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Offenlegung der NSU-AktenSture grüne Beamtenlogik

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Die hessischen Grünen blockieren die Offenlegung der NSU-Akten. Damit konterkarieren sie das, wofür die Grünen anderswo stehen.

Offenlegung abgelehnt: Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) Foto: Boris Roessler/dpa

D er Umgang der hessischen Grünen mit den NSU-Akten ist intransparent, instinktlos und unklug. Mit ihrer sturen Beamtenlogik konterkarieren sie, wofür die Grünen stehen wollen: für einen transparenten Rechtsstaat, für Kampf gegen Rechtsextremismus und für ein offenes Ohr gegenüber migrantischen Menschen.

Worum geht es? Hessens schwarz-grüne Landesregierung lehnt es ab, interne Verfassungsschutzakten zu der Mordserie des rechtsextremen Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) offen zu legen. Sie tut das gegen den erklärten Willen einer kleinen Bürgerrechtsbewegung. Eine von mehr als 134.000 Menschen unterschriebene Petition, die mehr Transparenz fordert, haben die Grünen im Landtag gestoppt – und an die Regierung überwiesen. CDU-Innenminister Peter Beuth hat nun angekündigt: Eine Offenlegung könne es aus rechtlichen Gründen nicht geben.

Um die Tragweite dieser Enscheidung zu verstehen, muss man an den Terror der NSU erinnern: Dessen Mitglieder Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe ermordeten von 2000 bis 2007 neun Migranten und eine Polizistin, sie verübten 43 Mordversuche und drei Sprengstoffanschläge. Die deutschen Behörden versagten auf beispiellose Art und Weise. ErmittlerInnen tappten jahrelang im Dunkeln und verdächtigten sogar Angehörige der Opfer „im Türkenmilieu“, Medien berichteten über angebliche „Döner-Morde“.

Als die wahren Verstrickungen öffentlich wurden, ging ein Aufschrei durch die Republik. Allein in Hessen war schier Unglaubliches passiert. Der 21jährige Halit Yozgat wurde im April 2006 in Kassel in einem Internetcafé vom NSU erschossen, ausgerechnet ein Mitarbeiter des Geheimdienstes war am Tatort. Warum, ist bis heute unklar.

Ausgerechnet Grüne mauern beim Sichtbarmachen des NSU-Terrors? Diese Dialektik verhöhnt die Opferfamilien

Deutschland blickte beim NSU-Skandal in einen Abgrund. Bei vielen Menschen, – mit, aber auch ohne Migrationsgeschichte –, hat das staatliche Handeln ein tiefgreifendes Misstrauen geschaffen oder verfestigt. Sie fragen sich, ob Behörden auf dem rechten Auge blind sind, wie solche Pannen passieren konnten oder ob sie in diesem Deutschland sicher leben können. Der Rechtsstaat hat gegenüber diesen Menschen eine Bringschuld. Er muss nicht nur vollständig aufklären, sondern auch das Trauma heilen, das der NSU-Terror verursacht hat. Die Grünen in Hessen scheitern an diesem Anspruch bisher grandios.

Seit' an Seit' mit dem CDU-Innenminister argumentieren sie, dass die Offenlegung V-Leute in der rechten Szene gefährden könne. Dass sie den falschen Leuten in die Karten spiele, etwa der AfD. Und sie führen an, dass ja auch Landtagsabgeordnete der Opposition die Akten vollständig einsehen konnten, etwa solche, die in der Parlamentarischen Kontrollkommission sitzen, die den Landesverfassungsschutz kontrolliert.

Ihre Argumente gehen am Kern vorbei. Es müssten ja nicht alle Akten – tausende Seiten – veröffentlicht werden, sondern nur ein aussagekräftiger Teil. Einer Gefährdung von V-Leuten ließe sich vorbeugen, etwa indem Textstellen geschwärzt würden. Und klar, manche Parlamentarier durften die Akten einsehen. Sie sind allerdings an die Geheimhaltungspflicht gebunden.

Es lässt sich nicht bestreiten, dass Grüne sich hinter den Kulissen redlich um Aufklärung bemühen. Auch sind von den Akten – nach Berichten einzelner Journalisten – keine wundersamen neuen Erkenntnisse zu erwarten. Aber das Bild, das darin von den Geheimdiensten gezeichnet wird, ist wohl vernichtend. Die Öffentlichkeit sollte dieses Bild sehen dürfen. Notwendig ist deshalb nicht nur ein sauberes parlamentarisches Prozedere, notwendig ist auch ein Signal, dass die Verstörung vieler Menschen ernst genommen wird.

Kein zeitgemäßes Staatsverständnis

Diese symbolische Ebene schätzen die hessischen Grünen zu gering. Sie wirken wie verknöcherte Bürokraten, die eine veraltete Auffassung davon haben, was der Staat ist, was er sein soll und was er sein könnte. Dass Geheimdienste in einem Schattenreich agieren dürfen und der Staat sich jederzeit schützend vor sie zu stellen hat, ist nicht mehr zeitgemäß.

