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Auf dem Bau: Knochenarbeit für schlechten Lohn Illustration: Eléonore Roedel

Reportage aus dem Rhein-Main-GebietGanz unten im System

Länder, in denen migrantische Arbeiter auf Baustellen prekär beschäftigt werden, müssen boykottiert werden? Am besten fängt man mit Deutschland an.

D ie Männer, die das System am Laufen halten, leben am Rande der Stadt. Abgeschieden, in einem Areal zwischen Bahngleisen und Autobahn, in einem vierstöckigen Betonbau hinter einem Zaun. Wäscheständer hängen vor den Balkonen. Klappstühle stehen vor den Eingängen. Darauf: Männer in Jogginghosen und Flipflops, die meisten um die 30 Jahre alt.

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Mehrere Hundert Arbeiter leben in der Unterkunft im Rhein-Main-Gebiet, genauer soll man es nicht schreiben, sagen sie. Aus Angst vor dem Vermieter. „Șerpărie“, nennen sie das Wohnheim, rumänisch für „Slum“. Ein trauriger Ort. Dabei würde das System ohne Männer wie diese kollabieren. Ohne sie ginge nichts auf dem deutschen Bau.

ausgezeichnete taz

Für diesen Text wurde der taz-Autor Sascha Lübbe für den Deutschen Journalistenpreis 2023 in der Kategorie „Bildung & Arbeit“ nominiert.

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Ein Samstagnachmittag im Oktober. In einem der Zimmer sitzen drei Männer auf ihren Betten. Die Köpfe rasiert, die Schultern breit. Drei kräftige Gestalten in einem viel zu engen Raum. Es riecht nach Essen und Seife. Ein großer Topf Nudeln dampft auf dem Tisch. Einer der Männer hat einen vollen Wäscheständer quer über sein Bett gestellt, sich selbst danebengequetscht. Auf dem Kühlschrank flimmert ein Fernseher, rumänischer Sender, der Ton ist ausgestellt.

„Feierabend“, sagt einer der Männer, fingert eine Bierdose aus einer Plastiktüte und stellt sie auf den Tisch. Er trägt ein blaues T-Shirt und beige Shorts, seine Füße stecken in Badeschlappen. Er bietet einem, wie alle hier, sofort das Du an. Fabiu soll er heißen. Seinen wirklichen Namen will er nicht nennen, aus Angst vor seinem Chef.

Fabiu ist ein sperriger Typ mit kratziger Stimme und herausforderndem Blick. Er arbeitet als Maurer, lebt seit fast zehn Jahren in Deutschland. „Sklaverei“ ist das erste Wort, das ihm einfällt, spricht man ihn auf seine Arbeit hier an. „Scheiße“ das zweite.

„Du wirst nicht so gut bezahlt wie die Deutschen“, sagt er. „Du hast nicht die gleichen Rechte.“

Fabiu wird betrogen, und das gleich mehrfach. Lohnabrechnungen und Stundenzettel, die er vorlegt, belegen das. Dass er nur einen Teil des Lohnes auf sein Konto überwiesen, den Rest bar bekommt, damit kann er noch leben. Er ist 47, denkt nicht an die Rente, hat kein Problem mit Schwarzarbeit. 2.500 Euro bekommt er hier pro Monat im Schnitt, gut 1.500 mehr als in Rumänien.

Was ihn wirklich wurmt: Dass sein Chef ihm und seinen Kollegen kein Urlaubsgeld zahlt. Dass ihm einige seiner alten Chefs keine Arbeitsverträge gegeben und ihn nicht bei der Krankenkasse angemeldet haben – und er jetzt, weil man gesetzlich zur Versicherung verpflichtet ist, 4.000 Euro Schulden bei der Kasse hat. Dass er die jungen Arbeiter auf den Baustellen einweisen muss, Typen um die 18, frisch aus Rumänien, keine Ahnung von nichts. Alles muss er ihnen erklären, sagt Fabiu, und bekommt dafür gerade mal 2 Euro pro Stunde mehr als sie.

Du hast nicht die gleichen Rechte. Jeder nutzt dich aus, wie er kann

Fabiu, 47, Maurer aus Rumänien

Und dann die Stimmung auf dem Bau. Es gab diesen Tag, letztes Jahr im Herbst, da sei seine Geduld am Ende gewesen, sagt Fabiu. Die schwere Arbeit, der ewige Druck, das ewige Hetzen. Er ging einfach heim. Sein Chef behauptete daraufhin, er habe ein Baugerät beschädigt, und weigerte sich, den ausstehenden Lohn zu zahlen. 1.700 Euro. Fabiu wartet darauf, immer noch.

„Auf dem Bau“, sagt er, „jeder nutzt dich aus, wie er kann.“

Deutsche Po­li­ti­ke­r:in­nen verweisen gern auf die prekären Bedingungen, unter denen migrantische Arbeiter auf Baustellen im Ausland beschäftigt sind. Vor allem jetzt, zur Fußball-WM in Katar. Dabei gibt es auch hierzulande gravierende Missstände auf dem Bau. Die Situation ist sicher nicht mit der in Katar vergleichbar, wo die migrantischen Arbeiter vollkommen rechtlos sind, wo ihnen Pässe entzogen werden und wo mehrere Tausend von ihnen gestorben sind. Aber auch auf deutschen Baustellen werden Menschen ausgebeutet. Und das seit Jahren.

Das Baugewerbe in Deutschland galt dabei lange als boomende Branche. Die Nachfrage war groß, die Auftragsbücher der Unternehmen waren voll. Inzwischen ist das Gewerbe aufgrund des Ukrainekriegs und der gestiegenen Materialkosten ins Straucheln geraten. Die Bundesregierung hält an ihrem Ziel, 400.000 Wohnungen pro Jahr zu bauen, aber weiterhin fest. Nur: Wer soll die eigentlich bauen?

191.000 offene Stellen verzeichnete die Baubranche im ersten Quartal dieses Jahres. Dabei hatte der Arbeitskräftemangel den Bau schon vor Jahren erreicht. Und wie in der Pflege und der Landwirtschaft setzte man auch hier früh auf Arbeitskräfte aus dem Ausland.

Zuerst kamen die Polen. Sie haben sich inzwischen „hochgearbeitet“, man findet sie kaum noch im besonders anstrengenden Rohbau, viele arbeiten heute im Innenausbau, installieren Elektrik oder Sanitäranlagen. Dann kamen die Rumänen, heute eine der größten Gruppen auf dem Bau, aber auch Bulgaren, Kroaten und Serben. Inzwischen hat sich der Kreis weiter nach Osten ausgedehnt, außerhalb der EU. Es kommen Arbeiter aus der Türkei, Moldawien, Aserbaidschan und Georgien.

Fast 200.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Ausländer arbeiten heute im deutschen Bauhauptgewerbe. In einigen Berufszweigen, etwa im Hoch-, Aus- und Trockenbau, machen sie gut die Hälfte der Beschäftigten aus. Hinzu kommen diejenigen, die keine Arbeitsverträge haben, die nicht offiziell registriert sind.

Fabiu ist kein Einzelfall. Im deutschen Baugewerbe ist ein krakenartiges Geflecht aus teils kriminellen Firmen entstanden; eine Schattenwelt, in der die Grenze zwischen Legalität und Illegalität verschwimmt. Die taz hat für diesen Artikel mit Gewerkschaftsvertretern, Sozialarbeitern, Arbeitgebern und mehreren osteuropäischen Arbeitern gesprochen. Sie geben Einblicke in ein System, das über Abhängigkeit und Angst funktioniert; ein System, bei dem die Leidtragenden ganz unten stehen.

Was macht das mit diesen Menschen, die ihre Familien zurücklassen, um hier in Deutschland Geld zu verdienen? Die hier moderne Wohnungen bauen, in denen sie nie leben, funkelnde Shopping Malls, die sie nie betreten werden? Die stattdessen zu dritt in Zimmern mit zwanzig Quadratmetern hausen, sich mit neun anderen Männern eine Toilette und eine Küche teilen?

Fabiu lebt seit sechs Jahren in diesem Heim, in diesem Zimmer im Rhein-Main-Gebiet. Bis hierher war es ein weiter Weg, mit vielen Brüchen.

Er beginnt in einem Dorf im Nordosten Rumäniens, eine der ärmsten Regionen des Landes. Die Wende 1989 bedeutete für Fabius Familie eine radikale Zäsur. Der Vater, Verwalter bei einer sozialistischen Genossenschaft, schlug sich fortan als Klempner durch. Die Mutter, Vizebürgermeisterin im Dorf, als Bibliothekarin. Es war ein Abstieg; für sie und die Menschen um sie herum. Das Land taumelte, allein in der Industrie brach die Hälfte der Arbeitsplätze weg.

Anfang der Neunziger setzte dann die erste Migrationswelle ein. Die Menschen gingen nach Israel, in die Türkei, andere bauten Ölförderanlagen im Irak. Später zog es die meisten nach Westeuropa. Wenn er heute zu Besuch in der Heimat ist, sagt Fabiu, sehe er dort keine bekannten Gesichter mehr.

Fabiu selbst hielt länger durch. Er hatte eine Ausbildung als Maurer gemacht, fand immer noch Jobs auf Baustellen. 2013 aber, die Folgen der Finanzkrise hatten Rumänien schwer gezeichnet, sah auch er keine Zukunft mehr im Land. 100 Euro zahlte er einem rumänischen Vermittler, der brachte ihn nach Deutschland. Seitdem hat er Wohnkomplexe in Frankfurt, Berlin und Stuttgart gebaut.

Inzwischen arbeitet er auf einer Großbaustelle. Fundamente betonieren, Wände hochziehen. Schwere körperliche Arbeit. Zehn Stunden pro Tag, samstags nochmal mindestens fünf. Ein Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz, mehr als acht Stunden pro Tag müssten in der Regel innerhalb von sechs Monaten ausgeglichen werden. Fabiu kennt das Gesetz nicht. Alle Kollegen würden so viel arbeiten, sagt er. „Normal.“

Fabius Alltag hier besteht aus Arbeit, dann kommt lange nichts. Weil der Bau kaum Zeit und Energie für anderes lässt. Nach Feierabend nochmal kurz zu Penny, dann Brötchen für den nächsten Tag schmieren, duschen, halb zehn ins Bett.

Über die Deutschen sagt er: „Ich komme mit denen in Berührung. Aber ich trinke kein Bier mit ihnen.“

Man bleibt unter sich. Es ist einer der Gründe, warum Fabiu in diesem Heim, in diesem Zimmer lebt. 330 Euro zahle er dafür, sagt er, 600 wären es für eine Einraumwohnung in der Stadt. Viel Geld. Und er wäre dann auf sich gestellt, abgeschnitten von seiner Community.

Hier aber teilt er sich das Zimmer mit zwei Männern, die kommen aus demselben Ort wie er, arbeiten für dieselbe Firma. Und wenn man doch mal Ärger mit dem Chef hat, sagt Fabiu, muss man nur in die „Kneipe“ gehen, sich umhören. „Zwei, drei Tage und man hat einen neuen Job.“

wochentaz

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Die „Kneipe“, das ist der Mittelpunkt des Lagers, ein kleiner Laden am Kopf des Areals. Wodka- und Kornflaschen stehen hinter der Kasse im Regal. Es gibt Wein und Bier, Käse, Wurst und Konservendosen. Vor dem Laden steht ein langer Tisch mit einer Bank, der Kneipenbereich.

Inzwischen ist es Sonntag, später Nachmittag. Aus einer Boombox schallt rumänischer Pop. Die Box gehört einem betrunkenen Mann Mitte 40, er sitzt auf der Bank vor dem Laden, steht immer wieder auf, um mitzusingen.

Fabiu sitzt mit zwei anderen Arbeitern ein paar Meter weiter, an einem anderen Tisch, vor ihnen leere Bierflaschen. Fabiu nippt an einer Flasche Korn. Er trägt dasselbe Shirt wie gestern, sein Gesicht ist gerötet, die Stimme schwer.

Immer wieder kommen Männer vorbei, grüßen kurz, man gibt sich die Hand. Einige haben Angelruten dabei, andere kommen vom Pilzesammeln im Park. Der Umgang ist freundlich, fast herzlich. Der unbeschwerte Eindruck täuscht leicht darüber hinweg: Es ist eine Parade tragischer Biografien.

Da ist der 34-Jährige mit dem kantigen Gesicht. Aufgewachsen in einem rumänischen Waisenhaus. Hier in Deutschland hat jemand seinen Ausweis geklaut, eröffnete eine Baufirma damit, schloss 20 Handyverträge ab. Jetzt hat der Mann 10.000 Euro Schulden.

Da ist der 62-Jährige mit dem Rollator. Mit 22 verließ er Rumänien, arbeitete in der Sowjetunion, in Israel und Ägypten. Seit 15 Jahren ist er in Deutschland, arbeitete für etwa 20 Firmen. Meistens zehn Stunden pro Tag, offiziell war er immer nur vier angestellt. Jetzt ist er krank, keiner will ihn mehr. Er bekommt Arbeitslosengeld II. Demnächst wird er in Frührente gehen.

Da ist der 32-jährige Eisenflechter. Drei Bandscheibenvorfälle hatte er. Drei Mal sagte sein Chef, er solle beim Arzt nicht sagen, dass es ein Arbeitsunfall war. Drei Mal bekam er kein Krankengeld, niemand kümmerte sich. „Ich verstehe, dass wir Söldner sind“, sagt der Mann. „Aber im Krieg lässt man doch auch keine Verletzten zurück.“

Ich verstehe, dass wir Söldner sind. Aber im Krieg lässt man keine Verletzten zurück

Eisenflechter mit Bandscheibenvorfall, 32

Fragt man diese Männer, warum sie sich das antun, fremd in diesem Land, unter Deutschen und doch isoliert, mit schlechterer Arbeit und viel mieser bezahlt, ist die Antwort immer dieselbe: Die Kinder sollen es einmal besser haben als sie. Sie sollen studieren, sich ein Leben aufbauen in der Heimat.

Auch Fabiu hat Familie. Einen Sohn, eine Tochter, 16 und 15 Jahre alt. Sie sind zu Hause bei der Mutter, die als Verkäuferin in einem Kiosk arbeitet. 300 Euro verdiene sie dabei, sagt er; wenig, selbst für rumänische Verhältnisse. Sie telefonieren täglich. Zwei Mal im Jahr besucht er sie, meist für vier Wochen. Und er schickt Geld, 1.500 Euro pro Monat. Damit bezahlen sie unter anderem das Internat der Kinder.

Wie seine Frau das findet, sie mit den Kindern in Rumänien und er hier? Sie sei froh, wenn er zwischendurch zu Hause ist, sagt Fabiu. Und traurig, wenn er wieder geht. Aber sie könne es verstehen. „Gute Frau“, sagt er. „Herz am selben Fleck wie ich.“

Plötzlich wird es laut vor der Kneipe, eine Flasche zerbricht. Der Betrunkene mit der Boombox ist schwankend aufgestanden, vor ihm steht ein Mann in schwarzem T-Shirt, größer und kräftiger als er. Der Mann schreit den Betrunkenen an, dann schlägt er zu, der Betrunkene geht zu Boden. Der Mann in schwarz dreht sich um, kommt auf Fabius Tisch zugelaufen, er greift zwei Bierflaschen, schlägt sie routiniert gegeneinander, als habe er das schon unzählige Male getan, um mit den abgebrochenen Flaschenhälsen wieder auf den Betrunkenen loszugehen. Ein paar Männer gehen dazwischen. Es gelingt ihnen, ihn abzudrängen.

Szenen wie diese seien hier die Ausnahme, erklären Fabiu und die anderen ruhig. In der Regel seien die Menschen von der Arbeit zu erschöpft, um aufeinander loszugehen. Diese Woche aber habe es geregnet, die Männer mussten zeitweilig zu Hause bleiben.

Müde von der Arbeit: Am Abend bleibt nur ein Bier Illustration: Eléonore Roedel

Es ist eine raue Welt; eine, in der man sich behaupten muss, um nicht unterzugehen. Sei es im Wohnheim oder auch bei der Arbeit, im Umgang mit den Chefs. 300 Euro Energiekostenpauschale stehen Fabiu als Arbeiter zu, 250 hat er von seinem Chef bekommen. Immerhin. Aber auch nur, weil er gefragt hat. „Du musst ein bisschen Deutsch verstehen, bisschen aggressiv sprechen“, sagt Fabiu, „sonst kriegst du von denen gar nichts.“

In einem türkischen Café, keine zehn Minuten von Fabius Arbeiterheim entfernt, sitzt so ein Mann, der manchmal gar nichts kriegt. Einer, dem Fabius Durchsetzungskraft fehlt. Über den sie hier sagen: „Alle werden betrogen. Aber wenn du wie er bist, betrügt man dich noch mehr.“

Adrian. 49 Jahre alt, vom Leben gebeugte Schultern, runder Kopf, die Augen wässrig-grün. Auch er kommt aus Rumänien. Auch er heißt eigentlich anders.

Auch Adrian lebte lange in dem Heim. Im Frühjahr flog er raus. Die Nachbarn hätten zu laut Musik gehört, sagt er, und hätten es ihm in die Schuhe geschoben. Adrian sei im Vollsuff ins falsche Zimmer gelaufen, sagen ehemalige Kollegen, der Hausmeister wollte ihn raushaben.

Und Adrian wollte keinen Ärger. Er schlief zunächst in dem kleinen Gärtchen am Bahnhof, inzwischen übernachtet er in einer Notunterkunft. Er hatte vorher schon ein Alkoholproblem, auf der Straße fing er an, exzessiv zu trinken. Wenn Adrian von seinem Leben erzählt, verheddert er sich oft in den Jahren. In seiner Erzählung tauchen auf: das Ingenieursstudium in seiner Heimatstadt Suceava, seine Zeit als Taxifahrer. Die Zeit im Westen: Küchenhilfe in Italien, Erntehelfer in Niedersachsen, dann tingelte er mit einem Zirkus durch Deutschland, ein Foto auf seinem Handy zeigt ihn lächelnd vor zwei Kamelen. Über einen rumänischen Bekannten landete er schließlich auf dem Bau.

Wie um sich selbst zu vergewissern, zieht er einen Ordner mit Plastikfolien aus seinem Rucksack, sein Anker, der Beweis, dass es wirklich ein Leben gab vor seinem jetzigen. Eine Kopie seines Abschlusszeugnisses ist darin, und die Geburtsurkunde seiner Tochter.

Fragt man Adrian nach einem Bild von ihr, muss er mit seinem Handy auf ihre Facebook-Seite gehen. Eine Frau um die 18, sie sieht ein bisschen aus wie Scarlett Johansson. Ein eigenes Bild hat er nicht. Ein zweites Foto auf ihrem Profil zeigt sie vor einem Haus. „Mein Haus“, sagt Adrian. Jetzt wohnen die Tochter, seine Ex-Frau und ihr neuer Mann darin. Der Mann hat inzwischen ein Kind mit der Frau. Und will nicht, dass Adrian Kontakt zu seiner Tochter hat. Adrian wiederum will keinen Ärger und akzeptiert es.

Adrians Geschichte ist die Geschichte eines Mannes, der für seine Familie ins Ausland ging. Und sie dabei verlor. Der studiert hatte und ohne handwerkliche Ausbildung in das Baumetier hineingerutscht ist. Ein Mann im falschen Leben.

Sein letzter Chef schuldet ihm noch Geld. Einen Stundenlohn von 12 Euro hatten sie mündlich abgemacht, sagt Adrian. Teilt man das Geld, das er bekommen hat, durch die Anzahl der geleisteten Stunden, kommt man auf einen Stundenlohn von 6,40 Euro. Lohnabrechnungen des ehemaligen Arbeitgebers und ausgefüllte Stundenzettel belegen das.

Warum er nichts gesagt hat? Er habe gehofft, dass das restliche Geld noch kommt, sagt Adrian. Und hatte Angst, dass er gar nichts kriegt, wenn er den Mund aufmacht: „Ich will keinen Ärger“, sagt Adrian. „Ich bin ja fremd in diesem Land.“

Der deutsche Bau ist kein rechtsfreier Raum. Es gibt den gesetzlichen Mindestlohn von 12 Euro, er gilt, seitdem der Branchenmindestlohn Ende letzten Jahres auslief. Und es gibt das Arbeitszeitgesetz, es regelt, wie lange jemand arbeiten darf.

Und doch arbeiten hier Männer wie Fabiu und Adrian, die ständig Überstunden machen. Die schwarz beziehungsweise nur teilweise ausbezahlt werden. Mitunter auch Männer, deren Wohnsituation vom Wohlwollen ihrer Chefs abhängt. Die beschaffen oftmals nämlich auch Zimmer für ihre Arbeiter, weil diese sich nicht auf dem Wohnungsmarkt auskennen. Wer sich dann beschwert, riskiert, nicht nur den Job, sondern auch das Dach über dem Kopf zu verlieren. Viele bleiben da lieber still.

Man kann sich das System Bau dabei wie eine Pyramide vorstellen. Ganz unten stehen die Arbeiter. Darüber kommen die sogenannten Subunternehmen. Baufirmen, meist mit Sitz in Deutschland, die häufig von Menschen mit türkischem oder serbischem Migrationshintergrund geführt werden. Sie sind es, die die Löhne schwarz oder auch gar nicht zahlen. Sie sind es, die unbequemen Arbeitern mitunter drohen, sie aus den Wohnungen zu werfen. Der Zoll spricht von einer Form der organisierten Kriminalität, mit einem Schwerpunkt im Rhein-Main-Gebiet.

Es ist schwer, an diese Menschen heranzukommen. Die Arbeiter wollen keine Namen nennen. Selbst Sozialarbeiter:innen, die die Arbeiter betreuen und regelmäßig mit den Firmen zu tun haben, wollen lieber keinen Kontakt herstellen.

Doch es gibt noch einen anderen Weg, sich den höheren Ebenen des Systems zu nähern. Damit das System Bau durchgängig läuft, braucht es Menschen, die es mit Nachschub versorgen, mit neuen Arbeitskräften. Menschen wie Sorin.

Sorin ist ein rundlicher Mann Anfang 50 mit hellen blauen Augen, die freundlich schauen, einen aber aufmerksam taxieren. Sein Deutsch ist deutlich besser als das der Bauarbeiter. Er stimmt einem Treffen nur unter der Bedingung zu, anonym zu bleiben, auch er heißt eigentlich anders. Wir treffen uns in einem Café am Frankfurter Hauptbahnhof.

Auch Sorin stammt aus Rumänien, 1991 ging er nach Deutschland. Weil er mit seiner Ausbildung als Glasbläser hier nicht weit kam, heuerte er auf dem Bau als Maurer an, arbeitete für verschiedene Firmen überall im Land. 2015 wurde er Personaler bei einem großen Subunternehmen, seitdem besorgt er Dokumente für die Arbeiter, hilft bei Anmeldungen auf dem Amt.

Doch Sorin hat noch einen anderen Job. Weil er schon so lange in Deutschland lebt, viele Leute kennt, fährt er nach Feierabend manchmal mit seinem BMW vor die Arbeiterheime, auch vor das von Fabiu. Er spricht dort mit den Menschen, die noch nicht lange im Land sind, die kein Wort Deutsch sprechen; Menschen, die nicht gut genug vernetzt sind, um allein Fuß zu fassen in dem Metier.

Er bringt sie dann mit den richtigen Männern in Kontakt. Mit Subunternehmen, die neue Arbeiter suchen. Ein „Vermittler“, auch wenn er dieses Wort nicht mag. Der Frage, für wie viele Firmen er das macht, weicht er aus.

Wie er das sieht, Menschen in ein System zu schleusen, von dem man weiß, dass sie dort betrogen werden? Sorin lässt einen auflaufen. Er würde nur an Firmen vermitteln, die ihre Arbeiter korrekt auszahlen, sagt er. Und dass er für die Vermittlung kein Geld nehme. Beides kann man getrost bezweifeln.

Dann sagt er: „Die Subunternehmen haben keine andere Wahl, als ihre Arbeiter zu betrügen.“ Und spricht von mafiaartigen Strukturen, bei denen das meiste Geld ganz oben in der Pyramide sitzt. Bei den deutschen Generalunternehmen: Renommierte deutsche Firmen, oftmals Familienunternehmen.

Sie sind es, die bei Ausschreibungen miteinander konkurrieren, auch bei denen der öffentlichen Hand. Um dabei ein möglichst günstiges Angebot abgeben zu können, gliedern viele die Arbeiten an günstige Subunternehmen aus – und entledigen sich damit auch ein stückweit der Verantwortung. Betrug, ungemeldete Arbeitsunfälle, falsch erfasste Arbeitszeiten – all das fällt in den Bereich der Subunternehmen. Die Generalunternehmen haften nur für den Mindestlohn.

Dass einige Generalunternehmen auch dabei nur widerwillig ihrer Verantwortung nachkommen, zeigt der „Fall Medusa“ vom Juni dieses Jahres, eine der größten Razzien der letzten Zeit. Im Zentrum stand ein Geflecht aus drei Subunternehmen aus dem Main-Taunus-Kreis. Sechs Hauptverdächtige wurden festgenommen. Der Vorwurf lautete auf Steuerhinterziehung und Betrug. Die Subunternehmen verloren ihren Auftrag. Über 150 Arbeiter wurden dadurch arbeitslos. Viele warten noch auf ihren ausstehenden Lohn.

Die Generalunternehmen haften auch in diesen Fällen für die Zahlung des Mindestlohns. Sieben Firmen waren in dem vorliegenden Fall als Auftraggeber involviert. Fünf von ihnen hätten die ausstehenden Löhne relativ zeitnah bezahlt oder eine entsprechende Bereitschaft signalisiert, heißt es bei der Gewerkschaft IG Bauen-Agrar-Umwelt. Zwei hätten sich lange geweigert, darunter das Unternehmen Brömer & Sohn GmbH, ein Familienunternehmen aus Wiesbaden.

Die taz hat mit einem rumänischen Arbeiter gesprochen, der für den ­verhafteten Subunternehmer ­tätig war. Der Mann sagt, der Geschäfts­führer von Brömer und dessen Vater seien eine Woche nach den Ver­haftungen auf die Baustelle gekommen, hätten sich aber geweigert, die fehlenden Löhne zu ­zahlen. Ihre Begründung: Sie ­hätten das Geld bereits an den Subunternehmer gezahlt. Für die IG BAU kein Argument: Es entbinde Brömer nicht von der Generalunternehmerhaftung nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz.

Die Gewerkschaft vertritt nach eigenen Angaben zehn Arbeiter, die über die verhafteten Subunternehmer für Brömer tätig waren. Bei drei von ihnen sei Brömer jetzt – vier Monate nach der Verhaftung – bereit, die ausstehenden Löhne zu zahlen, sagt ein Gewerkschaftsvertreter. Darunter ist auch der Arbeiter, mit dem die taz gesprochen hat. Bei den restlichen sieben habe die Firma zugesagt, zu prüfen, ob die Männer wirklich auf der Baustelle tätig waren.

Die Firma Brömer selbst will sich auf Nachfrage nicht zu dem Vorgang äußern, verweist aber auf den Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbands Hessen-Thüringen, Burkhard Siebert.

Siebert wiederum sagt, viele der von der Gewerkschaft vertretenen rumänischen Arbeiter habe der zuständige Polier von Brömer nie auf der Baustelle gesehen. Der Sachverhalt müsse „sorgfältig aufgeklärt werden“. Die Gewerkschaft widerspricht: Alle Männer seien dort tätig gewesen.

Sieberts Verband, der Bauindustrieverband Hessen-Thüringen, ist ein Zusammenschluss mittelständischer und großer Unternehmen der Bauindustrie, der sich als „Stimme der Branche“ versteht. Auch Siebert sieht ein Problem im System Bau. Für ihn liegt es allerdings in der Auftragsvergabe. Gerade bei öffentlichen Ausschreibungen bekomme fast immer der Anbieter mit dem billigsten Angebot den Zuschlag, sagt er. Häufig müssten Arbeiten dann an Subunternehmer vergeben werden, sonst sei man „nicht wettbewerbsfähig“. „Wenn die Politik hier etwas ändern will“, sagt Siebert, „muss das Vergabesystem reformiert werden.“ Die Vorgabe „billig, billig, billig“ sei das Problem.

Kostendruck und eine auf Dumping ausgelegte Vergabepraxis sind eine Erklärung, warum sich das System Bau in seiner Form so lange hält. Eine andere sind fehlende Kontrollen. Alle Arbeiter, mit denen die taz für diesen Artikel gesprochen hat, werden schwarz bezahlt. Aber: Kaum einer hat je eine Kontrolle auf einer Baustelle erlebt. Gewerkschaftsvertreter, mit denen man über das Thema spricht, bestätigen die Tendenz. Der Grund: Die zuständige Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls kommt mit der Arbeit nicht hinterher. Das liegt an fehlenden Arbeitskräften: Die Zahl der Personalstellen wurde zwar erhöht, derzeit sind es knapp 10.200, tatsächlich besetzt sind allerdings nur 8.500 Stellen. Die Gewerkschaft der Polizei, Bezirksgruppe Zoll, bemängelt aber auch chaotische Strukturen innerhalb der Behörde. Die Rede ist von einer wahren „Patchwork-Struktur“, von Einsatzbereichen, die nicht richtig zusammenarbeiten würden.

Es gibt in dieser Geschichte aber auch Institutionen, die für Verbesserungen kämpfen, die den einzelnen Bauarbeitern helfen. Da ist die Gewerkschaft. Da ist das Peco-Institut, ein gewerkschaftsnaher Bildungsverein, der die Kontakte zu den Männern hergestellt hat. Da sind aber auch die verschiedenen Beratungsstellen im Land, oftmals an Gewerkschaften angebunden, die sich für die Rechte osteuropäischer Arbeitskräfte einsetzen.

In einem Büro in der Nähe des ­Frankfurter Hauptbahnhofs sitzt ein Mann hinter einem gewaltigen Schreibtisch. 33 Jahre alt, schmale Statur, freund­liche, zugewandte Art. Anel Crnovrsanin ist Jurist und Berater bei einer dieser Organisationen, dem ­Europäischen Verein für Wander­arbeiterfragen.

Auch wenn er es lieber anders hätte: In sein Büro kommen die Menschen meist erst, wenn sie schon in der „Scheiße stecken“, wie er es nennt. Wenn sie über Monate keinen Lohn bekommen haben oder der Chef sie auf die Straße gesetzt hat. Die Geschädigten arbeiten auf dem Bau, aber auch in der Gebäudereinigung, Gastronomie, Pflege und Logistik.

Anel Crnovrsanin setzt sich dann mit ihnen hin, formuliert eine Zahlungsaufforderung an den Arbeitgeber, meist ein Subunternehmen. Da viele von denen allerdings die Angewohnheit hätten, Briefe zu ignorieren, greife er inzwischen häufiger zum Telefon, rufe die Firmen an. „Zähne zeigen“ nennt er das.

Viele Firmen hätten im ersten Augenblick Schwierigkeiten, ihn einzuordnen, sagt er. Dann aber würden die meisten verstehen: Sie haben ein Problem. „Wenn sich ein Arbeiter beschwert, fürchten sie, dass sich das bei den Kollegen herumspricht“, sagt Crnovrsanin. Andere hätten Angst, dass sie vor Gericht müssen oder Ärger mit dem Zoll bekommen.

Etwa die Hälfte der Subunternehmen zahle an diesem Punkt, sagt er. Bei der anderen Hälfte schalte er die Generalunternehmen ein. Stellen auch die sich quer, sei sein Spielraum ausgeschöpft. Dann bleibe den Geschädigten nur der Gang vors Gericht.

Die Zustände auf dem Bau und im Mindestlohnbereich sind lange bekannt. Crnovrsanin glaubt, über kurz oder lang würden sie zum Problem: „Deutschland wird als Standort zunehmend unattraktiv“, sagt er. Spricht man mit den Arbeitern, hört man schon jetzt häufiger Geschichten von Menschen, die in ihre Heimat zurückgehen. Weil in vielen osteuropäischen Ländern, darunter Rumänien, die Löhne steigen, vor allem in den großen Städten. Einige erzählen auch von Verwandten, die zu Hause geblieben sind, eine Existenz in der Land­wirtschaft aufgebaut haben – und denen es jetzt besser geht als den Arbeitern hier.

Deutschland wird als Standort zunehmend unattraktiv

Anel Crnovrsanin, Europäischer Verein für Wanderarbeiterfragen

Fabiu sagt, er würde gern für ein deutsches Generalunternehmen arbeiten, aber die würden keine Ausländer einstellen. Vergangenes Jahr war er für drei Monate in Rumänien, mit zwei Kollegen hat er zwei Häuser gebaut. 7.000 Euro bekam er dafür, arbeitete allerdings auch 12 Stunden am Tag. Wenn es diese Jobs regelmäßiger gäbe, sagt Fabiu, würde er zurückgehen, „gleich morgen“.

Vor ein paar Jahren hat er ein altes Haus gekauft, bei sich im Dorf, es wird zurzeit restauriert. Ob er die Bauarbeiter richtig bezahlt? Fabiu zögert. „Nicht immer.“ Er hat in Deutschland so viele Maschen gesehen, andere abzuzocken. Wenn er in der Heimat ist, probiert er es auch.

Sascha Lübbe, 43, ist Reporter der wochentaz. Am meisten beeindruckt haben ihn die Offenheit der Arbeiter und ihr freundschaftlicher Umgang miteinander.

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26 Kommentare

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  • Tja, im Untertitel steht, was mir zuerst durch den Kopf kam. Erst mal vor der eignen Tür kehren. Das Ist ein altes Dilemma und tief im System verwurzelt.



    Ist es nicht so, das "oben" zu viel ankommt und "unten" nichts mehr verbleibt? Natürlich muss man auch die individuellen Bedingungen betrachten.



    Man müsste sehr weit ausholen-geht hier nicht.



    Nicht ok ist, das der Rumäne in seinem Land seine Arbeiter auch nicht korrekt entlohnt. Immerhin gibt er es zu.



    An den Artikel anschließen könnte man jetzt noch mit dem tollen Bergriff "Mindestlohn" und wie er umgangen wird.

  • Als Passant gewinnt man ganz regelmäßig (nicht nur) den Eindruck, daß gerade auf Baustellen des deutschen Staates, auf Baustellen der Länder, auf Baustellen der Regierungsbezirke, auf Baustellen der Landkreise, auf Baustellen der Gemeinden ausschließlich versklavte Polen, Bulgaren und Rumänen die schere Arbeit dort verrichten müssen. Der Staat und alle nachgeordneten Hierarchien sollten doch ein Vorbild sein in Sachen Gerechtigkeit der Löhne und Menschenrechte. Ist er aber nicht und deutet in seiner häßlich-deutschen Doppelmoral auf die Kataris und anderswo hin.

  • Diese Zustände gibt es vielerorts in Deutschland. Osteuropa ist seit Langem die industrielle Reservearmee der EU-Kernländer. Arbeitnehmer*innenfreizügigkeit hat zwar die Grenzen zum Glück auch für Menschen durchlässiger gemacht. Aber die Menschen aus Rumänien, Bulgarien etc. seither gezwungen, sich zur Versorgung ihrer Familien permanent im Ausland ausbeuten zu lassen. Kernbereiche unserer Gesellschaft wie Nahrungsmittelerzeugung, Bau oder Pflege basieren dank des Profitzwangs auf immer fortgesetzter Ausbeutung, "Arbeitsschutzkontrollgesetz", "Pflege-Personal-Stärkungs-Gesetz" usw. hin oder her. Damit stellen wir die Grundfpfeiler unserer Gesellschaft auf extrem prekäre Füße. Und gleichzeitig entziehen wir den benannten Ländern die wichtigste Altergruppe an Arbeitskräften und fluten zugleich ihre Märkte mit Billigprodukten aus Deutschland. Damit gehen dann auch dort die letzten Landwirte krachen.

    In Weißenfels steht z.B. der größte Schlachthof Osttdeutschlands. Betreiber: Tönnies. Wer wissen will, was dort in der ostdeutschen Peripherie mit Rumän*innen und Bulgar*innen gemacht werden kann und wieviele der theoretisch bestehenden Schutzrechte für Arbeiter*innen dort durchgesetzt werden können, kann ja mal Urlaub im Burgenlandkreis machen. Wem Weißenfels dann irgendwann zu düster oder die Schlachthof-Luft zu schlecht ist, kann sich ja im nahegelegenen Saale-Unstrut-Gebiet erholen. Ach nee - wer erntet da nochmal die Trauben für Rotkäppchen...?

    • @Basisgewerkschafter Ost:

      Absolut richtige Analyse, in die zudem konkrete Beobachtungen mit eingeflossen sind. Ergänzen würde ich noch, daß wir hierzulande eine Massenarbeitslosigkeit haben und arbeitswillige Mitbürger gar keine Chance haben zum Zug zu kommen, weil die ja ein paar Euro "teurer" sind als die osteuropäischen Sklaven. Dabei würde der Staat aber mindestens zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Er sparte sich das ALG I oder II und könnte sich damit brüsten, daß er die Menschenrechte einhält!! Das genau tut er aber nicht.

  • ist mir als hätte ich den Artikel vor 30 Jahren schon gelesen :))



    Damals waren die Ausschreibungen nicht billig-billiger, dafür der Gewinn der Menschenhändler größer.



    Wer damals erwischt wurde verlor sein Geschäft, das er am nächsten Tag mit neuem Namen wieder eröfnete, und die Arbeiter bekamen nichts. Heute ist zumindest der GU dafür zuständig. Bei lächerlichen Strafen und horrenden Gewinnen ist es eine Einladung zum Menschenhandel und deren Ausbeutung. Es ist für diese Leute viel besser als vor 3 Jahrzehnten. Wie es im Artikel angedeutet wird, wer die Sprache in einem fremden Land nicht spricht, deren Gesetze nicht kennt, der wird betrogen. So ist der Mensch auf der ganzen Welt

  • 6G
    652259 (Profil gelöscht)

    Hallo,



    danke für diesen guten Artikel.



    Es stimmt:es ist leicht,auf andere Länder und andere Kulturen zu zeigen,dabei aber nicht sehen zu wollen,wie fremde Menschen (Ausländer) hier behandelt werden.Dr...Kapitalismus

    • 6G
      652797 (Profil gelöscht)
      @652259 (Profil gelöscht):

      Ja der höllische Kapitalismus, zum Glück herrscht der nicht überall auf der Welt. Andere Systeme behandeln ihre Bürger oder Ausländer besser. Wer kennt sie nicht die Vorreiter für Arbeitsschutz aus China, Russland, Venezuela, Nicaragua, Indonesien oder irgendeinem Afrikanischen Land.



      Die machen alles richtig.



      Der Kapitalismus und der Westen sind nicht perfekt, da stimme ich zu. Dieses ständige "der Kapitalismus ist böse" ist einfach nur noch lächerlich.

      • @652797 (Profil gelöscht):

        Dass es anderswo noch schlimmer ist, bedeutet ja längst noch nicht, dass man die hiesigen Missstände billigen oder auf Dauer stellen muss. Wo hätte man denn schon mal Kapitalismus ohne Ausbeutung gesehen? Und was spricht eigentlich dagegen sich eine Gesellschaft und ein Wirtschaftssystem ohne Ausbeutung zum Ziel zu setzen (ganz unabhängig davon ob man es dann Kapitalismus, Kommunismus oder sonstwie nennt) ?

  • Die ach so tolle 1-LOVE Binde umwidmen!

    Für Unterhosen aus Bangladesch haben ein Lieferketten-Gesetz.







    Das Haftstrafen für Generalunternehmer und Subunternehmer!

    • @jeggert:

      Riecht das Toast?

  • Immer wieder gibt es Razzien des Zolls, aber das ganze System läuft wie geschmiert weiter.

    Im Jahr 2018 kam sogar der Verdacht auf, dass staatliche Gesetze in Bulgarien und Rumänien frisiert wurden, um Sozialdumping bei Arbeitern, die in Westeuropa arbeiten, zu ermöglichen.



    In Österreich gab es 2018 bei der Hälfte der 1400 ausländischen geprüften Unternehmen den Verdacht auf Unterentlohung.

    www.derstandard.de...olzarbeiterbranche

    Geschätzt rund 50.000 rumänische Bauarbeiter arbeiten zurzeit auf deutschen Baustellen – häufig ohne den Schutz von Tarifverträgen.

    Auf einer aktuellen großen Baustelle in einer deutschen Großstadt stammt die gesamte Belegschaft aus Polen und Serbo-Kroatien, sehr nette Menschen, die in eine Anhängigkeit der sie vermittelnden Agentur geraten sind, weil sie kein Wort Deutsch oder Englisch sprechen.

    Finanzministerium, Arbeitsministerium, Zoll, Polizei, Staatsanwaltschaften, Arbeitsagentur, Finanzamt versagen, denn sie sind seit Jahren nicht in der Lage - oder Willens, den flächendeckenden mafiösen Sumpf aus Subunternehmen und Arbeitnehmerüberlassungen aus Osteuropa in der Bauindustrie auszutrocknen.

    Insofern wäre es gut, wenn die taz die zuständigen Politiker in den Ministerien fragen würde, wie sie das beseitigen wollen.



    Bis auf den Mindestlohn ist nicht viel geschehen und selbst um den werden die Arbeiter oftmals betrogen.

    Etliche von ihnen landen auf der Straße, was den hohen Anteil an Obdachlosen aus Osteuropa erklärt, auch ein Phänomen, das niemanden interessiert.

    Während ganz Fußball-Deutschland über die One-Love-Binde in Katar diskutierte, wurden zeitgleich zig Tausende Wanderarbeiter aus Osteuropa in Deutschland systematisch ausgebeutet und betrogen.

    www.youtube.com/watch?v=lbmnsIjifgA

    www.deutschlandfun...osteuropa-100.html

  • Ich bin vor ein paar Jahren von Polen nach Deutschland gekommen. Die besseren Verdienstmöglichkeiten haben mich damals gereizt.



    Schnell habe ich lernen müssen, dass deutsche Arbeitgeber von Ausländerinnen erwarten, dass sie für weniger Geld mehr arbeiten.



    Das habe ich eine Weile mit mir machen lassen, aber irgendwann hatte ich keinen Bock mehr, mich ausbeuten zu lassen.



    Dann habe ich erfahren, dass man in Deutschland besser lebt, wenn man Harz 4 bekommt. Harz 4 ist nicht zu hoch, die Billiglöhne sind einfach nur Ausbeutung ungerecht und vor allem zu niedrig. Dafür mache ich keinen Finger mehr krumm.

    • @V M:

      V M Absolut richtige Entscheidung. Die Übeltäter haben sich an die Menschenrechte und eine gerechte Entlohnung zu halten. Die Unternehmen und der Staat selbst hofiert sich al DER Selbstgerechte, beutet in Wirklichkeit nur Ausländer wie auch Einheimische aus.

    • @V M:

      Demnach braucht es also offenbar doch Sanktionen und Druck.

      • @Ingo Bernable:

        Ingo, Sie wollen also mehr staatlichen Druck aufbauen, damit die Arbeiter eher bereit sind, sich vom Arbeitgeber ausbeuten und betrügen zu lassen?

      • @Ingo Bernable:

        Weil eine keinen Bock hat, Sanktionen und Druck für alle? Da hätte ich mehr Differenzierung von ihnen erwartet.

        • @Andreas J:

          Ja, genau, die Eine hat mich nun wirklich ein für allemal davon überzeugt, dass die alle faul und unmotiviert sind und es also Härte, Zwang und Druck braucht. Früher war ich ja mal sozial eingestellt, sah das Gute in den Menschen und war für Freiheit und Selbstverantwortung, aber das war´s nun, Frau M hat mich vom Gegenteil überzeugt.

          • @Ingo Bernable:

            Deine einfache Denke läßt Dich zu diesem Schluß kommen. Klar. Doch ist es Dir verwehrt - so wie Millionen anderen Mitbürger eben auch - die komplexen Zusammenhänge zu erfassen, geschweige denn bewerten zu können. Primitive Hetze hat hier nichts verloren!

    • @V M:

      Dies wird allgemein als Gerechtigkeit des Universums bezeichnet. Damit es funktioniert, nutzen die Einen das System aus und die Anderen werden vom System ausgenutzt. Der Artikel und ihr Kommentar beschreiben dies sehr genau.

  • Als jemand, der bauüberwachend öffentliche Projekte betreut, ist es bisweilen erschütternd zu sehen, wie Firmen und deren Menschen als Nach- Nach-Nachunternehmer die körperintensiven Arbeiten übernehmen, auf der Baustelle erscheinen ohne jegliche Sprachkenntnisse. Deren Chefs erscheinen nicht selten als windige Charaktere, schwierig ist's, einen Zugang zu ihnen zu finden.



    Bosnien, Moldavien, Aserbaidschan, Kosovo, Rumänien, Russland, Ukraine .....



    das sind nur einige der Länder, deren ArbeiterInnen trotz schlechter + unklarer Arbeitsbedingungen nicht nur unsere Baubranche und unseren Wohlstand am Leben halten. Billig, billig, billig kann nicht gutgehen!



    Behandelt diese Menschen gut, sonst kracht es bei uns!

    • @care:

      Der Staat macht seine Hausaufgaben nicht und hofiert gleichzeitig ein mehr und mehr undruchsichtiges System aus Gewinnmaximierung auf der einen Seite, freilich auf Kosten osteuropäischer Arbeitskräfte, und auf der anderen Seite aus Ausbeutung sowie Sklaverei. Der Staat und deutsche Unternehmen untergraben und höhlen die Arbeitsmärkte in den genannten Ländern aus - es fehlen dort ja die einheimischen Kräfte - und gleichzeitig gibt er arbeitslosen Mitbürgern nicht einmal die Chance, dort zum Beispiel auf den besagten Baustellen unterzukommen.Der Staat und die Unternehmen sind also in mehrfacher Hinsicht gegen die deutschen Mitbürger unterwegs und gleichzeitig versklavt er Horden von Rumänen, Bulgaren und Polen.



      Ein schändliches, heuchlerisches Handeln darf er sich getrost vorwerfen lassen.

  • Danke für die Recherche und den guten Artikel!

    Handwerker in Berlin berichten von vergleichbaren Zuständen in der Hauptstadt.

    Ein Spiegel, in den unsere Gesellschaft schauen sollte bevor auf Andere gezeigt wird. Und ein Besipiel dafür, das ein effizienter gut organisierter Staat notwendig ist, um Regeln (Mindestlohn usw.) durchzusetzen (Abschnitt "Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls").

  • Nur kurz überflogen. Nichts Neues. War schon immer so und wird so bleiben. Bis keiner mehr hier hinkommt, um sich ausbeuten zu lassen. Wichtig! Sprachbarriere! Bauleiter sind i.d.r der deutschen Sprache mächtig und müssen viel Aufwand betreiben um miserabelste Planung, umzusetzen. Alles ein großer Horror für die AUSFÜHRENDEN!

  • Gute Recherche und guter Artikel.



    Ob es jemals eine Gesellschaft ohne den Untergrund, in den man nicht schaut, geben wird?

    • @fly:

      Nicht mit der derzeitigen Form des Kapitalismus.

    • @fly:

      Gute Frage.So schlicht wie wahr. Meine Antwort: tröstlich vielleicht, gerade die Neuen, die dazukommen verschaffen den Vorletzten kleine Vorteile. Lassen sie „aufsteigen“



      Schwer denkbar, dass diese Arbeiter wie vor 150 Jahren sich organisieren,streiken usw. das wäre der intelligenteste nachhaltige Weg.



      Solange wir nicht eine Kastengesellschaft werden oder sein wollen, ist es nicht alternativlos, dort zu verharren.