort Frauen mit Israel­fahnen demonstrierten, kann al-Zaanin nicht verstehen, denn Israel trete die Rechte palästinensischer Frauen mit Füßen, sagt sie. „Unser Leid bedeutet ihnen nichts“, sagt sie über die anderen Demonstrantinnen.

Die palästinensische Künstlerin Fidaa al-Zaanin Foto: Daniel Bax

Als Feministin müsse man jede Form von sexueller Gewalt verurteilen, von wem auch immer sie ausgeübt werde, betont sie. „Aber wer entscheidet, welches Verbrechen mehr Empörung verdient?“, fragt sie mit Blick auf den Krieg in Gaza, dem bereits mehr als 8.000 Frauen und mehr als 13.000 Kinder zum Opfer gefallen sein sollen. „Die Bomben fallen dort auch auf meine queeren Freunde“, sagt sie. Die Universität, an der sie studiert hat, ist zerstört, ihr Heimatort Beit Hanoun liegt in Trümmern. Ihr Schwager, ihre Nichte und ihr Neffe wurden vom Krieg überrascht, als sie im Gazastreifen zu Besuch waren.

„Wir haben die ganze Zeit versucht, telefonisch mit ihnen in Kontakt zu bleiben“, sagt sie. „Es ist schwer zu erklären, was wir als Familie durch­gemacht haben.“ Tagelang konnte sie nicht schlafen, sie habe unentwegt aufs Telefon geschaut und alle Nachrichtensender verfolgt. Am Ende konnten die Angehörigen ausreisen und über Kairo ausfliegen. Sie zeigt auf ihrem Handy ein Video, das ihre Angehörigen bei der Ankunft am Flughafen in Kopenhagen zeigt. Ihr Vater weint.

„Ich habe Freunde und Angehörige verloren“, sagt sie. „Man hat keine Zeit, das zu verarbeiten.“ Man denke, man sei immun, aber so sei es nicht. „Die einen sehen uns als Opfer, die anderen glorifizieren uns. Aber wir sind einfach nur Menschen, die müde sind und nicht aufgeben wollen.“

Der Fotokünstler

Das Atelier von Steve Sabella liegt im Berliner Boheme-Kiez Prenzlauer Berg. Er hat es in seiner Altbauwohnung eingerichtet, von der aus er auf die belebte Kastanienallee schauen kann. Ein Kater sitzt auf einem Sessel im Erker und springt auf, als Besuch eintritt. An den Wänden hängen großformatige Werke von ihm. Sabella ist ein Fotokünstler, dessen Bilder in London, Paris und Dubai hängen. Gerade hat er einen Lehrauftrag an der Barenboim-Said-Akademie in Berlin übernommen, berichtet er stolz: Dort wird er lehren, wie man „mit Licht malt“, wie er sagt.

Der 45-Jährige lebt seit 2010 in Berlin, aber er fühlt sich nicht an den Ort gebunden. Es gefällt ihm nur einfach hier. Seine Frau stammt aus der Schweiz, seine Tochter ist gerade zum Studium nach Paris gezogen. Ursprünglich kam Sabella mit einem Stipendium der Akademie der Künste nach Berlin, zuvor war er in New York und London. „Ich habe in Berlin die besten zehn Jahre meines Lebens verbracht“, sagt er über die Zeit vor Corona. Die Pandemie habe er genutzt, um wie verrückt Tag und Nacht an neuen Projekten zu arbeiten. Aber ist er in der Stadt angekommen? Weltweit wurden seine Werke in über 120 Ausstellungen gezeigt, davon allein 25 in Italien – aber nur 7 in Berlin. Dennoch möchte er sich nicht beklagen, das ist ihm fremd. Er blättert durch die Kataloge, die auf seinem Tisch liegen, und eine Monografie, die 2014 erschienen ist.

Derzeit sind einige seiner Werke im Berliner Villenviertel Dahlem ausgestellt. Das Emirat Katar hat dort ein Kulturhaus eingerichtet, es nennt sich „Der Divan“ und lädt regelmäßig zu Veranstaltungen ein. Die Inneneinrichtung ist schlicht und edel, alles ist in Weiß und Gold. Unter massiven Kronleuchtern und auf Rokokosesseln redete Sabella dort kürzlich bei einer Veranstaltung mit der Kuratorin und Religionsphilosophin Almut Shulamit Bruckstein über seine Arbeit und, unvermeidbar, über die Situation im Gazastreifen. „Ich finde keine Worte für das, was dort passiert“, sagte Sabella. „Es wird Generationen brauchen, um das zu verarbeiten.“

Steve Sabella in seinem Atelier in Berlin-Prenzlauer Berg Foto: Miriam Klingl

In den oberen Räumen sind Bilder aus seiner Reihe „Everland“ ausgestellt: Darin verschmelzen nachkolorierte Aufnahmen aus dem historischen Palästina mit Szenen aus anderen Regionen des Nahen Ostens zu märchenhaften Traumlandschaften eines imaginären Orients. Im Untergeschoss sind Stadtansichten von Jerusalem und moderne Silhouetten der Stadt zu sehen. Sabella stammt aus einer alteingesessenen Familie aus Jerusalem, sein Urgroßvater war Vorsteher in der Altstadt.

Während er sich als Künstler etablierte, arbeitete er von 1999 bis 2007 als Fotograf für die UN. Dadurch konnte er mehrere Dutzende Male auch nach Gaza reisen. „Ich bin einer der wenigen Palästinenser, der alle Teile Palästinas gesehen hat“, sagt er: Das sei ein seltenes Privileg. In der Kunst sieht er ein Mittel der Selbstbefreiung vom Alltag unter der israelischen Besatzung. Die Besatzung sei „wie eine nie endende Geiselhaft. Niemand möchte so leben“, sagt er. Nicht nur das Land sei besetzt – auch die Fantasie der Menschen. „Viele können sich ein Leben in Freiheit nicht vorstellen“, meint er.

Sabella trägt lange Locken, meist schwarze Kleidung und dazu stets rote Socken, seine Fingernägel hat er schwarz lackiert. Seine Bilder sind teils rätselhaft und fantastisch, teils metaphorisch und teils politisch. Für die Installation „Settlement“ ließ er sechs Israelis und sich selbst in Unterhosen ablichten. „Das ist mein radikalstes Werk“, sagt Sabella, es hängt nun im Arabischen Museum für moderne Kunst in Katar. Für die Reihe „The Great March of Return“ vermengte er Bilder der Demonstranten am Grenzzaun in Gaza mit Aufnahmen aus dem Weltall zu kosmischen Panoramen im Stil der Renaissancekunst, sie wirken wie Fresken aus der Sixtinischen Kapelle mit einem Schuss Agitprop.

Für eine andere Reihe fotografierte er in einem alten Haus in Jerusalem ornamentale Fliesenmuster und das Küchengeschirr an der Wand. Die Aufnahmen druckte er auf mit Fotoemulsion präparierte Farbreste, die er von Hauswänden in der Altstadt abkratzte. Die Fragmente wirken vergänglich und fragil. Die Kulturwissenschaftlerin Ella Shohat und andere haben das Motiv für Buchcover verwendet. Es zeige, „wie ein Bild ganze Welten erzählen kann“, sagt Sabella, während er auf seinem Computer durch seine Webseite klickt, um die Bilder zu zeigen.

Das Klima in Deutschland ist beängstigend

Fidaa al-Zaanin, feministische Aktivistin

Berlin sieht sich selbst als internationale, multikulturelle Stadt. Aber dieses Bild hat für viele Risse bekommen. „Wir geben dieser Stadt sehr viel – an Sprachen, Kunst und Kultur“, sagt Yasmeen Daher. Aber nun fühlten sich viele entfremdet. „Offenbar gefällt es einigen nicht, so eine vielfältige Hauptstadt zu haben“, glaubt Fadi Abdelnour. „Deutschland ist seltsam“, sagt Fidaa al-Zaanin. „Sie wollen Einwanderer als Arbeitskräfte. Aber sie sind nicht sehr freundlich zu den Leuten.“ Nur Steve Sabella lässt sich davon nicht beirren: „Das ist das System“, sagt er nur.

„Palästinenser hatten es nie leicht hierzulande, es gab immer Vorbehalte“, sagt Fadi Abdelnour. Aber jetzt sei es normal geworden, rassistisch über Araber zu sprechen. Viele Palästinenser, die erst in den letzten Jahren nach Deutschland gezogen seien, sprächen kein Deutsch. „Manchmal beneide ich sie darum, dass sie nicht verstehen, was die Gesellschaft, in der sie leben, über sie denkt“, sagt er grimmig. „Das Klima in Deutschland ist beängstigend“, sagt Fidaa al-Zaanin. Palästinensische Stimmen würden kriminalisiert, kaum eine Demonstration ende ohne Verhaftungen. „Ich fühle mich, als ob ich mich in einer feindlichen Umgebung bewege.“

Schon in den vergangenen Jahren untersagte die Stadt Berlin alle Demonstrationen zum Gedenken an die Nakba, an Flucht und Vertreibung der Palästinenser aus dem heutigen Israel, und die Polizei ging rigoros gegen unangemeldete Versammlungen vor. Nach dem 7. Oktober hat sich die Lage verschärft. Die Polizeigewalt, mit der schon im Oktober viele Demonstrationen aufgelöst wurden, hat viele erschreckt. „Was ich da gesehen habe, war krass – sogar im Vergleich zu Ramallah“, sagt Fadi Abdelnour. „Fast wie im Film“ sei es gewesen, wie sich die Polizei den Weg durch die Menge gebahnt hätte, oder wie mehrere Beamte eine Person mit aller Kraft verprügelt hätten, ganz öffentlich

Zuletzt gab es am Hauptbahnhof in Berlin erst kürzlich wieder ähnliche Szenen. Aus Protest begann Fadi Abdelnour im Herbst, ein palästinensisches Halstuch zu tragen und er färbte sich zeitweise die Haare in den Nationalfarben: Schwarz, Weiß, Rot und Grün. Beim Sport trug er ein Palästina-Trikot, im Fitnessstudio beschwerte sich jemand deswegen.

Das brutale Vorgehen der Polizei, die Pläne des Berliner Kultursenators, die Kulturförderung an Auflagen zu knüpfen oder die Überlegungen, bei Einbürgerungen künftig ein Bekenntnis zum Staat Israel zu verlangen – all das hat Spuren hinterlassen. „Die Leute fürchten um ihren Lebensunterhalt, ihre Förderung, ihren Aufenthaltsstatus“, sagt Yasmeen Daher.

Manche Mitarbeiter ihrer Redaktion seien so verunsichert, dass sie ihre Beiträge jetzt lieber unter Pseudonym veröffentlichten. Andere hätten Angst, auf der Straße angegriffen zu werden. Im Oktober wurde in Berlin eine Frau, die ein Palästinensertuch trug, vor die U-Bahn gestoßen, sie konnte sich gerade noch retten. „Wir sind ein Störfaktor“, glaubt Fadi Abdelnour. „Meine bloße Existenz ist eine Provokation“, sagt Fidaa al-Zaanin. „Ich habe das Gefühl, als ob es dem deutschen Establishment am liebsten wäre, wenn es uns nicht gäbe.“

Viele aus der Community denken deshalb über das Auswandern nach. „Die Leute fangen an, ernsthaft Pläne zu machen“, sagt Fadi Abdelnour. „Manche sprechen sogar von Flucht.“ Yasmeen Daher kennt Leute, die bereits die Stadt verlassen haben. „Ein Bekannter von mir ist nach Beirut zurückgekehrt“, erzählt sie. „Viele, die ich kenne, wollen wieder weg – nicht nur Palästinenser, sondern auch andere“, sagt Fidaa al-Zaanin. „Der Rassismus stößt sie ab.“ Nur Steve Sabella geht einen anderen Weg: Demnächst möchte er um die Ecke seiner Wohnung einen Laden anmieten und zum Atelier umwidmen. In den Ladenräumen könne er mit den Menschen in seinem Kiez leichter ins Gespräch kommen, hofft er

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

41 Kommentare

 / 
  • Vielen Dank für Eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen. Wenn die Diskussionen ausfallend werden, zu weit vom Thema abweichen, oder die Zahl der Kommentare zu groß wird, wird das manchmal leider nötig. Sonst können wir die Kommentare nicht mehr zeitnah moderieren. 

  • Allein schon der Titel ist tendenziös und falsch. „Frühling“ legt eine Nähe zum damaligen arabischen Frühling nahe. Zur Erinnerung: damals haben sich die Bürger vieler arabischer Staaten gegen ihre lokalen Despoten erhoben. Niemand der benannten im obigen Artikel sagt irgendwas zur, geschweige denn gegen die Hamas. Es wird extrem einseitig beklagt, dass man sich hier auf n Deutschland nicht frei äußern können und es ein Klima der Angst gäbe. Dabei darf man sich hier sehr wohl frei äußern; einzig man darf nicht gegen Juden und Israel hetzen und das ist auch vollkommen richtig so. Die erste Dame setzt gar unter Ausblendung der Realität Israels Handeln mit dem Russland da gleich, wenn sie sich darüber beschwert, dass es für Palästina nicht die gleiche Solidarität wie für die Ukraine gab. Zur Erinnerung: Russland hat die Ukraine überfallen und die Hamas (mit Zustimmungsraten von 70% innerhalb der Bevölkerung in Gaza) hat Israel überfallen. Wer so eine verquere Wahrnehmung hat, der mag tatsächlich in Deutschland einen totalitären Staat sehen aus dem man flüchten müsse. Von der Realität gedeckt ist diese Wahrnehmung nicht und ein Verlust wäre es auch nicht.

  • Wie nicht jeder Israeli oder gar Jude ein Netanyahu ist, sind auch Palästinenser oder gar Muslime bzw. Christen die Hamas.



    Und das ist gut so. Hören wir zu, was wir einander zu sagen haben.

  • Danke für diesen Artikel.

    Er belegt sehr gut, was in der Einwanderungspolitik schiefläuft.

    „Deutschland ist seltsam“, sagt Fidaa al-Zaanin. „Sie wollen Einwanderer als Arbeitskräfte. Aber sie sind nicht sehr freundlich zu den Leuten.“

    Das ist was, was Frau al-Zaanin ja eigentlich kennt.

    Aus den Golfstaaten, aus Lybien, aus dem Libanon, wo man palästinensische Flüchtlinge gerne arbeiten lässt – aber für die Hälfte des Gehaltes eines Libanesen.

    Was findet sie also seltsam?

    Die Golfstaaten behandeln Arbeitskräfte offen schlecht. Wer dorthin geht, kennt die Rahmenbedingungen.

    Die deutsche Gesellschaft ist hingegen unehrlich.

    Den Migranten gegenüber und gegenüber sich selbst

    Das merkt man aber erst, wenn man eine Weile hier lebt.

    Herr Bax formuliert „Sehnsuchtsort für arabische Intellektuelle“.

    Ein Euphemismus für Deutschland als Projektionsfläche.

    Natürlich weiß ein Migrant in Kanada oder in Palästina im Regelfall nicht, wie die deutsche Gesellschaft wirklich funktioniert.



    Kann er nicht.

    (Geht deutschen Auswanderern nicht anders.)

    Man lobt hier offizielle das Multikulturelle und vermittelt: „Bleibt, wie du bist. Sei anders.“

    Andererseits gibt es einen gesellschaftlichen Grundkonsens zu sehr klaren Erwartungen an Einwanderer.

    Dazu gehört ein sehr weites Verständnis von Antisemitismus.

    Man hat Angst, dass der demokratische Firniss sehr dünn ist und darunter der alte Antisemitismus aus der Nazizeit wieder zum Vorschein kommt.

    Man könnte aktuell den Eindruck bekommen: “Nicht ganz unbegründet.“

    Logischerweise ist ein Land wie Kanada da toleranter.

    „Weltoffen“ wird in Palästina mit Sicherheit anders definiert als in Deutschland und noch mal anders in Kanada.

    In Deutschland können selbst die Äußerungen von Juden oder Israelis als antisemitisch interpretiert werden.

    Das irritiert sie, ist aber aus dem deutschen Blickwinkel heraus, der versucht, Nazidenken kleinzuhalten, stimmig.

    Weil hier einem der antidemokratische „Laden“ um die Ohren fliegt.

  • Danke Herr Bax für das Interview auch wenn die Kommentare hierzu leider nicht positiv sind. Mir scheint es, als müsse jeder Palestinenser erstmal Hamas verurteilen, bevor ihm zugestanden wird, über sein Leben und seine Erfahrungen zu reden auch wenn es Palestinenser sind, die gar nicht aus Gaza kommen, sondern wie Frau Daher´s Familie arabische Israelis sind, oder sie aus dem Westjordanland stammen. Es wird nicht wahrgenommen wie sie in Palästina oder Israel gelebt haben, wie es war unter der Besatzung zu leben, wie ihr Leben jetzt ist, welche Erfahrungen sie jetzt gemacht haben, was sich geändert hat und wie sie sich fühlen. Das alles rückt für viele hier in die Bedeutungslosigkeit und das einzige was zählt ist: verurteilen sie die Taten von Hamas und was andere Muslime gemacht haben? Das ist wirklich traurig, da ich hier eine Ansammlung von interessanten Menschen sehe, die spannende Lebensgeschichten zu haben scheinen aber das Individuum wird hier von vielen Kommentatoren nicht gesehen und ihnen scheinbar das Recht aberkannt ihr Leben zu erzählen. Ich persönlich finde es wichtig endlich mehr von Palestinenser zu hören und sich damit auseinanderzusetzen. Als deutsche haben wir meines Erachtens zum Großteil den Konflikt zu lange zu einseitig betrachtet. Natürlich müssen wir aufgrund unserer Geschichte das jüdische Volk schützen, es muss aber einen Weg dafür geben, der nicht die Menschrechte der Palestinenser konstant verletzt, ihnen ihr Recht auf Selbstbestimmung verwehrt und den Bruch des Völkerrechts beinhaltet.

    • @Momo Bar:

      Wer verwehrt den Menschen in erster Linie das Recht auf Selbstbestimmung? In Russland? Putin und sein Regime! In China? Xi und sein Regime! In Nordkorea? Kim und sein Regime! In Gaza? Das Regime der Hamas! ???

      Seit rund 20 Jahren hätten die Menschen in Gaza in Frieden leben können. Voraussetzung dafür wäre es gewesen, (zumindest) das grundsätzliche Existenzrecht Israels anzuerkennen und die Idee von einem palästinensischen Staat in den Dimensionen "from the river to the sea" endlich aufzugeben. Offensichtlich wollten sie es nicht.

      Das besetzte Westjordanland ist ein anderes Thema. Aber wenn für Israel keine Gefahr mehr von Gaza ausgegangen wäre, hätte es auch dort eine andere Entwicklung gegeben.

    • @Momo Bar:

      Ich finde das sind so Basics, dass der 7.10. und die sexualisierte Gewalt gegen Israelinnen verurteilt wird, und das Existenzrecht Israels nicht geleugnet wird.



      Genauso finde ich es wichtig, dass auch das Existenzrecht eines demokratischen Palästinensischen Staats ohne Besatzung und der Schmerz von Palästinensern anerkannt wird.



      Wer das nicht schafft, mag meines Erachtens ein interessanter Mensch sein, aber gleichzeitig unempathisch und überhaupt nicht in der Lage, mehr als nur sich selbst und seine peer group als Menschen zu sehen.

      • @Karla Columna:

        Wenn Sie und Ihre MeinungsgenossInnen das bisherige Scheitern einer Existenz und Umsetzung eines palästinensischen demokratischen Staates an Israel festmachen, blenden Sie mal wieder die Hauptverantwortung tragende arabische Seite komplett aus. Nicht Israel verhindert Freiheit, Demokratie und Unabhängigkeit füt die palästinensische Bevölkerung, sondern in erster Linie arbeiten Israels Feinde mindestens seit 1948 an der Tragödie der PalästinenserInnen. Israel reagiert seitdem aus reinem Selbstschutz, während die Islamofaschisten, bzw. sozialistischen Terroristen des Nahen Ostens seit 1948 eine Strategie des Leids, Tods und der Perspektivlosigkeit für die palästinensischen Zivilisten verfolgen. Und dies nur um alles jüdische Leben von der Landkarte zu tilgen. Spätestens jetzt, seit dem 07. Oktober 2023, muss jedem Freund und auch Gegner der israelischen Seite klar sein, dass die Palästinenser unter dem regionalen wie auch überregionalen Einfluss der o.g. Terroristen (inkl. Iran etc) keine Perspektive auf nachhaltige Besserung ihrer Lebenssituation haben können. Die Richtung der Vorwürfe muss sich um 180° drehen, nämlich in Richtung Hamas und deren Geistesgenossen. Erst dann, nachdem diese Elemente keinen relevanten Einfluss mehr auf die Geschicke der PalästinenserInnen haben, ist an eine Zukunft in Frieden und Freiheit für Palästina überhaupt zu denken.

      • @Karla Columna:

        Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: der Artikel dokumentiert nicht alles, was die Porträtierten zum NO-Konflikt gesagt haben; er konzentriert sich auf ein bestimmtes Thema. Sie können aus der Tatsache, dass es in dem Artikel nicht erwähnt wird, nicht schließen, dass die Porträtierten den Hamas-Überfall nicht verurteilen oder das Existenzrecht Israels leugnen.

        • @O.F.:

          "Sie können aus der Tatsache, dass es in dem Artikel nicht erwähnt wird, nicht schließen, dass die Porträtierten den Hamas-Überfall nicht verurteilen."



          Nicht eindeutig, nein. Aber im Kontext sehr wohl. Zwischen den Zeilen kommt das m. E. recht deutlich raus.



          Nun dürften Ressentiments gegen Israel für Palästinenser eine völlig natürliche und nachvollziehbare Angelegenheit sein. Aber ein so vollständiges Außerachtlassen einer möglichen Mitschuld der Hamas an zumindest einer Eskalation zeugt von einer sehr großen Einseitigkeit.

        • @O.F.:

          "Sie können aus der Tatsache, dass es in dem Artikel nicht erwähnt wird, nicht schließen, dass die Porträtierten den Hamas-Überfall nicht verurteilen oder das Existenzrecht Israels leugnen." Eine Behauptung, die jeder Spekulation Tür und Tor öffnet. Denn nur weil es in dem Artikel nicht erwähnt wird, kann ich auch nicht ausschließen, dass die Porträtierten den Hamas-Überfall nicht nur nicht verurteilen usw....

        • @O.F.:

          Dann hätte Herr Bax diesen Leuten aber einen echten Bärendienst erwiesen.

          • @Normalo:

            Keiner der Porträtierten war an dem Massaker beteiligt oder hat es unterstützt, keiner gehört der Hamas an (Feministinnen sollen dort ja nicht gerade gefragt sein...). Wenn Sie nicht einen einzigen Artikel ertragen, in dem diese Menschen über ihre Erfahrungen sprechen, ohne sich explizit von etwas zu distanzieren, womit sie ohnehin nichts zu tun haben, dann liegt der Fehler möglicherweise nicht bei Herrn Bax.

          • @Normalo:

            Ich fürchte, dass Sie hier Herrn Bax zu Unrecht den schwarzen Peter zu schieben. Wie ich bereits erwähnt habe, ging es in diesem Artikel darum - und nur darum - wie der Krieg das Leben einiger palästinensischer Menschen hier verändert hat - nicht darum, wie sie den NO-Konflikt insgesamt sehen. Keiner der Porträtierten war an Anschlägen beteiligt, keiner steht der Hamas nahe. Wenn man keinen kurzen Artikel über ihre Sorgen und Erfahrungen lesen kann, ohne Distanzierungen von Organisation, Positionen oder Taten zu erwarten, mit denen sie ohnehin nichts zu tun hatten, sollte man vielleicht die eigenen Vorurteile hinterfragen.

        • @O.F.:

          Das schließe ich auch gar nicht daraus.

  • Da wurden nun vier palästinensische Interviewpartner:innen gefunden, von denen keine:r auch nur die mindeste Empathie für die Opfer des 7. Oktober in Israel zeigt.

    Psychologisch verstehe ich schon, dass jeder immer nur für das eigene Leid empfänglich ist, aber enttäuschend ist es doch.

    Wenn ich diese Porträts lese, bin ich sehr traurig, weil es kaum Hoffnung verheißt, dass sich vier doch sehr privilegierte Akademiker:innen dermaßen zum Opfer stilisieren.

    Erschreckend speziell auch der Satz „Anderswo demonstrierten am gleichen Tag Frauen gegen die Leugnung der sexualisierten Gewalt der Hamas nach dem 7. Oktober. Dass dort Frauen mit Israel­fahnen demonstrierten, kann al-Zaanin nicht verstehen.“

    Keine Reflektion darüber, dass sie im Land des Holocaust leben, kein bisschen Solidarität als Feministin mit vergewaltigten Israelinnen, keinerlei Bewusstsein dafür, dass aktuell Jüdinnen und Juden wieder extreme Angst vor Übergriffen haben müssen.

    Gehe ich die Sonnenallee entlang, stelle ich mir mit Schrecken vor, was passiert, wenn dort jemand mit Magen David Kette oder Israel Fahne erspäht wird.

    Ehrlich gesagt fühle ich mich andersherum mittlerweile ziemlich getriggert, wenn ich jemanden mit Kettenanhänger, auf dem ganz Israel von einer palästinensischen Fahne übermalt ist, oder auch mit demonstrativ umgehängter Kufiye sehe.

    Das löst bei mir inzwischen das unangenehme Gefühl aus, wahrscheinlich neben jemandem im Bus zu sitzen, der völlig unbarmherzig gegenüber Israelis ist und vielleicht den 7. Oktober auch als legitimen Widerstand ansieht.

    Ich muss dann an meiner Empathie arbeiten, um mir klar zu machen, dass es wahrscheinlich jemand mit Familie in Gaza ist, dem die Kufiye das Gefühl der Solidarität gibt.

    Empathie ist anstrengend. Aber ohne Empathie wird es nichts mit dem Frieden. Wenigstens von einer der Interview Person hätte ich ein bisschen mehr Empathie erwartet.

  • Keiner der vier Interviewten wirft die Frage auf, ob vielleicht, nur vielleicht, ein Teil des "neuen Misstrauens" daher kommt, dass in Berlin Menschen auf den Straßen den Angriff gefeiert haben, Israelische Flaggen verbrannt und sich ganz offen über Tote und vergewaltigte Menschen gefreut haben.

    Ich will den vier Personen nicht unterstellen, teilgenommen zu haben. Ich behaupte aber, dass sie von dieser "Kundgebung der Freude" im Nachgang erfahren haben. Diesen Umstand in einem solchen Interview wegzulassen, deutet auf eine sehr selektive Wahrnehmung hin.

    Und nein, es ist nie gut, wenn Menschen pauschal in Sippenhaft genommen werden für das Verhalten Anderer. Gleichwohl liegt es auf der Hand, dass nach diesen Bildern die Polizei bei Demos genauer hinschaut.

  • Als Ergänzung zu diesem palästinensischen Bilderbogen möchte ich auf einen alten Artikel aus der taz hinweisen.

    Der eine Artikel beschreibt die Nakba-Demo in Berlin im Jahr 2021. "Beschießt Tel Aviv ..." war demnach einer der Sprechchöre auf der Sonnenallee. taz.de/Pro-Palaest.../!5772473&s=nakba/

    Und vor 2021 lassen sich in den Archiven andere Beispiele für die Parolen finden, die auf Nakba-Demos so skandiert wurden.

    Und jetzt wird gewundert, warum Nakba-Demos in Berlin verboten sind. Das spricht nicht für Problembewußtsein.

  • "Ich habe das Gefühl, als ob es dem deutschen Establishment am liebsten wäre, wenn es uns nicht gäbe.“

    "Ich fühle mich, als ob ich mich in einer feindlichen Umgebung bewege.“

    Es ist nie eine gute Idee, sich als Opfer zu stilisieren anstelle für die eigenen Interessen einzustehen. Dieser Status scheint bei vielen Palästinensern schon eine Mentalitätsfrage zu sein, führt aber nur zu einer verzehrten Wahrnehmung aus der sich das Weltbild dann speist und verfestigt sowie zur Blockade, vor allem zur Selbstblockade. Fehlende Empathie und Toleranz für das Anliegen der Gegenseite sind dann die Folge. Der Sache ist es wenig dienlich.

    Uneingeschränkte Zustimmung findet bei mir die Äußerung von Fadi Abdelnour

    "Wer weltoffen denken möchte, für den wird der Raum immer kleiner“

    Das betrifft aber nicht nur palästinensische oder jüdische Mitbürger, sondern das gesamte gesellschaftliche und politische Klima in Deutschland.

    • @Sam Spade:

      Übertragen Sie mal, rein gedanklich, Ihre Meinung, dass die Palästinenser ein Mentalitätsproblem haben, weil sie sich als Opfer stilisieren (also keine sind) und dadurch an einem verzerrtem Weltbild leiden auf andere Gruppen, die Unterdrückung, Diskriminierung und Gewalt erfahren. Würden sie eine solche Aussage z. B auch Juden, die Antisemitismus, Farbigen, die Rassismus oder Homosexuellen die Homophobie erfahren haben, gegenüber äußern? Oder betrifft ihre Einschätzung nur die Palästinenser, von denen gerade 1.5 Millionen in Gaza hungern. Erste Regel sollte doch mal sein, dass man Menschen, die selbst Gewalt, Flucht und Diskriminierung erlebt haben, oder bei ihren Verwandten, Freunden und Landsleuten erleben, die Legitimität, als Opfer wahrgenommen zu werden, nicht abspricht

      • @Erni:

        In diesem Artikel ging es um Palästinenser die in Deutschland leben. Darauf bezieht sich mein Kommentar.

        • @Sam Spade:

          Ich bitte Sie! Dass es in diesem Artikel um Palästinenser geht, die zur Zeit in Deutschland leben, ist glaube ich jedem klar und ändert nichts an der Forderung, daß man die Selbserfahrung von Menschen, die sich als Opfer von Unrecht erfahren oder erfahren haben, erstmal anerkennt und nicht als "mental" abtut.

        • @Sam Spade:

          Ja die jetzt hier leben aber nicht immer hier gelebt haben. Das steht auch so im Artikel. Und sich selbst als Opfer zu sehen oder zu denken das man nicht erwünscht ist (und das Gefühl vermitteln wir Deutschen) führt auch nicht automatisch zum Verlust von Emphatie oder Toleranz es kann sogar das genaue Gegenteil bewirken, wenn man sich mit anderen Opfern von Diskriminierung, Unterdrückung und Gewalt austauscht. Ich finde es wirklich schwierig über Menschen so zu urteilen wenn man nur einen kurzen Einblick in ihr Leben hat und ihnen gleich Empathie und Toleranz für die Gegenseite abspricht.

  • Danke, wichtig das das mal gesagt wird.

  • " „Bei den Demon­strationen, an denen ich teilgenommen habe, gab es keine antisemitischen Slogans“, sagt sie bestimmt."

    Ob das stimmt, kann ich nicht überprüfen, aber Frau Daher scheint mit diesem Statement auch nahelegen zu wollen, dass dergleichen auf palästinensischer Seite grundsätzlich nicht vorkäme.

    Die porträtierten Personen leben alle seit mehreren Jahren in Berlin, sprechen und verstehen offenbar auch genug Deutsch, um die öffentlichen Debatten in diesem Land mitzubekommen, gerade auch die teilweise hitzig ausgetragenen Kontroversen in einer offenen Gesellschaft. Sie könnten also wissen, was der Nationalsozialismus für Europa und besonders für die europäischen Juden bedeutet, wie über den Umgang mit diesem Thema gestritten wird. Sie könnten auch mitbekommen haben, dass nahezu sämtliche jüdische Einrichtungen Polizeischutz benötigen.

    Aber all davon scheint wenig angekommen zu sein. Allenfalls hat man daraus den Schluss gezogen, jegliche Antisemitismus-Vorwürfe tunlichst abzustreiten. Ein - bei allem Engagement für die berechtigten Interessen der Palästinenser - differenzierterer Blick auf den Nahost-Konflikt oder gar ein selbstkritischer Blick auf die eigene Seite wird bei keinem einzigen der Porträtierten sichtbar.

    Was übrig bleibt, sind Larmoyanz und Medienschelte: "„Deutsche Medien haben uns von Anfang an pauschal als Terroristen, Hamas-Sympathisanten und Antisemiten dargestellt“.

    Ich vermag jetzt nicht alle Medien pauschal freizusprechen. Aber so weit ich das überblicken kann bzw. die betreffenden Medien kenne, sind nirgendwo Palästinenser pauschal als Terroristen bezeichnet worden. Dass allerdings die Mörder und Vergewaltiger vom 7. Oktober Palästinenser waren, ist aber keine Erfindung deutscher Medien. Aber zu diesem Thema, das ja in der hiesigen Debatte einen erheblichen Stellenwert besitzt, hat Daniel Bax offenbar nicht nachfragen wollen. Ich fürchte, die Antworten wären ernüchternd ausgefallen.

  • Ich hatte mal gehört, dass noch Geiseln in Gaza gefangen sein sollen. Stimmt das? In dem Artikel konnte ich darüber nichts finden.

    • @Kommen Tier:

      Mit ein wenig Bitterkeit:



      Das haben Sie wohl nur überlesen. ""Die Besatzung sei „wie eine nie endende Geiselhaft. Niemand möchte so leben“, sagt er.""



      Die Gaza-Hamas-Bürger leben in Geiselhaft, nicht die jüdischen Bürger in den Tunneln.



      (Dass Gaza nicht besetzt war, sondern es eine sehr eingeschränkte See- und Luftblockade gab, wird meiner Meinung nach viel zu selten kommuniziert. Auch, dass man sich nur mal die Gaza-Malls ansehen kann und sich über die Tunnel und das Waffenarsenal in Gaza informiert, um abschätzen zu können, wie strikt die See- und Luftblockade der jüdischen/Israel-Seite war.)

      • @*Sabine*:

        Es ist einigermaßen zynisch, die Situation in Gaza vor dem 7.10. als "sehr eingeschränkte See- und Luftblockade" zu verharmlosen; Gaza war de facto ein großes Gefängnis - weshalb es aus guten Gründen auch vom deutschen AA weiterhin als besetzt betrachtet wurde:



        www.auswaertiges-a...te-gebiete/2263564



        Wer die Radikalen auf palästinensischer Seite glaubhaft kritisieren will, muss auch nach den Umständen fragen, die zu ihrer Radikalisierung geführt haben.

        • @O.F.:

          Verbreiten sie doch keine Propaganda, selbst ihr Link sagt richtig: "Allerdings gelten dort Besonderheiten, weil Israel im Gazastreifen vor dem 7.10.2023 nicht selbst präsent war oder dort Kontrolle ausgeübt, sondern nur die Grenzen kontrolliert hat. Es war also keine Besatzung im herkömmlichen Sinne."

          Es ist also nicht das, was versucht wird zu suggerieren. Faktisch war Gaza von Hamas regiert und kontrolliert. Diese konnte in ihrem mehr Stadt Staat tun was sie wollte, Erziehung kontrollieren, morden, foltern, in Luxus leben, eine Armee aufbauen die größer war als die West Berliner (bzw. was als deren Armee fungiert hat), Wahlen verhindern und Wirtschaft kontrollieren. Konnten Tunnel bauen die dreimal so lang sind wie das Berliner U Bahn Netz.

        • @O.F.:

          Welches "Gefängnis" verfügt über 10.000 Raketen, 1000 Tunnel und mehr als 30. 000 Waffen?

          • @Benzo:

            ....und Teile der Gefangenen schießen diese tagtäglich in Richtung "außerhalb" des Gefängnisses ab, sogar während eines vereinbarten Waffenstillstandes.

          • @Benzo:

            Sie merken, dass Sie hier genau die Geisteshaltung illustrieren, die ich kritisiert habe? Die desolaten Zustände, die im blockierten Gaza auch schon vor dem Krieg geherrscht haben, sind hinlänglich dokumentiert - und daran ändert auch der Waffenschmuggel nichts.

  • Kein einziger dieser Menschen berichtet über Erfahrungen nach Demonstrationen oder nur Positionierungen gegen die Hamas. Merkwürdig. Und das Leiden "queerer und feministischer Freunde/innen in Gaza" unter den Israelis? Echt jetzt?

  • Das Gefühl, pauschal mit problematischen Zusammenhängen in Verbindung gebracht zu werden, trifft alle Seiten.



    Es ist schwierig, Israel für die Nationalisten und Siedler zu kritisieren, es ist schwierig, die Hamas zu kritisieren.



    Die deutsche Gesellschaft und Politik ist immer in der Kritik des Antisemitismus oder antimuslimischen Rassismus.



    Schade nur, dass die Waffenlieferungen an die nationalistische Regierung Israels und die Entwicklungshilfe an die Hamas davon unberührt bleiben.

    • @aujau:

      Wie genau soll sich denn Israel ansonsten verteidigen - völlig unabhängig von der Regierung? Allein heute war 6 Mal Bomebalarm. Wo kommen die Bomben her? Wer stoppt sie, wenn nicht die IDF?

      • @Maria Arkadieff:

        Das ist ja gerade das Tragische, dass den Israelis nichts anders übrig bleibt, als die Hamas im Gazastreifen anzugreifen und dabei Unschuldige leiden und sterben.

    • @aujau:

      Was soll daran schwierig sein?

      Man kann und sollte die Dinge beim Namen nennen und aus einem möglichst neutralen Blickwinkel Postion beziehen.

      Die Hamas kann ich ebenso als Terroristen bezeichnen, wie ihre abscheulichen Verbrechen als Massaker brandmarken. Israelischen Nationalisten kann ich rechtsextreme Tendenzen attestieren und ihre "Großisrael-Phantasien" verurteilen ebenso wie ich Siedlern "Landraub" und Rechtsbruch vorwerfen kann. Ich kann sogar bestimmen Teilen der palästinensische Zivilbevölkerung vorwerfen, dass sie nicht nur die Hamas unterstützt haben sondern auch das Massaker an Israelis begrüßt und auch gefeiert haben.

      Alles das hat auch rein gar nichts mit meiner Nationalität und schon gar nicht mit "Antisemitismus oder antmuslimischen Rassismus" zu tun. Und wer mir das unterstellt, unterstreicht damit lediglich die Vorurteile seines eigenen Weltbildes.

      • @Sam Spade:

        ZUSTIMMUNG UND DANKE!

      • @Sam Spade:

        Aujau, warum Shitstorm? Selbst als einer der größten Kritiker, die Sam hier haben dürfte, bin ich überrascht und freue mich Sam meine uneingeschränkte Zustimmung zu diesem Statement ausdrücken zu können.



        Aujau, wenn Sie so wenig an Sachlichkeit und Neutralität glauben, verstehe ich jetzt warum Sie hier meist so ...unsachliche und ...differenzierte Standpunkte vertreten müssen. Schade, dass dies so ist.

      • 6G
        600539 (Profil gelöscht)
        @Sam Spade:

        danke - au point

      • @Sam Spade:

        Sie haben ja Recht. Viel Spaß mit dem Shitstorm aus den verschiedenen Lagern. Kritik so sehr sie um Sachlichkeit und Neutralität bemüht ist, erreicht nämlich niemanden.