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Neun-Euro-Ticket an PfingstenStresstest bestanden

Meldungen von überfüllten Zügen und gesperrten Bahnsteigen rücken das Neun-Euro-Ticket in ein schlechtes Licht. Nur: So schlimm war es gar nicht.

Trotz vollem Berliner Hauptbahnhof: Das Neun-Euro-Ticket hat nicht zu einem Systemkollaps geführt Foto: Christoph Soeder/dpa

Mit fast so etwas wie Angstlust haben Fans und notorische Kri­ti­ke­r:in­nen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) das Pfingstwochenende erwartet. Das bundesweit geltende 9-Euro-Ticket für den Nahverkehr werde zu einem immensen Chaos führen, Bahnen und Busse dem massiven Andrang der Reisenden nicht standhalten, hieß es immer wieder.

Meldungen von überfüllten Zügen, gesperrten Bahnsteigen oder stehengelassenen Fahrgästen scheinen den Un­ken­ru­fe­r:in­nen recht zu geben. Unzählige Jour­na­lis­t:in­nen waren zwischen Freitag und Montag unterwegs, um über das erwartete Chaos zu berichten. Aber, Hand aufs Herz: So schlimm, wie es sich mitunter anhört, war’s gar nicht. Jedenfalls auch nicht so viel schlimmer als immer an Pfingsten.

Das 9-Euro-Ticket hat im Großen und Ganzen den ersten großen Stresstest bestanden. „Sehr volle Züge, aber kein Chaos“, lautet denn auch die Bilanz des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Viele, die am Wochenende im Regionalzug oder Bus durch die Republik reisten, werden das bestätigen – es sei denn, sie waren, wie es im Bahnjargon heißt, Teil einer „regionalen Auslastungsspitze“.

Eines darf beim Blick auf das vergangene Wochenende nicht vergessen werden: Rund um Pfingsten herrschen in den Zügen der Deutschen Bahn traditionell Überfüllung, Gedränge und schlechte Laune. Denn zu wenig Züge und zu wenig Personal zeigen sich immer dann, wenn sehr viel mehr Menschen Zeit und einen Anlass für Reisen haben als im Alltag. Die Pfingstüberfüllung findet seit einer halben Ewigkeit statt, doch bislang haben Journalist:innen, Po­li­ti­ke­r:in­nen und Ma­na­ge­r:in­nen der Deutschen Bahn das achselzuckend hingenommen und Reisenden geraten, zu einem anderen Zeitpunkt zu fahren. Selbst schuld, wenn es stressig wird, lautete ihre Botschaft.

Doch an diesem Pfingsten war es anders. Die Republik hat auf das Geschehen in Bahnen und Bussen geschaut wie sonst auf die Staumeldungen. Und allein das ist ein grandioser Erfolg. Nicht die vom ADAC gezählten Staukilometer auf den Autobahnen beherrschen Meldungen und Gespräche, sondern die Ereignisse auf den Bahnhöfen. 400 überfüllte Züge hat der Betriebsrat der Bahntochter DB Regio gezählt.

Das 9-Euro-Ticket gilt nicht in Fernzügen, deshalb spielt sich das Geschehen rund um die ÖPNV-Flatrate in den Zügen der DB Regio ab. Für diejenigen, die in einer dieser 400 Bahnen unterwegs waren, ist es leider schlecht gelaufen – aber das sind im Verhältnis zu den vielen anderen Reisenden wenig. „Mit 86.000 Zugfahrten ist bei DB Regio über das lange Wochenende alles gerollt, was rollen kann“, sagt DB Regio-Chef Jörg Sandvoß.

Menschen nutzen den ÖPNV, wenn er günstig ist

Der ein oder die andere, die wegen Überfüllung am Bahnsteig dem Zug hinterherschauen mussten, ärgern sich völlig zu Recht. Das darf nicht passieren. Jede:r, die oder der auf der Strecke bleibt, ist ei­ne:r zu viel. Dass zeitweise Bahnsteige an großen Bahnhöfen wie Berlin, Köln oder Hamburg wegen zu hohen Andrangs gesperrt werden mussten, ist schlecht.

Aber: Das sind einzelne Fälle, die unter anderem mit mehr und längeren Zügen und mit einem dichteren Takt in den Griff zu bekommen wären. Auch wenn es für die Leidtragenden nicht schön ist – diese Nachteile wiegen nicht so schwer wie die Vorteile für Millionen von Reisenden. Das 9-Euro-Ticket hat nicht zu einem Systemkollaps geführt.

Auch wenn die Kapazitäten viel zu knapp sind und dringend ausgebaut werden müssen, der Status quo spricht bei allen Defiziten nicht gegen das gigantische Feldexperiment ÖPNV-Flatrate. Und gleichzeitig steht in der öffentlichen Debatte völlig außer Frage, dass der Nahverkehr drastisch ausgebaut werden muss. Die Be­für­wor­te­r:in­nen eines schnellen und massiven ÖPNV-Ausbaus haben eine Art kulturelle Hegemonie errungen. Denn wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Nutzung von Bussen und Bahnen und der Preis dafür in einem direkten Zusammenhang stehen, jetzt ist er mit dem 9-Euro-Ticket erbracht. Menschen nutzen den ÖPNV, wenn er günstig ist.

Reisenden an Pfingsten war klar, dass es eng werden würde. Verkehrsunternehmen ebenso. „Wir haben für das Pfingstwochenende mit sehr vollen Fahrzeugen und Bahnsteigen gerechnet und das hat sich bestätigt“, sagt VDV-Präsident Ingo Wortmann. „Die Verkehrsunternehmen und die Fahrgäste waren aber auf den zu erwartenden Ansturm sehr gut vorbereitet.“ Der Vizevorsitzende des Gesamtbetriebsrats DB Regio, Ralf Damde, lobt die Rücksichtnahme und Geduld der meisten Fahrgäste.

Bei günstigen Preisen steigt die Laune

Das ist ein interessantes Phänomen: Günstige Preise führen bei Fahrgästen zu Gelassenheit und Freundlichkeit. Wer in einem der engen, unbequemen Züge des Deutsche-Bahn-Konkurrenten Flixtrain unterwegs ist, in dem das ansonsten funktionierende WLAN nicht geht und der Service zu wünschen übrig lässt, macht eine ähnliche Erfahrung: So etwas kann der guten Laune von Fahrgästen überhaupt nichts anhaben, wenn sie für 20 Euro von Berlin nach Köln kommen.

Bei der Deutschen Bahn kostet selbst der – kaum verfügbare – Supersparpreis fast dreimal so viel, das reguläre Ticket sogar 117 Euro. Bei der Deutschen Bahn, wo selten in einem Zug alles so funktioniert wie vorgesehen, ist die Stimmung der Reisenden angesichts des Preises schon vor Beginn der Reise im Keller. Auch im Fernverkehr muss die Bundesregierung dafür sorgen, dass die Preise sinken.

Im Nahverkehr wenigstens ist mit dem 9-Euro-Ticket die Preiswelt in den kommenden drei Monaten in Ordnung. Das macht vielen Fahrgästen gute Laune, auch wenn sie im Zug stehen müssen. Die ÖPNV-Flatrate ermöglicht ihnen eine neue, nicht gekannte Flexibilität. Fahrgäste können, ohne Tarifgrenzen zu checken, einsteigen, wo sie wollen, mal aus purer Neugier eine Haltestelle weiterfahren als sonst und spontan doch den früheren oder späteren Zug nehmen. So sind echte Entdeckungsfahrten möglich, unkompliziertes Reisen mit mehreren Personen ebenso.

Viele werden in den kommenden Monaten eine völlig neue Form der Mobilität kennenlernen. Flexibilität ist der große Wettbewerbsvorteil des Autos – mit Projekten wie dem 9-Euro-Ticket wird dieser Vorteil kleiner. Aber auf lange Sicht kann das nur klappen, wenn der Bund und die Länder mehr Geld in den Ausbau des ÖPNV stecken – auch und gerade auf dem Land.

„Gemeinsam mit den Ländern werden wir die 3 Monate des 9-Euro-Tickets genau evaluieren, um daraus Schlüsse hinsichtlich Preis und Angebot im ÖPNV zu ziehen“, sagt Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). Bislang verweigert der Minister den Ländern dringend erforderliche Mittel für den Ausbau. Doch das könnte sich ändern, wenn der öffentliche Druck größer wird, weil viele Millionen Menschen in den kommenden Monaten ein Faible für den ÖPNV entwickeln.

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29 Kommentare

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  • Danke Herr Wissing von der FDP ! 🕺🏻🤓 🕺🏻

  • Dito! Andrang, Zugüberfüllungen, Nehmen eines späteren Zuges, verweigern der Fahrradmitnahme usw. zeigen ja nur den Bedarf auf, wenn Preise niedriger sind. Und sie zeigen auf, dass ein Gesellschaftsteil bisher von einem Teil der Mobilität ausgeschlossen war, wie es TAZ-Autor*in Silke Mertins erwähnte. Also Preise weiter niedrig halten bzw. besser ÖPNV& Bahn über Steuermittel finanzieren und die Reichen für die Refinanzierung stärker hinzuziehen sowie vor allem das Angebot von ÖPNV & Bahn massiv erweitern.

  • Der Preis ist das eine, viel wichtiger ist aber aus meiner Sicht die einfache Nutzung über Länder- und Kreis- und Tarifgrenzen hinweg, was sonst in furchtbare Kleinarbeit hinauslaufen kann. Mein Wohnort liegt an einer Landkreisgrenze und der Landkreis grenzt an ein anderes Bundesland...

  • Ein einfacher Vergleich wäre schön gewesen: wie war die Auslastung und Verspätungssituation relativ zu etwa Pfingsten 2019 (vor Corona).

    Denn Staus etc. gibt es bei der Bahn ja auch ohne 9€ Ticket.

    Meine persönliche anekdotische Evidenz ist: es war recht entspannt. War am Samstag von Garmisch nach Frankfurt unterwegs und selbst das Zugunglück zusätzlich hat bei meiner Reise zu keinem Chaos geführt. Der Bus war gefüllt, aber nicht gestopft und das gleiche gilt für die Regionalbahn Kochel->München.

  • Ein nicht zu unterschätzender Effekt dürfte auch sein, dass die Leute sich die Corona-Angst vor Enge auf diese Weise wieder abgewöhnen. Denn das hat unter dem Strich dem ÖPNV viele Kunden gekostet und wer einmal aufhört, den ÖPNV zu benutzen, der fängt ansonsten so leicht nicht wieder damit an.

    Da könnte sich das 9€-Ticket also sehr gelohnt haben auf lange Sicht.

    • @Mustardman:

      Ich halte eher das Gegenteil für plausibel: die Enge schreckt Menschen ab, denn tatsächlich ist es nun mal objektiv so, dass sie das Ansteckungsrisiko drastisch steigert - zumal, wenn wie jetzt immer zig Leute ohne Maske im Waggon mitfahren.

      • @Suryo:

        Wenn die Enge Menschen abschreckt, warum sind dann die Züge so voll? Offenbar schreckt die Enge also die Menschen nicht ab.

  • Im Frankfurter Nahverkehr war kein Unterschied zu vorher spürbar. Das beliebte Erholungsziele und die Strecke dahin am verlangerten Wochenende besonders überlaufe sind ist js wohl eh klar.

  • Es ist keine Überraschung das sich hier in der Kommentarspalte besonders auch kritische Beiträge sammeln. Wer verärgert ist, ist eher motiviert zu kommentieren als jemand bei dem es alles ok lief. Ist ja in Kommentarspalten absoluter Standard, deswegen sind die meistens auch eine Katastrophe.

    Also will ich dem ganzen mal meine "neutralere" Erfahrung "entgegensetzen".



    Weder in den öffentlichen Verkehrsmitteln hier in Dresden, noch auf der Fahrt in die Heimat (Erzgebirge) konnte ich eine Überfüllung oder gar Chaos wahrnehmen. Ja, vermutlich war mehr los (so einfach ist das nicht einzuschätzen), aber das am Freitag vorm Pfingstwochende die Bahn voll ist, sollte einen nicht wundern, das war schon früher so.



    Verwandte die am Wochenende nach Berlin reisten berichten von sehr vollen Zügen, es war unangenehm, aber von Chaos, Verspätung oder gar Leute stehen lassen war nicht die Rede.



    Auch meine Fahrt am Pfingsmontag zurück in die Stadt war in einem gut gefüllten Zug, aber weder war er überfüllt noch verspätet.



    Von daher ist mein Eindruck bisher das die Autorin eher richtig liegt. Es gab regional klare Probleme, aber generelles Chaos kann niemand wirklich stichhaltig nachweisen.



    Überfüllung und zeitweise Überforderung der Bahn ist übrigens auch ein allgemeines Problem, dass auch ohne 9-Euro Ticket auftritt. Das muss besser werden, aber nicht erst jetzt.

  • "Menschen nutzen den ÖPNV, wenn er günstig ist"



    Ich denke das ist die Kernbotschaft dieses 9€ Tickets. Die Menschen würden deutlich mehr und öfters ÖPNV fahren, wenn er günstig ist. Und wenn er auch im ländlichen Raum genügend verfügbar wäre.



    Da ÖPNV definitiv umweltfreundlicher ist als Individualverkehr, sollte der Staat auch dafür sorgen, dass ÖPNV günstiger und besser verfügbar ist. Dann machen auch die Bürger mit.

    • @Rudi Hamm:

      Ich denke, es hilft auch, sich nicht über Gültigkeitsgrenzen des Tickets Sorgen machen zu müssen. Waben, Kreise, Zellen? Preisstufen A, B, C, 1, 2, 3? Womöglich anderer Verkehrsverbund? Versehentlich falsches Ticket gebucht? Passiert mit dem 9-Euro-Ticket nicht mehr - sehr entspannend!

      • @Tetra Mint:

        "Versehentlich falsches Ticket gebucht? Passiert mit dem 9-Euro-Ticket nicht mehr - sehr entspannend!"



        Stimmt!

  • "So schlimm war es gar nicht..."

    ....außer, man vergleicht es mit den Zuständen in den Bahnen in vielen anderen Ländern. Reservierungspflicht und saubere Züge z.B. machen riesige Unterschiede. In Deutschland hat man sich daran gewöhnt, dass Bahnen teuer, voll und dreckig sind und man froh ist, wenn man halbwegs pünktlich ankommt. Die Bahn in Deutschland ist ähnlich wie Berlin: keinem gefällt, wie es läuft, aber alle glauben, es ginge leider nicht anders.

    • @Suryo:

      Bin noch nie in einer "dreckigen" Bahn gefahren.

      • @Andreas J:

        Dann fahren Sie wohl nicht so oft.

  • G
    Gast

    Hier trifft die Schönfärberei der Bahn, nach deren "Zählung" es nur 400 überfüllte Züge gegeben haben soll, auf die Schönfärberei der Autorin, welche diese Zahl übernimmt und nochmal die rosarote Brille aufsetzt. Die Realität war indes eine Andere und das Chaos konnte nicht nur von "unzähligen Journalisten" erlebt werden, sondern von Millionen Fahrgästen, denen man mit demk 9-Euro Ticket ein vollkommen ungeeignetes Geschenk machte. Ich selbst habe mich nach dem Hilferuf meiner Tochter aus der 40 Kilometer entfernten Nachbarstadt ins Auto gesetzt, um sie nach Stundenlangen Warten vom überfüllten Bahnhof nach Hause zu fahren.



    Die fast 3 Milliarden Euro, welche der Steuerzahler für das 9-Euroticket bezahlen muss, wären sicherlich besser in den Ausbau des ÖPNV angelegt gewesen, anstatt Jedermann nun deutlich vor Augen zu führen, wie marode der ÖPNV tatsächlich ist.



    Aber man kann es natürlich auch alles schönreden.

    • @Gast:

      Warum beziehen Sie sich nur auf den Teil an Steuergeldern die für das 9€ Ticket aufgewendet wurden? Dabei wird derzeit wohl wesentlich mehr für Spritpreissubventionen (6,6 € Milliarden) und Rüstung (100 € Milliarden) ausgegeben. Denken Sie auch an Ärmere und deren Mobilitäts- und damit auch Teilhabebedürfnis?

