Kommentar Verzicht von Martin Schulz: Drama ersten Ranges
Überraschend gab Schulz bekannt, nun doch kein Außenminister werden zu wollen. Selten sah man einen Politiker so rasch aufsteigen und stürzen.
K ann das sein? Kann es sein, dass man Erleichterung verspürt, wenn Martin Schulz seinen Verzicht aufs Außenamt bekannt gibt? Falls, kippt dieses Gefühl umgehend in Ratlosigkeit um. Denn der Rückzug des Ex-EU-Parlamentspräsidenten, Ex-SPD-Spitzenkandidaten, Bald-Ex-Parteivorsitzenden Schulz ist ein Drama ersten Ranges. Für ihn, für seine Partei. Aber auch für dieses Land.
Selten hat man einen Politiker in dermaßen atemberaubendem Tempo aufsteigen und wieder stürzen gesehen. Selten wusste die Öffentlichkeit so viel über die Gefühlslage eines Politikers, über seine Irrtümer und Missverständnisse. Nie zuvor erfuhr man dermaßen irritierende Details aus den Abgründen einer großen alten Partei. Martin Schulz' Name, das darf man schon heute sagen, steht von nun an synonym für die Ränke und all die Missgunst, die das politische Geschäft zu bieten hat.
Sein eigener Parteivorstand hat Martin Schulz ultimativ zum Rückzug aufgefordert. Das mag klug sein im Hinblick auf den Mitgliederentscheid zum Koalitionsvertrag. Dieser Schnitt hätte aber zwingend erfolgen müssen, bevor die SPD-Unterhändler siegreich lächelnd das Konrad-Adenauer-Haus verließen. Statt dessen wird nun auch gleich der Koalitionspartner in spe beschädigt – als wäre es egal, unter wem die Sozialdemokraten Vizekanzler sind.
Den letzten Stoß dürfte Martin Schulz sein Scheinfreund und letztlich erbitterster Gegner Sigmar Gabriel versetzt haben. Als klar wurde, dass Schulz ihn im Amt des Außenministers beerben würde, beschädigte Gabriel ihn auf so nahetretende und unterirdische Weise, dass jedem klar war: Dieser Egozentriker wollte um keinen Preis alleine stürzen. Das hat Gabriel erreicht. Und ironischerweise könnte sein Verrat später einmal zu einer Heldengeschichte mutieren.
Ernsthaft sorgen muss man sich nun um die außenpolitische Stellung Deutschlands. Ein Staat, dessen politische Vertreter sich wie in einer Bananenrepublik gegenseitig ins Aus kegeln, wird zur Lachnummer auf dem internationalen Parkett. Der Rechtsdrall in Europa, die globalen Fluchtbewegungen, der anschwellende Bocksgesang zwischen den Supermächten – man kann die außenpolitischen Schwelbrände förmlich riechen. Wen hat die SPD, wen hat diese Große Koalition zu bieten, der oder die sich all diesen Themen sowohl respektvoll als auch versiert annimmt? Wie gesagt: Ein Drama ersten Ranges.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Pistorius wird nicht SPD-Kanzlerkandidat
Boris Pistorius wählt Olaf Scholz