Lage in Gaza: Verschlossener Ausweg

Der Grenzübergang nach Ägypten ist für Palästinenser der einzige Weg, aus Gaza zu fliehen. Doch die ägyptische Regierung ließ ihn diese Woche sperren.

ein beladener Lastwagen fährt auf ener staubigen Straße, im Vordergrund ein Zaum nit Stacheldraht

Der Grenzübergang Rafah im September 2023, jetzt wurde er von Ägypten geschlossen Foto: Ibraheem Abu Mustafa/reuters

KAIRO taz | Für die Bewohner von Gaza ist er der einzige potenzielle Weg nach draußen. Doch weder Menschen noch Waren kommen derzeit über den Grenzübergang in Rafah. Diese Woche wurde der Durchgang zwischen Ägypten und dem Gazastreifen geschlossen – in Folge eines israelischen Luftangriffes in unmittelbarer Umgebung am Montag, dem zwei weitere Luftschläge am Dienstag folgten. Zwei Ägypter und fünf Palästinenser wurden dabei verletzt.

Der relativ kleine Übergang ist der einzige Zugang zum Gazastreifen, der nicht direkt von Israel kontrolliert wird. Er dient seit der israelischen Blockade des Gazastreifens 2007 als Lebensader zwischen Gaza und dem Rest der arabischen Welt. Das gilt besonders, seitdem Israel 2001 den einzigen Flughafen in Gaza, den Yasser Arafat International Airport, zerstört hat.

Doch selbst wenn der Grenzübergang offen ist, fahren die ägyptischen Behörden eine ziemlich restriktive Politik. Außer Palästinensern aus dem Gazastreifen darf niemand den Übergang benutzen, auch Ägypter nicht. Selbst Palästinenser brauchen dazu eine Genehmigung, wenn sie nach Ägypten reisen wollen. Doch diese gibt es nur in Ausnahmefällen, etwa für Geschäftsleute und bei medizinischen Notlagen. Oft waren damit in der Vergangenheit hohe Schmiergelder an die Hamas verbunden.

Die Ägypter haben den Grenzübergang immer nur sporadisch geöffnet, nur an bestimmten Tagen in der Woche, und das auf wenige Stunden begrenzt. Manchmal wurde er auch wochenlang geschlossen, wenngleich es hier in jüngster Vergangenheit Verbesserungen gab. Doch immer wieder haben sich die Palästinenser über das Verhalten des ägyptischen Sicherheitspersonals und das lange Prozedere beschwert.

72 Stunden, um nach Kairo zu gelangen

So berichteten Reisende wegen der Abfertigung an der Grenze und allen Straßencheckpoints im Nordsinai über 72-stündige Odysseen zum Flughafen in Kairo, der eigentlich nur fünf Stunden mit dem Auto entfernt ist. Noch komplizierter konnte sich die Rückreise gestalten, wenn der Grenzübergang über Wochen geschlossen wurde. Denn einen alternativen Weg, etwa eine Wiedereinreise über den von Israel kontrollierten Grenzübergang Erez, gestattet Israel den Palästinensern nicht.

Schon in der Vergangenheit öffneten die Ägypter den Grenzübergang nur sporadisch

Auch die Einfuhr von Waren nach Palästina ist vertrackt. Güter aus Ägypten kamen bisher über den Karem-Abu-Salem-Grenzübergang, der genau an der Stelle liegt, an der die Grenzen zwischen Ägypten, Gaza und Israel zusammentreffen. Auch die UN-Hilfslieferungen fanden ihren Weg nach Gaza über diesen Weg. Dieser wird vollkommen von Israel kontrolliert. Seit mehr als einem Jahrzehnt begrenzt die israelische Regierung die Einfuhr von Waren: So ist der Import von sogenannten Gütern des sogenannten Dual-Use, also Gütern, die auch von Hamas militärisch genutzt werden könnten, seit 2007 verboten. Das gilt beispielsweise für Baumaterial. Nach den Angriffen der Hamas am Wochenende hat Israel eine Totalblockade ausgerufen, die auch Nahrungsmittel, Medikamente und Treibstoff beinhaltet.

Das ist eine Maßnahme, die Ägypten unter Druck setzt. Denn gerade aufgrund der öffentlichen Meinung im Land kann die Regierung in Kairo nicht untätig bleiben, sollte der Gaza­streifen ausgehungert werden. Die Frage der nächsten Tage ist nun, ob über den von Ägypten kontrollierten Grenzübergang nicht doch Waren oder Hilfslieferungen transportiert werden könnten. Gespräche zwischen Ägypten und Jordanien, dort einen Hilfsgüter-Korridor einzurichten, laufen derzeit. Am Dienstag erklärte das jordanische Königshaus, dass man in Abstimmung mit Ägypten Hilfsgüter in den Gazastreifen schicken wolle. Auch Katars Premier- und Außenminister Scheich Muhammad Abdulrahman al-Thani betonte in einem Gespräch mit dem UN-Generalsekretär Antonio Guterres die Notwendigkeit, Hilfsgüter nach Gaza zu schicken.

Jordaniens Angstszenario

Der ägyptische Außenminister Sameh Shoukry sagte, dass sein Land keine Mühen scheue, damit Hilfsgüter trotz der Lage über den Rafah-Grenzübergang in den Gazastreifen gelangen könnten. Mahmud Farid, der Chef des Verbandes des Roten Kreuzes im Nordsinai, erklärte, dass bereits eine größere Zahl von Hilfslieferungen auf der ägyptischen Seite bereit stünden, um über den Grenzübergang gebracht zu werden. Unklar ist, wie sich Israel gegen­über solchen Hilfslieferungen aus Ägypten verhalten würde.

Hinter den Kulissen wird in Ägypten derzeit ein großes Angstszenario debattiert: dass Israel einen großen Teil der Palästinenser aus dem Gazastreifen bei einer Bodenoffensive vertreiben könnte, die dann nach Ägypten fliehen. Ägyptens Präsident Abdel Fatah al-Sisi beschreibt die Lage in Gaza als „extrem gefährlich“ und warnte, dass Ägypten es nicht zulassen werde, dass die Angelegenheit auf Kosten anderer entschieden werde.

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