+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Kiews Soldaten kämpfen weiter
Die Ukraine ignoriert die von Russland einseitig erklärte Waffenruhe. Russland wertet Deutschlands Zusage der Panzerlieferung als Eskalation des Konflikts.
Russland verurteilt Panzerlieferung an die Ukraine
Russland hat die Entscheidung Deutschlands zur Lieferung von Schützenpanzern und eines Patriot-Flugabwehrsystems an die Ukraine als „Schritt hin zur Konflikteskalation“ verurteilt. Mit der Bereitstellung dieser schweren Waffen werde erneut eine „moralische Grenze“ überschritten, erklärte die russische Botschaft in Berlin am Freitag. Sie verwies dabei auf die historische Verantwortung Deutschlands für die von den Nazis an Russen begangenen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg.
In Deutschland läuft unterdessen bereits die Diskussion über weitere Waffenlieferungen an die Ukraine für den Kampf gegen die russischen Angreifer. Politiker von Grünen, FDP und Union dringen darauf, ebenfalls die deutlich schlagkräftigeren Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 ins Kriegsgebiet zu schicken. Pläne der Bundesregierung gibt es dafür aber bisher nicht. (dpa)
Ukraine ignoriert Feuerpause
Während der von Russland einseitig erklärten Waffenruhe zum orthodoxen Weihnachtsfest haben ukrainische Soldaten im Donezker Gebiet das Feuer auf Stellungen des Feindes eröffnet. „Auf diese Weise gratulieren sie den Besatzern zum bevorstehenden Weihnachten!“, teilte das Verteidigungsministerium in Kiew am Freitag in sozialen Netzwerken mit. In der Kleinstadt Bachmut seien Stellungen der russischen Truppen mit 120-Millimeter-Mörsergranaten als „Geschenk“ beschossen worden. „Der Widerstand geht weiter, bis der letzte russische Eindringling auf ukrainischem Boden getötet ist!“, hieß es in der Mitteilung.
Russland hat im Februar eine Invasion der Ukraine begonnen. Zum orthodoxen Weihnachtsfest verkündete Moskau erstmals seit Kriegsbeginn eine für die gesamte Front geltende 36-stündige Waffenruhe, die von Kiew aber abgelehnt wurde. Während der Feuerpause verhängten die ukrainischen Behörden am Freitag für circa zwei Stunden einen Luftalarm im ganzen Land. Auslöser sollen nach Medienberichten mehrere über dem benachbarten Belarus aufgestiegene Flugzeuge der russischen Luftwaffe gewesen sein. (dpa)
Ist die von Putin verordnete Feuerpause ein Vorwand?
Wladimir Putin hatte die Feuerpause am Donnerstag kurzfristig und überraschend angekündigt. Als Grund nannte er das russisch-orthodoxe Weihnachtsfest. Die Ukraine reagierte misstrauisch und wies Putins Vorstoß zurück. „Sie wollen nun Weihnachten als Vorwand nutzen, wenn auch nur kurz, um den Vormarsch unserer Jungs im Donbass zu stoppen und Ausrüstung, Munition und mobilisierte Truppen näher an unsere Stellungen zu bringen“, sagte Präsident Selenski in seiner abendlichen Videoansprache am Donnerstag. Das werde Russland jedoch nichts bringen. Auf Russisch und nicht Ukrainisch betonte Selenski, dass der Krieg erst dann ende, wenn Russland seine Aggression einstelle.
In Russland entspricht der 6. Januar Heiligabend, der hierzulande auf den 24. Dezember fällt. Das eigentliche Weihnachtsfest wird in der russisch-orthodoxen Kirche am 7. Januar gefeiert. Auch in der Ukraine wird dies teilweise so gehandhabt. Allerdings haben viele Ukrainer ihr Weihnachtsfest inzwischen auf die im Westen üblichen Daten verlegt.
US-Präsident Joe Biden deutete an, dass er Putins Feuerpausen-Angebot als Zeichen der Verzweiflung interpretierte. „Ich glaube, er versucht, etwas Sauerstoff zu finden“, sagte er zu Journalisten in Washington. Der Leiter der ständigen Vertretung Russlands bei den Vereinten Nationen, Dmitri Poljanski, schrieb dagegen auf Twitter, die Reaktion der Ukraine zeige einmal mehr, gegen wen sein Land in der Ukraine kämpfe: „rücksichtslose nationalistischen Kriminelle, die … keinen Respekt vor heiligen Dingen haben“. (rtr)
Lukaschenko besucht russische Truppen in Belarus
Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hat nach Angaben seines Verteidigungsministeriums eine Militärbasis besucht, auf der russische Soldaten stationiert sind. Bei einem Treffen mit einem namentlich nicht genannten Vertreter der russischen Armee habe er über die gemeinsamen Militärmanöver der beiden Länder gesprochen. Das Verteidigungsministerium in Minsk teilt zudem mit, dass ein Zug mit weiteren russischen Soldaten und Ausrüstung in Belarus angekommen sei.
Am Donnerstag hatte Belarus erklärt, weitere Waffen und Ausrüstung von Russland zu erhalten, um die militärische Zusammenarbeit der beiden verbündeten Länder zu stärken. Die Entwicklung schürt Sorgen, dass von Belarus aus ein Angriff auf die angrenzende Ukraine vom Norden her erfolgen könnte. Minsk hat erklärt, nicht in den Krieg in der Ukraine einzutreten. Russland hat nach ukrainischen Angaben allerdings von Belarus aus seine Invasion mit auf den Weg gebracht und nutzt den Angaben nach auch weiterhin den belarussischen Luftraum für Drohnen- und Raketenangriffe. (rtr)
Deutschland liefert Marder-Panzer
Deutschland und die USA haben die Lieferung von Schützenpanzern und Flugabwehr-Systemen an die Ukraine angekündigt. Eine entsprechende Vereinbarung von Kanzler Olaf Scholz und Präsident Joe Biden gab die Bundesregierung am Donnerstagabend nach einem Telefonat der beiden Männer bekannt. Diese hätten ihre Entschlossenheit bekundet, der Ukraine so lange wie nötig die erforderliche Unterstützung zu gewähren. „Zu diesem Zweck beabsichtigen die Vereinigten Staaten, der Ukraine Schützenpanzer vom Typ ‚Bradley‘ zur Verfügung zu stellen, und Deutschland beabsichtigt, Schützenpanzer vom Typ ‚Marder‘ zu liefern.“
Moskaus Botschafter in Washington warf den USA nach der Ankündigung mangelnden Willen zur Beilegung des Kriegs vor. Alle jüngsten US-Aktionen zeigten direkt, dass Washington keinen Wunsch für eine politische Lösung in der Ukraine habe, sagte der russische Botschafter Anatoli Antonow laut russischer Staatsagentur Tass am Donnerstag in Washington. „Es sollte kein Zweifel daran bestehen, wer für die Verlängerung des jüngsten Konflikts verantwortlich ist.“
Deutschland will noch im ersten Quartal rund 40 Schützenpanzer vom Typ „Marder“ an die Ukraine liefern. Das kündigt Regierungssprecher Steffen Hebestreit ab. Es gelte, ein Bataillon zu bestücken. Die Ausbildung an dem Panzer soll in Deutschland erfolgen und rund acht Wochen dauern. Auch ein Patriot-Flugabwehrraketensystem aus Bundeswehrbeständen soll noch im ersten Quartal an die Ukraine gehen. Auch hier soll die Ausbildung in Deutschland stattfinden.
Zuvor war in US-Kreisen von etwa 50 „Bradley“ im Rahmen eines neuen Militär-Hilfspakets die Rede. Dieses solle am Freitag vorgestellt werden. Die beiden Staaten folgen damit dem Nato-Verbündeten Frankreich, das angekündigt hatte, Spähpanzer vom Typ AMX-10 RC an die Ukraine zu liefern. „Deutschland schließt sich den Vereinigten Staaten an und stellt eine weitere ‚Patriot‘-Flugabwehrraketenbatterie zur Verfügung“, teilte die Bundesregierung weiter mit. Russland überzieht die Ukraine mit Drohnen- und Raketenangriffen, die die Energie-Netze des Landes treffen.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski bedankte sich bei Scholz am späten Abend in einem auf Deutsch verfassten Tweet für das „Patriot“-System. „Zusammen mit dem früher gelieferten IRIS-T System und den Gepard-Panzern macht Deutschland einen wichtigen Beitrag dazu, dass alle russische Raketen abgefangen werden.“
Politiker der Ampel-Koalition fordern seit Längerem, dass Deutschland der Ukraine sowohl „Marder“ als auch schwere Kampfpanzer des Typs „Leopard“ 2 liefert. Scholz hatte wiederholt erklärt, dass Deutschland bei diesen Systemen nur nach enger Abstimmung mit den westlichen Partnern aktiv werden würde. Finanzminister Christian Lindner (FDP) schrieb dazu auf Twitter: „Es war richtig, auf Alleingänge zu verzichten, auch wenn Entscheidungen künftig schneller getroffen werden können.“ Die Durchhaltefähigkeit der Ukraine müsse „größer bleiben als Putins Grausamkeit“. (rtr/dpa)
Hofreiter fordert Lieferung von Kampfpanzern
Nach der Entscheidung Deutschlands und der USA zur Lieferung von Schützenpanzern an die Ukraine hat der Grünen-Europapolitiker Anton Hofreiter auch die Lieferung von Kampfpanzern gefordert. „Ich würde mir wünschen, dass als Hauptherstellungsland von Leopard 2 wir eine europäische Initiative starten für die Lieferung von Leopard 2 und gemeinsam mit Europa schauen, was wir alles der Ukraine liefern können, damit sie die besetzten Gebiete befreien können“, sagte Hofreiter am Freitag im ARD-“Morgenmagazin“.
Die Strategie müsse sein, dass die Ukraine mit allem unterstützt werde, was sie auf dem Gefechtsfeld brauche, und dazu gehöre noch deutlich mehr. Die Gefahr, dass Deutschland dadurch zur Kriegspartei werden würde, wies der Vorsitzende des Bundestags-Europaausschusses zurück. „Je deutlicher wir die Ukraine unterstützen und je klarer wir Putin signalisieren, dass wir mit dieser Unterstützung nicht nachlassen, desto höher ist die Chance, dass dieser Krieg beendet wird“, sagte der Grünen-Politiker.
Die Entscheidung, mehrere Dutzend Exemplare des Schützenpanzers „Marder“ liefern zu wollen, bezeichnete Hofreiter als „sehr, sehr spät“. „Wenn diese Panzer früher geliefert worden wären, dann wären weniger ukrainische Soldaten gestorben. Das muss man ganz klar sagen“, sagte der Grünen-Politiker.
Russische Feuerpause soll in Kraft treten
Um 10.00 Uhr MEZ an diesem Freitagmittag soll eine anderthalbtägige und einseitige Waffenruhe der russischen Armee beginnen, die Kremlchef Wladimir Putin angesichts des orthodoxen Weihnachtsfests angeordnet hat. Es wäre erstmals seit Kriegsbeginn Ende Februar eine Feuerpause entlang der gesamten Frontlinie – falls sie wirklich eingehalten wird. Das jedoch ist äußerst fraglich. In Kyiv ist von „Heuchelei“ und „Propaganda“ die Rede, auch die Bundesregierung und andere westliche Politiker reagierten zurückhaltend.
In Putins Dekret heißt es: „Unter Berücksichtigung des Aufrufs von Patriarch Kirill beauftrage ich das russische Verteidigungsministerium vom 6. Januar 12.00 Uhr mittags (10.00 Uhr MEZ) bis 7. Januar 24.00 Uhr (22.00 Uhr MEZ) eine Feuerpause entlang der gesamten Linie der bewaffneten Auseinandersetzung in der Ukraine in Kraft zu setzen.“ Zuvor hatte Kirill, das einflussreiche Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, zu einer Waffenruhe in der Ukraine über Weihnachten aufgerufen. Die orthodoxen Kirchen in Russland und in der Ukraine feiern die Geburt Jesu Christi traditionell nach dem julianischen Kalender am 7. Januar.
Die Führung in Kyiv bezeichnete die Feuerpause als „Heuchelei“. Der Berater im ukrainischen Präsidentenbüro, Mychajlo Podoljak, schrieb auf Twitter: „Russland muss die besetzten Gebiete verlassen – nur dann wird es eine „zeitweilige Waffenruhe“ geben.“ Im Gegensatz zum russischen Gegner greife die Ukraine kein fremdes Territorium an und töte keine Zivilisten.
Beobachter in Kyiv gingen davon aus, dass die Feuerpause den Ukrainerinnen und Ukrainern zwar möglicherweise Angriffe mit Raketen und Drohnen über die Weihnachtstage ersparen könnte. An den Fronten im Osten und Süden des angegriffenen Landes hingegen werde sich die Lage hingegen wohl kaum verändern.
Auch EU-Ratschef Charles Michel warf Russland heuchlerisches Verhalten vor. „Ein Rückzug der russischen Truppen ist die einzige ernsthafte Option, um Frieden und Sicherheit wiederherzustellen, schrieb er auf Twitter.
Ein Besatzungschef erklärte darüber hinaus bereits, russische Truppen würden ungeachtet von Putins Befehl auch weiterhin ukrainische Angriffe erwidern. „Die Entscheidung betrifft die Einstellung des initiativen Feuers und der Angriffshandlungen von unserer Seite“, schrieb der von Moskau im ostukrainischen Gebiet Donezk eingesetzte Denis Puschilin im Nachrichtendienst Telegram.
Puschilin fügte hinzu: „Das bedeutet nicht, dass wir nicht auf Provokationen des Gegners antworten werden! Oder dem Feind auch nur irgendeine Chance geben werden, während dieser Feiertagsstunden seine Positionen an der Frontlinie zu verbessern.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste