Verschwörungsdemonstrationen in Berlin: AfD jetzt auch für Hygiene
Innenausschuss diskutiert über illegale Versammlungen vom Wochenende. Rot-Rot-Grün und CDU kritisieren die Teilnehmer. Ganz anders die AfD.
Die Akzeptanz gegen die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus sinkt. Anfangs seien die Kontrollen der Polizei in Parks von Beifall begleitet gewesen, sagte Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Montag im Innenausschuss. Jetzt sei es umgekehrt. „Die Berliner sind der Regelungen überdrüssig, das ist deutlich zu sehen.“ Bei der Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner sei aber nach wie vor eine große Disziplin spürbar.
Die Auswirkungen der Coronakrise waren zum wiederholten Mal das einzige Thema im Innenausschuss. Großen Raum in der Debatte nahmen die nicht angemeldeten Versammlungen ein, die unter Bezeichnungen wie „Hygienedemonstrationen“ firmieren und hinter denen sich ein krudes Spektrum verbirgt. Geisel sprach von einer „seltsamen Mischung aus Querfront von ganz rechts bis ganz links, Esoterikern und Verschwörungstheoretikern“.
Drei Kundgebungen hat die Polizei am 8. und 9. Mai aufgelöst. Die Veranstaltungen bekämen immer mehr Zulauf und seien von einer hohen Aggressionsbereitschaft und Rücksichtslosigkeit gegenüber den eingesetzten Polizeibeamten begleitet. Die Einhaltung eines Mindestabstands aus Infektionsschutzgründen interessierte die Teilnehmer überhaupt nicht.
Allein am Alexanderplatz hätten sich 1.200 Personen versammelt, darunter auch Hooligans des BFC Dynamo. Nach Angaben von Polizeipräsidentin Barbara Slowik wurden acht Polizisten bei Handgreiflichkeiten verletzt. Die Polizei werde die Lage genau analysieren und daraus einsatztaktische Schlüsse ziehen, kündigte Slowik an.
Aber nicht nur der fraktionslose Abgeordnete Andeas Wild (mehr rechtsaußen geht im Abgeordnetenhaus nicht) zeigte Verständnis für die Demonstrationen. Auch die Vertreter der AfD fangen an aufzusatteln. Unter den Demonstranten seien doch auch vernünftige Leute, ob Infektionszahlen und die Maßnahmen des Senats noch im richtigen Verhältnis zueinander stünden, so der innenpolitische Sprecher der AfD, Karsten Woldeit.
Sein Kollege Marc Vallandar, über Mikrofon von außen in den Ausschuss zugeschaltet, sagte, die demonstrierenden Bürger seien keine Bittsteller. Immerhin handelte es sich bei den Eindämmungsmaßnahmen „um schwere Grundrechtsverletzungen“. Die „schweren sozialen und menschlichen Verwerfungen“ werde man noch zu spüren bekommen.
Die Reaktionen der rot-rot-grünen Innenpolitiker und auch die der CDU ließen nicht zu wünschen übrig. Tom Schreiber (SPD) sagte, ihn habe angesichts der Sprüche der Demonstranten am Alexanderplatz blankes Entsetzen erfasst. Die Polizisten seien als „Stasis“ bezeichnet worden. In dem Getümmel herauszufinden, wer der Kern dieser Bewegung sei, sei eine schwierige Aufgabe.
Er fühle sich an das Entstehen der Gelbwesten-Bewegung in Frankreich erinnert, sagte Schreiber. Berechtige Fragen und Ängste würden für andere Zwecke instrumentalisiert. Der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem habe da eine wichtige Rolle, so Schreiber. Wer sich hinter einer Gruppierung namens Widerstand 20/20 verberge?
Niklas Schrader (Linke) und Benedikt Lux (Grüne) warfen der AfD mangelnde Distanzierung vor. Mehr noch, die AfD versuche daraus politisches Kapital zu schlagen, sagte Schrader. Ausgerechnet sein eigener Parteifreund Wolfgang Albers (Linke) war es dann, der – aus dem Off zugeschaltet – für seinen Beitrag den Beifall der AfD-Abgeordneten erntete: Diese Viruserkrankung müsse in die gesellschaftliche Wahrnehmung genauso integriert werden wie alle anderen Krankheiten, meinte Albers. „Der virologische Blick verengt manchmal die Sicht auf die Welt.“ Das müssten die Politiker bei ihren Schlussfolgerungen berücksichtigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben