Grüner hört auf: Trittin tritt ab
Nach 25 Jahren verlässt Ex-Minister Trittin den Bundestag. Bei seiner letzten Rede lobt er die Kunst des Kompromisses. Friedrich Merz applaudiert.
Acht Minuten Redezeit waren für ihn beim „Zusatzpunkt 2“ auf der Tagesordnung am Donnerstagvormittag vorgesehen, Titel: „Halbzeit der Wahlperiode. Deutschland kann es besser“; die Debatte hatte die Union beantragt. Trittin spricht mehr als elf Minuten lang, und sieht man von Applaus und einigen Pöbeleien aus Reihen der AfD einmal ab, wird er nicht unterbrochen. In manchen Momenten ist es fast still im Saal, das gibt es nicht oft im Bundestag.
Trittin ist im dunklen Anzug gekommen, dazu ein weißes Hemd und dunkle Krawatte. Er könnte jetzt Carsten Linnemann zerlegen, den Generalsekretär der CDU, der gerade eine dieser „Die Ampel kann es nicht“-Reden gehalten hat, wie die Union sie derzeit so gerne hält. Trittin kann das ja: scharfe Reden halten, provokativ und polarisierend, spottend und schneidend. Die ergrauten Haare fallen dann immer wieder in die hohe Stirn, am Ende ist der Gegner filetiert. Aber so redet Trittin hier nicht. Er spricht ruhig und sachlich, eindringlich fordert die Demokraten zum Schulterschluss auf.
Am Ende bekommt er stehenden Applaus, von den Grünen natürlich, bei denen fast die ganze Fraktion erschienen ist, aber auch von den Abgeordneten von SPD und FDP, den Koalitionspartnern. Applaudiert wird auch in den Reihen der Union, für die der linke Grüne lange ein gut gehegtes Feindbild war; selbst Friedrich Merz klatscht, aber so zaghaft, dass es gezwungen wirkt. Dann dankt Bundestagspräsidentin Bärbel Bas dem Grünen noch und wünscht ihm alles Gute.
Abschied nach 25 Jahren
Es war Trittins letzte Rede im Plenum, zum Jahreswechsel gibt er sein Bundestagsmandat auf. Das hat er am Dienstag in seiner Fraktion verkündet, nur wenige waren eingeweiht, für die allermeisten kam der Rückzug überraschend. 25 Jahre im Bundestag seien ein ein guter Zeitpunkt zum Abschied, sagte er dem Spiegel in einem Interview, das ebenfalls am Dienstag online ging. Und dass er jetzt erst mal ein bisschen zu sich selbst kommen müsse, reisen wolle – und Clash und Talking Heads hören.
Für die Grünen geht mit dem Abtritt Trittins eine Ära zu Ende. Der 69-Jährige mit der K-Gruppen-Vergangenheit, der früher diesen buschigen, hängenden Schnäuzer trug, war immer schon da. Der Göttinger war eines der ersten grünen Parteimitglieder, der erste grüne Umweltminister im Bund, er war Fraktionschef und scheiterte als Spitzenkandidat. Er hat Joschka Fischer überlebt und während Rot-Grün Demütigungen von Gerhard Schröder ertragen, das Dosenpfand eingeführt und den Atomausstieg mit eingeleitet.
Trittin steckt, zuletzt als außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion, stets tief im Stoff, er ist ein ausgebuffter Stratege, ein guter Netzwerker und glänzender Rhetoriker. Von solchen Vollblutpolitikern gibt es bei den Grünen nicht viele. Selbst jene auf der Realo-Seite, die ihn parteiintern verflucht und bekämpft haben, sprechen von einem herben Verlust.
Vor seinen mahnenden Worten lobt Trittin im Bundestag die Ampel, leicht spöttisch, wie so oft. „Es gibt in Deutschland so viele Erwerbsarbeitsplätze wie nie zuvor in der Geschichte. Wir haben 170 Gesetze verabschiedet. Und jetzt gibt es sogar einen Haushalt. Offensichtlich ist die Ampel handlungsfähiger, als die Ampel manchmal selbst glaubt.“ Geschmeidig allerdings war Trittin für die Koalition nicht.
Als im vergangenen Jahr die Laufzeit für die letzten drei AKWs um einige Monate verlängert wurde, stimmte er dagegen. Robert Habecks Pläne für einen Industriestrompreis hielt er für „Unsinn“ und sagte das auch. Jetzt geht Trittin in Rente, selbst gewählt in der Mitte der Legislatur. Von derart selbstbestimmten Abschieden gibt es in der Politik nicht viele.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Krieg gegen die Forschung
Byebye Wissenschaftsfreiheit
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten