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Letzte Generation tritt zur EU-Wahl an„Widerstand ins Parlament tragen“

Die Letzte Generation will ins EU-Parlament. Aktivistin Carla Hinrichs spricht darüber, ob sie an einen Wahlerfolg glaubt – und was sie in Brüssel vorhat.

Aktivistin Carla Hinrichs will den Klimawiderstand ins EU-Parlament tragen Foto: Imago
Susanne Schwarz
Interview von Susanne Schwarz

taz: Die Letzte Generation will im Juni zur Wahl des Europaparlaments antreten. Meinen Sie das ernst, Frau Hinrichs?

Carla Hinrichs: Natürlich meinen wir das ernst. Wir wollen da aber nicht einfach antreten, um über das nächste Antiplastikgesetz abzustimmen, sondern wir wollen endlich die Stimme des Widerstands ins Parlament tragen.

Im Interview: Carla Hinrichs

27, ist Sprecherin der Klimagruppe Letzte Generation. Für den Aktivismus hat sie ihr Jurastudium unterbrochen. Schon mehrfach wurde sie nach der Teilnahme an Straßenblockaden gerichtlich verurteilt, einmal sogar zu einer Freiheitsstrafe, die allerdings auf Bewährung ausgestzt wurde.

Sie sind eine der unbeliebtesten politischen Gruppierungen in Deutschland. Umfragen zeigen immer wieder starke Ablehnungswerte. Glauben Sie, dass Sie eine Chance haben, gewählt zu werden?

Ich glaube, wir haben sogar eine ziemlich gute Chance. Wenn wir uns die Umfragewerte angucken, dann finden viele vielleicht unsere Protestform nicht super. Aber ein sehr großer Teil der Bevölkerung sagt: Was die machen, ist legitim. Und jetzt wollen wir unseren Widerstand von der Straße ins Parlament bringen.

Dazu brauchen Sie erst mal 4.000 Unterschriften, um zur Wahl zugelassen zu werden, und dann Hunderttausende Menschen, die für Sie stimmen.

Genau, als ich davon gehört habe, dachte ich auch erst mal: Das ist echt verdammt viel. Aber bei der EU kann man ab 16 wählen. Wenn wir es schaffen, möglichst viele junge Leute zu erreichen, dann sprechen wir genau die an, die sonst vielleicht gar nicht zur Wahl gehen würden. Die keine Lust haben, das kleinere Übel zu wählen. Diesen Menschen geben wir jetzt die Möglichkeit, ein Kreuz dort zu machen, woran sie wirklich glauben, die Stimme denen zu geben, die aufmischen und kein Blatt vor den Mund nehmen. Da denke ich schon, wir haben eine gute Chance. Gleichzeitig ist es auch einfach so, wenn wir nicht alles versuchen, die Klimakrise zu bewältigen, dann haben wir schon verloren.

Die Welt kratzt am 1,5-Grad-Limit

Das Jahr 2023 war das bislang heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die Temperaturen lagen im Durchschnitt um 1,48 Grad über dem vorindustriellen Niveau. Das hat der Erdbeobachtungsdienst Copernicus im Januar mitgeteilt. In der vergangenen Woche haben die Wissenschaftler*innen aber noch einen neuen Rekord gemeldet: Zwölf Monate lang, nämlich von Februar 2023 bis Januar 2024, lag die Temperatur im Durchschnitt sogar um 1,52 Grad über dem Referenzwert.

In die extremen Temperaturen hineingespielt hat neben dem Klimawandel auch ein natürliches Phänomen: El Niño. Dabei drehen sich Wind- und Wasserströmungen im Pazifik vorübergehend, was sich auch global auswirkt – nämlich erhitzend. Die Fieberkurve des Planeten zeigt aber auch unabhängig von solchen temporären Effekten steil nach oben.

Soll sich das ändern, muss die Menschheit den Ausstoß von Treibhausgasen wie Kohlendioxid beenden. Den verursacht sie in erster Linie durch die Nutzung fossiler Energieträger wie Steinkohle und Erdgas, aber zum Beispiel auch durch die Viehhaltung oder das Zerstören kohlenstoffhaltiger Ökosysteme wie Mooren und Wäldern.

Die Regierungen der Welt haben im Jahr 2015 mit dem auf der UN-Klimakonferenz in Paris erzielten Abkommen versprochen, die Erderhitzung „deutlich unter 2 Grad“ zu stoppen. Sie wollen außerdem „Anstrengungen unternehmen“, damit das schon bei 1,5 Grad der Fall ist. Mit jedem Zehntelgrad, das die Durchschnittstemperaturen steigen, nehmen die Folgen der Klimakrise dramatisch zu, zum Beispiel gefährliche Hitze und andere Extremwetterereignisse oder der Anstieg des Meeresspiegels. (scz)

Warum stellen Sie denn mit Lina Johnsen und Theo Schnarr zwei unbekannte Menschen als Spitzenkandidaten auf? Hätten Sie nicht selbst zum Beispiel bessere Aussichten?

Lina und Theo tragen den Widerstand wirklich tief im Herzen. Sie sind mutige und ehrliche Menschen, die nie der Verlockung nachkommen würden, der Sekt in Brüssel schmecke zu gut. Sie werden genau das sein, was es braucht: die Stimme der Bewegung. Ich glaube, sie sind die richtige Wahl.

Sie sagten vorhin, Sie wollten in Brüssel nicht einfach über das nächste Antiplastikgesetz abstimmen. Genau das ist doch die parlamentarische Arbeit. Was wollen Sie denn sonst tun?

Wir werden nicht dort sitzen und einfach bei jeder einzelnen Abstimmung mit Ja oder Nein antworten. Wir wollen den Protest in das Parlament tragen, auf den Elefanten im Raum zeigen, den die Mehrheit der Abgeordneten seit Jahrzehnten ignoriert.

Aber was heißt das denn genau?

Da muss man ein bisschen kreativ werden. Das haben ja auch schon andere Parteien gemacht, Die Partei zum Beispiel. So wählen wir jetzt auch einen neuen Weg, nämlich Protest im Parlament. Genauer kann ich es noch nicht verraten. Aber es wird spannend!

Haben Sie konkrete politische Projekte oder Forderungen für die europäische Ebene?

Unser Wahlprogramm beinhaltet das, was wir auch als Bewegung fordern. Das bedeutet, wir wollen die Macht in die Hände der Menschen legen und einen Gesellschaftsrat einberufen. Und natürlich müssen wir bis 2030 aus allen fossilen Brennstoffen aussteigen.

Mit Carola Rackete tritt ja schon eine sehr bekannte Person aus der Klimabewegung zur EU-Wahl an. Die ehemalige Sea-Watch-Kapitänin war unter anderem für Extinction Rebellion aktiv und ist jetzt Spitzenkandidatin der Linken. Warum unterstützen Sie nicht sie?

Wir wählen einen ganz anderen Weg, nämlich genau nicht einfach dort im Parlament sitzen und Teil davon sein. Aber Carola Rackete trägt dort wichtige Anliegen rein und darüber sind wir auch sehr glücklich. Wir haben dasselbe Ziel, aber ein anderes Vorgehen.

Haben Sie Sorge, dass sich die verschiedenen Bewegungsgruppen bei der Wahl kannibalisieren, also sich gegenseitig Stimmen wegnehmen?

Ich bin in Sorge, dass wir gerade vor einem Zusammenbruch unserer Gesellschaft, unserer Demokratie stehen. Das ist, was mich bewegt. Und wenn ich mir das ansehe, dann bietet das aktuelle Parteiensystem keine Möglichkeit, uns aus der Krise rauszubringen. Das liegt daran, dass Lobbyinteressen und auch Wiederwahlinteressen in solchen Parlamenten einfach vor den Menschen stehen.

Was ist, wenn Sie als Feindbild durch Ihren Wahlkampf mehr Stimmen für rechts mobilisieren als fürs Klima?

Nein, da habe ich überhaupt keine Sorge. Es fühlt sich einfach scheinheilig an, als politische Bewegung auf der Straße immer wieder die Parteien zu kritisieren, dann zur Wahl zu gehen und heimlich doch die Grünen als kleinstes Übel zu wählen. Da ist es eigentlich nur der logische Schritt, selber anzutreten und zu sagen: Wir wählen am Ende das, woran wir glauben, und das ist der Protest.

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19 Kommentare

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  • Carola Rackete hat einen absolut sicheren Listenplatz. Es macht keinen Sinn, gerade wegen ihrer Kandidatur diese Partei zu wählen oder deshalb nicht zu wählen.

  • Na klar, auf ins Europaparlament, das ist schließlich der Nabel der Welt.

    All eyes on it!

    Und was das:

    "Wir wählen einen ganz anderen Weg, nämlich genau nicht einfach dort im Parlament sitzen und Teil davon sein. Aber Carola Rackete trägt dort wichtige Anliegen rein und darüber sind wir auch sehr glücklich. Wir haben dasselbe Ziel, aber ein anderes Vorgehen."

    geben wird, wird man sehen. Wenn man in einem Parlament permanent stört, fliegt man einfach raus.

    Und im EU-Parlament muss man schon mächtig auf die Kacke hauen, damit es draußen überhaupt jemand mitbekommt.

    "I'm not tryin' to cause a big s-s-sensation (Talkin' 'bout my generation)"

    www.youtube.com/watch?v=qjN5uHRIcjM

  • Die "Letzte Generation" sollte sich nicht an der Straße festkleben. Einfach angemeldete Blockaden mit großen Fahrzeugen durchführen und behaupten, dass ohne sie irgendwer nicht genug zu essen bekommt.

    Funktioniert bei den Schnorrer-Großgrundbesitzern doch auch...

    • @Matt Olie:

      Der letzte Satz stimmt - ich befürchte aber, dass er von Vielen verallgemeinernt auf alle Landwirte bezogen werden könnte.

      • @Erfahrungssammler:

        Selbstverständlich meinte ich nur die Landwirte, die wegen eigener Mißwirtschaft durch staatliche Almosen über Wasser gehalten werden und deswegen im öffentlichen Raum Unruhe stiften.



        Wenn sie ihren Beruf so schlimm finden, sollten sie vielleicht einfach einen anderen ausüben.

        Subventionen sind immer Mist. Ich kenne kein Positivbeispiel für subventionierte Unternehmen. Die verbrennen alle nur Steuergelder, damit Einzelne sich auf Kosten aller die Taschen füllen können.

        • @Matt Olie:

          Die Misswirtschaft entsteht sehr oft durch Planungsunsicherheit und kurzfristigen Änderungen wegen Regelungsschnellschüssen. Die Bauern, bei denen wir einkaufen brauchen die wirklich überschaubaren Subventionen zur Finanzierung der Einhaltung von Vorschriften, die einen erheblichen Teil der Einnahmen wieder schlucken, ohne dass ein Sinn dahinter steckt.

        • @Matt Olie:

          "Wenn sie ihren Beruf so schlimm finden, sollten sie vielleicht einfach einen anderen ausüben."

          Kann man auf viele anwenden.

          Krankenschwester, Saisonarbeiter, Paketlieferanten.

          Macht es die Welt glücklicher?

          Ohne Landwirte wird es keine agrarökologische Wende geben.

          Selbst die Wiesen würden wieder verwalden.

  • "Wir wählen einen ganz anderen Weg, nämlich genau nicht einfach dort im Parlament sitzen und Teil davon sein."

    Was sie da genau vorhaben, ist mir ehrlich gesagt noch nicht ganz klar.

    Entweder sie sind in einem Parlament und damit Teil der Parteiendemokratie mit all ihren großen Nachteilen (zu jeden Thema eine Meinung haben zu müssen), oder sie engagieren sich in einer Bewegung/Bürgerinitiative zu einem Thema, dann eben ohne jegliche echte Macht. Strick oder Beil, sie müssen sich schon entscheiden.

    • @Jalella:

      "Was sie da genau vorhaben, ist mir ehrlich gesagt noch nicht ganz klar."

      Die selber wissen es auch nicht:



      "Was wollen Sie denn sonst tun?" - Blablabla Floskeln.



      "Aber was heißt das denn genau?" - Blablabla Floskeln, aber Hauptsache "kreativ".

      "Das haben ja auch schon andere Parteien gemacht, Die Partei zum Beispiel."



      Oder die "Sonstige Politische Vereinigung Die Grünen", Europawahl 1979.

      "So wählen wir jetzt auch einen neuen Weg, nämlich Protest im Parlament. Genauer kann ich es noch nicht verraten. Aber es wird spannend!"

      Wooow, wie neu und "kreativ"! Protest im Parlament, darauf ist ja noch nieeeemand jemals gekommen... www.youtube.com/watch?v=e2ZUv1krNhk

      Eine Selbstverbrennung vor laufenden Kameras könnte im EP - dem "Arbeitsparlament" schlechthin, *vielleicht* etwas bringen. (NEIN! macht das BLOSS NICHT!)

      Es ist eine reine Verzweiflungstat, geboren aus dem dem Protest der LG zugrundeliegenden Legalismus/Formalismus, sowie der Tatsache, dass die LG-Proteste und die Bauernproteste von Presse, Politik und Öffentlichkeit ganz schamlos und offenkundig ANTI-DEMOKRATISCH mit zweierlei Maß gemessen wurden.

      Es ist ein Eingeständnis des Scheiterns - weniger des Scheiterns der LG, als des katastrophalen Scheiterns einer Demokratie, in der der Schutz der "natürlichen Lebensgrundlagen" - "auch in Verantwortung für die künftigen Generationen" - ein unverbrüchliches Grundrecht ist, das aber tagtäglich - und ohne dass es für die Klimaverbrecher Folgen hat -, mit Füßen getreten wird. Keine Zeitung traut sich, CDU/CSU und FDP als "Verfassungsfeinde" zu bezeichnen, obwohl sie es klimapolitisch *sind*!

      Das Schlimme ist, dass am Ende einfach nur Zeitverschwendung und Frustration dabei herumkommen werden. Die LG hat wirklich fitte Leute, die den Ernst der Lage verstanden haben, und bereit sind erhebliche persönliche Nachteile in Kauf zu nehmen. Auch nur eine*n einzigen davon im parlamentarischen "Klein-Klein" auszubrennen ist ein großer Schaden für dne Klimaschutz.

  • Ich wünsche euch viel Erfolg!



    Ein alter weißer Mann

  • Die Rahmenbedingungen erscheinen günstig für kleinere Wähler.innengruppen als bei der Wahl zum BT.



    "Nach der Verspottung der traditionellen Parteien in Deutschland bei den EU-Wahlen entsendet die Satire-Partei "Die Partei" zwei Vertreter nach Brüssel. Aber wo hören die Witze auf und wo beginnt die Politik?"



    /



    Bei Engagement und Programm für spezielle Follower.innen und Aktivist.innen:



    Warum sollte so etwas nicht die Blaupause sein?



    Quelle:



    www.dw.com/de/die-...rlament/a-49127096



    Dann kommt der Protest zur Satire hinzu.

  • Na dann mach mal Carla. Aber bitte hinterher nicht beschweren weil die allermeisten Abgeordneten anders ticken.

  • Mit anderen Worten: Die Letzte Generation möchte ins Parlament, um dort nicht einfach nur mitzuarbeiten, sondern innovative Protestformen einzubringen. Sie wollen die Arbeit des Parlamentes vermutlich durchaus stören. Dies wollen sie deshalb tun, weil sie Angst um die Demokratie haben. Das Parlament zu behindern, um die Demokratie zu retten, ist in der Tat ein innovativer Ansatz.

    Ich glaube nicht, dass die Letzte Generation Chancen hat, auch nur auf die Stimmenzahl für einen einzelnen Sitz zu kommen - ich werde sie sicher nicht wählen. Aber ich lasse mich da gern eines besseren belehren.

  • Wenn man verstanden hat was mit dem Klimawandel auf die Menschheit zukommt (oder einfach nur mal ernsthaft in Erwägung zieht was die Wissenschaft uns prognostitiert), dann ist die generelle politische Situation schnell und einfach umschrieben:

    es gibt derzeit ein Vakuum in der Politik - niemand unter den parlamentarischen Vertretern orientiert sich konsequent an den Notwendigkeiten der Realität..niemand hat den Mut oder die Kraft, die Dinge wirklich anzupacken oder die ganze Wahrheit auszusprechen.

    - Das ist der "Elefant im Raum" -

    ..woraus sich ein recht erhebliches Potenzial für FFF Parteien ergibt. Etwa 5/6 der Menschheit haben (noch) nicht verstanden was die Klimakatastrophe wirklich bedeutet. Das andere Sechstel aber sehr wohl..diese Menschen stellen somit das Wählerpotenzial dar.

    Kommt also nur darauf an, wie eine neue Partei sich verkauft. Ich halte jedenfalls einen Stimmenanteil zwischen 10 und 25% für realistisch..

    ..und wer weiß..vielleicht hilft Mutter Erde ja noch ein bißchen nach..

    • @Wunderwelt:

      Das ist hier nicht FFF, sondern Last Generation.

  • Angst um die Demokratie haben, aber eine Art Räterepublik fordern. Und dieser Rat soll dann noch von ausgewählten Fachleuten inhaltlich betreut werden. Würde mich auch mal interessieren, wie dieser Rat eigentlich konkret „demokratisch“ besetzt werden soll?

    • @Matthias:

      Ich verstehe nicht, was du sagen willst. Räterepublik ist doch Demokratie?!

  • Ihr jungen Leute sind die einzelnen Erwachsenen in dieser ansonsten ziemlich traurigen Veranstaltung.

    Danke für Euren Mut, für Eure Ausdauer und für Eure Freundlichkeit.

  • Kurz, "wir haben Angst um die Demokratie, deswegen möchten wir ins Parlament, sagen aber nicht, was wir da machen werden", abgesehen davon, dass in sechs Jahren keine fossile Energie mehr genutzt werden soll.



    Trotz der grundsätzlichen Berechtigung, irgendwie illusorisch.