Wo 2024 gewählt wird: Das entscheidende Jahr
Kommt Trump zurück? Bleibt Modi in Indien an der Macht? Rückt die EU nach rechts? 2024 geht fast die Hälfte der Weltbevölkerung wählen. Ein Überblick.
024 werden weltweit mehr Menschen wählen gehen als je zuvor in der Geschichte. In sieben der zehn bevölkerungsreichsten Länder der Erde stellen sich die Regierungen zur Wahl, insgesamt sind es gut 40 Prozent der Weltbevölkerung: von Indien (1,43 Milliarden Einwohner) bis Tuvalu (11.000 Einwohner), von den schwerreichen USA bis zum bitterarmen Südsudan, vom aggressiven Russland bis zum kriegsbedrohten Taiwan. Dazu kommen die Wahlen zum EU-Parlament und richtungweisende Landtagswahlen in Deutschland. Vorschau auf ein Jahr, das die Welt verändern könnte
14. Februar: Indonesien
Darum geht’s: In der „drittgrößten Demokratie der Welt“ werden ein neuer Präsident samt Vize, 580 Abgeordnete des Unter- und 152 Abgeordnete des Oberhauses sowie die Provinzparlamente gewählt. Auf dem multireligiösen Archipel mit der weltgrößten muslimischen Bevölkerung sind 17 Parteien zugelassen, es gilt eine Vierprozenthürde. Wahlmindestalter ist 17 Jahre, gewählt wird per Nagel, der in die Stimmzettel gedrückt wird.
Das steht auf dem Spiel: Präsidentschaftsfavorit ist Ex-General Prabowo Subianto. Er war 1998 nach dem Sturz seines damaligen Schwiegervaters Suharto, der 32 Jahre diktatorisch regierte, entlassen worden. Prabowo wird für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht. Er kam nie vor Gericht, erhielt aber ein Einreiseverbot in die USA. Er kandidierte bereits vergeblich für die Präsidentschaft, ohne die Niederlagen zu akzeptieren. Der Wahlsieger Joko Widodo machte ihn darum zum Verteidigungsminister. Prabowo hat dessen Sohn zu seinem Vizekandidaten gemacht und führt seitdem die Umfragen an. (Sven Hansen)
Taiwan wählt Präsident, Vize und Parlament am 13. Januar. Es gibt drei Präsidentschaftskandidaten. Beste Chancen hat William Lai Ching-te von der liberalen Demokratischen Fortschrittspartei (DPP). Denn die konservativeren KMT und TPP konnten sich nicht einigen. Die Peking-kritische DPP könnte jedoch ihre Parlamentsmehrheit einbüßen. Das dürfte für Instabilität im größten potenziellen Konfliktherd zwischen China und den USA sorgen. China sieht Taiwan als abtrünnige Provinz, droht mit gewaltsamer Vereinigung und versucht, die Wahlen zu beeinflussen. Die USA haben sich zum nicht näher definierten Schutz der Inselrepublik verpflichtet.
Bangladesch (7. 1.), Bhutan (9. 1.), Tuvalu (26. 1.), Pakistan (8. 2.), Palau (12. 11.) sowie Sri Lanka und die Salomonen (bei Letzteren steht das genaue Datum noch nicht fest) wählen 2024 ebenfalls. (han)
17. März: Russland
Darum geht’s: Zwischen dem 15. und 17. März werden Millionen von Russinnen und Russen an die Wahlurnen gerufen, um ihren Präsidenten zu wählen. Wladimir Putin tritt zum sechsten Mal an, 2020 hat er extra die Verfassung ändern lassen, um seine Wiederwahl nochmals möglich zu machen. Das Wort „Wahl“ setzen selbst die in Anführungszeichen, die als Konkurrent*innen gegen den 71-Jährigen antreten. Es ist eine Wahl ohne wirkliche Auswahl. Russische Medien schreiben immer wieder davon, dass der Kreml die Parole ausgegeben habe, für Zustimmungswerte von 80 Prozent für Putin zu sorgen. Auch in den von Russland annektierten Gebieten in der Ukraine sollen die Menschen abstimmen.
Das steht auf dem Spiel: Putins Machterhalt. Russland hat ein plebiszitäres Regime, die Staatsmacht braucht die Abstimmung, um Putins Herrschaft – und damit auch den Krieg gegen die Ukraine – zu legitimieren. Ein starker Präsident stützt sich auf die direkte Unterstützung des Volkes. Wobei direkt nicht heißt, dass die Menschen Putin lieben. Es heißt lediglich, dass es immer wieder nötig ist, den Nachweis dieser Unterstützung zu generieren. Dieser Nachweis erfolgt unter anderem mithilfe von Wahlen. (Inna Hartwich)
April/Mai: Indien
Darum geht’s: Der 73-jährige Premierminister Narendra Modi strebt mit seiner hindu-nationalistischen Volkspartei BJP eine dritte Amtszeit an. Politische Beobachter gehen davon aus, dass er Indien auf Kosten von Minderheiten hinduistischer ausrichten wird. Zwei Wahlsiege bestätigten ihn bisher in seiner Agenda. Die anstehende Wahl wird von April bis Mai stattfinden. Berechtigt sind fast eine Milliarde Menschen. Die Herausforderung für Modi kommt von der Oppositionsallianz India, einem Akronym für Indian National Developmental Inclusive Alliance. Angeführt wird sie von der Kongresspartei, die jahrzehntelang das Land dominierte, bis Modi, damals ein politischer Außenseiter, an die Macht kam. Der ehemalige Kongresspräsident Rahul Gandhi, 53, beginnt seinen Wahlkampf Mitte Januar mit einem Fußmarsch von Nordost- nach Westindien.
Das steht auf dem Spiel: Im vergangenen Jahrzehnt wurden Institutionen geschwächt und die Presse- und Meinungsfreiheit eingeschränkt. Die anstehende Wahl könnte zu einem entscheidenden Moment für Indiens Zukunft als Demokratie werden. (Natalie Mayroth)
Voraussichtlich Mai: Südafrika
Darum geht’s: Zwischen Mai und August wählt Südafrika ein neues Parlament, der Termin steht noch nicht fest. Die einstige Befreiungsbewegung ANC (Afrikanischer Nationalkongress) verteidigt ihre absolute Mehrheit, die sie bei Südafrikas ersten freien Wahlen 1994 holte und seither hält. Bei den letzten Wahlen 2019 landete der ANC aber erstmals bei unter 60 Prozent. Der Nimbus des Kampfes gegen Apartheid zieht nicht mehr bei den Wählern, die nach der Apartheid geboren wurden.
Das steht auf dem Spiel: Die Wahl 2024 gilt als die wichtigste seit 1994, denn es droht ein Machtverlust des ANC. Präsident Cyril Ramaphosa will an der Macht bleiben, aber sein Vorgänger Jacob Zuma, dessen Anhänger immer wieder auf Konfrontation zu Ramaphosa gehen, verkündete im Dezember 2023 die Gründung einer eigenen Partei „uMkhonto we Sizwe“ (MK – Speer der Nation), der Name des ehemaligen bewaffneten ANC-Flügels. Damit droht eine Zersplitterung der Parteienlandschaft und für Südafrika erstmals seit 30 Jahren eine Ära von politischer Instabilität. (Dominic Johnson)
2. Juni: Mexiko
Darum geht’s: Mexikos Wähler*innen werden am 2. Juni 2024 über die Zusammensetzung des Senats, des Kongresses und über ein neues Staatsoberhaupt entscheiden. Schon jetzt ist klar: Erstmals wird das Land künftig von einer Frau angeführt werden. Sowohl die regierende linke Morena-Partei des amtierenden Präsidenten Andrés Manuel López Obrador als auch das Mitte-rechts-Bündnis der Opposition schickt eine Kandidatin ins Rennen. Und alles deutet darauf hin, dass die Morena-Anwärterin Claudia Sheinbaum gewinnen wird. Umfragen versprechen ihr 50 Prozent der Stimmen, während ihre Gegnerin Xochitl Gálvez bisher nur auf 20 Prozent kommt.
Das steht auf dem Spiel: Sheinbaum, die bis vor Kurzem Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt war, verdankt ihren Vorsprung der großen Beliebtheit López Obradors. Der Staatschef hat es durch populistisches Auftreten und Sozialprogramme geschafft, die arme Bevölkerung für sich zu gewinnen. Seine potenzielle Nachfolgerin wird es schwer haben, in seine Fußstapfen zu treten. Ihr fehlt der Charme des Präsidenten. Zudem wird sie nicht so einfach an den Transferleistungen festhalten können, da es dafür kein nachhaltiges Finanzierungskonzept gibt. Als Frau wird sie sich auch gegen Verhältnisse durchsetzen müssen, in denen dank López Obrador das Militär immer mehr Macht bekommen hat. (Wolf Dieter-Vogel)
6.–9. Juni: EU-Parlament
Darum geht’s: Wirft man einen Blick auf die Zahlen, dann wird die Europawahl eine Wahl der Superlative. Das Wahlalter wurde in Deutschland und anderen EU-Ländern auf 16 Jahre gesenkt, die Zahl der Abgeordneten auf 720 erhöht. Umfragen verheißen eine höhere Wahlbeteiligung. Das Interesse an der EU sei groß wie nie, frohlockt Parlamentspräsidentin Roberta Metsola. Insgesamt sind rund 400 Millionen Wahlberechtigte aus allen 27 EU-Staaten an die Urnen gerufen, um ein neues Europaparlament zu wählen.
Das steht auf dem Spiel: Diese Europawahl steht unter einem schlechten Stern. In Europa herrscht Krieg – doch die Wählerinnen und Wähler sollen nicht mitentscheiden, wie es mit der Ukraine weitergeht. Aus Angst vor einem Rechtsruck wie in den Niederlanden wurden alle kriegsrelevanten Entscheidungen, etwa zum EU-Beitritt der Ukraine, schon Ende 2023 getroffen. Sorgen bereitet auch die Klimapolitik. Konservative und Liberale wollen den „European Green Deal“ verwässern und seine Umsetzung behindern. Umso wichtiger wäre es, dass der „Green Deal“ an den Urnen bestätigt wird. (Eric Bonse)
Österreich wählt im Herbst ein neues Parlament (Nationalrat), der Termin steht noch nicht genau fest. Spitzenreiter in allen Umfragen ist die rechtspopulistische FPÖ, sie liegt stabil bei 30 Prozent. Die derzeitige Koalition aus konservativer ÖVP und Grünen dürfte keine Mehrheit bekommen. Ob sich der aktuelle Rechtskurs der ÖVP auszahlt, um FPÖ-Frontmann Herbert Kickl Stimmen abzunehmen, ist fraglich.
In Portugal findet die Parlamentswahl voraussichtlich am 10. März statt, Kroatien ist im Frühjahr an der Reihe, ein genaues Datum gibt es derzeit nicht. Belgien legt am 9. Juni nach, um seine Abgeordneten zu bestimmen. In Litauen wird am 13. Oktober ein neues Parlament gewählt. Sollte aus der ersten Runde niemand als Sieger hervorgehen, geht es 14 Tage später in die zweite Runde. Im letzten Quartal wählt auch Rumänien. Außer dem Parlament wird dort auch ein neues Staatsoberhaupt bestimmt. Auch hier stehen noch keine genauen Termine fest. (bo)
1./22. September: Ostdeutsche Bundesländer
Darum geht’s: Thüringen und Sachsen wählen am 1. September ihre Landesparlamente, drei Wochen später folgt Brandenburg am 22. September. Dort dürfen auch 16-Jährige wählen. Bei den Wahlen 2019 triumphierte in Thüringen die Linke mit 31 Prozent der Stimmen, in Sachsen bekam die CDU den höchsten Stimmanteil mit 32,5 Prozent und in Brandenburg war die SPD mit 26,2 Prozent stärkste Partei. In diesem Jahr könnte es anders enden.
Das steht auf dem Spiel: Eine demokratische Regierung. In allen drei Bundesländern führt die AfD derzeit die Umfragen mit mehr als 30 Prozent an. Wie für die Partei üblich äußern sich die jeweiligen Landesverbände feindselig über Migrant*innen und verbreiten nationalistisches Gedankengut. In Thüringen und Sachsen stuft der Verfassungsschutz die Verbände als rechtsextremistisch ein. Trotzdem holte die Partei dort ihre ersten politischen Spitzenämter mit Tragweite: Im Sommer gewann Robert Sesselmann die Landratswahl in Sonneberg in Thüringen und im Dezember Tim Lochner die Oberbürgermeisterwahl im sächsischen Pirna. (David Muschenich)
In El Salvador will der autoritär regierende Nayib Bukele am 4. Februar wiedergewählt werden und hat dafür gute Chancen. Seine Politik gegen die Gangs ist eine menschenrechtliche Katastrophe, kommt aber gut an. Eigentlich verbietet die Verfassung eine Wiederwahl – um das zu umgehen, hat sich Bukele vom Parlament „beurlauben“ und gleichzeitig seine Kandidatur absegnen lassen.
In Venezuela will die Opposition erneut versuchen, den Hugo-Chavez-Nachfolger Nicolas Maduro abzulösen. Im Oktober hatten sich Regierung und Opposition auf international beobachtete Wahlen 2024 geeinigt, kurze Zeit später bestimmte die Opposition die rechtskonservative Marina Corina Machado zur Kandidatin.
In Uruguay schickt sich die linke Frente Amplio an, nach dem Intermezzo der Rechtsregierung erneut gewählt zu werden. (pkt)
Voraussichtlich Herbst: Großbritannien
Darum geht’s: Spätestens im Januar 2025, aber voraussichtlich im Herbst 2024 wird das britische Parlament neu gewählt. Die hohe Mehrheit, die 2019 Boris Johnson für die Konservativen geholt hatte, wird der aktuelle Premier Rishi Sunak wohl verlieren: Die Labour-Opposition unter Keir Starmer liegt in allen Umfragen weit vorn und hat auch in Schottland die dortigen SNP-Nationalisten überholt, womit eine absolute Labour-Mehrheit in Reichweite ist.
Das steht auf dem Spiel: Ein hoher Labour-Wahlsieg würde 13 Jahre Tory-Regierung beenden. Keir Starmer würde damit an sein Vorbild Tony Blair und seine Beendigung von 18 Jahren Tory-Herrschaft 1997 anknüpfen. Die Konservativen dürften sich daraufhin zerfleischen und nach rechts rücken. Ein Topthema wird das Verhältnis zur EU: das Post-Brexit-Handelsabkommen von 2020 sieht eine Überprüfung bis Ende 2025 vor, bevor 2026 Teilvereinbarungen auslaufen. Je nach Entwicklung in der Ukraine wird auch die militärische Rolle Großbritanniens eine wichtige Rolle spielen. (Dominic Johnson)
Senegal und Ghana, Westafrikas stabilste Demokratien, wählen im Februar bzw. Dezember. Die Präsidenten Macky Sall und Nana Akufo-Addo können beide nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten und halten sich auch daran. Gleichzeitig sind in Senegal alle wichtigen Oppositionellen disqualifiziert und Ghana steckt in einer Schuldenkrise. Als Demokratien gelten auch Botswana und die Komoren, die dieses Jahr wählen.
In Ruanda (Juli), Mosambik (Oktober) und Namibia (Dezember) dürften regierende Ex-Befreiungsbewegungen an der Macht bestätigt werden. Ex-Befreiungsbewegungen regieren auch Südsudan und Somaliland, aber Südsudans Wahlen 2024 funktionieren nur ohne Bürgerkrieg. Somaliland ist wiederum international kaum anerkannt. Eine Festigung autoritärer Herrschaft ist in Algerien und Tunesien Richtung Jahresende sowie Tschad und Mauretanien zu erwarten. (D.J.)
5. November: USA
Darum geht’s: Das US-Präsidentschaftsduell wird wieder (wenn die republikanischen Vorwahlen keine vollkommen überraschende Wende bringen) zwischen Donald Trump und Joe Biden sein, nur mit getauschten Rollen zwischen Amtsinhaber und Herausforderer. Außerdem werden rund ein Drittel der 100 Senator*innen neu gewählt – hier laufen die Demokrat*innen Gefahr, ihre knappe Mehrheit zu verlieren. Auch das gesamte Repräsentantenhaus wird neu gewählt, genau wie 13 Gouverneursposten und Hunderte von lokalen Ämtern.
Das steht auf dem Spiel: Rechts gegen sozialliberal, Autoritarismus versus Demokratie, Klimawandelleugnung versus Klimaschutz, „America First“ versus internationale Kooperation, Massenabschiebungen versus Empathie. Die USA haben die Wahl zwischen dem angeklagten Rechtspopulisten und Lügner Donald Trump (77), der vor vier Jahren dazu aufrief, die Wahlergebnisse zu verfälschen, und einem Joe Biden, der als Präsident einiges erreicht hat. Biden wirkt mit seinen 81 Jahren jedoch so klapperig, dass auch die Mehrheit der Demokrat*innen gehofft hätte, er würde aufhören. (Bernd Pickert)
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