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AfD-Bürgermeister über Zweiten WeltkriegZuerst an die deutschen Opfer denken

Holocaust oder SS-Verbrechen spielten in Roßlaus offizieller Gedenkrede am 8. Mai keine Rolle. Gehalten wurde sie von einem Ortsbürgermeister mit Neonazi-Vergangenheit.

Laurens Nothdurft, Ortsbürgermeister von Roßlau, bei der Kranzniederlegung, am 8. Mai 2025 Foto: Hardy Krüger

Leipzig taz | Nachdem Laurens Nothdurft einen Blumenkranz abgelegt hatte, schlug er eine blaue Mappe auf und setzte zu seiner Rede an. Etwa 30 bis 40 Menschen hörten dem AfD-Politiker und Ortsbürgermeister von Roßlau in Sachsen-Anhalt zu, auf dem Sowjetischen Ehrenfriedhof am vergangenen Donnerstag. Es war der 8. Mai, 80 Jahre, nach dem Tag der Befreiung von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.

Doch in Nothdurfts Rede fiel nicht einmal das Wort „Nationalsozialismus“. Das ist nicht der einzige Grund, weshalb ihm Be­ob­ach­te­r:in­nen vorwerfen, mit seiner Rede den Sinn des Gedenkens zu untergraben. Schon vor Ort erntete er eine Gegenrede. Dabei spielt auch sein politischer Kontext eine große Rolle.

Im vergangenen Jahr wurde der AfD-Politiker zum Ortsbürgermeister von Roßlau gewählt, einem Vorort der drittgrößten Stadt in Sachsen-Anhalt, Dessau-Roßlau. Zuvor war er zeitweise „Bundesführer“ bei der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ), die 2009 wegen ihrer „Wesensverwandtschaft“ zur Hitler-Jugend verboten wurde. Seine Partnerin Hildegard Nothdurft war dort „Bundesmädelführerin“. Fotos zeigen ihn auch auf NPD-Demonstrationen. Auch sein Vater Joachim Nothdurft tauchte im NPD-Umfeld auf, war auch Bundesschriftführer der rechten Kleinpartei DSU. Und sitzt jetzt für die AfD im Stadtrat.

Vom 8. Mai in Roßlau zeigt ein Video, wie sich eine Gruppe Schü­le­r:in­nen vor Laurens Nothdurth und dem Denkmal auf dem Sowjetischen Ehrenfriedhof aufstellt. In seiner Rede erinnerte der Ortsbürgermeister zum Beginn an die Toten des Zweiten Weltkriegs. Als erste Gruppe stellte er dabei die deutschen Sol­da­ten heraus. Dann nannte der AfDler „Frauen, Kinder, Greise als Opfer im Bombenkrieg“ und noch jene deutschen Soldaten, die in alliierter Gefangenschaft starben. Zuletzt erinnerte Nothdurft an die „insgesamt 37 Millionen sowjetischen Kriegstoten“.

NS-Verbrechen aussparen statt leugnen

Im Zweiten Weltkrieg seien insgesamt bis zu 80 Millionen Menschen gestorben. „Gedenken wir in würdiger Weise derer, die ihr Leben gegeben haben“, forderte Laurens Nothdurft. Nach dem 8. Mai sei „unser Volk durch ein tiefes und langes Tal der Not und der Demütigung“ gegangen, zu einer „moralischen Erneuerung“ und in anhaltenden Frieden. Und was sei wichtiger als Frieden?

Doch Be­ob­ach­te­r:in­nen finden interessanter, was Nothdurft nicht gesagt hat. „Jüdische Opfer waren überhaupt nicht Thema dieser Rede“, sagt etwa Lukas Jocher vom Projekt Gegenpart, dem mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Anhalt. Auch die Kriegsverbrechen der Wehrmacht und SS oder den deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion ließ der Ortsbürgermeister unerwähnt. „Stattdessen sprach er vom ‚deutschen‘ Leid“, analysiert Jocher.

In dem Nothdurft die NS-Verbrechen ausspare, versuche er, sie zu „dethematisieren“, also von der Agenda zu streichen. Diese Taktik sehe man auch bei anderen Rechtsextremen, erzählt Jocher. Es sei für sie leichter, die Shoa und die deutschen Kriegsverbrechen auszusparen, als sie zu leugnen.

Davon berichtete zuletzt auch der Rechtsextremismusexperte Volker Weiß im Interview mit der ARD: „Die äußerste deutsche Rechte hat nach wie vor das Problem, im Schatten der NS-Verbrechen und der Kriegsniederlage zu stehen. Sie reagiert darauf mit der Forderung nach einem Perspektivwechsel. Die Erinnerung müsse sich wieder auf die deutschen Verluste und die Auflösung des Reiches konzentrieren.“

Auf Anfrage der taz erklärte Laurens Nothdurft am Freitagnachmittag, er habe in seiner „kurzen Erinnerung anlässlich des Kriegsendes vor 80 Jahren“ keine Aspekte bewusst vergessen. „Kern meiner Rede war, den Blick nach vorn zu richten. Ganz ausdrücklich in eine positive Zukunft“, das habe er den Schü­le­r:in­nen zu vermitteln versucht. „Daran ist nichts falsch“, findet Nothdurft.

Kritik am AfD-Politiker

Der Fall Nothdurft verdeutlicht laut Jocher, wie sich die Grenzen des Sagbaren verschieben. Die Normalisierungsstrategie funktioniere „erschreckend gut“. Trotz seiner HDJ-Vergangenheit gehe die lokale Presse mit Nothdurft um, wie mit allen anderen Politiker:innen.

Dabei hat selbst die AfD eigentlich einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der HDJ. Das heißt, ehemalige HDJ-Mitglieder können nur bei der AfD eintreten, wenn „der zuständige Landesvorstand sich nach Einzelfallprüfung mit Zweidrittel seiner Mitglieder für die Aufnahme entscheidet“, wie es in der aktuellen Satzung heißt. Bei Laurens Nothdurft dürfte das so gewesen sein.

Lukas Jocher vermutet, die AfD teste mit Nothdurft aus, wie weit sie gehen könne. „Und ich glaube, dass die politische Karriere von Herrn Nothdurft noch nicht an ihrem Ende ist“, sagt Jocher. Nächstes Jahr stehen die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt an.

Am vergangenen Donnerstag beendete Nothdurft seine Rede mit einem kurzen Moment „der gemeinsamen Stille und des Nachdenkens“.

Doch das Video zeigt, wie danach ein junger Mann an seine Stelle tritt. „Der 8. Mai markiert den Tag der Befreiung vom Faschismus“, sagt er laut und benennt in einer kurzen Ansprache Nothdurfts Neonazi-Vergangenheit. Es gehe beim Gedenken nicht nur um die deutschen Toten, „sondern um die ganzen Menschen, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden“.

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