Hessens Grüne glauben, im Interesse des Rechtsstaates zu handeln. Aber dem Staatswohl wäre bei einem so fürchterlichen Fall mit Transparenz mehr gedient als mit ängstlicher Geheimhaltung. Ein Perspektivwechsel wäre nicht nur klug, er entspräche auch der Programmatik, die die Grünen eigentlich vertreten. Offiziell werben sie für eine strenge Kontrolle der Geheimdienste und für einen empathischen Staat. In Baden-Württemberg halten sie sich eine „Politik des Gehörtwerdens“ zugute. Kaum eine Anti-Nazi-Demo, bei der Grüne nicht Transparente in den Himmel recken. Und ausgerechnet Grüne mauern nun beim Sichtbarmachen des NSU-Terrors? Das ist eine Dialektik, die die Opferfamilien verhöhnt. Auch der Verweis auf die Koalitionsräson hilft nicht weiter. Wenn die NSU-Akten kein Anlass sind, um einen Krach mit der CDU zu provozieren, was dann?

Es ist nicht das erste Mal, dass die hessischen Grünen Regierungslogik mit kluger Politik verwechseln. Sie bekleckerten sich nicht mit Ruhm, als sie sich 2014 bei der Abstimmung über einen NSU-Untersuchungsausschuss enthielten oder als der Innenminister die Geheimhaltungsfrist für die Akten von 120 Jahren (sic!) auf 30 Jahre reduzierte. Ein jeder blamiert sich eben, so gut er kann.

Wenn das hessische Modell stilbildend wird für Schwarz-Grün in Berlin, kann einem angst und bange werden. Ausgeschlossen ist das nicht. Die Grünen fühlen sich vor allem dem Pariser Klimaschutzziel verpflichtet, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Um CDU und CSU diesen Kurs abzuringen, brauchen sie weit gehende Zusagen, etwa in der Verkehrs- und der Energiepolitik oder in der Landwirtschaft. Umgekehrt wird die Union anderswo punkten. Die Innenpolitik könnte das konservative Baby dieser Koalition werden – und Hessen das Role Model.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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19 Kommentare

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  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Und der MP (wie heißt er eigentlich) schwebt über allem. Engelsgleich. Do it like Angela.

  • Es entsteht der Eindruck, dass die Grünen immer noch meinen, unter Beweis stellen zu müssen, dass sie staatstragend, erwachsen, rechtsstaatlich, was auch immer von der Gegenseite als Mangel ins Feld geführt wurde, sind. Das tun sie jetzt schon mindestens 30 Jahre, gebracht hat es nichts. Natürlich nicht, denn wenn man die eigenen Prinzipien beseitigt, um die der anderen zu erfüllen, wird man für alle Zeiten am Nasenring durch die Manege geführt. Eine progressive politische Kraft sieht anders aus.

  • "Mehr davon ist nötig. Dafür bieten wir nun einen weiteren Kanal für Menschen an, die die Öffentlichkeit scheuen, aber nicht wegschauen wollen: informant.taz.de. Die übersandten Informationen sind gut verschlüsselt und von Metadaten bereinigt, bevor sie die taz-ReporterInnen erreichen.



    Ein hohes Maß an Sicherheit ist uns wichtig, dennoch: ein hundertprozentiger Schutz ist nicht zu gewährleisten. Der Austausch von Geheimnissen zwischen Journalisten und Informanten bleibt sensibel, und der Umgang mit diesem Risiko sagt etwas über die Qualität des Journalisten aus. Das galt schon vor dem Internet. Auch Briefe werden abgefangen, auch Treffen in Cafés ausgespäht. Doch das hält Informanten nicht davon ab, über Missstände zu reden." taz.de/tazinformant/!143042/ 🧐

  • Danke Linkspartei, Grüne, SPD, CDU und FDP. Ich macht gute Arbeit im Kontrollgremium zum VS.

  • Für mich klingt das ganz so, als ob die Grünen einen Deal mit der CDU gemacht haben. Mal sehen welchem Grünen Vorhaben die Schwarzen überrachend zustimmen werden - denn ein Deal hat ja immer zwei Seiten ... man muss das jetzt mal eine ganze Zeit beobachten denn zu augenfällig wird man das ja auch nicht durchziehen.

  • Am Ende des Tages hängt die Umsetzung eines Parteiprogramms immer von den direkt handelnden Personen ab. Da gibt es natürlich bei den Grünen viele ohne weitreichende "Berufs"-Erfahrung, auch wenn die Person schon länger im politischen Geschehen, aber eben in der Opposition tätig ist. Täglich Kritik zu üben und am nächsten Tag seine gestrige Kritik umzusetzen bedarf eben etwas mehr als nur schlauen Sprüchen; das endet häufig sonst in "Wenn ich das so gesagt habe, habe ich das so nicht gemeint". Ehrenhaftigkeit, Menschlichkeit, Zuverlässigkeit und Durchsetzungsvermögen sind wesentliche Tugenden im politischen Alltag, wenn professionelle Politik betrieben werden will. Die Mehrheit der Bürger ist seit Jahren auf der Suche nach solch handelnden Personen in der Politik. Die Grünen zeigen in ihren schlauen Sprüchen Ansätze davon, darum auch derzeit ein solch großer Zuspruch. Die praktische Umsetzung offenbart aber immer öfters ein anderes Gesicht. Wenn die "Grünen" hier nicht aufpassen, wird das eine große Enttäuschung im Herbst. Siehe nur die letzten Begebenheiten: Der Fall Palmer (Thema Rassismus), Habeck (Thema Krieg) und eben Hessen (Geheimdienst). Vor faulen Kompromisse beim Klimaschutz mit der Union kann nur gewarnt werden. Denn was nützt ein schneller aber harter Umbau der Energieversorgung, wenn die Menschen von Überwachung und einem "neuen deutschen Geheimdienst" überholt werden.

