Vegane Ernährung: Hölle auf Erden
Ein paar Quadratmeter mehr reichen weder für Tier- noch für Klimaschutz aus. Alles spricht für einen schnellen Ausstieg aus der Tierindustrie.
D ie Ampelregierung feiert es als großen Durchbruch: Am 12. Oktober hat das Bundeskabinett ein Gesetz zur Tierhaltungskennzeichnung beschlossen. Fünf verschiedene Haltungsstufen sollen Transparenz beim Fleischeinkauf schaffen. Außerdem gibt es eine Milliarde Euro Förderung für den Stallumbau sowie für laufende Kosten der Tierhaltung.
Das Ganze gilt als Startschuss für den „Umbau der Tierhaltung“ und dieser ist die Antwort des Landwirtschaftsministeriums auf all die Probleme, die mit dem aktuellen System der Tierindustrie verbunden sind. Das Ziel sei eine Tierhaltung, die dem Tierschutz und dem Klimaschutz gerecht werde, verkündete Ernährungs- und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir am Tag des Beschlusses.
Tatsächlich lassen sich aber mit dem geplanten Umbau der Tierhaltung diese hehren Ziele gar nicht erreichen. Die Maßnahmen sind in Anbetracht der realen Probleme nicht nur unzureichend, sondern sogar kontraproduktiv. Es braucht eine andere, viel mutigere Agrarpolitik – verbunden mit einer sinnvollen Ernährungspolitik, die endlich anerkennt, dass die Ernährung keine bloße Privatsache ist.
Ziel der neuen Kennzeichnung ist laut dem Ministerium, die „Leistung der Landwirtinnen und Landwirte für eine artgerechtere Tierhaltung sichtbar“ zu machen und so für mehr Tierschutz zu sorgen. Welche Bedingungen heute in Ställen und Schlachthöfen herrschen, ist zwar regelmäßig im Fernsehen zu sehen, wenn Politmagazine heimlich gedrehte Videos veröffentlichen. Trotzdem benennt kaum jemand in Medien oder Politik das Elend, ohne zu verharmlosen.
ist Autorin und Aktivistin. Ihr neues Buch heißt „Anders satt: Wie der Ausstieg aus der Tierindustrie gelingt“ (Ventil Verlag, Oktober 2022).
Die Tierindustrie bedeutet für hunderte Millionen von Hühnern, Puten, Schweinen und Rindern nichts anderes als die Hölle auf Erden. Mit überzüchteten Körpern eingesperrt auf engstem Raum, leiden sie unter massiven Bewegungseinschränkungen und Beschäftigungslosigkeit, dazu kommen Stress, Angst, üble Krankheiten und Verletzungen.
16 Schweine auf einem Autoparkplatz
Die Kennzeichnung und die Milliardenförderung ändern daran so gut wie nichts. Zunächst soll nur Schweinefleisch gekennzeichnet werden. Fördergelder sind für Umbauten in höhere Stufen vorgesehen. Die zweitschlechteste Stufe schreibt für Mastschweine 20 Prozent mehr Platz vor. Das bedeutet, dass man auf der Fläche eines Standard-Autoparkplatzes statt 16 nur 13 Schweine einsperren darf.
In der nächsten Stufe dürfen es noch elf Schweine pro Parkplatz sein und es muss eine offene Stallseite für Frischluft geben. In der besten Stufe, der Biohaltung, bekommen die Schweine „Auslauf“ – was gut klingt, ist in der Realität eine betonierte Außenbucht, wobei die Fläche eines Autoparkplatzes für zwölf Schweine reicht.
In keiner dieser Haltungsformen können die Schweine im Boden wühlen, was sonst eine ihrer Hauptbeschäftigungen wäre. Sie können sich weder suhlen noch ihre Neugier und ihr Sozial- und Familienverhalten ausleben. In höheren Haltungsstufen sind die Tiere auch nicht weniger krank – die Gesundheit ist gar kein Kriterium bei der Kennzeichnung. Die Bedingungen bei Transport und Schlachtung bleiben ebenfalls gleich. Das kurze Leben der Schweine wird also weiterhin die Hölle auf Erden sein.
Die geplanten Veränderungen sind bloße Kosmetik in einem System, das auf Ausbeutung und Gewalt beruht. Auch im Hinblick auf die anderen fatalen Folgen der Tierindustrie schafft ein Umbau von Ställen keine Verbesserung. Um die immensen Treibhausgasemissionen zu verringern, braucht es einen drastischen Abbau der Tierzahlen, der außerdem unverzichtbar ist, um den Landverbrauch zu stoppen, Verschwendung zu begrenzen und die globale Ernährungssicherheit zu verbessern.
Ausbeutung und Gewalt
Auf freiwerdenden Flächen könnte man Moore wiedervernässen, Wälder pflanzen oder andere Ökosysteme renaturieren, wodurch auch Treibhausgase eingelagert würden. Studien zeigen, dass sich mit einer globalen Umstellung auf pflanzliche Nahrung die Gesamtemissionen der Menschheit um ganze 28 Prozent verringern ließen. Das zeigt die Dimensionen auf, um die es geht. Vor dem Hintergrund, dass uns gerade buchstäblich die Welt wegbrennt, dürfen wir uns diese Chance nicht entgehen lassen.
Die Regierung formuliert zwar immer mal wieder als Ziel, dass weniger Tiere gehalten werden, unternimmt aber konkret nichts. Wenn Stallumbauten gefördert werden ohne Verpflichtung zum Abbau, kann das hohe Tierzahlen stabilisieren: Wer heute in einen Umbau investiert, will mit dem neuen Stall noch 30 Jahre Geld verdienen. Aber was ist die Alternative? Statt halbherzigen Reförmchen braucht es jetzt einen konsequenten Ausstieg aus der Tierindustrie.
Denn um Tier-, Umwelt- und Klimaschutz gerecht zu werden, müssen sehr viele Ställe in Deutschland nicht nur umgebaut, sondern geschlossen werden. Es ist klar, dass eine solche Transformation für die betroffenen Landwirt*innen gerecht gestaltet werden muss. Zu diesem Zweck muss es Entschuldungs- und Entschädigungsprogramme geben, wie sie in den Niederlanden teilweise schon umgesetzt werden.
Außerdem braucht es Beratungsangebote und Förderung für die Umstellung auf andere Betriebszweige. Das ist letztlich sogar fairer, als wieder Anreize für Investitionen in eine Tierhaltung zu schaffen, die nicht zukunftsfähig ist. Die Tierindustrie drastisch abzubauen und dann zu beenden, ergibt natürlich nur Sinn, wenn sich die Ernährungsweisen entsprechend verändern. Wenn wir weiterhin dieselben Mengen an Fleisch, Milch und Eiern verzehren, müssten die Produkte aus dem Ausland kommen.
Ernährung ist keine Privatsache
Damit wäre wenig gewonnen. In der Politik herrscht allerdings bis heute das Dogma vor, dass die Ernährung eine reine Privatsache sei. Kurz nachdem der Grüne Özdemir vor einem Jahr das Landwirtschaftsministerium übernommen hatte, beeilte er sich zu betonen: „Wer wann was isst, geht den Minister für Ernährung und Landwirtschaft und die Bundesregierung nichts an.“ Genau dieselbe Idee hatten auch seine Vorgänger*innen im Amt aus CDU und CSU immer wieder unterstrichen:
Andere Menschen oder gar der Staat haben sich in die Ernährung der Bürger*innen nicht einzumischen. Dieses Dogma ist aber ebenso falsch wie gefährlich. Denn erstens sind die Folgen der vorherrschenden Ernährungsweisen nicht privat. Wenn Millionen Tiere überall im Land furchtbare Qualen erleiden, geht uns das alle an. Wenn die Erzeugung von Tierprodukten riesige Mengen an knappen Böden und Ressourcen beansprucht und die Klimakatastrophe befeuert, betrifft das die ganze Gesellschaft.
Zweitens sind nicht nur die Folgen, sondern auch die Ursachen, also die Bedingungen und Einflussfaktoren dafür, was Menschen essen, nicht privat. Das Ernährungsverhalten hängt nämlich stark davon ab, was überhaupt angeboten wird und zu welchem Preis. Davon, was seit der Kindheit als normale Ernährung eingeübt wurde. Ebenso davon, was kulturell und sozial als gutes Essen gilt.
All diese Faktoren sind auch Resultate politischer und anderer kollektiver Entscheidungen – und diese Dimension wird ausgeblendet, wenn man die Verantwortung allein den Konsument*innen zuschiebt. So hat die Politik über die letzten Jahrzehnte unter anderem mit finanziellen Förderungen die Tierindustrie mit aufgebaut und stützt sie weiterhin. Das beeinflusst Angebot und Preise. Kita- und Schulessen sowie Werbung prägen Gewohnheiten und Vorlieben.
Höhere Steuern für Tierprodukte
An solchen Stellschrauben kann und muss man ansetzen. Zu den Maßnahmen gehört: Kantinen auf pflanzliche Verpflegung umstellen. Tierprodukte höher besteuern, pflanzliche Produkte günstiger machen. Subventionen umschichten. Werbung für Tierprodukte verbieten. Aufklärungskampagnen über die Vorteile pflanzlicher Ernährung veranstalten. Weiterbildungen für Köch*innen organisieren. Solidarische Landwirtschaften und günstige pflanzliche Mittagstische fördern.
Ist es illusorisch, zu denken, dass die Bevölkerung solche Maßnahmen akzeptieren würde? Immerhin zogen doch die Grünen 2013 mit ihrem sehr moderaten Vorschlag, einen Veggie-Day in Kantinen einzuführen, einen von Medien befeuerten Sturm der Entrüstung auf sich, der sie womöglich auch Wählerstimmen kostete.
Nun, zum einen ist das fast zehn Jahre her und die gesellschaftliche Stimmung hat sich seitdem durchaus geändert. Zum anderen hängt viel daran, wie das Thema präsentiert und diskutiert wird. Sehr aufschlussreich sind zum Beispiel die Ergebnisse des Bürgerrats Klima. Dort waren letztes Jahr 160 zufällig ausgewählte Bürger*innen zusammengekommen, um über Maßnahmen zum Klimaschutz unter anderem im Bereich Ernährung zu beraten.
Aufklärung ist entscheidend
Nachdem sie fundierte Informationen aus der Wissenschaft erhalten und kontrovers diskutiert hatten, verabschiedeten sie Empfehlungen für ernährungspolitische Maßnahmen, die weit über das hinausgehen, was die Parteien aktuell fordern oder umsetzen wollen. Aufklärung ist also ein wichtiger Faktor, aber auch das Framing:
Es ging beim Bürgerrat Klima gerade nicht darum, individuelle Konsumentscheidungen zu bewerten, sondern darum, für eine gesellschaftliche Krise gemeinsame Lösungen zu finden, die dann alle mittragen müssen. Unter diesen Bedingungen waren fast alle Mitglieder auch zu persönlichen Änderungen bereit. Unglücklicherweise werden die Empfehlungen des Bürgerrats Klima von der Politik nicht umgesetzt.
Die Ampelregierung hat sich zwar die Entwicklung einer Ernährungsstrategie in den Koalitionsvertrag geschrieben, es gibt aber keine Anhaltspunkte dafür, dass sie tatsächlich den Konsum von Tierprodukten deutlich verringern will. Das ist sicher auch dem Einfluss der Fleischkonzerne geschuldet, die über den Lobbyverband der Geflügelindustrie sogar den letzten Grünen-Parteitag mit sponserten.
Damit sich etwas verändert, sind daher gute Argumente und Appelle nicht genug: Nur mit entschlossenem Protest und Widerstand wird sich die Tierindustrie ins Wanken bringen lassen. Nur mit vielen Initiativen von unten und mehr Druck aus der Bevölkerung wird die Ernährungswende tatsächlich stattfinden. Hier sind wir alle gefragt.
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