Der Fall Kilani: Ermittlung unter Freunden
Ein israelischer Militärschlag tötet 2014 eine deutsch-palästinensische Familie. Doch deutsche Ermittler zögern. Neue Daten zeigen mögliche Gründe auf.
E lf Jahre und sechs Monate ist es her, dass Ramsy Kilani das letzte Mal mit seinem Vater Ibrahim telefoniert. Er ruft damals aus dem westfälischen Siegen an. Sein Vater, ein in Deutschland ausgebildeter Architekt, telefonierte aus dem Gazastreifen. Es ist der Sommer 2014: Israel führt Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen, und Ibrahim Kilani flieht mit seiner Familie vor den Bomben in ein Bürogebäude in Gaza-Stadt.
Einen Tag nach dem Telefonat ist Ibrahim Kilani tot. Und mit ihm seine Ehefrau, ihre fünf gemeinsamen Kinder sowie vier Geschwister der Frau. Getötet bei einem israelischen Luftangriff auf das Bürogebäude.
Der gewaltsame Tod der Familie wird sowohl die deutsche als auch die israelische Justiz über Jahre beschäftigen. Denn Ibrahim Kilani und seine Kinder waren deutsche Staatsbürger. Sobald deutsche Ermittlungsbehörden Kenntnis von einer mutmaßlich schweren Straftat gegen die eigenen Staatsbürger erhalten, auch im Ausland, sind sie verpflichtet, sich den Fall anzusehen. Die Generalanwaltschaft des Bundes beginnt mit Vorermittlungen. Doch ein offizielles Ermittlungsverfahren wird nie eröffnet.
Neue Daten aufgetaucht
Ramsy Kilani, Sohn und Halbbruder der Opfer, verlangt Aufklärung. Und stellt deshalb mithilfe des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) im Jahr 2014 einen Strafantrag. Die Tötung seiner Familie soll nach dem Völkerstrafgesetzbuch geprüft werden.
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Über den Fall – vor allem aber über die juristische Aufarbeitung und deren Grenzen – hat die taz bereits 2022 ausführlich berichtet: Damals gab der Generalbundesanwalt die Beendigung der Vorermittlungen bekannt. Eine abschließende Feststellung, ob ein Kriegsverbrechen begangen wurde, sei nicht möglich, weil die Beweise nicht zu erbringen seien, hieß es damals zum Tod der deutsch-palästinensischen Familie.
Doch nun sind Mails aus dem isrealischen Justizministerium aufgetaucht, die ein komplexeres Bild zeichnen. Es ist ein gewaltiges Leak interner Dokumente, vermutlich hat eine der Islamischen Republik Iran nahestehende Hackergruppe die Papiere erbeutet. 245 Gigabyte Daten landeten bei der gemeinnützigen Whistleblower-Organisationen Distributed Denial of Secrets – dort sind über zwei Millionen E-Mails, Bilder, Dokumente und weitere Dateien abrufbar.
Das Schlagwort „Kilani“ taucht darin Hunderte Male auf, auf Deutsch und Hebräisch: in internen Protokollen, Entwürfen für offizielle Schreiben und Korrespondenzen mit deutschen Behörden.
Ziemlich beste Freunde
Aus den geleakten Unterlagen geht hervor: Der Fall Kilani band im israelischen Justizministerium erhebliche Ressourcen – und wurde als Chance betrachtet. Um zu zeigen, dass das eigene Rechtssystem funktioniert und Ermittlungen in Fällen mutmaßlicher israelischer Kriegsverbrechen durch Drittstaaten oder durch internationale Gerichte nicht nötig seien.
So wurde in einem internen Dokument, das sich in den Leaks befindet, auf „den hohen zusätzlichen Nutzen“ einer eigenen Untersuchung im Fall Kilani verwiesen, „wenn es darum geht, dass der Staat mit Versuchen umgeht, ihn vor verschiedenen Gerichten im Ausland anzufechten“.
