trans* Personen in der Bundeswehr: Wer darf Soldat:in werden?
Werden trans* Menschen bei der Bewerbung für die Bundeswehr benachteiligt? Das legen interne Dokumente zur Musterung nahe.
Generationen von jungen Menschen haben die Prozedur hinter sich. Wer Soldat oder Soldatin werden wollte, musste die Musterung überstehen: Kniebeugen, Untersuchung der Augen, und jetzt einmal Ausziehen, bitte. Die Bundeswehr will gesunde Rekrut:innen. Daran hat auch das Ende der Wehrpflicht nichts geändert. Nur heißt die Musterung jetzt Assessment.
Aber wie entscheidet eine Ärztin oder ein Arzt, wer gesund genug für den Dienst ist? Damit sie sich nicht auf Bauchgefühl und Erfahrung verlassen müssen, gibt es dafür eine Grundlage. Das Dokument trägt den Namen „Zentralvorschrift Wehrmedizinische Begutachtung“ und ist eigentlich nicht öffentlich zugänglich. Die taz hat die aktuelle Version von Juli 2021 von „Frag den Staat“ erhalten. Die Organisation hatte es mithilfe des Informationsfreiheitsgesetz angefragt und veröffentlicht.
In dem Dokument wird ausgeführt, worauf bei der ärztlichen Untersuchung zu achten ist. Es geht um viele mögliche Krankheitsbilder, die überprüft werden: von Kopfschmerz bis Spreizfuß. Auf Seite 36 findet sich ein schnörkelloser Satz, der für einige Menschen das Ende ihrer Bewerbung bedeuten kann: „Psychosexuelle Probleme (Störungen der Geschlechtsidentität o. Ä.) können die Gemeinschaftsfähigkeit und damit die gesundheitliche Eignung infrage stellen.“
An anderer Stelle heißt es: „Störungen der Geschlechtsdifferenzierung (zum Beispiel Zwitter) oder -identität sind nach GZr VI 83 zu beurteilen.“ GZr VI, das ist ein anderer Ausdruck für die niedrigste Tauglichkeitsstufe – dauerhaft nicht dienstfähig. Die oder der Bewerbende bekommt dann eine Absage.
Solche Einordnungen seien „rettungslos veraltet“, sagt Mari Günther vom Bundesverband Trans*. „Das stammt aus einer Zeit, in der man flächendeckend davon ausging, dass Homosexualität und Transsexualität schwere psychische Erkrankungen sind.“ Was Günther als „üble Abwertung und Pathologisierung“ bezeichnet, kann auch der Arzt und Psychotherapeut Hagen Löwenberg nicht nachvollziehen. Er berät in seiner Praxis trans* Menschen. „Man kann, wenn es um trans* geht, nicht von psychosexuellen Problemen sprechen, auch eine Störung der Geschlechtsidentität ist obsolet.“ Er beschreibt die Sätze aus dem Dokument der Bundeswehr als „Melodie der 90er Jahre“.
Nicht das erste Mal
Tatsächlich stammt der Begriff „Störung der Geschlechtsidentität“ aus einem amerikanischen Diagnosehandbuch aus den 80ern und wurde auch dort erst 2013 angepasst. Die Wehrmedizinische Begutachtung ist mit „Stand Juli 2021“ versehen.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Bundeswehr gesellschaftspolitisch in der Vergangenheit steckengeblieben ist. Erst im vergangenen Sommer entschied der Bundestag, dass schwule Soldaten entschädigt werden, die in der Vergangenheit diskriminiert wurden. Bis ins Jahr 2000 wurden sie in der Bundeswehr etwa unehrenhaft entlassen, degradiert oder mussten mit Gehaltskürzungen rechnen, wenn ihre Homosexualität bekannt wurde. Bis 1979 war Homosexualität sogar ein Ausmusterungsgrund.
Die Bundeswehr muss sich auch aus Eigennutz verändern, denn sie leidet unter erheblichem Personalmangel. Über 20.000 Stellen waren Ende 2020 unbesetzt. Seit der Abschaffung der Wehrpflicht muss sich die Armee bemühen, sich als attraktiven, modernen Arbeitgeber darzustellen. Gilt das auch für trans* Menschen?
Anastasia Biefang ist Oberstleutnantin und stellvertretende Vorsitzende des Vereins QueerBw. Biefang sagt, die Stellen in der Wehrmedizinischen Begutachtung seien nicht nachvollziehbar. „Mir fällt nichts ein, was die Gemeinschaftsfähigkeit beeinträchtigen würde.“ Trans* zu sein, habe keine Auswirkungen auf die Eignung zum Soldat:innenberuf. Sie muss es wissen: Biefang machte als erste Bataillonskommandeurin ihre Transgeschlechtlichkeit öffentlich. Das war 2017.
Unsicherheit im Netz
Seit 1994 ist Biefang bei der Bundeswehr, damals waren Frauen noch nicht mal für den Soldat:innenberuf zugelassen. Das ist heute anders. Auch eine Transgeschlechtlichkeit spiele heute laut Biefang keine Rolle mehr. In einem Leitfaden des Verteidigungsministeriums ist eine Diskriminierung von trans* Menschen grundsätzlich verboten.
Dass Sätze wie die bereits erwähnten aber immer noch in offiziellen Dokumenten stehen, sorge für Unsicherheit, sagt Biefang. Das zeigt sich auch im Netz. In Foren fragen junge trans* Menschen, ob sie sich überhaupt bewerben könnten. Die taz hat einige von ihnen kontaktiert. Doch niemand wollte sich dazu äußern.
Wie viele trans* Personen während der Einstellung ausgeschlossen wurden, ist nicht bekannt, die Daten werden laut Bundeswehr nicht erhoben. In den letzten Jahren seien 0,05 Prozent der Bewerbenden aufgrund der Gesundheitsziffer GZr VI 83 bei der Bewerbung ausgeschlossen worden. Doch unter der Kennziffer 83 werden nicht nur vermeintliche „Störungen der Geschlechtsdifferenzierung“, sondern auch andere medizinische Befunde zusammengefasst, die nicht anderweitig zugeordnet sind.
Auch dem Verein QueerBw sind keine Fälle bekannt, in denen Bewerber:innen aus diesem Grund abgelehnt wurden. Anastasia Biefang sagt, eine bereits angefangene Transition müsse bei der Musterung abgeschlossen sein, wobei jede Person selbst entscheide, wann dies der Fall sei. Schließlich nehme die Bundeswehr auch niemanden an, bei dem eine andere große Operation ansteht.
Kein Tabu, offen zu der Transition zu stehen
Eine Pflicht zum Coming-out gebe es ebenso nicht. Gleichzeitig sei es aber auch kein Tabu, offen zu der Transition zu stehen, sagt Biefang, das sei „ein Teil der eigenen Persönlichkeit“. Jede:r solle damit so umgehen, wie es beliebt.
Biefang betont, dass vor ihr viele andere den Weg für die eigene Transition geebnet haben. „Ich hatte ein sehr unterstützendes Umfeld, von Anfang an“, sagt sie, sowohl vonseiten ihrer Vorgesetzten als auch von Kamerad:innen. Auswirkungen auf ihre Karriere habe ihr Coming-out keine gehabt.
Auch das medizinische Personal nahm sie während ihrer Transition als „fürsorglich und sehr unterstützend“ wahr. Dennoch: „In vielen Fällen ist es das erste Mal, dass diese Truppenärztin oder dieser Truppenarzt mit diesem Thema in Berührung kommt.“ Biefang fühlte sich während ihrer Geschlechtsangleichung wie eine „Expertin für alle anderen in dem Verfahren“.
Am Verfahren selbst übt Biefang durchaus Kritik. Da die Bundeswehr keine geschlechtsangleichenden Operationen durchführt, müssen zwei Kostenvoranschläge von zivilen Einrichtungen eingereicht werden, die dann eben bewilligt werden oder nicht, erklärt Biefang. Das kann auch bedeuten, dass man nicht dort operiert wird, wo man selbst das möchte. „Per se können sie nicht sagen: Ich möchte zu der Ärztin oder zu dem Arzt“, erklärt sie.
Mehr Klarheit in den Verfahren
Für die Betroffenen sei das eine Belastung in einer Zeit, in der man „vor wirklich sehr persönlichen und tief einschneidenden Eingriffen steht“. Tatsächlich werden auch an QueerBw Fälle herangetragen, bei denen trans* Menschen vor ihrer Transition das Gefühl hatten, in Richtung von bestimmten Ärzt:innen gelenkt zu werden, erklärt Biefang. Dabei sind geschlechtsangleichende Operationen eine sehr sensible Angelegenheit, bei der man sich in gute Hände begeben will.
Diese vielen Unsicherheiten machen eine Transition für Betroffene noch schwieriger, als sie sowieso schon ist, sagt Biefang. Sie fordert mehr Klarheit in den Verfahren, vor allem auch, weil es ein Eingriff ist, „der tiefe Auswirkungen auf das persönliche Empfinden der eigenen Identität hat“. Auch das medizinische Personal müsste besser aufgeklärt werden und verstehen, dass psychisches Leid, Ängste, aber auch Erwartungen und Ungeduld vor einem Coming-out stehen.
Anastasia Biefang, Oberstleutnantin
Für die Zukunft wünscht sich Anastasia Biefang, dass der sich langsam vollziehende Kulturwandel in den Streitkräften weiter vorangeht, dass „Offenheit und Vielfalt ein gelebtes Moment wird“. Ein erster Schritt sei es, auch in Bezug auf trans* klarer zu kommunizieren. Anastasia Biefang möchte, dass Diversität ein verpflichtender Teil der Ausbildung wird, überall. „Wir dienen stolz und entsprechend unseren Werten – aber wir sind halt queer, sind halt schwul, sind halt lesbisch, sind halt trans*“, erklärt sie. Sichtbarkeit sei dabei der erste Schritt in die richtige Richtung. „Weil man dann weiß: Ich bin nicht allein. Ich bin nicht die Erste. Und“, Biefang macht eine kleine Pause, „wir sind viele.“
Anfang 2022 trat die neue internationale Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Kraft. Die Diagnose „Störung der Geschlechtsidentität“, zu der zuvor trans* Identität gehörte, wurde abgeschafft. Sie gilt ab dem ICD-11 nicht mehr als psychische Störung.
Laut einer Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums würden die Richtlinien „kontinuierlich an den Stand der Wissenschaft und die sich ändernde Gesetzesgrundlage angepasst“. Eine trans* Identität könne „in Einzelfällen, bedingt durch das innere Spannungsbild, mit einer gestörten sozialen Funktionsfähigkeit einhergehen“, heißt es aus dem Ministerium. Am Ende müsse aber jeder Fall einzeln betrachtet werden. Eine differenziertere Überarbeitung der Wehrmedizinischen Begutachtung sei geplant, mit Inkrafttreten der neuen Version rechne man jedoch nicht mehr in diesem Jahr.
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