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Brandmauer bröckelt in ThüringenAfD verhilft CDU zu Steuersenkung

Wie hält es die Thüringer CDU mit der Brandmauer zur AfD? Offenbar flexibel. Die CDU setzte die Senkung der Grunderwerbssteuer durch – dank AfD.

Brandmauer in Erfurt eingebrochen: CDU kriegt Steuersenkung mit AfD und FDP durch Foto: Martin Schutt/dpa

Erfurt dpa/afp | Die Opposition hat in Thüringen erstmals gegen den Willen der rot-rot-grünen Regierung eine Steuersenkung durchgesetzt. Ein Gesetzentwurf der CDU für eine niedrigere Grunderwerbsteuer bekam am Donnerstag im Landtag in Erfurt eine Mehrheit, weil neben der FDP die AfD die entscheidenden Stimmen beisteuerte. Die CDU-Initiative sorgte für scharfe Kritik und für Fragen bei der politischen Konkurrenz, wie es die größte Oppositionsfraktion im Thüringer Landtag mit der Brandmauer zur AfD hält, die in Thüringen als erwiesen rechtsextrem vom Verfassungsschutz eingestuft ist.

Beschlossen wurde mit 46 zu 42 Stimmen eine Senkung der Grunderwerbsteuer. Häuslebauer und Immobilienkäufer müssen danach nur 5,0 statt 6,5 Prozent Steuer zahlen. Der Einnahmeverlust liegt nach Prognosen bei 48 Millionen Euro jährlich.Vertreter der Regierungskoalition von Linken, SPD und Grünen kritisierten die Steuersenkung als „einzigartigen Vorgang“ und „Pakt mit dem Teufel“.

Die CDU gebe der AfD einen Gestaltungsspielraum und Einfluss auf den Landeshaushalt, sagte Linke-Fraktionschef Steffen Dittes. Die CDU fange an, „eine kleine Regierungskoalition in der Opposition unter Einschluss der AfD tatsächlich in Gang zu setzen“.

Linke wollte mit CDU über Alternativen sprechen

Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hatte CDU-Fraktionschef Mario Voigt kurz vor der Abstimmung eingeladen, über Alternativen zur Familienförderung zu reden. Wegen verfassungsrechtlicher Bedenken zu Passagen des CDU-Gesetzes wurde die Landtagssitzung zeitweise unterbrochen. Die Regierung habe seit März Zeit für Vorschläge gehabt, erwiderte Voigt. Die Opposition stimmte gegen die Rücküberweisung des Gesetzes in den Haushaltsausschuss. Finanzministerin Heike Taubert (SPD) sagte, die Regierung behalte sich eine Klage vor dem Verfassungsgericht vor.

Der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz hatte das Agieren der Thüringer CDU-Fraktion vor der Abstimmung verteidigt. „Wir machen das, was wir in den Landtagen wie auch im Deutschen Bundestag diskutieren, nicht von anderen Fraktionen abhängig“, sagte Merz am Donnerstag im „Frühstart“ von RTL/ntv. Eine Zusammenarbeit mit der AfD werde es auf Bundes- und Landesebene nicht geben. „Dabei bleibt es auch.“

Ähnlich argumentierte Voigt, der die Steuersenkung mit Familienförderung beim eigenen Heim und Impulsen für die kriselnde Bauwirtschaft und das Handwerk begründete. „Wir können die Lösung von Problemen nicht davon abhängig machen, dass die falsche Seite mit Zustimmung droht“, hatte er immer wieder gesagt. Auch die eher dem liberalen CDU-Flügel zugerechnete Bundesvize Karin Prien hatte sich in der „Bild“-Zeitung ähnlich geäußert.

Die Mehrheitsverhältnisse im Thüringer Landtag sind schwierig: Die rot-rot-grüne Koalition von Ramelow hat seit Amtsantritt 2020 keine eigene Mehrheit – ihr fehlen vier Stimmen im Parlament. Sie ist bei Entscheidungen stets auf Kompromisse angewiesen – bisher vor allem mit der CDU. 2024 wird ein neuer Landtag in Thüringen gewählt.

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20 Kommentare

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  • Vielen Dank für eure Beiträge. Wir haben die Kommentarfunktion geschlossen. Die Moderation

  • Dass Parteien zu Gunsten des Machterhalts lieber ihre Prinzipien über Bord werfen als aktuelle (und somit künftige) Koalitionspartner zu vergräzten ist ja mittlerweile Usus.

    Dass die thüringen CDU jetzt gar ihr gesamtes moralisches Grundgerüst in den Grund rammt ist neu - aber eben auch nicht verwunderlich.

    Auf der anderen Seite darf man nicht vergessen, dass die AfD viele Positionen auch nur besetzt, um sich als schmackhaftes "Votebait" zu präsentieren.

  • Bin mal gespannt, wann Merz das im Bundestag macht. Von der F.D.P. erwartet man in Hinsicht auf Moral sowieso nichts. Neuwahlen und ein rechtes Erdbeben wären wohl die logischste Konsequenz - und Thüringen wird braun.

  • Aua, aua, die Brandmauer!



    Ein Gespenst geht um,



    Es war einmal "Zentrum"!



    //



    youtu.be/zVVFZBjC5...i=glbWM-8w4ZciPeHa



    //



    deutschlandfunk.de 2008



    "Im Bemühen, die NSDAP zu zähmen, gleichzeitig aber die Demokratie nur halbherzig zu verteidigen, spielte das Zentrum den Feinden der Republik in die Hände. Heute vor 75 Jahren löste sich die deutsche Zentrumspartei auf.

    Von Christian Berndt | 05.07.2008"



    //



    Bei dieser 'geistig-moralischen (Fehl-)Wende' müssten sich viele Ehemalige [Partei-Alumni] "im Grabe umdrehen".



    SIND SIE WIEDER DA?

  • Sinnvoll wäre, in den parlamentarischen Statuten einzubauen, dass im Falle einer amtierenden Minderheits-Regierung Beschlüsse nur unter Beteiligung von mindestens einem Drittel der Stimmen, die die Regierungs-Fraktionen halten, gefällt werden können. Oder mind. der Hälfte des Regierungslagers. Beispiel: die Regierung wird von 42 Abgeordneten getragen, dann müssten immer mind. 14 bzw. mind. 21 Abgeordnete aus Regierungs-Fraktionen zustimmen, damit ein Beschluss gefasst werden kann. Ein Mehrheits-Beschluss allein durch die Mehrheits-Opposition wäre dann nicht möglich.

  • Der letze Satz in Ihrem Bericht ist entscheidend:

    2024 wird ein neuer Landtag in Thüringen gewählt.

    Dann hat diese Dauerhängepartie hoffentlich ein Ende.

  • "Die Regierung habe seit März Zeit für Vorschläge gehabt, erwiderte Voigt. Die Opposition stimmte gegen die Rücküberweisung des Gesetzes in den Haushaltsausschuss. Finanzministerin Heike Taubert (SPD) sagte, die Regierung behalte ich eine Klage vor dem Verfassungsgericht vor."

    Aber wenn die CDU/CSU in der Opposition ist, dann blockiert sie wegen verfassungsrechtlicher Bedenken ein halbes Jahr lang das politische Geschehen, und kommt sich ganz toll vor.

    Die Union ist ein Fall für eine Zurechnungsfähigkeitsprüfung. Aber ich fürchte, die wissen genau, was die da tun.

  • Na also, klappt doch. Ging jetzt doch noch schneller als befürchtet.



    Die CDU und die FDP in Thüringen als Sturmspitze gegen das Brandmäuerchen aus Zunder.



    Dem Herrn Merz wird's gefallen. Hat er doch ohne die womöglich aus dem Bundestag fliegende Regionalpartei CSU keine Chance auf eine demokratische Regierungsbildung,

  • Läuft ja echt super für die afd.

    -Hr Merz faselt was von Brandmauer, die ihm sogleich einstürzt.



    - Hr Scholz glaubt die "schlechte Laune Partei" wird bei der nächsten Bundestagswahl. die gleiche Stimmenanzahl bekommen, wie bei der letzten.



    - und det Verfassungsschutz stuft die afd Thüringen als gesichert Rechtsexttrm ein und sonst passiert: gar nix..

    Wozu haben wir dann eigentlich einen Verfassungsschutz.??

    www.zeit.de/politi...emismus-rechtsruck

  • Die Brandmauer hab ich Merz nie abgenommen, die brennt jetzt und ist und war schon immer viel dünner, als dass sie Schutz geboten hätte, sollte sie nie. Rhetorisch ja, auf die Demkratie jedoch wird sie Stück für Stück einfallen und Teile davon unter sich begraben.

    Ich habe es mir gedacht, als Merz das Interview gab und alles relativierte, was er zuvor sagte, um es dann wieder zu relativieren in die andere Richtung.

    Die CDU bereitet sich darauf vor, mit der AFD Regierungen zu bilden, langsam und stetig. Die kennen nur eine "Moral": Macht. Zumindest in Teilen, die Kemmerichwahl hat es gezeigt!

    • @menschbin:

      Um das zu präzisieren:

      2023 wird das auf unabsehbare Zeit letzte Jahr gewesen sein, in dem "Demokratie" im Sinne der FDGO - oder in *irgendeinem* Sinne - noch von einer Mehrheit der Bevölkerung der BRD unterstützt wird.

      Die Gründe für die Ablehnung sind verschieden. Die meisten, die das aktuelle System ablehnen, sind nicht *anti*demokratisch. Aber einige sind es, und wollen einen Führerstaat, oder zumindest einen postdemokratischen Parlamentarismus wie in Ungarn oder Russlands. Andere wollen eine direkte Demokratie ohne Parteien, oder einen demokratisch verfassten Klimanotstand, usw.



      Und diese Uneinigkeit führt eben dazu, dass *kein* politisches System eine absolute Mehrheit hinter sich hat. Und selbst die *relative* Mehrheit für die FDGO wird nicht mehr lange signifikant größer sein als die für das eine oder andere konkurrierende Modell.

      Das *muss* nix bedeuten. Ein moribundes politisches System kann in ruhigen Zeiten jahrzehntelang still vor sich hinzugrundegehen - das beste Beispiel: DDR.



      Aber es bedeutet, dass in einer Umsturzsituation die Bevölkerung dem Ganzen teilnahmslos zuschauen oder es sogar begrüßen wird, statt wie 1920 aktiven Widerstand zu leisten.

    • @menschbin:

      Herr Merz ist Bundespolitiker, auf Vorgänge im Landtag hat er letztendlich keinen Einfluss. Nur mal so....

    • @menschbin:

      Also aufgrund eines Gesetzes, welches tatsächlich null mit Rassismus, Sexismus oder Faschismus zu tun hat, eine gefallene Brandmauer zu sehen ist schon ein starkes Stück.



      Du kannst doch nicht von einer Partei fordern ihre Politik einzustellen, weil eine andere unliebsame Partei das genauso sieht!

      Und was Kemmerich mit der CDU zu tun hat ist auch nicht erklärbar!

  • Zum Glück hält sich das "Dammbruch"-Gejammere in Grenzen. Auch hier gab es keine Zusammenarbeit mit der AfD, man hat zu einem Thema identisch abgestimmt, mehr nicht. Steuersenkungen sind keine faschistischen Inhalte auch wenn eine Fascho-Partei diesen zustimmt.

  • Sollte Merz es mit der Brandmauer nach rechts ernst meinen, dann müsste hieraus ein Parteiausschlussverfahren für den Thüringer Landesverband folgen.

  • Und welches Problem wurde da mit Zustimmung der falschen Seite gelöst? Senkung der Grunderwerbssteuer ist neoliberale Klientelpolitik.

  • Soll eine Partei von einem guten Vorschlag Abstand nehmen, weil eine falsche Partei dem zustimmen könnte?

  • Die logische Folge für Ramelow wäre das Thüringische Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszurufen. Neben den Regierungsparteien dürfte auch die AfD zustimmen, egal, frei nach Voigt „Wir können die Lösung von Problemen nicht davon abhängig machen, dass die falsche Seite mit Zustimmung droht“

    • @Fritz Lang:

      Verlockend wäre es für Bernd, aber das was gestern geschah ist für ihn viel verlockender, ich halte ihn nicht für so blöd das er für einen kurzfristen Erfolg die im Moment so erfolgreiche Masche opfert. Bernd ist berechnend genug um zu wissen das er den Umweg über den Part als Juniorpartner gehen muss, will er irgendwann mal auf dem Chefsessel platz nehmen.

  • Die "bürgerliche" Rechtsfront steht also.