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Parität im KabinettNicht mehr nur Gedöns

Silke Mertins
Kommentar von Silke Mertins

Weder die Mi­nis­te­r*in­nen­rie­ge noch die der Staats­se­kre­tä­r*in­nen ist in der Koalition paritätisch. Gleichstellung ist aber nicht nur Quantität.

Verteidigungsministerin wird mit Christine Lambrecht zum dritten Mal eine Frau Foto: Annegret Hilse/reuters

D er Mann, den wir neuerdings Bundeskanzler nennen, schummelt. Olaf Scholz hat ein paritätisch besetztes Kabinett versprochen, und sich selbst dabei einfach nicht mitgezählt. Möglicherweise hat er sich eine neue Art von Relativitätstheorie ausgedacht, bei der Männer schneller gezählt werden als Frauen. Für alle, die auf herkömmliche Weise rechnen, sind es neun Männer und acht Frauen im neuen Kabinett. Das ist nicht paritätisch.

Schaut man sich die Staats­se­kre­tä­r*in­nen an, kann man erst recht kein Bemühen erkennen, die Hälfte der Macht den Frauen zu überlassen. Der große Feminist und neue Vizekanzler Robert Habeck etwa, hat die begehrten Posten mit drei Männern und einer Frau besetzt. Das ist nur dann paritätisch, wenn man Frauen doppelt sieht oder zählt. Jedenfalls könnte auch er Nachhilfe in einfacher Mathematik gebrauchen. Dennoch ist die neue Bundesregierung aus feministischer Sicht bemerkenswert.

Zwar ist Parität wichtig, aber sie als Maß aller Dinge anzusehen, hat sich als Irrweg herausgestellt. Gerade in der Sozialdemokratie wird zwar seit Längerem darauf geachtet, dass Frauen in ausreichender Zahl berücksichtigt werden. Doch bisher hatten sie meist wenig zu sagen. Bedacht wurden sie tendenziell mit Posten, die nicht mit allzu viel Macht ausgestattet waren und die Altkanzler Gerhard Schröder gerne als „Gedöns“ bezeichnete. Das ist dieses Mal anders.

Erstens hat Scholz das männlichste aller männlichen Ressorts, das Verteidigungsministerium, mit Christine Lambrecht besetzt. Das ging schon deshalb nicht anders, weil man schlecht hinter der CDU zurückbleiben konnte. Angela Merkel hat schließlich schon zwei Mal Verteidigungsministerinnen ernannt. Zweitens hat der Bundeskanzler die zweitwichtigste Männerdomäne, das Bundesinnenministerium, weiblich besetzt.

Nancy Faeser ist Deutschlands erste Frau auf diesem Posten – dazu noch eine, die als Erstes dem Rechtsextremismus den Kampf ansagte. Beides so bedeutend wie überfällig. Drittens haben wir mit der Grünen Annalena Baerbock zum ersten Mal eine Außenministerin. Man darf schon gespannt sein, wie man in Ländern wie Saudi-Arabien oder Iran auf ihre Forderung reagieren wird, dass Frauenrechte immer und überall gelten müssen.

Bedauerlicherweise haben die Grünen die Chance verpasst, ein „Gedöns“-Ministerium wie das für Familien, Frauen, Senioren und Jugend an einen Mann zu vergeben. Doch alles in allem macht das neue Kabinett mit drei Schlüsselministerien in Frauenhand deutlich, dass es bei der Gleichstellung um mehr geht als nur Quantität. Um welche Ressorts es geht, spielt eine genauso wichtige Rolle. In diesem Sinne kann man tatsächlich von Fortschritt sprechen.

Nächster Halt: Finanzministerium.

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Silke Mertins
Redakteurin Meinung
Kommentatorin & Kolumnistin, Themen: Grüne, Ampel, Feminismus, Energiewende, Außenpolitik
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18 Kommentare

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  • Also ich kam nie auf die Idee den Kanzler einzubeziehen. Und sogar wenn man den Kanzler, mit einrechnet, was Schwachsinn ist, weil man hier net einfach das Geschlecht bestimmen kann sondern den erfolgreichsten Kandidaten nimmt: wie will man 17 gerecht durch 2 teilen? Inklusive Kanzler 9 Frauen und 8 Männer wär ebenfalls net paritätisch und so gesehen sogar noch ungleicher, da man dann 9 weibliche und 7 männliche Minister hätte.



    Die Kritik bei den Staatssekretären hingegen kann ich zu 100% verstehen und unterstützen

  • "Zwar ist Parität wichtig, aber sie als Maß aller Dinge anzusehen, hat sich als Irrweg herausgestellt."



    Ja, fragt sich, wie kommende Regierungspolitik Frauenrechte widerspiegelt. Wird bspw. §219a "Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft" abgeschafft? §218 gleich mit? Was ist mit der tatsächlichen medizinische Versorgung für Personen die ihre Schwangerschaft abbrechen wollen? Wird die Versorgung verbessert? ...

    • @Uranus:

      *Frauenrechte bzw. Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Das betrifft ja nicht nur Frauen. Ach, und Gedöns wäre das nicht, finde ich. ;-)

  • Haben wir uns schon zuviel an ein Aufsteigersystem gewöhnt, wo vor Allem Ellenbogen und Ausdauer, aber weniger Inhalte und Beweggründe zählen ? Inzwischen wird es doch deutlich, welche Luschen dieses Parteiensystem so hervorbringt, so dass wir eigentlich nicht erwarten können, dass aus dem Parlament heraus eine Krisenbewältigung möglich ist, wenn zu viele Mitmenschen von dieser 'Politik' nichts mehr erwarten. Im Kabinett ist doch Lauterbach der einzige, der dort wirklich hingehört, weil er das Fachwissen und einen ehrlichen Antrieb hat. Selbst bei Habeck wird deutlich, ihm geht es nicht um die Sache, sondern darum, selbst alles zu machen, auch wenn er es eventuell gut meinen sollte. Und Baerbock will allen zeigen, wo es lang geht, eine perfekte Selbstdarstellerin, aber keine Frau, die sich in Frage stellen lässt um der Sache Willen. Bei den vielen Hürden, wo so viele Mittelmässige und Möchtegerne im Weg stehen, ist es kein Wunder, wenn sich das viele qualifiziertere Bewerber*innen das nicht antun wollen. Dabei brauchen derzeit nur zwei Parteien: Eine, die mit Lauterbach die Pandemie in den Griff bekommt und eine weitere, die ernsthaft Wege auftut, wie wir dem Klima-Desaster noch entkommen. Und das funktioniert nur, wenn wir alle Mitmenschen einbeziehen und erreichen. Demokratie mit den richtigen Zielen ohne privat Ambitionierte.

  • Ich verstehe nicht warum ausgerechnet beim Geschlecht Parität herrschen muss und dann auch nur zwischen Männern und Frauen (es gibt ja mittlerweile offiziell ein 3. Geschlecht: divers). Warum nicht bei sexueller Orientierung, Herkunft (Migrationshintergrund), Bildung & Beruf, Behinderung, Wohnort (Stadtmensch vs Dorf)...?

    • @MartinSemm:

      Oder ost und westdeutsch

  • "Bedauerlicherweise haben die Grünen die Chance verpasst, ein „Gedöns“-Ministerium wie das für Familien, Frauen, Senioren und Jugend an einen Mann zu vergeben"

    Ich würde wetten, dass der größte Protest gegen einen männlichen (oder trans) "Frauenminister" aus der feministischen Ecke kommen würde.

    Dass die Frauen in 2021 noch ein eigenes Ministerium brauchen (und das nicht zum Beispiel neutral Gleichstellung heißt) mutet allerdings in einer Regierung, die sich als fortschrittlich betrachtet, sowieso nicht sehr zeitgemäß an (auch hier dürfte aber der Widerstand von feministischer Seite kommen).

  • Wird es jemals wieder um Inhalte gehen?

  • Erst recht kein Bemühen?? Das Gegenteil ist der Fall, das Bemühen, im Kabinett Parität zu haben erkennt man sehr wohl.



    Dass aus diesem Grund keine Ministerposten geschaffen oder zusammengelegt werden ist nachvollziehbar und liegt nicht daran, dass man sich nicht bemüht hat 17 erfolgreich ohne Rest durch zwei zu teilen.

  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    Und jetzt sind wir ja mal gespannt. Mit Frauen als Teamplayer und Multitasking-Spezialistinnen sollte jetzt ja auch richtig gute Politik rauskommen!

    In der alten Regierung war die Unfähigkeit ja ziemlich pari über die Geschlechter verteilt.

    Vielleicht steht dann am Ende doch nur die Fähigkeit statt das Geschlecht. Wir werden gespannt sein!

  • Das Kabinett hat eine Frauenquote von 47%. Da sich die Minister aus den Abgeordneten des Bundestages speisen und der Frauenanteil dort nur 35% beträgt, sind die Frauen im Kabinett krass überrepräsentiert! Um im Kabinett die gleiche Geschlechterverteilung zu haben, wie im Bundestag, dürften nur 6 Frauen ein Ministeramt habe.

    • 8G
      86548 (Profil gelöscht)
      @Klaas Kinstki:

      Ministerinnen müssen kein Bundestagsmandat haben

  • Exakte Parität verlangt eine geradzahlige Anzahl von Ämtern. Wäre Scholz eine Frau hätten wir Überparität. Acht plus neun sind 17. Parität 8,5.

  • Parität geht mathematisch genau nur bei geradzahliger Anzahl der Ämter. Acht plus neun ergibt 17. Wäre Scholz ein Frau hätten wir Überparität.

  • Interessant wäre es, welche+r Minister*in seinen/ihren Wahlkreis gewinnen konnte. Meines Erachtens sollte niemand Minster werden können, der dies nicht schafft.

    • @Leidel:

      Das hätte natürlich den Charme, dass uns Minister der FDP erspart blieben.

      Aber im Ernst: der Gewinn des Direktmandats sagt doch oft mehr über die politische Struktur der Heimatregion einer Person aus, als über dessen potentielle Fähigkeiten als Minister. In vielen Wahlkreisen gewinnt immer die gleiche oder maximal die gleichen zwei Parteien das Direktmandat, völlig unabhängig davon, wen sie aufstellen.

      • @Ruediger:

        Wer auf sicheren Listenplätzen sitzt, entscheidet nicht der Wähler.

        Listenplätzen fehlt die demokratische Legitimierung.

    • @Leidel:

      Wollen Sie Andi Scheuer zurück? Der ist nach diesem Kriterium bestens qualifiziert.