Unterwegs mit dem 9-Euro-Ticket: Zurückbleiben, bitte!

Zu Pfingsten überfüllte Züge von Berlin in Richtung Ostsee: Das 9-Euro-Ticket machte den Ausflug günstig, Werbung für den Regionalverkehr war es nicht.

Ganz schön eng war es zu Pfingsten in den Zügen Richtung Küste Foto: Michele Tantussi/reuters

Fahren mit dem 9-Euro-Ticket tatsächlich mehr Menschen dauerhaft Bahn – oder lassen sie, wie es zum Beispiel am Pfingstwochenende offenbar viele Menschen getan haben, genau einmal das Auto stehen und tun es danach nie wieder? Denn billig mag der Ausflug mit dem Regionalexpress von Berlin an die Ostsee vielleicht gewesen sein – eine gute Werbung für den ÖPNV war er mit Sicherheit nicht. „Das Pfingstwochenende hat die Mängel und Unzulänglichkeiten im Regionalverkehr schonungslos offengelegt“, bilanzierte Jens Wieseke, stellvertretender Vorsitzender des Berliner Fahrgastverbands Igeb, gegenüber der taz.

Insbesondere an den großen Berliner Umsteigepunkten in Richtung Norden, Hauptbahnhof und Gesundbrunnen, war die Lage am Freitag und Samstag angespannt. Die Bundespolizei musste Bahn­mit­ar­bei­te­r*in­nen unterstützen, die teils vergeblich versuchten, die Menschen in die Züge zu sortieren. Die Regionalexpresslinien 3 und 5 in Richtung Stralsund und Rostock konnten nicht starten, Fahrgäste mussten wieder aussteigen, Fahrräder mitzunehmen war unmöglich.

Eine Bahn-Sprecherin bemühte sich am Montagvormittag allerdings um eine positive Sicht auf die Lage: „Pfingsten ist traditionell immer ein Wochenende, an dem die Züge sehr ausgelastet sind, und teilweise waren sie eindeutig zu voll.“ Allerdings, so die Konzernsprecherin: „Es lief ja noch.“ Man setze zusätzliches Personal für die „Fahrgastlenkung“ auf den Bahnsteigen ein. Wie viel höher als „normal“ an verlängerten Wochenenden das Fahrgastaufkommen im Berlin-Brandenburger Regionalverkehr gewesen ist, könne man noch nicht sagen, die Zahlen müssten nach der erwarteten Rückreisewelle am Montag erst noch analysiert werden.

Fahrräder blieben draußen

In der Bahn-App und auf dem Twitteraccount der DB war die Standardmeldung des Wochenendes, dass wegen eines „außergewöhnlich hohen Fahrgastaufkommens eine Beförderung und die Mitnahme von Fahrrädern nicht mehr möglich“ sei. Betroffen waren insbesondere ab Samstag Züge der Linien RE3 (Stralsund-Berlin-Lutherstadt-Wittenberg) und RE5 (Rostock-Berlin-Wünsdorf-Waldstadt), aber auch der RE7 (Dessau-Berlin-Bad Belzig) und der RE1 (Magdeburg-Berlin-Cottbus) waren überfüllt.

„Bitte wählen Sie eine andere Verbindung“, hieß es auch bereits ab Montagmittag für den Rückreiseverkehr auf diesen Strecken in Richtung Berlin – trotz zusätzlich eingesetzter Züge auf den Linien nach Stralsund und Rostock.

Wieseke vom Igeb betont, mit dem 9-Euro-Ticket würden falsche Hoffnungen geweckt, wenn man glaube, es müsse nun jedem möglich sein, am Wochenende mitsamt seinem Fahrrad im Regionalexpress von Berlin ins Umland gelangen zu können. Im Sinne einer nachhaltigen Verkehrswende gehe es darum, die Menschen aus den ländlichen Regionen besser an die Ballungsräume anzuschließen und dort Kapazitäten auszubauen – das sei „die eigentliche Hauptaufgabe“, sagt Wieseke.

Als Beispiel nennt der ÖPNV-Experte die Regionalexpresslinie 1 zwischen Berlin und Frankfurt (Oder). Die sei auch ohne 9-Euro-Ticket im Berufsverkehr bereits „hoffnungslos überlastet“. Allerdings könne die Strecke momentan auch kaum mehr aufnehmen als die drei Züge, die dort bereits pro Stunde fahren. Wieseke sagt, es müssten deshalb andere Strecken ausgebaut werden, die noch Verkehr in Richtung Osten aufnehmen können – etwa die sogenannte Ostbahn von Lichtenberg ins polnische Küstrin-Kietz.

Das 9-Euro-Ticket wecke falsche Hoffnungen, warmt Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband Igeb.

Deren Ausbau ist jetzt tatsächlich auch ein frisch beschlossenes Projekt der „Taskforce i2030/Knoten Berlin“, die am Freitag auf einem „Bahngipfel“ unter anderem von Berlins Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey und Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (beide SPD) vorgestellt worden war.

Für Wieseke ist klar: „Der Ausflugsverkehr ist nachrangig, auch wenn man da sicher im Detail noch nachsteuern muss.“ Es müsse zum Beispiel möglich sein, für eine Familie mit dem Fahrrad am Wochenende mit dem Zug an die Ostsee zu gelangen. „Aber wenn man das 9-Euro-Ticket als Impuls für eine nachhaltige Verkehrswende nutzen will, dann muss man jetzt fragen: Was ist möglich?“ Platz für jeden Radtouristen werde man nicht schaffen können, sagt Wieseke, das sei „illusorisch“. Vielmehr gehe es um die Pendler*innen, da müsse man die Infrastruktur schaffen, dass dauerhaft mehr Menschen vom Auto auf die Bahn umsteigen wollen.

Mitte der Woche will der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) eine erste Bilanz der 9-Euro-Tickets ziehen, das bundesweit mehr als 7 Millionen Mal verkauft wurde. Dann soll es erste Zahlen dazu geben, inwiefern sich das 9-Euro-Ticket auch bereits auf den Berufsverkehr auswirkt, sagte eine DB-Sprecherin am Montag.

In Berlin haben allein die Berliner Verkehrsbetriebe bereits rund 1 Million der Fahrscheine abgesetzt, mit denen bundesweit der Regionalverkehr zum Preis von 9 Euro pro Monat genutzt werden kann, wie ein BVG-Sprecher am Wochenende mitteilte. Ein Teil der Verkäufe entfällt bereits auf die Monate Juli und August, in denen das Angebot ebenfalls noch gilt.

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