Anrede-Etikette: Kumpel mich mal nicht so an, Alter!
Robert Habeck hat „Alter“ gesagt. Mit den Normalos kumpelt er rum, meint unsere Autorin, den Privilegierten aber ist er ein Kumpel.
P opulist*innen und Schriftsteller*innen sind Präzisionsgeschosse. Beide wissen sehr genau, wie man einen effektiven Satz bildet, der alle Aufmerksamkeit auf sich zieht und alle anderen einfallslosen Ansätze um ihn herum in den Schatten stellt. Im Fall der Schriftsteller*innen ist es allein der Umstand, dass für einen einzigen Satz kaum jemand 19,95 Euro hinblättern würde und Lektoren also die vielen einfallslosen Sätze als üppig erscheinenden Mischwald stehen lassen.
Robert Habeck ist so ein Präzisionsgeschoss.
Ich gehöre einer kleinen Gruppe an, die von Habecks mit vermeintlicher Authentizität kokettierenden Satzgeschossen krass genervt ist. Ich krieg Beklemmungen, wo andere in euphorisches Jubelrauschen verfallen, wenn der Wirtschaftsminister wieder irgendwas gesagt hat, was als „ehrlich“, „authentisch“, „unverklauselt“, „erfrischend“, „geradeheraus“, „stabil“, „cool“, „glaubwürdig“, „König“, „King“, „Word!“, „Genau so!“, „Das!“, „Yo!1!“, „Ich liebs!“, „Kanzler!“ kommentiert wird.
Die Feier des Habeck’schen Ankumpelns und angeblichen Klartextsprechens gleicht inzwischen einer Party im Far Out, einer dieser Sannyasin-Diskos der 1970er und 1980er Jahre, in denen sich nicht nur die Anhänger*innen des Sektenführers Baghwan unter Anleitung von Oshos DJs far out schossen. Aber vor allem haben Habecks Sprachgeschosse nur einen Zweck: die Kritik an seiner Politik in den Schatten zu stellen, Feindbekämpfung mit möglichst wenigen, aber effektiven Schüssen.
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Seit Donnerstagabend wird nun wieder berauscht gejubelt. Der Wirtschaftsminister hatte sich im „heute-journal“ des ZDF getraut, „Alter“ zu sagen. Damit sprach er nicht etwa Mohammed bin Hamad bin Kasim al-Abdullah Al Thani an, den Minister für Handel und Industrie des Landes mit dem weltweit größten Pro-Kopf-CO2-Ausstoß (Katar), und auch nicht Martin Brudermüller, den Vorstandschef einer der größten Energieverbraucher Europas (BASF).
Mit „Alter“ sprach Habeck Leute an, die sich seiner Meinung nach nur noch „bewegen, wenn es Geld dafür gibt“. Und damit meinte er eben nicht die Industrievertreter, denen er trotz Kritik von Wirtschaftsweisen und anderen Ökonomieexperten Zuschüsse, billige Kredite, Auktionsmodelle und andere staatlich geförderte Anreize angeboten hat, damit sie ihren Gasverbrauch nachhaltiger gestalten können.
Nein, mit „Alter“ sprach er den Einzelnen an, der den „inneren Schweinehund“ nicht überwinde: „Und wenn einer sagt, ich helfe nur, wenn ich noch mal 50 Euro bekomme, würde ich sagen: „Die kriegst du nicht, Alter!“ Wen er damit meinte, hatte er vorher sehr genau dargelegt: Die Kritiker*innen, die sich über seinen Rat lustig machten, energieeffizientere Duschköpfe zu kaufen, um von Putin unabhängig zu werden.
Natürlich kann Robert Habeck jedem raten, weniger Energie zu verbrauchen. Der Handelsminister von Katar oder der Manager von BASF, die es sich leisten könnten, sämtlichen ihrer Angestellten jeden Tag neue Duschköpfe zu kaufen (es aber nicht tun) dürften sich von Habecks Mischung aus Krankenkassenpropaganda, pseudoradikalem Aktivismus und protestantischem Moralappell nicht angesprochen fühlen.
Und Leute aus Klassen, für die 50 Euro alles andere als ein Trinkgeld sind, dürften sich denken: „Meine Stimme kriegst du nicht, Alter.“
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