piwik no script img

Ex-Grüner zum Austritt wegen Asylpolitik„Ich kann das nicht mittragen“

Der Aktivist Tareq Alaows ist mit anderen Geflüchteten bei den Grünen ausgetreten. Sie wollen die Reform des EU-Asylsystems GEAS nicht mittragen.

Tareq Alaows bei einer Bundespressekonferenz zur Seenotrettung im September 2019 Foto: Wolfgang Krumm / dpa
Christian Jakob
Interview von Christian Jakob

taz: Herr Alaows, Sie haben mit einer Gruppe anderer Geflüchteter, die Funktionen in der Grünen Partei hatten, am Freitag ihren Austritt erklärt. Warum?

Tareq Alaows: Der Grund sind die Entwicklungen der letzten Tage: Die Grünen haben die Reform des EU-Asylsystems GEAS und das Rückführungsverbesserungsgesetz der Ampel nicht nur mitgetragen, sondern auch verteidigt und versucht das als menschenrechtliche Entscheidung darzustellen. Dabei wissen alle, dass dies nur zur Aushöhlung des Rechts Schutzsuchender und zu mehr Verletzungen von Grundrechten führen wird.

Im Interview: Tareq Alaows

34, geboren in Damaskus, ist flüchtlingspolitischer Sprecher bei Pro Asyl und war bei den Grünen Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Flucht und Migration. Er floh 2015 wegen seiner Einberufung zum Wehrdienst aus Syrien nach Deutschland.

Wären Sie drin geblieben, wenn die Partei zugestimmt, dies aber kritisch reflektiert hätte?

Dass sie es mitgetragen haben, war für mich schon ein ausreichender Grund auszutreten. Ich finde es aber nochmal etwas anderes, das so zu verteidigen, wenn es so offensichtlich zu systematischen Menschenrechtsverletzungen führt.

Was hat sie seinerzeit bewogen, den Grünen beizutreten?

Ich bin der Partei 2020 wegen ihrer Asylpolitik beigetreten. Ich habe mich da zuhause gefühlt. Und durch die letzten Entscheidungen habe ich mich von diesem Zuhause weggestoßen gefühlt. Die Grünen standen klar für Menschenrechte, waren auf einer Linie mit zivilgesellschaftlichen Bewegungen, haben mit diesen zusammengearbeitet und entsprechende Forderungen an die damalige Bundesregierung gerichtet. Sie haben sich unter anderem klar für Seenotrettung im Mittelmeer eingesetzt. Das sind alles Positionen, die in der DNA der Grünen stecken. Ich sehe das auch ganz klar bei vielen Parteimitgliedern. Aber leider lehnt die Führungsspitze der Partei diese DNA ab.

Wen meinen Sie konkret?

Annalena Baerbock, Omid Nouripour, Robert Habeck und den ganzen Bundesvorstand.

Unter anderem Omid Nouripour hat die Zustimmung zum GEAS mit der Behauptung verteidigt, so lasse sich ein verbindlicher Verteilmechanismus in der EU durchsetzen, der aber während der Verhandlungen nie vorgesehen war. Außerdem hatte die Grünen-Spitze zugesichert, Ausnahmen für Minderjährige durchsetzen zu wollen. Am Ende stimmte Deutschland aber zu, obwohl es diese Ausnahmen nicht gibt. Wie empfanden Sie diese Art der Kommunikation?

Sie war überhaupt nicht ehrlich. Sie haben versucht, ihre Zustimmung zu verteidigen und waren dabei nicht faktenbasiert. Diese Art gehört zu den Dingen, die mich abgestoßen haben.

Auch vonseiten der Grünen hat es geheißen, wenn es nun keine Einigung beim GEAS gebe, würde die extreme Rechte bei der EU-Wahl im Juni 2024 noch stärker und könnte das Asylrecht in Europa dann womöglich noch stärker beschneiden oder ganz abschaffen.

Ich glaube nicht, dass der Beschluss der GEAS-Reform dieses Risiko verringert. Wenn die Rechten die Mehrheit kriegen könnten und das Asylrecht abschaffen wollen, ist es umso wichtiger, für ein faires Asylrecht einzutreten und nicht in diese Diskursverschiebung einzusteigen. Die Rechten werden nicht weniger extrem, wenn man selbst solche Verschärfungen beschließt. Sie fühlen sich, im Gegenteil, nur bestätigt, wenn demokratische Parteien das mittragen. Wir müssen deshalb am Recht festhalten, statt es selber abzuschaffen.

Die Basis und auch die EU-Fraktion waren gegen die Reformen. Hat das für Sie keine Rolle gespielt?

Ja, die EU-Fraktion war gegen die GEAS-Reform. Wir haben aber gesehen, dass sich bei den Entscheidungen letztlich die Bundesregierung durchgesetzt hat. Und am Ende zählen die Ergebnisse. Dazu kommt aber auch die Rolle der Grünen in der Debatte insgesamt: Die sind voll in die rechtspopulistische Diskursverschiebung eingestiegen, sie reden nur von Abschiebungen und Verschärfungen, statt auch argumentativ dagegen zu halten und für ihre Grundsätze einzustehen, was gerade in der jetzigen Zeit sehr notwendig gewesen wäre.

Wenn alle Menschen, die so denken wie Sie, aus der Partei austreten, kann niemand mehr in diesem Sinne Einfluss auf deren Regierungspolitik nehmen.

Mein Austritt soll ein politisches Signal sein: Ich kann das nicht mittragen. Aber es sind ja weiterhin viele andere in der Partei, die für eine menschenrechtszentrierte Politik kämpfen. Denen wünsche ich viel Kraft. Ich hoffe, dass die Partei ihren Kompass wiederfindet.

Treten Sie nun in die Linke ein?

Für die jetzige Zeit kann ich sagen, dass ich die Stelle ändere, an der ich mich für Menschenrechte einsetze. Ich kehre zur zivilgesellschaftlichen Arbeit zurück.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

25 Kommentare

 / 
  • Vielen Dank für Eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.

  • Naja, wenn er und andere aussteigen bei den Grünen aus diesen Gründen, dann gibt es noch weniger inneren Widerspruch in der Partei zu dem Thema. Ob das seinem Anliegen hilft?



    Schadet das der Partei? Führt es zu einem Umdenken? Nein.



    Insofern: Klar, wenn er persönlich keine Lust mehr darauf hat, ist ein freies Land - politische Willensaggregation im politischen Prozess funktioniert aber anders.

  • Danke für das Interview, einzig die letzte Frage find ich gelinde gesagt grotesk, Tareqs Reaktion wie alle anderen verständlich. Aber ganz allgemein: so geht Statement, und so steht man zu Grundsätzlichkeiten, wenn man welche kennt. Damit waren er und Mitkämpfer in der Politik, jedenfalls Parteipolitik, vielleicht ohnehin nicht ganz richtig. Sozusagen zu politisch für die Politik. Die Meisten von uns sind schliesslich auch nicht auf diese Weise engagiert und das soll ja Gründe haben. Von daher auch einzige ehrliche Möglichkeit aufzuräumen mit etwas, das offensichtlich ja ein Missverständnis war, oder jedenfalls wurde. Man kann ihnen nur das Beste wünschen und dass sie andere Möglichkeiten finden, Unterschiede zu machen, gehört zu werden.

  • Tareq Alaows war auch Gast bei Bosettis Late Night (Thema der Sendung: Migration) und hat dort viele kluge Gedanken zum Thema präsentiert. Die meisten Einheimischen sind nicht so gut informiert und verstehen die tatsächlichen Zusammenhänge und Ursachen für die ganze Misere nicht so gut wie er.

  • Ich kann das total nachvollziehen, wie sich Tareq Alaows entschieden hat. `Bündnis 90/Die Grünen´ verlieren ihre Seele! Ja, es ist schön, staatstragend, wohlig, politische Ämter zu bekleiden. Aber das individuelle Asylrecht abzuwerten, damit Europa eine (angeblich) historische Gemeinsamkeit in Sachen Füchtlingspolitik behaupten kann, nee, das ist widerlich!



    Damit ist nicht gemeint, "kommet alle hierher, ihr Mühseligen und Beladenen der Welt"! Es ist gemeint: Wohlstandsländer, nehmt die Realitäten wahr! Nehmt wahr, dass Millionen Menschen auf dem Weg nach Europa sind auf der Suche nach menschenwürdigen Lebensbedingungen (die ihnen oft auch durch europäische Wirtschaftsprioritäten verwehrt wurden) - oder einfach überleben wollen! Und dann unternehmt echte Anstrengungen, ihnen menschenwürdige Lebensmöglichkeiten entweder in ihren Herkunftsgebieten, oder in ausgewiesenen Schutzräumen zu bieten (mit Bildung, sozialer Wohlfahrt). DAS wenigstens zu versuchen, ist die Aufgabe - nicht abwehren, einsperren, drangsalieren, ertrinken lassen... Ja, schwer, aber es geht um MENSCHEN!!

  • Danke für dieses Interview! Da kommt ein bisschen Hoffnung auf, dass es bei den Grünen noch Menschen mit Haltung gibt, die dafür ihre Position aufgeben. Ein Massenaustritt der Basis wäre jetzt durchaus das korrekte Signal zu im Artikel gut beschriebenen Roten Linien.

  • Danke für das Interview!

  • In gleicher Weise erleben FDP und CDU derzeit Austritte aufgrund des gleichen Themas.



    Keine der beiden Parteien vertritt derzeit ein ausreichend konsequentes Programm um die Flüchtlingskrise in den Griff zu bekommen.



    Viele der Parteimitglieder können und wollen dies nicht mehr mit tragen.

    • @Andere Meinung:

      "Keine der beiden Parteien vertritt derzeit ein ausreichend konsequentes Programm um die Flüchtlingskrise in den Griff zu bekommen."

      Die CDU ist als Opposition raus aus der Verantwortung.

      Verantwortung trägt auch nicht die FDP alleine - man könnte ja schon fast auf den Gedanken kommen, wir stecken in einer 5% Minderheitsregierung - sonder die Ampel in toto.

    • @Andere Meinung:

      Die Union hat bei der letzten Wahl 24 % erhalten. Aktuell ist sie in Umfragen bei 32 %. Die FDP ist von 11 auf 5 % abgestürzt.

      Irgenwie scheint das nicht zu stimen was Sie da behaupten.

  • Ich verstehe das und sehe das sogar genauso. Es ist unerträglich, was die Grünen da mittragen und auch noch schönreden.

    Allerdings sehe ich in der politischen Landschaft bei den Parteien, die überhaupt irgendeine Chance der Regierungsbeteiligung haben, keinerlei Alternative.

    Deshalb werde ich beim nächsten Mal wohl trotzdem wieder das geringste aller Übel, die Grünen, wählen müssen. Und ich hoffe, dass diese unsägliche Asylpolitik bei ihnen mehr innerparteilichen Widerstand findet.

  • Warum die Aufregung. Es wird erst 2026 umgesetzt, wenn überhaupt.



    Es gibt zuvor Wahlen.

    • @Ria Hummelhain:

      Ja, nur danach haben wir wieder GroKo.

  • "Das sind alles Positionen, die in der DNA der Grünen stecken."

    Ich finde diese Verschärfungen auch furchtbar. Aber m. E. ist die Flüchtlingspolitik nichts was in der DNA der Grünen steckt.



    Vor allem sollte man auch nicht ständig auf die Grünen schimpfen, sie stehen vollkommen alleine gegen eine geschlossene Phalanx der Unmenschlichkeit in Deutschland und Europa.

  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    Habe mich über die konsequente Haltung von Tareq Alaows gefreut.



    Gut und nachvollziehbar.

    Es gäbe da sicherlich noch mehr Menschen, die ihm in Würdigung ihrer Überzeugungen folgen könnten:



    - Klimaaktivisten, die keine Geheimverträge mit RWE, keinen Import von US-Frackinggas und weitere Dorfzerstörungen zugunsten einer Braunkohlefördetung mehr mittragen wollen

    - Umweltschützer, die das grüne Durchwinken der Glyphosatverlängerung und die Unterstützung der ruinösen Intensiv-Landwirtschaft in Deutschland nicht akzeptieren

    - Friedliche Menschen, die gegen eine von grünen Spitzenpolitikern favorisierte atomare Aufrüstung Europa‘s sind.

  • Sehr gut. Ich hoffe, dass das noch mehr machen. Anders bekommt man die Grünen nicht mehr auf ihre eigene ehemalige politische Linie.

  • Wie soll mensch sagen? "Glückwunsch zu der Entscheidung" scheint mir doch eher unangebracht als Formulierung.



    Aber im Kern finde ich es sehr respektabel und begrüßenswert, wenn Menschen auf der Basis von einem vorhandenen Gewissen (und wohl in seinem Fall auch von eigener mutmaßlich leidvoller Erfahrung!) Entscheidungen von relativer Tragweite treffen, so wie Tareq Alaows.



    Ich finde, es gibt viele Gründe diese (und andere Parteien) zu verlassen. Schon allein deshalb, weil keine dieser Parteien genug tut, um den Folgen des Klimakollapses ernsthaft etwas entgegen zu setzen. Aber das nur am Rande. Die grüne Position bezogen auf Krieg und Konflikte in Ukraine, Nahost all den anderen Orten der Welt sind nicht minder empörenswert.

  • Es schadet den Grünen nichts, wenigstens hin und wieder mal eine kritische Rückmeldung zu bekommen - ihr jetzt schon über 30 Jahre währendes „Nicht ohne meinen Dienstwagen meets Töpferkurs-Betroffenheit meets Humanitätsheuchelei“ ist noch hohler als das, was von anderen politischen Gruppierungen so auf Parteitagen und in Parlamenten den lieben langen Tag verzapft wird. Habe ich was vergessen? Ach ja, natürlich ihr zynisches Spiel mit und die Instrumentalisierung von Geflüchteten.

  • Zum Glück gibt es mit der Partei die Linke noch eine Stimme für die Menschenrechte. Hoffentlich erkennen enttäuschte Wähler*innen der Grünen, dass es eine gute und glaubwürdige Alternative gibt.

  • Ich vermute mal, diese Nachricht wird keinen Sturm der Entrüstung auslösen! Einige haben halt noch immer nicht kapiert, dass leider die Mehrheit der Gesellschaft nicht so denkt, bei diesem Thema!

  • "Die sind voll in die rechtspopulistische Diskursverschiebung eingestiegen, sie reden nur von Abschiebungen und Verschärfungen, statt auch argumentativ dagegen zu halten und für ihre Grundsätze einzustehen, was gerade in der jetzigen Zeit sehr notwendig gewesen wäre."

    --> Diese Argumente würde ich gern einmal von irgendwem hören. Alles was ich jedoch von den Befürwortern weiterer und beständiger Aufnahme gelesen und gehört habe, war nicht die Argumentation mittels der Logik und Sachargumentation, sondern eine Moralisierung der Debatte.

    Gut zu beobachten an der Position von Aminata Touré, die jedem Sachargument bei einer Markus Lanz Sendung mit verschiedenen Versionen von "Das finde ich menschlich/moralisch unerträglich." begegnete.

    Bislang habe ich bestenfalls wenige schlimmstenfalls gar keine Sach-Argumente gegen den GEAS gehört oder gelesen.

  • Konsequenter Rückzug .



    Das driften der Grünen nach rechts muss man nicht mimachache.



    Mir scheint fast, dass die hart wie grüner Stahl sein wollen.

  • Wer unbegrenzt Asyl und Migration fordert muss auch tragfähige Konzepte liefern wie eine Gesellschaft das schaffen kann. Dann ist das auch in Ordnung und sogar (für mich) der Idealfall.

    Wenn aber nur etwas gefordert wird, ohne vernünftige Erklärung wie es zu packen ist, dann wird es schwierig.

    Das ist doch das Kernproblem in der Debatte.

    • @Müller Christian:

      Wer Umwelt und Klima zerstört, für Ungleichverteilung sorgt, diese hinnimmt und von dieser profitiert, sollte zumindest den Poppes in der Hoses haben und die Menschen aufnehmen, die darunter leiden.



      Dann noch ein Argument für "Ökonomie-Freaks" - die demografische Entwicklung Deutschlands spricht gegen die Verringerung von Migration (egal aus welchem Grund). Und ein weiteres für die Fans der "sozialen Merz-Wärme" - Sie warten im Wartezimmer, nicht wegen vermeintlich ebenfalls wartender Asylsuchender, sondern aufgrund Personalmangels und kaputtem/kaputtgesparten Gesundheitssystems.

      • @Uranus:

        Wenn man, wie Sie, die Gründe für Migration richtig benennt löst das doch kein Problem. Es geht mir null darum Migration schlecht zu machen, sondern wir brauchen vernünftige Konzepte um Migration vernünftig zu händeln. Sonst haben wir keine gesellschaftliche Akzeptanz. Nur darum geht es mir. Und nein, die Probleme mit Geld zuzuschütten wird nicht funktionieren. Wir brauchen mehr.