  • Ist den hessischen Grünen nicht bewusst, dass der NSU kein ausschließlich hessische Thema, sondern ein bundesweites ist, und was das für die Grünen bei der Bundestagswahl bedeutet?



    Kurzsichtig, einfältig und starrsinnig - mehr fällt mir dazu nicht ein.

  • Grüne: ich bin von Euch enttäuscht.

  • Transparenter Staat und kein gläserner Bürger!



    Wir brauchen keinen VS der querschiesst, Aufklärung torpediert und mit Geld rechte Strukturen finanziert. Wir bräcuhten einen Inlandsdienst, der Strukturen aufspürt und neutral veröffentlicht, damit die Bevölkerung informiert sein kann, welche Netzwerke, wo und wie aktiv sind.

  • Ich verstehe das Gejammere nicht: Wenn eine Offenlegung der Akten rechtlich nicht zulässig ist, dann ist sie rechtlich nicht zulässig. Was erwartet man denn von den Grünen? Rechtsbruch weil das irgendwem so gefällt?

    • @Samvim:

      Es ist vielmehr Rechtsbruch die Akten nicht offen zu legen, da es hier um Verwicklungen der eigenen Dienste in mehrfach begangene Morde geht. Das ist so ähnlich wie eine Flugzeugentführung, um einem Journalisten habhaft zu werden.

      • @Sonnenhaus:

        Ähm - nö. Ein Rechtsbruch ist ein Verstoß gegen bestehende Gesetze. Es gibt ein Gesetz gegen Flugzeuentführungen, ergo ist ein Verstoß dagegen ein Rechtsbruch. Es gibt aber kein Gesetz, welches eines Anspruch auf Veröffentlichung dieser Akten beinhaltet, sondern ganz offenbar Gesetze, die dieses verbieten. Gefällt mir auch nicht, ist aber so.

  • Es kann nicht genug hervorgehoben werden: Der Unterschied zwischen den Grünen in Hessen (und Baden-Württemberg) zu den Grünen im Bund ist, dass sie an der Regierung sind.

    (Ironie)Wenn ich davon ausginge, dass die Grünen ihre Versprechen hielten, würde ich sie nicht wählen.(/Ironie)

    So ist es doch: Der Großteil der Mitglieder, Wähler und Sympathisanten der Grünen braucht diese als moralisches Feigenblatt. Würde das Programm tatsächlich umgesetzt, liefen diese Leute in Scharen davon!

    • @Jens Bötticher:

      Ironie kennzeichnet sich dadurch, dass sie niemals gekennzeichnet werden sollte...

      Zu Ihrem einzigen möglicherweise ernst gemeinten Satz: Sind Sie ernsthaft der Ansicht, dass die hessischen Grünen gegen die Veröffentlichung sind, damit ihnen die Leute nicht "in Scharen" davon laufen?

      Meinen Sie ernsthaft, dass der "Großteil der Mitglieder, Wähler und Sympathisanten" diese Entscheidung insgeheim gutheißt?

      • @Totti:

        Ja, genau. Es gibt natürlich bessere Beispiele. Aber auch bei diesem Thema ist es so. Den NSU empfinden die meisten Grünen-Wähler wohl kaum als Bedrohung. Und mit den Opfern des NSU haben sie ohnehin nichts gemein. In diese Kategorie dürften die 15 Prozentpunkte fallen, die die Grünen seit der letzten Bundestagwahl hinzugewonnen haben. Der Zugewinn hat seinen Grund im Wandel der Partei ...

  • 9G
    92293 (Profil gelöscht)

    Ja finde auch tarek w steht eher für einen grünenpolitiker der sich der machtvorstellungen wegen lieber einem beamteapparat unterwirft. Der Druck von behördlicher Seite gegenüber Minister und Staatssekretäre impertinent unverschämt sein

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Die hessischen Grünen versagen auf der ganzen Linie. Ob das Schul-, Verkehrs- oder Coronapolitik ist. Nun auch hier. Wundert mich nicht.

  • Die Grünen in Hessen waren auch ganz vorne mit dabei, durch die Einführung des Staatstrojaners das Vertrauen in digitale Kommunikation zu untergraben. Die NSU-Akten sind dann die nächste überschrittene rote Linie

  • Der Kommentar sagt schon alles:



    „… keine wundersamen neuen Erkenntnisse zu erwarten.“, „… symbolische Ebene…“, …