Rot-rot-grüne Wohnungspolitik in Berlin: Die Verschnaufpause war kurz
In der Wohnungspolitik hat Rot-Rot-Grün viel versucht – und ist doch gegen Wände gerannt. Es bleibt aber Hoffnung: Linke Wohnraumpolitik ist möglich.
Die Wohnungspolitik ist für die SPD also eine rot-rot-grüne Sollbruchstelle. Nach der Wahl könnte es deshalb heißen: Das Immoperium schlägt zurück. Dabei sollte das Erreichte erst der Anfang sein.
Denn man kann der rot-rot-grünen Landesregierung vieles vorwerfen – wohnungspolitische Bemühungen aber kann man dem Senat Müller II nicht absprechen. Das liegt im Kern natürlich auch daran, dass die Linke sich 2016 mit ihrer Forderung durchgesetzt hat, die von der SPD zuvor dauerhaft okkupierte Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen für sich zu beanspruchen. Klar: Senatorin Katrin Lompscher trat im August 2020 wegen Steuerverfehlungen zurück. Allerdings hat Sebastian Scheel (ebenfalls Linke) das Amt ohne große Reibungsverluste übernommen.
Zwar liegen die 2020 fertig gestellten 19.000 Wohnungen noch 1.000 unter dem selbst gesteckten Ziel und werden vom Immo-Verband BBU als zu wenig kritisiert, aber fest steht auch: In Berlin werden so viele Wohnungen gebaut wie lange nicht mehr – und deutlich mehr als unter Schwarz-Rot vor 2016. Strittig ist, ob die zuletzt gesunkene Zahl der Baugenehmigungen an einem vermeintlich investitionsfeindlichen Klima liegt oder nicht doch an der Coronakrise und Lieferengpässen. Klar ist aber auch: Große Bauprojekte sowie neue Quartiere sind geplant und werden in den nächsten Jahren gebaut.
Manko Mietendeckel
Größtes Manko der Wohnungspolitik: Der durchaus ambitionierte Mietendeckel wurde vom Verfassungsgericht für nichtig erklärt. Die CDU klagte erfolgreich gegen das Landesgesetz. Laut Karlsruhe hat die nur unzureichend wirksame Bundesmietpreisbremse das Mietpreisrecht abschließend geregelt. Immerhin ist der Mietendeckel damit auch Bundesthema: Die Linke fordert einen solchen nach Berliner Vorbild auf Bundesebene, SPD und Grüne sind Mietenstopps in angespannten Wohnungsmärkten nicht ganz abgeneigt. Die Grünen wollen zudem Absenkungen auf Basis länderspezifischer Regelungen ermöglichen.
Den Mieter*innen in der Stadt hingegen hat der Deckel gezeigt, dass eine andere Wohnungspolitik nach 15 Jahren Mietsteigerungen und zunehmendem Verdrängungsdruck möglich ist. 1,5 Millionen Berliner Haushalte bekamen einen Vorgeschmack, wie linke Wohnraumpolitik fernab von SPD-Baufilz aussehen könnte. Sie waren kurzzeitig vor Mietsteigerungen sicher, in 320.000 Wohnungen wurde die Miete gesenkt. Blöd nur, dass der Deckel Rot-Rot-Grün letztlich um die Ohren flog, viele Mieter*innen nachzahlen mussten und mittlerweile auf dem Wohnungsmarkt wieder Mondpreise vorherrschen.
Aber es war auch nicht alles schlecht: Etwas, das von R2G bleibt, sind etwa viele neue Milieuschutzgebiete, in denen niedrige Mieten und eine soziale Durchmischung erhalten bleiben sollen. Dort hat der Senat auch mittels Vorkaufsrecht den Bestand an kommunalem Wohnraum erweitert: Will ein Investor sich bei einem Ankauf im Milieuschutzgebiet nicht auf soziale Kriterien verpflichten, können Bezirk und Land zugunsten einer kommunalen Wohnungsgesellschaft vorkaufen.
Gab es 2015 noch 22 solcher sozialen Erhaltungsgebiete, sind es heute 71. Die prestigeträchtigsten Vorkaufsfälle waren wohl die Blöcke in der Karl-Marx-Allee mit 700 Wohnungen, die das Land der Deutsche Wohnen weggeschnappt hat, oder das Kosmosviertel mit 1.800 Wohnungen in Altglienicke. Das Vorkaufsrecht half dem Land auch dabei, renitente Investoren zu Abwendungsvereinbarungen zu zwingen und so auf halbwegs gangbare soziale Vereinbarungen festzulegen.
Blockaden im Bund
Berliner Bundesratsinitiativen änderten aber auch nichts daran, dass im Bundesrecht viele Barrieren bleiben: So blockiert die CDU dort in der großen Koalition neben durchschlagkräftigen Mietpreisregulierungen auch das Stopfen von Steuerschlupflöchern, wie sie viele private Wohnkonzerne bei Immobilendeals nutzen (sogenannte Share Deals). Ebenso ist die Intransparenz auf dem privaten Wohnungsmarkt nach wie vor hoch: Viele Konzerne wirtschaften über Steueroasen und Briefkastennetzwerken am Fiskus vorbei – ein Mietenkataster hat die linke Senatsverwaltung für die nächste Legislatur in Aussicht gestellt.
Gegen Zweckentfremdung und die Ferienwohnisierung der Innenstadt hat der Senat viel versucht – aber es blieb eher bei Nadelstichen: Gegen den Plattform-Kapitalisten Airbnb gab es zwar Erfolge vor Gericht und bei Steuernachzahlungen – nichtsdestotrotz gibt es weiter Tausende illegal zweckentfremdete Wohnungen in Berlin.
Eine weitere große Baustelle bleibt der fehlende Schutz für Gewerbemietverträge, wo ohne Bund allerdings auch wenig geht. Die Folgen sind geräumte linke Freiräume wie die Kneipenkollektive Syndikat und Meuterei, aber auch die Verdrängung von autonomen Jugendzentren wie Potse und Drugstore.
Auf den letzten Drücker hat es die Koalition aber immerhin noch geschafft, per Verordnung Umwandlungen in Eigentum wirksam einzuschränken: ein wohnungspolitischer Meilenstein, der vielleicht etwas untergegangen ist.
Nicht vergessen darf man beim Verteilen von Fleißbienchen allerdings auch, dass Rot-Rot-Grün teilweise zum Jagen getragen werden musste: Ob nun von der starken mietenpolitischen Bewegung, umtriebigen Bezirksstadträten oder der mittlerweile breit getragenen Forderung nach Vergesellschaftungen privater Wohnkonzerne. Ohne Enteignungsvolksbegehren hätte es einen Mietendeckel wohl nicht gegeben. Zurecht fordern mietenpolitische Initiativen mehr Mitspracherechte.
R2Gut? Kurz vor der Wahl stellt sich die Frage: War Rot-Rot-Grün eine erfolgreiche Koalition? Die taz Berlin hat sich in einem Schwerpunkt angeschaut, was Rot-Rot-Grün erreicht hat – und was verbockt.
Update: Wurde am 30.08.2021 um die Info ergänzt, dass die Grünen eine Öffnungsklausel für länderspezifische Regelungen fordern, die auch Absenkungen der Miete ermöglicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
Solidaritätszuschlag in Karlsruhe
Soli oder Haushaltsloch
Belästigung durch Hertha-BSC-Fans
Alkoholisierte Übergriffe im Zug
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video
Ringen um Termin für Neuwahl
Wann ist denn endlich wieder Wahltag?