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Guterres’ Äußerungen zum VölkerrechtDer Verantwortung gerecht geworden

Felix Wellisch
Kommentar von Felix Wellisch

Antonio Guterres hat zu recht an die Verhältnismäßigkeit erinnert, an die sich laut Völkerrecht auch angegriffene Staaten halten müssen.

UN-Generalsekretär António Guterres zu Besuch am Grenzübergang Rafah am 20. Oktober Foto: Kerolos Salah/afp

D er Posten des UN-Generalsekretärs wird gern als der unmöglichste Job der Welt bezeichnet. Das gilt schon in Friedenszeiten, umso mehr in einem Krieg, der die Welt so sehr entzweit wie dieser. Für den obersten Repräsentanten der 193 Mitgliedsstaaten der UN gibt es hier kaum eine richtige Lösung. Vor diesem Hintergrund hat António Guterres angemessene Worte gefunden.

Israelische Politiker hatten empört darauf reagiert, dass Guterres die israelische Gegenoffensive auf den Terrorangriff der Hamas kritisiert hat. Dabei ist es die Aufgabe des Generalsekretärs, sich in Konflikten dafür einzusetzen, dass alle Akteure, also auch Israel, die Zivilbevölkerung schützen. Angesichts der Lage in Gaza wäre Guterres andernfalls seiner Verantwortung nicht gerecht geworden. Denn die humanitäre Situation ist katastrophal: Mehr als 6.500 Menschen, davon mehr als 2.700 Kinder, wurden laut dem Hamas-geführten Gesundheitsministerium in Gaza seit dem 7. Oktober getötet, Hunderte dürften unter Trümmern begraben liegen.

Guterres hat keineswegs Israel das Recht abgesprochen, sich gegen den schrecklichen Angriff der Hamas zu wehren und alles dafür zu tun, die rund 220 von den Terroristen nach Gaza verschleppten Geiseln zurückzuholen. Der UN-Chef nannte die Taten der Hamas „entsetzlich“ und verurteilte sie deutlich. Trotzdem dürften deswegen die Menschen in Gaza nicht „kollektiv bestraft“ werden für Verbrechen, die sie nicht begangen haben.

Für Empörung sorgte in Israel vor allem der Satz, der Angriff der Hamas habe „nicht im luftleeren Raum“ stattgefunden. Das palästinensische Volk habe 56 Jahre „erdrückende Besatzung“ erlebt. Israelische Politiker warfen ihm vor, er habe damit den barbarischen Überfall der Hamas gerechtfertigt.

Bekämpfung der Hamas ginge auch anders

Dabei widerspricht Guterres eben dieser Annahme: Der Schmerz der Palästinenser könne die „entsetzlichen Hamas-Angriffe“ nicht legitimieren. Auch die Bundesregierung, die sich in diesem Krieg unmissverständlich an die Seite Israels stellt, hat Guterres angesichts der Rücktrittsforderungen das Vertrauen ausgesprochen.

Kritiker werfen häufig ein, dass Israel unter Einhaltung des Völkerrechts der Strategie der Hamas, ihre Bevölkerung als menschliche Schutzschilde einzusetzen, nichts entgegenzusetzen habe. Das ist falsch. Das humanitäre Völkerrecht lässt sehr wohl Raum für eine deutliche Reaktion auf den Terror der Hamas. Es schließt selbst Angriffe auf Ziele, bei denen Zivilisten sterben, nicht kategorisch aus. Doch es verlangt Verhältnismäßigkeit, an die Guterres zu Recht erinnert hat.

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Felix Wellisch
Korrespondent
berichtet für die taz aus Israel und den palästinensischen Gebieten. Geboren 1989. Er hat Politik- und Sozialwissenschaften in Jena, Dresden und Kairo studiert und die Deutsche Journalistenschule in München absolviert. Ernst Cramer & Teddy Kollek-Fellow.
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20 Kommentare

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  • Guterres hat recht wenn er in dieser Zeit vor der Vollversammlung auch auf die Rolle Israels in diesem Konflikt hinweist. Seit dem Scheitern der Friedensbemühungen und der Ermordung Jitzchak Rabin 1995, bei der Benjamin Netanjahu zumindest moralisch eine nicht unwesentliche Rolle spielte, weil er Rabin für die Verhandlungen mit Arafat hasste, lässt Israel keine Gelegenheit mehr aus massivst auf palästinensische Angriffe zu reagieren.



    Netanjahu der mit seinen rechtsgerichteten, und radikal orthodoxen Unterstützern nicht das geringste Interesse an Friedensgesprächen mit den Palästinensern hat, lässt seine Armee immer wieder in Flüchtlingslager einmarschieren. Das Militär bekämpft dort nicht nur die Terroristen sondern zerstört wichtige Infrastruktur für das zivile Leben. Es lässt mit Bulldozern gezielt Wasser- und Versorgungsleitungen zerstören etc.



    Mittlerweile wächst die dritte Generation PalästinenserInnen in diesen Flüchtlingslagern auf. Ein Nährboden für Radikale, Militante und religiöse Fanatiker.

    In den letzten Jahrzehnten war auch bei den Vereinten Nationen die Siedlungspolitik Israels und die damit defakto Übernahme fremden Territoriums immer wieder Thema.



    Die geduldete Besetzung und Besiedelung durch jüdische Siedler palästinensischen Landes, z.B. im West Jordan Land war schon mehrfach Auslöser für unermessliche Gewalt und selbst die engsten Freunde Israels haben das immer wieder kritisiert.

  • Ich verstehe nicht, wieso die Zahlen der Hamas-Entitäten unkritisch übernommen werden, handelt es sich doch um keine tatsächliche staatliche Behörde, sondern um eine von einer Terrororganisation kontrollierten Stelle. Es kann doch nicht wirklich sichergestellt werden, dass die Zahlen nicht zu Propaganda-Zwecken verwendet werden.



    Ich wünschte mir da etwas mehr Sensibilität von Journalisten.

  • Sehe ich genauso.

  • Angesichts der Katastrophe im Gaza-Streifen sind die Worte des UN-Gernalsekretärs mehr als angemessen. Amnesty International klagt schlimme Kriegsverbrechen der Israelischen Armee im Gazastreifen an:



    www.amnesty.org/en...-families-in-gaza/

  • Sind die „56 Jahre“ unterschiedslos „erdrückend“ gewesen? Oder hat die Hamas seit der Autonomie nicht eher jede Opposition unterdrückt und erdrückt? Mit Hilfe von außen? – Das ist eben auch kein „luftleerer Raum“! Man sollte das alles erwähnen, wenn man verstehen will. Und ohne Analyse keine Lösung.



    Der bloße Vorwurf an Israel, die Verhältnismäßigkeit nicht zu wahren (ohne Belege übrigens, zumindest im Artikel), verbunden mit dem Hinweis auf die Besatzung, die ja übrigens im Gaza-Streifen seit Langem nicht mehr besteht, kann kaum anders denn als Relativierung des Terrors verstanden werden.



    Natürlich sollte man das historische Unrecht im Blick behalten (die Europäer haben hier eine kolonialistische Scheinlösung für ein Problem gefunden, das ihr eigener Antisemitismus erst erschaffen hat), aber eine echte Lösung der heutigen Probleme muss auf eine bessere Zukunft für alle Betroffenen abzielen. Das Existenzrecht Israels und ein Ende des Hamas-Terrors sowie ein lebensfähiger palästinensischer Staat müssen dazu gehören. Der Schlüssel dazu liegt bei den Nachbarn, in Amman und in Kairo zuallererst, aber auch in Riad und Damaskus, Teheran und Ankara, Beirut und Doha. (Außer Jordanien hat kein arabisches Land bisher Palästinenser eingebürgert, auch dort gelten noch fast 20% als Geflüchtete.)

  • Wie wäre denn ein Aufruf an die Hamas die Israelischen Geiseln freizulassen, und die Waffen niederzulegen um die Geiselhaft auch der Bevölkerung von Gaza so zu beenden. Im Gegenzug wäre freies Geleit denkbar. Zum beispiel in den Iran?

    Momentan geht die strategie der Hamas voll auf. Gerade auch dank mangelndes Internationalen Drucks auf die Hamas. Das ist erschreckend.

  • Das besonders Tragische an die Situation im Nahen Osten ist die Tatsache, dass der israelische Noch-Präsident mit jeden Tag, an dem er weiter einfach so rumbombt (das Verhältnis der Sprengkräfte ist derzeit 100 : 1 !) wird seine Chance, jemals wieder gewählt zu werden, immer kleiner und gleichzeitig die Chance auf einen nachhaltigen 'Frieden' immer ungewisser. Damit schadet er auch den Menschen, die ihn vielleicht früher einmal gewählt haben. Mit Netanyahu wird es keinen Frieden geben.

  • …anschließe mich -

    Wer - bei klarem Verstand - mag dem: -



    “…der Satz, der Angriff der Hamas habe „nicht im luftleeren Raum“ stattgefunden.“ - widersprechen •

  • Guteress hat Recht

    Zitat: „Der Verantwortung gerecht geworden.“

    Chapeau für diese Deutung der Guteress-Aussage vor dem Sicherheitsrat, für die man heute schon sehr mutig sein muß, wenn man dem hiesigen elektronischen Stammtisch zu dieser Causa zuhört.

    Hier die diesbezüglichen Kernaussagen des UN-Generalsekretärs: „Ich habe die entsetzlichen und beispiellosen Terrorakte der Hamas vom 7. Oktober in Israel unmissverständlich verurteilt.Es ist wichtig zu erkennen, daß die Angriffe der Hamas nicht in einem Vakuum geschehen sind. Das palästinensische Volk hat 56 Jahre lang unter einer erdrückenden Besatzung gelitten. Es hat miterlebt, wie sein Land immer weiter von Siedlungen verschlungen und von Gewalt geplagt wurde, wie seine Wirtschaft unterdrückt, seine Menschen vertrieben und seine Häuser zerstört wurden. Ihre Hoffnungen auf eine politische Lösung für ihre Notlage haben sich in Luft aufgelöst.

    Aber die Beschwerden des palästinensischen Volkes können die schrecklichen Angriffe der Hamas nicht rechtfertigen. Und diese schrecklichen Angriffe können die kollektive Bestrafung des palästinensischen Volkes nicht rechtfertigen. Auch im Krieg gibt es Regeln. Wir müssen von allen Parteien verlangen, daß sie ihre Verpflichtungen nach dem humanitären Völkerrecht einhalten und respektieren, daß sie bei der Durchführung von Militäroperationen stets darauf achten, die Zivilbevölkerung zu verschonen, daß sie die Krankenhäuser respektieren und schützen.

    Die unerbittliche Bombardierung des Gazastreifens durch die israelischen Streitkräfte, das Ausmaß der zivilen Opfer und die großflächige Zerstörung von Wohnvierteln nehmen weiter zu und sind zutiefst alarmierend…



    Ich bin zutiefst besorgt über die eindeutigen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die wir in Gaza erleben.

    Lassen Sie es mich klar sagen: Keine Partei eines bewaffneten Konflikts steht über dem humanitären Völkerrecht.“ (Quelle: United Nations, Secretary-General)

    Alldem ist nur zuzustimmen., ohne Abstriche.

  • Also im Moment ist jede Verhältnismäßigkeit gewahrt. Israel bekämpft die Hamas im Gazastreifen und verschont die Zivilisten so gut es geht. Das Völkerrecht wird von Israel eingehalten.

    • @Gnutellabrot Merz:

      Bei allem Verständnis.

      Aber woher nehmen Sie diese Erkenntnis? Und bitte sagen Sie jetzt nicht, weil das die Medien so ausgiebig uns allen mitteilen.

      Jemand der (Kriegs) Verbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht, wird das nun auch nicht unbedingt freimütig publizieren.

      Natürlich müssen diese Terroristen bekämpft werden, aber es sollte niemals eine schutz-und wehrlose Allgemeinheit hierfür in eine humanitäre Katastrophe gebracht werden, die zudem schon lang genug unnter den Repressalien der Hamas, aber auch der israelischen Regierung leiden musste,was leider stets in unserer medialen Landschaft einfach zu wenig erwähnt wird.

    • @Gnutellabrot Merz:

      Ist das so?

      "die humanitäre Situation ist katastrophal: Mehr als 6.500 Menschen, davon mehr als 2.700 Kinder, wurden laut dem Hamas-geführten Gesundheitsministerium in Gaza seit dem 7. Oktober getötet, Hunderte dürften unter Trümmern begraben liegen."

      • @Moonlight:

        Und es besteht selbstverständlich überhaupt kein Grund an den Zahlen des "Hamas-geführten Gesundheitsministerium" zu zweifeln... Ironie aus...

        • @DasEndeallerHoffnung:

          UNICEF hält sie ungefähr für glaubwürdig:

          www.faz.net/aktuel...gaza-19266834.html

          Übrigens ist eine Trennung von zivilen und Hamas Zielen in Gaza überhaupt nicht möglich. Dazu wohnen dort zu viele Menschen auf kleinem Raum.

    • @Gnutellabrot Merz:

      5600 toten in Gaza und mit kein Wasser, Strom, Essen Medizin gar nicht, Bomben die ganz Gaza in Trommel lässt. Krankhäuser als militärische Ziel oder Kollateralschäden von israelischen Bomben oder von Hamas es ist egal wer das war 500 Menschen sind tot. Wenn so etwas in Ukraine passiert würde dann würden Deutschland und die globales Norden über Kriegsverbrecher sprechen aber in Gaza...es sin nur Palestine, es sind Menschen zweiter Klasse oder dritte für das Global Norden, und wenn die durch Bomben von Israel sterben sind nur toten es war kein Mord laut alle Medien in global Nord.

    • @Gnutellabrot Merz:

      Bei allem Verständnis.

      Aber woher nehmen Sie diese Erkenntnis? Und bitte sagen Sie jetzt nicht, weil das die Medien so ausgiebig uns allen mitteilen.

      Jemand der (Kriegs) Verbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht, wird das nun auch nicht unbedingt freimütig publizieren.

      Natürlich müssen diese Terroristen bekämpft werden, aber es sollte niemals eine schutz-und wehrlose Allgemeinheit hierfür in eine humanitäre Katastrophe gebracht werden, die zudem schon lang genug unnter den Repressalien der Hamas, aber auch der israelischen Regierung leiden musste,was leider stets in unserer medialen Landschaft einfach zu wenig erwähnt wird.

    • @Gnutellabrot Merz:

      das halten sie für „so gut es geht“?



      „Seit den Terrorangriffen der Hamas in Israel vor gut zwei Wochen starben bei Israels Gegenschlägen nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks allein 2360 Kinder. 5364 weitere seien verletzt worden“ UNICEF nach FAZ



      www.faz.net/aktuel...gaza-19266834.html

  • Es gibt Verbrechen, die so grauenhaft sind, daß man erstmal klar Partei für die Opfer und gegen die Täter ergreifen muß. Dazu gehört der Terrorüberfall der Hamas, bei dem Hunderte von Zivilisten, Männer, Frauen und KInder, Senioren und Babies, ermordert, gefoltert, vergewaltigt und entführt wurden.



    Guterres Äußerungen lassen jede Empathie für die Terroropfer vermissen, sie versuchen, diese Gräueltaten zu relativieren und zu verharmlosen. Das muß man als anständiger Mensch verurteilen.

  • Er hat das gesagt, was gesagt werden musste. Grundlage ist Völkerrecht. Und gerade die UN muss die Einhaltung vehement einfordern, von allen einfordern.