Angriff auf Team der ZDF-„heute show“: Woher diese Gewalt?
Laut Polizei soll der Angriff auf das ZDF-Team von Linken ausgegangen sein. Die Frage nach Tätern und Motiv ist aber komplizierter.
Der ZDF-Kollege, der ihn interviewt, fragt nach den Tätern. „Hauptsächlich schwarz gekleidete, vermummte Leute“, antwortet Zemhoute, er würde aber keinen wiedererkennen können. Was waren das für Leute? „Ich kann das echt nicht sagen“, antwortet Zemhoute auf die Nachfragen. Er frage sich aber, was die Angreifer getrieben habe. Auch eine Woche nach dem Angriff auf ein Team der „heute show“ gibt es noch keine Antworten auf diese Fragen.
Der Tatort hinter dem S-Bahn-Bogen zwischen Alexanderplatz und Hackescher Markt ist eine ausgestorbene Gasse. Motorrad-Museum, Steak-House, Pub – bis auf ein Café hat die touristische Infrastruktur in Zeiten von Corona geschlossen. Die ruhige Ecke in der Nähe vom Rosa-Luxemburg-Platz war Rückzugsort für das ZDF-Team, das dort bei einer Kundgebung von Coronaleugnern und Verschwörungsideologen gedreht hatte.
Hier telefonierte der Produktionsleiter gerade nach Köln, Zemhoute saß auf einem Fahrradständer, ein anderer Kollege war mit seinem Handy beschäftigt, es herrschte Feierabendstimmung, als die Gruppe das siebenköpfige Team angriff, zu dem auch Kameramann, Assistent und drei Sicherheitsmitarbeiter gehörten.
Die Täter schlugen und traten unvermittelt zu, offenbar auch mit einer Metallstange. Bis auf Zemhoute, der flüchten konnte und die Polizei alarmierte, mussten alle im Krankenhaus behandelt werden. Bundespolitiker von Heiko Maas bis Horst Seehofer verurteilten die Tat. Regierungssprecher Steffen Seibert sprach von der Bedrohung der Pressefreiheit durch „Extremisten aller Richtungen“.
Bald nach der Tat nahm die Polizei sechs Verdächtige fest, die mit Fahrrädern und einem Auto unterwegs waren. Vier Männer im Alter von 24, zwei mal 25 und 31 Jahren sowie zwei Frauen, 25 und 27 Jahre alt. Staatsanwaltschaft und Polizei ermitteln wegen gefährlicher Körperverletzung, festgenommen wurden die Verdächtigen in „Tatortnähe“, heißt es in deren Pressemitteilung vom Montag. Auf taz-Anfrage nennt die Polizei die Oranienburger Straße, auf der es offenbar an mehreren Stellen Zugriffe gab. Konkreter wird sie nicht, dabei verschwimmt die Tatortnähe mit der Länge der Straße. Während der Anfang der Hauptstraße 600 Meter vom Tatort entfernt ist, liegt ihr Ende bereits 1,7 Kilometer entfernt.
Täter aus dem „linken Spektrum“?
Nach der Festnahme wurden die Verdächtigen an den Tatort gebracht, auch das sagt die Polizei der taz. Sie sagt aber nicht, warum, also ob dies etwa zum Zweck einer Gegenüberstellung erfolgte. Fotos von der Festnahme zeigen zwei Frauen in Handschellen, klein und schmächtig, zu sehen sind auch zwei der Männer. Satiriker Zemhoute sagt im Interview, drei oder vier Angreifer seien „durchtrainiert“ gewesen, die anderen „schlank“. Von den Verdächtigen auf den Fotos hat keine die Statur eines Kampfsportlers. Auch Berliner Demo-Fotografen, die in ihren Archiven, auch der vergangenen Hygiene-Demos, nach ihnen suchen, sind ratlos. Niemand hat je einen von ihnen gesehen.
Schon am Tag nach dem Angriff berichten Zeitungen von mutmaßlichen Tätern aus dem „linken Spektrum“, sie beziehen sich auf die Staatsanwaltschaft, später auch auf die Berliner Polizei. Die Bild-Zeitung schreibt am Montag von „Linksextremisten“, die auf die Journalisten eintreten. Die Ermittlungen hat inzwischen der für politische Straftaten zuständige Staatsschutz übernommen. Drei Personen, die beiden 25-Jährigen und der 24-Jährige, sind bei der Polizei in der Datei „Politisch motivierte Kriminalität links“ gespeichert, wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz, Landfriedensbruch und Sachbeschädigung, so die Berliner Polizei.
Am Tag nach dem Übergriff werden alle sechs Verdächtigen freigelassen. Nur gegen zwei habe sich ein „dringender Tatverdacht“ erhärtet, Haftgründe lägen keine vor, so die Staatsanwaltschaft. Solche wären, so sagt es Strafverteidiger Hannes Honecker der taz, Flucht-, Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahr. Beispiele vergangener Jahre beim 1. Mai oder Protesten gegen das G20-Treffen aber zeigen: Mitunter sitzen Täter, etwa für Flaschenwürfe, lange in Untersuchungshaft, auch wenn wenig dafür spricht, dass sie flüchten könnten.
Motiv unklar
„PMK“ steht für politisch motivierte Kriminalität, die Statistik wird seit 2001 für rechte, religiös motivierte, aber auch linke Gewalt als „Eingangsstatistik“ erhoben, das heißt, die Einträge erfolgen schon zu Beginn polizeilichen Ermittlungen und somit auf Basis von Anfangsverdacht. Weil die Einordnung von der Polizei abhängt, sei sie anfällig für Verzerrungen, kritisieren Expert:innen. Auch Honecker sagt: „Die Datei ist fehleranfällig, die Kriterien nicht öffentlich überprüfbar.“
Ob und was die sechs Festgenommenen für „Linke“ sind und aus welchen Motiven sie das Team der „heute show“ angegriffen haben, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht klar. So halten Polizei und Staatsanwaltschaft am Montag zwar daran fest, dass die Verdächtigen „teilweise der ‚linken Szene‘ zuzurechnen seien“, sie geben aber auch zu, dass sich die Aufklärung schwierig gestalte, da die bisherigen Zeugenaussagen kein einheitliches Bild ergäben. Zudem sagte Martin Steltner, Sprecher der Staatsanwaltschaft, der taz am Mittwoch, dass jene beiden Festgenommenen, gegen die sich der Tatverdacht erhärtet habe, nicht jene seien, die in der polizeilichen Statistik als Linke auftauchen. Auch das lässt an der These, die Angreifer seien Linke gewesen, zweifeln.
Oder sind die Angreifer vielleicht solche „Linke“, die bei der veschwörungstheoretischen Hygiene-Demo unterwegs waren, wo Links und Rechts seit Ende März zu einer kruden Querfront zusammenschmelzen? Der Hass auf die „heute show“, als linke Propopagandashow des Staatsfunks verschimpft, ist vor allem bei Rechten groß.
Aber auch die Szene der Verschwörungsideologen ist überaus misstrauisch: Schon am 30. April kündigt Bernhard Loyen auf der Seite des verschwörungstheoretischen Medienmachers Ken Jebsen den Besuch des „heute show“-Teams an: „Ich konnte durch Zufall in Erfahrung bringen, man möchte gezielt Verpeilte und Verstrahlte rauspicken, um sie für das dürstende ZDF-Publikum vorzuführen. Lächerlich machen.“ Wer an den rechtsoffenen Hygiene-Demos teilnimmt, sei für das ZDF „Verschwörungstheoretiker, Verpeilter oder Nazi oder alles drei in individueller Mischung“.
Dass nach der Tat rechtsextreme Foren vor Genugtuung überquollen, passt ins Bild. Ebenso passt, dass ein Mann am Mittwochabend vor dem Reichstagsgebäude bei einer Demo gegen Coronabeschränkungen ein ARD-Kamerateam angegriffen hat. Der Tatverdächtige ist, nach seiner Festnahme vor Ort, wieder frei. Es liegt eine Strafanzeige wegen Körperverletzung vor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben