Krieg in der Ukraine: Unreflektierter Pazifismus
Gerne werden mit Blick auf den russischen Angriffskrieg Nazi-Vergleiche bemüht. Solche Analogien bringen nichts, findet unsere Autorin.
S eit Russlands Angriffskrieg in der Ukraine laufen die Feuilletons und sozialen Medien mit historischen Vergleichen über. Auf Ukraine-solidarischen Demonstrationen habe ich schon einige Male Plakate gesehen, auf denen man Russlands Präsidenten als Hitler sah („Stop Putler“). So mit Bart und Scheitelfrisur, Sie wissen schon.
Bekannte Historiker haben in großen Medien Abhandlungen darüber geschrieben, warum es Parallelen zwischen den beiden gebe. Auch die taz befragte den Historiker Herfried Münkler dazu. Götz Aly nennt als Beispiele die Vorbereitung und Rechtfertigung des Kriegs.
„Auch Hitler hat ja enorme Truppen aufmarschieren lassen, während gleichzeitig versichert wurde: ‚Der Führer will nichts anderes als den Frieden‘ “, sagte er der dpa.
Eine Gleichsetzung halten die meisten, und da bin ich ja froh, für nicht zulässig. Putin wirke wie ein gelehriger Schüler Adolf Hitlers, da auch Putin versuche, die von ihm angestrebte Wiederherstellung eines vermeintlichen früheren Großreichs historisch zu untermauern, schrieb Heinrich August Winkler in der Zeit.
Plumpe Analogien
Gut, der letzte Satz ist komplett übertrieben. Bei plumpen Putin-ist-fast-wie-Hitler-Analogien zuckt in mir immer etwas zusammen. Wozu das Ganze? Wo bleibt der Erkenntnisgewinn? Braucht es diesen dramatischen Vergleich, um größere Empathie für die Ukraine zu erreichen?
Der Zweite Weltkrieg spielt im deutschen Diskurs nicht erst seit dem 24. Februar eine Rolle. 2014, nach der Annexion der Krim, sagte der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble: „Das kennen wir alles aus der Geschichte. Mit solchen Methoden hat schon der Hitler das Sudetenland übernommen – und vieles andere mehr.“ Später räumte er ein, er habe es „klar abgelehnt, Russland in irgendeiner Weise mit dem Dritten Reich zu vergleichen“. Und Damals-Kanzlerin Angela Merkel musste daraufhin versichern: „Ich betrachte den Fall der Annexion der Krim als einen für sich stehenden Fall.“
Von der aktuellen Bundesregierung wurde der Zweite Weltkrieg zunächst argumentativ benutzt, um sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine auszusprechen. Die Verantwortung, die aus der eigenen Geschichte erwächst, hat demnach zur Folge: Deutschland dürfe keine Kriegspartei werden.
Erinnerungskultur als Ausrede
Deutschlands Erinnerungskultur an den Zweiten Weltkrieg ist längst zu einem „Ersatz für die Konfrontation mit der Gegenwart geworden“. Das schrieb Karl Schlögel im März in einem Beitrag für die NZZ: Das rituelle Gedenken beschreibt er als ein Hindernis, heutzutage politische Verantwortung zu übernehmen. Wenn „Nie wieder“ als Lehre aus dem von Deutschen begangenen Vernichtungskrieg Ausgangspunkt eines unreflektierten Pazifismus wird, wie viel ist er dann noch wert? Darf sich ein Land, das seit über 30 Jahren umringt ist von Freunden und nicht Feinden, heute zum Moralapostel aufspielen?
Geschichte wiederholt sich nicht. Theoretisch kann man aus ihr lernen. Wozu aber all die Bezüge, Vergleiche, Analogien, wenn daraus die falschen Lehren gezogen werden?
In ihrem Buch „Offene Wunden Osteuropas“, das die Dimensionen des deutschen Vernichtungskriegs in Ost(mittel)europa aufzeigt, stellen Franziska Davies und Katja Makhotina eine treffende Frage: „Hätte eine stärkere Sensibilisierung in Deutschland für ostmitteleuropäische Perspektiven auf den Krieg vielleicht dazu beigetragen, die Positionen der Ukraine in den letzten Jahren besser zu verstehen?“
Um glaubwürdig den Opfern der Vergangenheit zu gedenken und für die Opfer des russischen Kriegs einzustehen, müssen Erinnerungslücken in Bezug auf die deutsche Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts in Osteuropa geschlossen werden. Putin mit Hitlerbart hingegen möchte ich nicht mehr sehen.
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