Abgeschwächte EU-Vorgaben: Glaubwürdigkeit der Klimaziele in Gefahr
Die EU-Kommission will Autobauern weniger Klimaschutz vorschreiben. Das werde der Industrie kaum helfen und schade dem Klima, kritisieren Ökonom*innen.
Ökonom*innen und Klimaschützer*innen kritisieren die abgeschwächten Klimaschutzvorgaben für Autos, die die EU-Kommission am Dienstag vorstellte. „Am Ende wird sich die effizientere Technologie durchsetzen“, sagte Maximilian Paleschke von der Denkfabrik Dezernat Zukunft der taz. „Und das ist das E-Auto. Veraltete Technik wird uns nicht das neue Wachstum bringen.“
Die EU-Kommission schlägt vor, dass die Auto-Industrie die CO₂-Emissionen ihrer neu zugelassenen Fahrzeuge bis 2035 nur noch um 90 Prozent reduzieren muss, Verbrenner sowie Plug-in-Hybride bleiben also erlaubt. Den aktuellen Regeln zufolge dürfen ab 2035 keine neuen Verbrenner zugelassen werden. Ein neues Ausstiegsdatum soll es nicht geben. Das EU-Parlament muss dem Vorschlag noch zustimmen.
Will ein Autohersteller in seiner Flotte weiter Verbrenner verkaufen, muss er dem Willen der Kommission nach die dadurch entstehenden CO₂-Emissionen ausgleichen. 30 Prozent der Kompensation sollen über CO₂-neutral produzierte Kraftstoffe wie E-Fuels oder Biogas erfolgen, 70 Prozent über den Einsatz von klimaneutral hergestelltem Stahl. Außerdem sollen kleinere, billigere E-Autos stärker gefördert werden und es gibt strengere Vorgaben zur Elektrifizierung der Dienstwagenflotten von Unternehmen, die in der EU 60 Prozent der Neuzulassungen ausmachen.
Kemfert: Kompromiss verzögert Innovationen
Maximilian Paleschke, Dezernat Zukunft
Der Ökonom und Physiker Paleschke hält es für „befremdlich, inwieweit die Frage des Verbrenner-Aus mit der Zukunftsfähigkeit der europäischen Auto-Industrie verknüpft wurde“. Wie ein langfristig profitables Geschäftsmodell aussehen kann, werde vom Vorschlag der Kommission nicht adressiert. Stattdessen verliere die Industrie Planungssicherheit.
„Neue Investitionen in die Herstellung von Verbrennern und Hybriden bringen die Gefahr mit sich, dass die Regeln in den 2030er Jahren weiter aufgeweicht werden“, fürchtet Paleschke. Die zusätzlichen CO₂-Emissionen mit grünem Stahl auszugleichen, sei vor dem Hintergrund des politischen Drucks aber der vernünftigste Kompromiss.
Die Ökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung kritisiert den Vorschlag schärfer: E-Fuels, Bio- oder Hybridlösungen seien ineffizient, teuer und in viel zu geringen Mengen verfügbar. „Sie verlängern den Verbrenner künstlich, verzögern Innovationen und gefährden Klimaziele“, sagte sie.
Ähnlich sieht das Pauline Schur, Teamleiterin Klima & Verkehr beim Nabu: „Der neue alte Fokus auf Verbrenner soll die glorreichen Zeiten des Autoexportweltmeisters Deutschland wieder heraufbeschwören“, sagte sie. „Doch der technologische Fortschritt kann ebenso wenig aufgehalten werden wie die Klimakrise: Ohne den schnellen Hochlauf der Elektromobilität wird die europäische Automobilindustrie immer mehr zum Statisten im internationalen Wettbewerb.“
Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club ADFC hält den Vorschlag der Kommission für einen klimapolitischen Rückschritt. „Der Verkehrssektor verfehlt Jahr für Jahr seine Emissionsziele und gehört damit zu den größten Baustellen beim Klimaschutz“, sagte der ADFC-Vorsitzende Frank Masurat. Die geplanten Ausnahmen stellten die Glaubwürdigkeit der europäischen Klimaziele infrage. „Wir brauchen keine neue Debatte, sondern Planbarkeit und Verlässlichkeit für eine gute, gerechte Mobilität für alle.“
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