  • Nun gut, ich war zwar eine halbe Stunde eher am Bahnsteig in Berlin, aber kam wegen besagter Überfüllung nicht in jener sagenhaften Regionalbahn nach Rostock unter (hatte Bike dabei).



    Aber dann lenkte mich der Pfingst-Spirit zum Schrebergarten eines Freunds, entlang der Spree. Der Fluß war noch nicht ausgetrocknet (wir schreiben den Juni 2022 und das wollte ich noch einmal erleben).



    Ging auch.



    Bin froh, dass nach Jahrzehnten absoluter Fantasielosigkeit und GroKo-Erstarrung so langsam etwas Leben in die Bude kommt und die Politik zu ein paar kleinen Maßnahmen greift, die nicht gleich nach GermanAngstSchweiß riechen. Auf weiteren Fahrten erlebte ich sehr engagierte Bahnmenschen, die mit beinahe angelsächsischem Humor das Ganze regelten.



    Die Einsicht, dass diese Tickets im allgemeinen Interesse möglichst reibungslos benutzt werden sollten, löste sogar bei den meisten Passagieren ungeahnte Flexibilität aus, um nicht zu sagen, Solidarität.

  • Also die junge Frau,mit Ihren 2 kleinen Kinder (ca. 10 Jahre alt) die im Rahmen der Zugberäumung mitsamt den 3 Fahrrädern den RE1 in Magdeburg verlassen musste, wird Ihre Einschätzung nicht teilen, dass es nicht so schlimm war. Auf Ihre Frage, wie Sie denn mit den Kindern nach Hause kommen soll, antwortete der MA der Bahnsicherheit, der Sie gerade aus dem Zug gezerrt hatte: "Na mit dem Fahrrad. Ist doch schönes Wetter." Derselbe Zug wurde auch in Brandenburg noch einmal teilgeräumt, da man sonst in Potsdam keine Fahrgäste mehr hätte mitnehmen können. Fahrgäste mit Ziel Berlin und 9 ,-€-Ticket wurden in Potsdam aufgefordert auszusteigen und mit der S-Bahn weiter zu fahren. Ich persönlich habe es vorgezogen mit das ganze Elend vom leeren 1.-Klasse-Abteil aus anzusehen. Ich hatte zwar ein 9,-€-Ticket in der Tasche und bin obendrein Hartz 4-Empfänger, habe es aber dennoch vorgezogen mit bis Smartphone ein 1.-Klasse-Ticket nachzukaufen. Diese Steherei und Drängelei hätte ich mit meiner kaputten Wirbelsäule nicht überstanden. Dann lieber in der letzten Woche des Monats zur Tafel gehen, weil die 50,- € jetzt fehlen. Ich habe darum auch lautstark und erfolgreich beim Zugbegleiter protestiert, als er 2 Frauen mit 9,-€-Ticket einfach in der 1. Klasse mitfahren lassen wollte. Die beiden Frauen hatten mit Ihm energisch diskutiert, in was für einem Land wie den leben, wo die Menschen in 1. und 2.Klasse aufgeteilt werden. Er wollte schon entnervt aufgeben. Aber dann habe ich den Damen erklärt warum manche Leute 1. Klasse fahren. Damit Sie nicht mit solchen Geschwätz belästigt werden, sondern die Fahrt in Ruhe verbringen können. Nachdem die beiden Damen dann das Gespräch aufs Finanzielle aus denen wollten, habe ich Ihnen mein 9,-€-Ticket vorgezeigt und meinen Berliner Sozialpass. Dann war endlich Ruhe und Sie durften vor der Tür der leeren 1. Klasse auf der Treppe Platz nehmen und weiter darüber nachdenken in was für einen schrecklichen Land Sie leben.

    • @Paul Brusewitz:

      Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass der obige Kommentar ernst gemeint ist, aber ich tue mal so als ob: In keinem Flugzeug und keinem Reisebus dieser Welt müssten Menschen mit gültigem Ticket auf dem Gang stehen, solange noch Platz in der 1.Klasse ist.



      Dass Sie das für angemessen halten, zeigt, wie die feudalistische Grundhaltung der deutschen Bahn schon auf die Kund*innen übergesprungen ist. Ich wünsche Ihnen, dass Sie, wenn Sie das nächste Mal in eine ähnliche Situation geraten (aber vielleicht am Monatsende, wenn kein Geld mehr auf dem Konto für ein 1.Klasse-Upgrade ist), mehr Mitgefühl erfahren, vielleicht hilft das, auf Ihrer weiteren Laufbahn als Mensch.

      • @Maike Lala:

        @Maike Lala



        Ob es in Bussen eine erste Klasse gibt, weiß ich nicht. Das man in Flugzeugen nicht stehen darf, erschließt sich von selbst. Dort werden auch nicht mehr Gäste mitgenommen, als Sitze gebucht wurden. Bei der Bahn ist es halt Tradition, dass es eine erste Klasse gibt, die mehr kostet und es steht jedem frei, diese zu nutzen oder nicht. Für mich war es auch das erste Mal im Leben, dass ich in einem RE die 1. Klasse genutzt habe. Wenn meine Zuschrift nicht ernst gemeint gewesen wäre, hätten Sie das daran erkennen können, dass ich eine separate, extra saubere Toilette ausschließlich für die erste Klasse-Passagiere gefordert hätte. Ansonsten war das Ganze mehr eine Aktion aus der Rubrik "Wie man in den Wald ruft ...". Der Zugbegleiter hatte einen üblen Tag und sein Job war kein Vergnügen permanent Leute aus dem Zug zu werfen. Er hatte es auf jeden Fall nicht verdient, mit erhobener Stimme in eine sinnlose Grundsatzdiskussion über den Sinn und Zweck einer 1. Klasse verwickelt zu werden. Man hätte auch ruhig und höflich fragen und sich anschließend bedanken können. Statt dessen traten die beiden Damen mit einer Anspruchshaltung auf, dass es Ihnen zusteht in der 1. Klasse zu sitzen, wenn nur dort noch etwas frei ist und dass es nicht Ihr Problem ist, wenn andere, "reiche" Leute dafür deutlich mehr bezahlt haben. An der Stelle sah ich mich motiviert dem Zugbegleiter beizustehen. Was die "feudalistische Grundhaltung" betrifft: Guten Morgen! Wir leben nun mal in einer kapitalistischen Gesellschaft, in der man Menschen mit etwas mehr Geld, dieses aus der Tasche zu holen versucht - im Zweifel mit Mehrleistung oder Komfort. Eine erste Klasse in Zügen gab es übrigens auch in der DDR. Auch im Sozialismus fuhr die herrschende Arbeiterklasse meist 2. Klasse, während in der 1. Klasse die Sitze leer standen. Ansonsten bin ich mit meiner Laufbahn als Mensch recht zufrieden, vom derzeitigen Zustand der Arbeitslosigkeit abgesehen.

        • @Paul Brusewitz:

          "Wir leben nun mal in einer kapitalistischen Gesellschaft, in der man Menschen mit etwas mehr Geld, dieses aus der Tasche zu holen versucht - im Zweifel mit Mehrleistung oder Komfort."



          Womit Sie nur Hinweise darauf geben, dass es zwischen Feudalismus und Kapitalismus teils kaum Unterschiede gibt. Moralisch angegangen haben Sie dies damit noch nicht. Wie auch immer, die Einteilung bei der Bahn in Klassen sollte abgeschafft werden. Somit kämen egoistische Ideen wie die Ihrige erst gar nicht auf, Menschen aus der 1. Klasse zu verweisen. In den Öffis gibt es auch keine 1.Klasse ...

          • @Uranus:

            "In den Öffis gibt es auch keine 1.Klasse ..."

            In den Öffis im Kapitalismus gibt es auch keine 1.Klasse und im Feudalismus keine Offis 🤫

          • @Uranus:

            Der Punkt ist, das ich Leuten mit mehr Geld in der Tasche als ich, Ihren Komfort gönne. Sollen Sie doch erste Klasse fahren oder im Schlafwagen mit weißer Bettwäsche, eigener Dusche und Frühstück in der Kabine. Sollen Sie doch Business Class fliegen. Sollen Sie im Hotel in Suiten wohnen und im Theater in Logen sitzen. Sollen Sie sich doch teure Dinge kaufen. Wie verbessert sich das Leben für mich, wenn ich dass alles als feudalistischen bezeichne und verbieten lassen will? Und wer sollte es verbieten? Wenn die Bahn die erste Klasse abschafft, wird sich ein Anbieter finden, der einen ganzen 1.-Klasse-Zug betreibt, bei dem die Fahrgäste zu Haus mit dem Shuttlebus oder der Limousine abgeholt werden und Ihnen das Gepäck in den Zug getragen wird. Kostet natürlich...

            Soll das dann auch gleich wieder abgeschafft werden, nur weil es Ihnen nicht passt?

            Am sitzen wir dann alle auf hatten Holzbänken und die Welt ist gerecht?

            Nein danke.

            • @Paul Brusewitz:

              Nun, es hat viele verschiedene Bewegungen gegeben, die für bessere, gleichere Bedingungen gekämpft haben. Es gibt verschiedene Ansätze und Vorschläge Ungleichheit wirksam anzugehen. Auch Sie könnten sich einer Bewegung anschließen bzw. politisch aktiv werden.



              Bezüglich der Bahn und Passagierbeförderung - meiner Ansicht nach solte Kern der Bahn die Daseinsfürsorge[1] sein. In diesem Bereich sollte es keinen Wettbewerb geben. Darüber hinaus muss die Pseudoprivatisierung rückgängig gemacht werden und die Bahn ausgebaut und die Beförderung nicht via Tickets sondern bspw. mittels Steuern finanziert werden.



              Letztlich bräuchte es andere gesellschaftliche Verhältnisse. Der Kapitalismus hat viele gravierende Nachteile - neben der sozialen Ungleichheit die Zerstörung der Lebensgrundlagen.



              [1] de.wikipedia.org/wiki/Daseinsvorsorge

              • @Uranus:

                Mobilität ist nicht nur Daseinsfürsorge. Es ist richtig, dass sich jeder Mobilität leisten können sollte.



                Für manche ist Mobilität aber auch Arbeitszeit und hier muss es die Möglichkeit geben, dies zu vereinen (z. B. über einen Aufpreis für die 1. Klasse).

              • @Uranus:

                Eine Daseinsvorsorge umgesetzt von Unternehmen, die Beförderung besser, schneller und günstiger für den Kunden organisieren sollte es also nicht geben?

                Die (hohen) Ticketpreise für den (oft lahmen und schlechten) ÖPNV werden nahezu deutschlandweit übrigens, wie auch die Organisation des ÖPNV, von den Kommunen festgesetzt und organisiert.

                Ziel muss ein in allen Belangen besserer ÖPNV sein, nicht den pösen Kapitalismus abschaffen zu wollen.

  • RS
    Ria Sauter

    Das Ticket wird genutzt. Jeder freut sich über den Preis und die unkomplizierte Nutzung in allen Bundesländern.



    Wenn jetzt danach geschaut würde, dass mehr Busse und Bahnen fahren und jede/r mitfahren kann, der das möchte, dann wäre das zukunftsfähig.



    Die Überfüllung war nicht nur an Pfingsten so. In den Tagen davor, waren die Busse übervoll. Es ging nichts mehr.



    Diebenigen, die sonst mit dem Öffi zur Arbeit fahren sind wieder auf das Auto umgestiegen. Da es sonst nicht möglich ist pünktlich zu sein.



    Gute Idee mit dem Günstigticket, aber es gibt noch sehr viel zu tun.

  • Die Euphorie ist vielleicht etwa übertrieben, aber wohltuende Abwechslung nach den ganzen Chaos Meldungen, mit Vorwürfen an „die Politik „.



    Die nächsten Wochen werden zeigen, ob Nutzungsraten wirklich am Preis hängen.