Regionalwahlen in Russland: Probelauf für 2024

Bei den Regionalwahlen in der Hauptstadt Moskau ist der Wählerwille unwichtig. Der Kreml übt damit für die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr.

Frauen sitzen auf einer Bank an einer Bushaltestelle, eine russische Wahlurne daneben

Gewählt wird in Russland nicht nur im Wahllokal Foto: Alexander Ermochenko/reuters

Eine 100-prozentige Wahlbeteiligung meldet die Zentrale Wahlkommission in Moskau, und die Vorsitzende sagt dazu, ganz im Ernst, das Wahlsystem in Russland sei „offen und transparent, es ist unmöglich, etwas zu verbergen“. Selbst in den Untersuchungshaftanstalten Moskaus ist dieses System offenbar so ausgeklügelt, dass alle, die dort einsitzen, ihre Kreuze gemacht haben. Höchstwahrscheinlich machen mussten. Andere Wahlbezirke vermeldeten eine etwas geringere Beteiligung, für das Gesamtergebnis spielt das allerdings keine Rolle.

Bei den dreitägigen Regionalwahlen quer durchs Land kamen die Kan­di­da­t*in­nen der Regierungspartei „Einiges Russland“ in nahezu jeder Region auf Zustimmungswerte zwischen 70 und 86 Prozent. Für die Führung im Kreml sind solche Zahlen beruhigend, zeigen sie doch in ihren Augen, dass das Volk hinter dem Kurs von Präsident Wladimir Putin steht. Einem Kurs, der einen Krieg zur treibenden Kraft der Politik gemacht hat und davon nicht abweicht. Mag in einigen Regionen nur jeder Fünfte abgestimmt haben – das Plebiszit ist dennoch geglückt, der Kreml legitimiert mit dem erneuten Bestätigungsritual seine Macht.

Russland hat also gewählt, Gouverneure, Bürgermeister, Lokalabgeordnete. Nur als Wahl lässt sich die Farce, die mit Sowjetschnulzen in den Wahllokalen und Geldpreisen bei elektronischem Abstimmen für die notwendigen Zahlen sorgte, nicht bezeichnen. Politische Inhalte wurden beim Wahlspektakel vollkommen herausgehalten. Stattdessen herrscht eine Verwaltung, deren Ziel ist, die politische Landschaft nach Putins Wünschen zu formen.

Bei Wahlen in Russland geht es längst nicht mehr darum, politische Stimmungen abzubilden, sondern vielmehr die Fähigkeit zu demonstrieren, wie gut sich die Bevölkerung kon­trol­lieren lässt. In einem System, das jegliches Engagement von unten sofort abzuwürgen weiß, sind die Menschen ohnehin müde geworden und haben sich damit abgefunden, dass jegliche Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg getroffen werden. Kaum einer glaubt ernsthaft noch daran, dass sie mit einer Wahl etwas ändern könnten.

In Moskau war das Konterfei des zur Wahl stehenden Bürgermeisters auf keinem Plakat zu sehen. „Stimmen Sie ab, gewinnen Sie einen von Millionen Preisen“, hieß es überall. Worüber abgestimmt werden sollte, wurde gar nicht erwähnt. Manchen Haupt­städ­te­r*in­nen war überhaupt nicht klar, dass Wahlwochenende war. Sie feierten in den Parks das Stadtfest, die längsten Schlangen gab es bei den kostenlosen Fahrgeschäften für die Kinder.

Vor den Wahllokalen hingegen fanden sich nur vereinzelte Wähler*innen. Sergei Sobjanin, Putins loyaler Technokrat, der gern neue Metro-Stationen eröffnet und Parks aufhübschen lässt, hat auch so seine 76,3 Prozent der Stimmen geholt, die meisten über die elektronische Stimmabgabe. Etwaige Manipulationen lassen sich auf diesem Wege kaum nachvollziehen. In vielen Regionen meldeten die Menschen, die im Wahllokal ihr Kreuz machen wollten, auch dort seien sie zum Wählen am Automat regelrecht gedrängt worden. Manche Wäh­le­r*in­nen wurden von Beamten in die Wahllokale gebracht. „Dafür gab es Zigaretten umsonst“, erzählten sie dann bereitwillig vor Fernsehkameras. Auch in den von Russland besetzten ukrainischen Gebieten holte „Einiges Russland“ bei den Scheinwahlen die Mehrheit.

Die Abstimmung war ein Probelauf für die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr. Ein Test, was bei einem solchen Spektakel noch nachgebessert werden könnte. Sowohl beim sogenannten Wahlkampf als auch bei der Mobilisierung der Menschen an die Urnen und dem Auszählen der Stimmen. Lediglich in zwei Regionen zog die oppositionelle Partei Jabloko, die offen gegen den Krieg antritt, in die Stadtparlamente ein.

Unabhängige Be­ob­ach­te­r*in­nen fehlten überall. Dem Vorsitzenden der bekanntesten russischen Wahlbeobachterorganisation Golos wird seit Kurzem – wegen „Extremismus“ – in Moskau der Prozess gemacht. Golos beschrieb die Regionalwahlen als die unfreiesten in der Geschichte Russlands, seit Putin an der Macht ist. Andere politische Be­ob­ach­te­r*in­nen bezeichneten sie als die langweiligsten seit Jahren.

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