Absage eines Uni-Vortrags in Berlin: Die große Heuchelei
Die HU hat einen Vortrag wegen angekündigter Proteste abgesagt. Ernsthaft? Dann können wir die Meinungsfreiheit gleich aus dem Grundgesetz streichen.
![Drei Clownsfische Drei Clownsfische](https://taz.de/picture/5653139/14/30541260-1.jpg)
C lownfische können ihr Geschlecht wechseln, wenn es für die Fortpflanzung opportun erscheint. Auch andere Fischarten sind trans – ein Phänomen, das schon in den 1980ern Wissenschaftler faszinierte. Wenn Kritiker*innen also meinen, die Biologin Marie Luise Vollbrecht sei mit ihrer Spezialisierung auf Fische ungeeignet, um über Geschlechter in der Tier- und Pflanzenwelt an der Berliner Humboldt-Universität (HU) einen Vortrag zu halten, sind sie auf dem Holzweg.
Doch ohnehin geht es gar nicht um Fragen der Qualifikation oder der wissenschaftlichen Zuständigkeit. Die HU hat Vollbrechts Vortrag im Rahmen der „Langen Nacht der Wissenschaften“ abgesagt, weil Proteste von Aktivist*innen angekündigt waren, die der Biologin wegen eines Beitrags in der Welt Transfeindlichkeit vorwerfen.
Dieses Argument muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit hört also dort auf, wo Proteste angekündigt werden? Können dann auch auch umgekehrt rechte Burschenschaften Vorträge über Transfeindlichkeit oder die rechtliche Bewertung von Abtreibungen mit Protestankündigungen verhindern? Werden Veranstaltungen abgesagt, weil die AfD vor und nach und währenddessen protestieren will?
Was die HU da abliefert, ist große Heuchelei. In Bezug auf Vollbrechts Vortrag hat sie erschrocken zurückgezuckt. Dass sie nun den Vortrag doch noch nachholen will in einem weniger öffentlichen Zusammenhang, macht es nicht besser. Der Schaden ist da und hat bereits die Botschaft verbreitet, dass die Humboldt-Universität kein offener Diskussionsraum ist.
Der Biologin aufgrund woker Bedenken einfach kurzfristig abzusagen, ist einer wissenschaftlichen Einrichtung unwürdig. Eine Universität muss abweichende Meinungen und Kolleg*innen aushalten können, statt sich der Cancel-Forderung anzuschließen. Proteste, auch laute und unangenehme, sind einer Universität zuzumuten. Die im Grundgesetz verankerten Rechte und Freiheiten können nämlich auch von noch so viel Protest nicht einfach weggecancelt werden.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Start der Münchner Sicherheitskonferenz
Kulturkampf gegen Europa
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss