piwik no script img

BürgerräteDemokratie erneuern

Gastkommentar von Laura Giesen

Bürgerräte haben Potenzial zur Konfliktvermeidung. Dafür müssen Ent­schei­dungs­trä­ge­r*in­nen sie ernst nehmen!

Bürgerrat Ernährung: Das kostenlose Mittagessen an Schulen und Kindergärten, haben es in den öffentlichen Diskurs geschafft Foto: Sebastian Gollnow/dpa

D as Konzept Bürgerrat findet immer mehr Anklang. Einen Beitrag zur Demokratie leisten solche Prozesse allerdings nur, wenn die politisch Verantwortlichen es mit der Beteiligung ernst meinen. Beim neuen Bürgerrat „Gemeinsame Verkehrswende in Stadt und Land“ scheint das nicht der Fall zu sein. Auftraggeber des Bürgerrats ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Schon das ist verwunderlich, denn für die Verkehrswende wäre wohl ein anderes Ministerium zuständig.

Das Ministerium selbst kommuniziert zudem nicht zum Bürgerrat. Es gibt weder Pressemitteilungen noch Posts auf den Social-Media-Kanälen des Ministeriums oder der Ministerin Bettina Stark-Watzinger. Wer Informationen sucht, muss auf separate Websites, wie die des mit der Umsetzung beauftragten nexus Institut zurückgreifen.

Bürgerräte werden meist in mehrstufigen Losverfahren zusammengesetzt. Ziel ist, dass sie für die Gesamtbevölkerung so repräsentativ sind, wie das mit einer begrenzten Anzahl an Personen eben geht. Teilnehmende erleben so einen politischen Austausch zwischen einer Vielfalt von Menschen und Lebensrealitäten, wie er im Alltag selten vorkommt.

In einem Zeitraum von mehreren Wochen oder Monaten, begleitet durch kompetente Moderation, kann dabei echtes Verständnis für gegensätzliche Positionen entstehen. Bürgerräte können Perspektiven in die Entscheidungsfindung einbringen, die sonst oft übersehen werden. Im Kleinen können gesellschaftliche Konflikte gelöst werden. Bürgerräte können die Demokratie abseits von Wahlen erlebbar machen.

Laura Giesen

arbeitet für das Innovation in Politics Institute als Chefredakteurin des Onlinemagazins „Democracy Technologies“, das sich mit digitaler Demokratie beschäftigt. In ihrer früheren Position leitete sie die Innova­tion in Politics Awards. Sie hat and der Wirtschafts­universität Wien Sozioökologische Wirtschaft und Politik studiert.

Brüssel zeigt, wie´s gemacht wird

Das Thema Verkehrswende ist also perfekt geeignet für einen Bürgerrat. Alle sind davon betroffen, aber auf sehr unterschiedliche Weise. Es gibt offene Konflikte, die gelöst werden müssen. Damit der Bürgerrat dieses Potenzial auch erfüllen kann, müssten die Ergebnisse aber auch in der Politik ankommen. Hardcore-Fans von Bürgerräten fordern, dass diese verbindliche Entscheidungen treffen können sollten. Eine solch massive Änderung des politischen Systems ist aber gar nicht nötig.

Was es braucht, ist Verlässlichkeit, dass sich die jeweils Zuständigen in der Politik ernsthaft mit den Ergebnissen beschäftigen und sie so weit wie möglich umsetzen. Das kann beim Bürgerrat zur Verkehrswende schon mal nicht funktionieren, wenn weder das Verkehrsministerium noch der Bundestag beteiligt ist. Das Bildungsministerium erklärt das so, dass die Ergebnisse in die Ausgestaltung von Mobilitätsforschung einfließen sollen. Ihr Einfluss ist also allenfalls sehr indirekt.

In Brüssel gibt es regelmäßig sogenannte Deliberative Komitees, die sich aus gelosten Ein­woh­ne­r*in­nen und Mitgliedern des Parlaments zusammensetzen. Auf die erarbeiteten Empfehlungen muss das Parlament reagieren. Innerhalb von sechs bis neun Monaten gibt es eine Anschlusssitzung, in der Fortschritt mit den Teilnehmenden besprochen wird.

Eigentlich sollte auch die Ampelkoalition in diesem Thema längst weiter sein. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass sie Bürgerräte durch den Bundestag einsetzen lassen und dieser sich auch mit den Ergebnissen befassen würde. Das war bisher einzig im Bürgerrat Ernährung der Fall. Dessen Ergebnisse werden am Dienstag diese Woche dem Bundestag übergeben.

Mehr Akzeptanz für schwierige Entscheidungen

Manche der Forderungen, wie die Tierwohlabgabe und das kostenlose Mittagessen an Schulen und Kindergärten, haben es schon bei ihrer Bekanntgabe in den öffentlichen Diskurs geschafft. Das ist eine weitere Funktion von Bürgerräten. Wenn alles gut läuft, gewinnen nicht nur Teilnehmende, sondern auch die beobachtende Öffentlichkeit ein besseres Gefühl für den Wert und die Herausforderungen gelebter Demokratie. Das kann die Akzeptanz für die erzielten Kompromisse stärken.

Wie das funktioniert, zeigt das viel zitierte Beispiel des Bürgerrats zur Änderung der Verfassung in Irland. In einem darauffolgenden Referendum wurde das sehr restriktive Abtreibungsrecht geändert. Ohne die öffentliche Debatte wäre das im katholischen Irland kaum denkbar gewesen. Für diese Art von gesellschaftlicher Befriedung muss es aber auch eine beobachtende Öffentlichkeit geben­. Wie soll die entstehen, wenn nicht einmal das beauftragende Ministerium dazu kommuniziert?

Was im Weg steht, sind Angst vor Kontrollverlust und ein veraltetes Demokratieverständnis

Ein kürzlich durch die Bertelsmann Stiftung und das Innenministerium gestarteter Bürgerrat zum Thema Fake News ist, was Öffentlichkeitsarbeit angeht, deutlich besser aufgestellt. Es gibt eine breit angelegte Kampagne zur Bekanntmachung; auch das Ministerium hat dazu kommuniziert. In einem mehrstufigen Prozess wechseln sich Sitzungen des Bürgerrates und eine offene Beteiligung online ab.

Der Bürgerrat Verkehrswende ist natürlich weder das einzige noch das gravierendste Beispiel halbherziger Partizipation. Ähnlich läuft es auch häufig auf kommunaler Ebene. Kürzlich hat die Stadt Teltow eine digitale Beteiligungsplattform aufgesetzt. „Wir wollen die Menschen dieser Stadt an den für sie wichtigsten Entscheidungen teilhaben lassen“, heißt es auf der Webseite. Bisher gibt auf der Plattform aber nur ein einziges Thema, bei dem zur Beteiligung aufgerufen wird: die Namensfindung für ein Spielschiff auf einem Spielplatz.

Was einer wirklichen Erneuerung der Demokratie im Weg steht, sind Angst vor Kontrollverlust und ein veraltetes Demokratieverständnis, nach dem die Bürgerinnen und Bürger selbst nicht wissen, was gut für sie ist. Aber eine Demokratie ist nichts, was einmal schön aufgebaut wird und dann nie wieder verändern werden muss. Die Diversität heutiger Gesellschaften und die Komplexität der Herausforderungen setzen mehr Partizipation zwingend voraus. Wenn diese allerdings den Anschein erweckt, eher Beschäftigungsmaßnahme zu sein, schadet das der Demokratie und kostet weiteres Vertrauen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

34 Kommentare

 / 
  • Bürgerräte sind der falsche Weg. Wenn die Behörden nicht in der Lage sind, das Probem zu erfassen, wird das auch nicht bessr, wenn man zufällig ausgewählte Bürger befragt. Der einzige "Erfolg" ist die Delegitimierung der Parlamente.

  • Das Konzept des Bürgerhaus überzeugt mich in keinster Weise.



    Nicht umsonst haben wir geählte Repräsentanten, die sich professionell um das Wohl sorgen.



    Bürgersteig werden zu Populistisch im eigentlichen Sinn.

  • Bin ich dagegen.

    1.) Ich sehe wenig bis keine Legitimation und dafür umso mehr Naivität. Gerade linke Minderheitenpositionen werden dann eher unter die Räder kommen.



    Wie so oft überschätzen die großstädtischen Akademiker ihre eigene demografische Relevanz.

    2.) Ich schätze 80% der Menschen sind unengagiert und passiv, wenn es keinen direkten persönlichen Nutzen für sie gibt (das Beispiel mit den Elternratswahlen in Schule und Kita wurde ja hier schon gebracht). Was sollen da für Ergebnisse bei rauskommen? Sie müssten von Politik und/oder Verwaltung angeleitet werden, was das Ergebnis massiv beeinflusst.

    • @Chris McZott:

      "Wie so oft überschätzen die großstädtischen Akademiker ihre eigene demografische Relevanz."

      Eben. Am Ende sind dann gewisse Leute total erstaunt, dass ihre "vernünftigen" Positionen doch glatt nicht von der Mehrheit als vernünftig erkannt und geteilt werden. Siehe Veggie-Day, siehe Klima.

      Vernunft und "Inhalte" setzen sich eben NICHT automatisch durch.

  • "Kürzlich hat die Stadt Teltow eine digitale Beteiligungsplattform aufgesetzt."

    Ja und? Kommunale Beteiligungsverfahren besten bereits seit Jahrzehnten, schon vor dem digitalen Zeitalter und snd on der Form nun ach nichts besonderes mehr.

    Es gibt auf kommunaler Ebene massig Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung. Diese werden z.B. bei Planungsverfahren auch aktiv von den Kommunen angeboten.

    Das Problem ist nur, dass der Bürger in der Regel zu faul ist sich zu beteiligen. Ich sehe da nicht den Staat in einer Bringschuld sondern den Bürger.

  • Wir brauchen keine Ersatzparlamente, in denen notorische Adabeis das durchdrücken, was ihnen bei Wahlen nicht gelungen ist. Demokratisch legitimiert sind einzig die Entscheidungen der gewählten Parlamente.

  • Bürgerräte sind nicht Demokratie, sie sind Demokratieberatung. Sie entscheiden nämlich gar nicht, das ist gar nicht das Ziel dieser Räte.

  • Wie schon andere Foristen hier geschrieben haben, kann auch ich dem Konzept von Bürgerräten aus verschiedenen Gründen wenig abgewinnen.

    (1) Die Themenstellung lässt meist schon eine gewisse Tendenz der Arbeitsergebnisse erwarten



    (2) Auf die Benachrichtigung beim Losverfahren wird sich nicht die "schweigende Mehrheit" sondern eher bestimmte Interessengruppen zurückmelden und somit schon die Grundgesamtheit des Pools nicht den Durchschnitt abbildet.



    (3) Man versucht aus der unter (2) genannten Gruppe einen Querschnitt der Bevölkerung mit wenigen Menschen herzustellen. Aber auch die einzelnen Gruppen sind in sich aber viel diverser.



    (4) Es werden sich Wortführer herausbilden, die die Diskussion bestimmen und lenken werden.



    (5) Per Definition sollen das ja ganz normale Bürger sein. Diese würden dann aber plötzlich im Rampenlicht stehen und sich ggfls unter Druck gesetzt fühlen.



    Wie wäre die öffentliche Reaktion, wenn man bspw. einen Björn Höcke einladen würde?

    • @stefschu:

      Richtig. Auch wenn es böse elitär ist: Der durchschnittliche Bürger hat weder die interlektuellen noch die rhetorischen Fähigkeiten um in komplexen Fachdiskussionen bestehen zu können. Es gibt einen Grund dafür, warum Politik von Führungspersönlichkeiten lebt.



      Schon wir Forendikutanten sind ja schon weit weg vom Durchschnitt.

      Zeit zur Einarbeitung und generell das notwendige Engagement sich im Feierabend an sehr kleinteiligen (juristischen) und abstrakten Angelegenheiten abzuarbeiten, würden auch für fähige Leute hohe Hürden stellen.

    • @stefschu:

      "Per Definition sollen das ja ganz normale Bürger sein. Diese würden dann aber plötzlich im Rampenlicht stehen und sich ggfls unter Druck gesetzt fühlen."

      Richtiger und wichtiger Punkt! Man stelle sich mal vor, die "ganz normalen" Bürger ständen bei einem kontroversen Bürgerrat plötzlich im Kreuzfeuer der Medienberichterstattung - bzw. in den Fake News. Wie sollen die damit umgehen? Parlamentarier haben ja wenigstens eine Partei, Fraktion, Pressestelle und überhaupt Erfahrung. Schon für Kommunalpolitiker ist es oft sehr schwer und auch extrem belastend, Zielscheibe von z.B. Rechtsextremen oder Querdenkern zu werden. Wie ist es dann erst für die Teilnehmer an Bürgerräten?

      Die ganze Idee krankt an allen Ecken und Enden. Vor allem ist sie furchtbar naiv und geht von der albernen Annahme aus, dass Bürgerräte von den Problemen, die Politiker bzw. Politik betreffen, verschont blieben.

  • Vorsichtig! Da geht einiges durcheinander. Bürgerräte können und sollen beraten und befrieden, sie können und sollen nur dann bestimmen, wenn ihnen, anvertraut von den gewählten Politikern, indirekt die Macht des Wählers übergeben wurde. Die Gefahr besteht nicht aus Kontrollverlusten der repräsentativen Demokratie, sondern aus Verlusten ihrer Schutzfunktion zugunsten weniger mobilisierungsfähiger Menschen, dann nämlich, wenn kleine aktive Gruppen zu viel Macht bekommen. Partizipation muss natürlich Wirkung haben, sonst ist sie eine Farce, andererseits darf sie auch nicht die bereits existierende Demokratie schwächen und sie sollte auch aufpassen den sowieso schon grassierenden Populismus nicht noch zu verstärken.

  • Wie andere schon deutlich gemacht haben, ist ein Bürgerrat keineswegs repräsentativ.



    Schon alleine nicht wegen der zweiten oder höheren "Los"-Runde. Dann müsste man sich nackig machen, bzgl. Beziehungsstatus, Einkommen, sexuelle Orientierung, Ernährung, Wohnumfeld, Migrationshintergrund etc., damit alle Gruppen schön repräsentiert sind (nach aufwendigen mathematischen Verfahren)... und wer macht das schon freiwillig? Nur die mit besonderem Drang in die Räte.



    Und es widerspricht dem Recht auf Intimsphäre. Wie es zB eigentlich keinen etwas angeht, ob eine Parlamentierin lesbisch ist (auch wenn es dann doch bekannt wird).

    • @fly:

      Das Nackigmachen und Erfassen sämtlicher (sachbezogenen oder identitären) Parameter dürfte nicht nötig sein. Denn dass in der Repräsentativität eine möglichst rein zufällige Auswahl der Stichprobensammlung dem langwierigen und fehlerintensiven Herauspicken von Partikularrepräsentanten weit überlegen ist, gilt meines Wissens schon seit langem als gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis. Darauf beruht die gesamte (seriöse) Demoskopie. Das Hauptproblem bei der repräsentativen Auswahl von Burgerräten dürfte sein, dass die im Prozess notwendig zu stellende Frage, ob jemand Ausgewähltes an sowas überhaupt teilnehmen will oder nicht, die letztliche Zusammensetzung wieder deutlich WENIGER zufällig macht.

  • Wir haben doch Bürgerräte z.B. den Bundestag.



    Ich würde meine Vertretung lieber wählen als auslosen.



    Und Volksentscheide sind noch schlimmer...

    • @Altunddesillusioniert:

      Die Grünen sind auf die Idee mit Bürgerräten gekommen, nachdem sie sich in Volksentscheiden öfter auf die Fresse gepackt hatten. Siehe Hamburgs ersten Volksentscheid, der den Grünen ihre Bildungsreform zerstört hat, oder das Referendum zu Stuttgart 21. Da hat das Volk doch glatt anders entschieden, als man geglaubt hatte. Nun sollen Bürgerräte das Patentrezept sein.

      Man stelle sich mal vor, es gäbe einen Bürgerrat zur Migrationspolitik...

      Würde den jemand wollen?

  • Bürgerräte haben bei mir überhaupt keine Akzeptanz.

    1) Politische Entscheidungen werden durch gewählte Abgeordnete getroffen. Mehr braucht es in einer repräsentativen Demokratie nicht.

    2) Durch die Abbildung der Gesamtbevölkerung wird auf ein Losverfahren immer Einfluss genommen.

    3) Da Bürgerräte stets moderriert und von Experten unterstützt werden, ist das Ergebnis stets eine gefilterte Expertenmeinung.

  • Ich bin nicht davon überzeugt, dass Bürgerräte für mehr Akzeptanz für politische Entscheidungen in der Bevölkerung sorgen.

    Das ist ja trotzdem ein kleines Gremium, dass (mit Input von Experten) unter sich Entscheidungen trifft und Vorschläge macht. Ob sich davon mehr Leute mitgenommen fühlen als von anderen politischen Institutionen, wage ich zu bezweifeln.

    Wenn man viel Vertrauen in die Bürger hat, dann besser gleich Volksentscheide. Mit genügend Vorlauf und Kommunikation, sodass sich die Menschen vor der Abstimmung informieren können.

  • "....zeigt das viel zitierte Beispiel des Bürgerrats zur Änderung der Verfassung in Irland..."

    ...bei dem immer vergessen wird, darauf hinzuweisen, dass die Hälfte dieser speziellen Versammlung aus Parlamentsabgeordneten bestand. Das war also gerade KEIN Bürgerrat. Die Idee des Bürgerrates ist letztlich, dass Parlamente "Schwatzbuden" seien, die die Gesellschaft nicht abbildeten.

    Faktisch tun Bürgerräte das aber auch nicht. Die Empirie zeigt, dass es sich bei ihnen keineswegs um einen Querschnitt der Bevölkerung handelt.

  • Bürgerräte sind faktisch bürgerliche Räte: allesamt krankten sie daran, dass Geringverdiener und Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss massiv unterrepräsentiert sind.

    Somit bekommt die (obere) Mittelschicht mittels Bürgerräten eine Art legislative Extrawurst. Und das, obwohl genau diese Schicht in Deutschland sowieso alles dominiert: Wirtschaft, Politik, Verwaltung, Bildung, Kultur, Medien.

    Dabei behaupten die Verfechter von Bürgerräten, dass diese dadurch legitimiert würden, dass sie die Unterrepräsentiertheit von Gruppen in den Parlamenten ausglichen. Faktisch ist dies schlicht und einfach nicht der Fall, ganz im Gegenteil. Somit stellt sich die Frage, mit welchem Recht die Legitimation der Parlamente untergraben wird - denn nichts anderes passiert ja, wenn man Bürgerräte installiert und als "bessere" Parlamente darstellt.

    • @Suryo:

      Habe ich noch nie so gesehen, aber dürften Sie recht haben.

  • ME gibt es kein Problem, dass Bürger sich nicht in bestehenden Gremien einbringen könnten, sondern an der Bereitschaft, sich einzubringen. Wer bei einer Elternbeiratswahl mal dabei war, kennt das erleichternde Aufatmen des Raums, wenn sich endlich zwei Personen bereit erklärt haben, dennJob zu machen. Meines Erachtens führt ein Bürgerrat nur noch ein Gremium, das koordiniert werden muss. Ich bleibe daher skeptisch und glaube nicht, dass er eine Verbesserung bringt.

    • @Strolch:

      Richtig. Am Ende reden sowieso immer wieder dieselben.

  • Volksentscheide sind besser als Bürgerräte



    Wieso hat unsere Politik derart Angst vor Volksentscheiden, wo es sich in der Schweiz doch seit 1848 bewährt hat?



    Bürgerräte bedeutet noch mehr Verwaltung und Bürokratie. Ich bin gegen Bürgerräte und für das Schweizer Modell von Volksentscheiden. Aber davor haben unsere Parteien wohl Angst.

    • @Rudi Hamm:

      Davor hätte ich Angst. Volksentscheide in Deutschland halte ich für keine gute Idee.



      Die Schweiz ist ein kleines Land mit hohem Bildungsgrad und die demokratische Beteiligung hat kulturelle Tradition. Die Bürger sind sich dort ihrer Verantwortung bewusst und informieren sich.

      Das alles lässt sich nicht auf Deutschland mit 83 Mio Einwohnern übertragen. Die Deutschen informieren sich in der Regel nicht so ausgiebig, lesen nur die Überschriften. Als Nachfahren der Dichter und Denker scheinen sie intuitiv schon alles zu wissen.



      Von nichts ist die Wirtschaft so sehr abhängig, wie von Energieträgern.



      Ohne das billige Gas aus Russland sind wir nicht mehr wettbewerbsfähig.



      Aber für einen nicht unerheblichen Anteil der Bevölkerung sind die Grünen die Wurzel allen Übels und die einzige Ursache dafür, warum es in der Wirtschaft nicht läuft.



      In deren Welt haben die Grünen mehr wirtschaftliche Macht als die unsichtbare Hand des Marktes (Gaspreise).



      Eine monokausale politische Ursache für ein wirtschaftliches Problem ist dem deutschen Michel nicht zu platt, im Gegenteil erfreut er sich seines analytischen Genies. Passend zur Theorie:

      "Je schlechter die Regierung, desto größer die Angst vor dem Volk."

      Vielleicht sollte die Allgemeinheit in Deutschland eher Angst vor der Eitelkeit des passiven Volkes haben?

      Daher Volksentscheide in Deutschland bitte nur auf kommunaler Ebene.

    • @Rudi Hamm:

      Richtig. Vor allem auf kommunaler Ebene würde sich das anbieten. Soll eine Sporthalle am Ort A oder B gebaut werden? Soll die Innenstadt baulich verändert werden? Etc.

      Auf Länder- und Bundesebene geht dies auch, sicher nicht bei jedem Thema, aber zumindest bei manchen.

    • @Rudi Hamm:

      Ich habe auch Angst vor Volksentscheiden....Deutschland ist nicht die Schweiz

      • @Altunddesillusioniert:

        Ihre Angst ist sogar verständlich, denn für Volksabstimmungen bedarf es einer vorausschauenden Reife der Bürger.



        Man sollte also wie "STROLCH" das gut geschrieben hat, erst mal ein paar Jahre kommunal anfangen und dann erst auf Länder/Bundesebene.



        Die Abstimmung zu Stuttgart 21 hat gezeigt, dass man sich noch zu leicht von einer aktuellen Stimmung beeinflussen lässt, weil/wenn mit falschen Zahlen geworben wurde. In der Schweiz wäre das so nie passiert.

    • @Rudi Hamm:

      Je schlechter die Regierung, desto größer die Angst vor dem Volk.



      Das bezieht sich ausdrücklich nicht nur auf unsere jetzige Regierung.

      • @Erfahrungssammler:

        Erstens gibt es "das" Volk in einer pluralistischen Demokratie nicht und zweitens kann auch "das" Volk, bzw. eine Mehrheit bei einem Volksentscheid objektiv falsch entscheiden.

        • @Suryo:

          Objektiv falsch ist es aber nur, wenn Sie es anders sehen. Sonst ist es objektiv richtig.

          Richtig und Falsch gibt es ja meist nicht. Nehmen wir die Canabis Legalisierung. Es gibt für und gegen sie Argumente. Wir Menschen neigen nur dazu, die eigene Auffassung als richtig anzusehen.

          • @Strolch:

            Objektiv falsch wäre es zB, wenn ein Bürgerrat zum Ergebnis käme, dass man Millionen Menschen deportieren oder die Ukraine nicht weiter unterstützen dürfe. Oder dass der Klimawandel nicht existiere und man sich die Energiewende sparen könne.

            Den Verfechtern der Idee zufolge wäre das aber total okay, solange die Leute, die zu diesem Ergebnis kommen, ausgelost sind und jeder von ihnen mal zu Wort gekommen ist. Im Endeffekt sagen die Verfechter des Bürgerrates, dass er einem Parlament überlegen sei. Oder zumindest, dass es Fragen gibt, die ein Bürgerrat prinzipiell besser beantworten könne als ein Parlament.

            Ironischerweise kann man so auch Parlamente aus ihrer Verantwortung überlassen. Wenn’s zu kompliziert wird, einfach einen Bürgerrat einberufen und die Verantwortung an ihn abgeben.

        • @Suryo:

          Das Volk kann auch bei einer Wahl faktisch falsch entscheiden. Und dessen gewählte Abgeordnete dann auch noch.

        • @Suryo:

          Ja, aber das wäre dann Demokratie.

          • @rero:

            Naja. So wie der Brexit.