Linda Zervakis auf der Republica: Im Dienste ihres Kanzlers
Olaf Scholz trat 2022 auf der „Republica“ auf. Eine taz-Recherche zeigt: Die vermeintlich unabhängige Interviewerin hatte er selbst engagiert.
Scholz spricht erst mal lange über den Krieg in der Ukraine und dann über das Internet als „progressiver, demokratisierender Raum“. Danach befragt ihn die Moderatorin Linda Zervakis. „Fangen wir mit einem lockeren Warm-up an!“ Die beiden sitzen auf schwarzen Ledersesseln, vor ihnen eine Plastikkiste als Tisch.
Zervakis ist eine der bekanntesten Journalistinnen in Deutschland, lange war sie das Gesicht der „Tagesschau“, seit 2021 arbeitet sie bei Pro7 vor der Kamera. Im Mai 2021 interviewte sie zusammen mit einem Kollegen Olaf Scholz in einer 45-minütigen Sondersendung. Direkt vor der Bundestagswahl traf sie beim dritten TV-Triell noch einmal auf ihn. Wenn sich nun Menschen Gedanken über mögliche Nachfolger:innen von Anne Will am Sonntagabend machen, fällt auch ihr Name. Auf der Republica sagt Zervakis nun: „Wir versuchen hier ja auch gute Stimmung zu verbreiten.“
Das Medienecho nach dem Auftritt des Bundeskanzlers ist ziemlich kritisch. Die Wirtschaftswoche etwa bezeichnet Scholz’ Worte als „inhaltsleer“. Und ein Autor vom RND stellt fest: „Beim anschließenden Gespräch mit Moderatorin Linda Zervakis wurde Scholz eher geschont.“
Was nicht in den Texten steht, aber eine Erklärung für das zahme Gespräch sein könnte: Scholz hat sich die Interviewerin selbst mitgebracht. Wie taz-Recherchen ergeben, wurde Moderatorin Zervakis vom Kanzleramt ausgesucht und engagiert, nicht vom Veranstalter. Kommuniziert wurde das nicht. Es sollte aussehen wie ein Gespräch mit einer unabhängigen Moderatorin.
Angst vor Peinlichkeiten
Die Geschichte von Scholz’ Auftritt auf der Republica gibt einen bislang unbekannten Einblick, wie der Bundeskanzler sein Bild in der Öffentlichkeit kontrollieren will. Dabei sieht keiner der Beteiligten gut aus. Der Kanzler nicht, weil er oder seine Leute offenbar Angst vor kritischen Fragen haben. Die Republica nicht, weil ihr der Bundeskanzler als Gast wichtiger zu sein scheint als ein kontroverses Gespräch. Und auch die Moderatorin nicht, weil sie ihre Rolle als unabhängige Journalistin verlässt.
Anhand von internen Unterlagen aus dem Kanzleramt, die die taz mit Hilfe des Informationsfreiheitsgesetzes erlangt hat, und Gesprächen mit Insidern lässt sich die PR-Aktion nachzeichnen. Zu einem zentralen Aspekt schweigen das Bundespresseamt, Zervakis und ihr Sender aber eisern: dem Geld.
Im Dezember 2021 schickt Organisator Markus Beckedahl einen Brief an Olaf Scholz: Ob er auf der Republica eine Keynote halten wolle zum „Stand der Digitalisierung in Deutschland“. Man sei auch offen für weitere Formats- oder Themenvorschläge.
Im Kanzleramt diskutieren sie die Anfrage und sehen darin eine Chance. Scholz könne auf „dieser gut besuchten und anerkannten Konferenz“ digitalpolitische Ziele der Bundesregierung präsentieren, so formuliert es Mitte Februar die Leiterin des Referats „Grundsatzfragen der Digitalpolitik“. Allerdings wären die Erwartungen an den Auftritt sehr hoch.
Die Referatsleiterin, die sich selbst „Nerd-in-Chief at Bundeskanzleramt“ nennt, macht sich Sorgen, dass der Auftritt nach hinten losgehen könnte: „Außerdem könnten ggf. unscharfe Formulierungen schnell viral gehen und die Digitalpolitik der gesamte LP (Legislaturperiode, Anm. der Red.) unbeabsichtigt prägen.“ Sie verweist auf das geflügelte Zitat von Angela Merkel: „Das Internet ist für uns alle Neuland.“ Daher würden sie sich das Format – Keynote oder moderiertes Gespräch – gerne offen halten. Am Ende entscheidet sich das Kanzleramt für eine Mischung aus beidem.
Keine Antworten auf zentrale Fragen
Es ist erstmal nicht ungewöhnlich, dass vor Veranstaltungen oder Interviews der Rahmen abgesteckt wird. In diesem Fall geht das aber weit über das Übliche hinaus.
Nach taz-Recherchen war die Bedingung für das Gespräch, dass das Kanzleramt entscheidet, wer Scholz befragt. Und das wurde ziemlich kurzfristig mitgeteilt. Im Organisationsteam der Republica wurde die Sache kontrovers diskutiert: Soll man sich wirklich darauf einlassen, dass der Gast selbst die Moderatorin aussucht und mitbringt? Aber man wollte nicht auf den Kanzlerbesuch verzichten, Scholz schafft Aufmerksamkeit, er ist der erste Bundeskanzler, der die Konferenz besucht. Auf taz-Anfrage schreibt die Sprecherin der Republica: „Eine Ausladung hätte vieles überlagert, auf das wir lange hingearbeitet haben. Wir wollten lieber inhaltliche Schwerpunkte mit vielen anderen Gästen setzen.“
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Am 19. Mai 2022 fragt die zuständige Referentin im Bundeskanzleramt bei Zervakis’ Management an, ob sie das Gespräch auf der Republica moderieren wolle. „Die inhaltliche Vorbereitung mit Ihnen würden wir natürlich eng begleiten“, heißt es in der Mail. Zervakis hat Interesse, ihr Management schickt ein „Angebot“, das Kanzleramt sagt zu. Unklar ist, was Zervakis für die Moderation bekommen hat. Kann Linda Zervakis eine vom Kanzleramt bezahlte Moderation mit ihrer journalistischen Unabhängigkeit vereinbaren und beim nächsten Mal wieder den Kanzler im TV interviewen, als sei nichts gewesen? Und wieso wurde die Sache nicht zumindest transparent kommuniziert?
Zervakis will nicht mit der taz sprechen. Ihr Manager beantwortet die meisten Fragen nicht. Zervakis habe für die Moderation kein Honorar erhalten, schreibt er. Das Bundeskanzleramt habe „lediglich die Frau Zervakis im Zusammenhang mit der Teilnahme entstehenden Kosten erstattet“. Was für Kosten das in welcher Höhe waren, will er nicht sagen. Auch ein Pro7-Sprecher ist kurz angebunden: Linda Zervakis habe das Gespräch auf der Republica ohne Honorar geführt, schreibt er. „Ein solches Interview ist mit unseren journalistischen Werten sehr gut zu vereinbaren.“ Weitere Fragen, unter anderem zur fehlenden Transparenz, ignoriert er.
Was für Kosten sollen das gewesen sein? Zervakis' Reisekosten hat nämlich ihr Sender Pro7 erstattet, wie ihr Anwalt mitteilt. Zervakis’ Management hat der Herausgabe ihres Angebots und der anschließenden Rechnung an das Kanzleramt nicht zugestimmt. Das ist gemäß Informationsfreiheitsgesetz möglich, wenn Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse berührt sind. Im konkreten Fall enthalten laut Bundeskanzleramt die Dokumente „vollständig Informationen, die Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens haben könnten, wenn diese öffentlich bekannt werden“.
„Nur Positives über das Gespräch gehört“
Aber welche Geheimnisse sollte es geben, wenn Zervakis nur übliche Kosten erstattet wurden? Es drängt sich bei all der Geheimniskrämerei der Verdacht auf, dass hier die Bezahlung der Moderatorin vom Bundeskanzleramt als Teil einer großzügigen „Kostenpauschale“ getarnt worden sein könnte.
Das Bundespresseamt beantwortete eine taz-Anfrage von Mittwochvormittag bislang nicht. So bleibt unklar, welche Gelder vom Kanzleramt an Zervakis flossen. Es gibt auch keine Antwort auf die Frage, wie oft Zervakis von der Bundesregierung für Termine gebucht wurde und welche anderen Moderator:innen schon von der Regierung engagiert wurden, ohne dass das kenntlich gemacht wurde.
Es ist nicht unüblich, dass Journalist:innen nebenher Veranstaltungen moderieren. Seit Jahren wird das immer wieder kritisch hinterfragt, insbesondere wenn es sich um öffentlich-rechtliche TV-Moderator:innen handelt. Sie bekommen meist gutes Geld dafür, dass sie durch Firmenevents oder Preisverleihungen führen, das sind schnell vier- bis fünfstellige Beträge pro Tag. Zervakis etwa moderierte, als sie noch Tagesschau-Sprecherin war, den Nationalen Integrationspreis und den Gewerkschaftstag der IG Metall.
Nach dem Republica-Termin, im vergangenen November, führte sie durch die Auftaktveranstaltung der Diskussionsreihe „Deutschland.Einwanderungsland“, organisiert von der Bundesregierung, mit dabei: Bundeskanzler Olaf Scholz. Zuletzt machte Schlagzeilen, dass Julia Stein vom NDR eine Podiumsdiskussion auf dem Bauerntag moderierte und gleichzeitig eine Sendung verantwortete, in der über die Veranstaltung berichtet wurde. Ein Interessenkonflikt – aber zumindest war ihre Rolle bei der Podiumsdiskussion transparent.
Transparenz gab es bei der Republica nicht. Die Konferenz verschweigt zwar nicht, dass sie mit allen möglichen Organisationen und Institutionen kooperiert, darunter auch mehrere Bundesministerien. Auf die Kooperationen wird bei einigen Sessions hingewiesen. Beim Gespräch mit dem Bundeskanzler gab es einen solchen Hinweis im Programm nicht.
Zwei Wochen nach Scholz’ Auftritt auf der Republica schickt eine Mitarbeiterin von Zervakis’ Management per E-Mail eine Rechnung an die „Liebe Franziska“ im Bundeskanzleramt. „Ich habe bisher nur Positives über das Gespräch gehört“, schreibt sie „und hoffe, das ist bei euch ebenfalls der Fall gewesen“.
Gerade wird die nächste Ausgabe der Republica geplant, sie wird Anfang Juni wieder in Berlin stattfinden. Das Motto: „Cash“. In der Ankündigung heißt es: „Auf der re:publica 2023 möchten wir dem Strom des Geldes folgen.“ Ein Auftritt des Bundeskanzlers sei nicht geplant, heißt es vom Veranstalter.
Transparenzhinweis: Der Autor hat 2019 einen Vortrag auf der Republica gehalten. Er bekam dafür kein Geld, aber kostenlosen Eintritt.
Anmerkung der Redaktion, 7.2.2023: Linda Zervakis teilt nach Veröffentlichung des Artikels mit, dass ihr Sender Prosieben ihre Anreise zur Republica (mit dem ICE von München nach Berlin und zurück) bezahlt habe. Am 7.2. schreibt uns die Republica-Sprecherin: „Wir hatten die Übernahme der Reisekosten von Frau Zervakis auf Anfrage ihres Managements zugesagt. Kurz vor der Veranstaltung wurden wir dann jedoch darüber informiert, dass eine Übernahme der Reisekosten doch nicht notwendig sein würde.“ Die ursprüngliche Darstellung der Republica haben wir im Text korrigiert.
In welcher Höhe und wofür das Bundeskanzleramt eine Kostenpauschale an Zervakis gezahlt hat, ist immer noch unklar. Weder das Bundeskanzleramt noch Zervakis, die gegen diesen Text presserechtlich vorgeht, wollen diese Frage beantworten. Die taz hat heute einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Auskunfterteilung gegen das Bundeskanzleramt angebracht.
Anmerkung der Redaktion, 21.2.2023:
Linda Zervakis geht nun nicht mehr presserechtlich gegen diesen Text vor. Ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat sie am 17.02.2023 zurückgenommen. Zuvor hatte die zuständige Pressekammer des Landgerichts Hamburg ihrem Anwalt mitgeteilt, dass bei vorläufiger Würdigung der Antrag keinen Erfolg haben dürfte.
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