Darüber hinaus zeichnen die Dokumente ein Bild enger und freundschaftlicher Kontakte zwischen der Generalbundesanwaltschaft und dem israelischen Justizministerium.
Doch von vorne: Im Sommer 2014 herrscht im Gazastreifen wieder einmal Krieg zwischen Israel und der Hamas, die 2007 die Kontrolle über den gesamten Küstenstreifen mit Gewalt übernommen hatte. Die Familie Kilani flüchtet vor den Gefechten aus ihrer Heimatstadt in das Büro eines Verwandten in Gaza-Stadt. Am Abend des 21. Juli 2014 befindet sich in der darunterliegenden Etage im selben Gebäude Shaban Dahdoh, ein ranghoher Kommandant der Iran-nahen Miliz Palästinensicher Islamischer Dschihad. Ihm galt der Angriff.
Vorsichtige Vorermittlungen
Doch mit ihm wurden elf Angehörige der Familie ausgelöscht. Zwei Kinder aus Ibrahim Kilanis erster Ehe, Ramsy und seine Schwester, bleiben in Deutschland als Halbwaisen zurück.
Schon kurz nach dem Angriff gibt es erste Medienberichte, die besagen: auch Deutsche sind unter den Opfern. Am 22. Juli 2014, dem Tag nach dem Angriff, legt die Generalbundesanwaltschaft einen sogenannten Beobachtungsvorgang an. Die Vorermittlungen haben damit begonnen. Und sie dauern. Im August 2015 schickt sie einen Fragenkatalog Richtung Israel. Und betont: Darauf zu antworten, sei freiwillig.
Das Konzept der „Vorermittlungen“, das die Generalbundesanwaltschaft dabei nutzt, ergibt sich gar nicht aus dem Gesetz, sagt Kai Ambos, Professor an der Universität Göttingen. Eigentlich ist der Ermittlungsablauf so: Liegt ein Anfangsverdacht auf eine Straftat vor, folgt daraus eine Verfolgungspflicht. Dann wird durch Ermittlungen ein möglicher Tatverdächtiger konkretisiert.
Ein formelles Ermittlungsverfahren hat Vorteile im Vergleich zu den inoffiziellen Vorermittlungen, erklärt Andreas Schüller. Der Rechtsanwalt betreute den Fall beim ECCHR. Er sagt: Man könne dann nicht nur ein Rechtshilfeersuchen an den Staat, aus dem die mutmaßlichen Täter stammen, richten und darin um Beweismittel bitten, sondern auch Zeuginnen und Zeugen, Expertinnen und Experten befragen, ohne dass Israel zustimmen muss. Prozessrechtlich haben die Geschädigten in einem offiziellen Ermittlungsverfahren zudem mehr Rechte als bei Vorermittlungen.
Tausende zivile Opfer
Der Begriff der Vorermittlungen ermöglicht es, ohne das große Besteck auszupacken, erst einmal zu ergründen: Liegt überhaupt ein Anfangsverdacht vor? Sprich: Haben israelische Soldaten bei dem Angriff, der die Familie Kilani tötete, gegen das Völkerrecht verstoßen?
Das klingt fast absurd – sind doch elf Zivilisten durch Gewalt ums Leben gekommen. Gewalt in Form einer Rakete. Ein Video, aufgenommen kurz nach dem Einschlag, zeigt die zerrissenen Körper der Kinder, grau vom Staub der zerstörten Wände. Nach Angaben der Vereinten Nationen starben im Krieg zwischen der Hamas und Israel 2014 insgesamt etwa 2.250 Palästinenserinnen und Palästinenser. Bei fast 1.500 von ihnen geht die UN davon aus, dass sie Zivilistinnen und Zivilisten waren. Auf israelischer Seite sterben 5 Zivilisten und etwa 65 Soldaten.
Doch Recht ist kompliziert, gerade im Krieg. Zwar soll das Völkerrecht Unbeteiligte schützen. Doch ihr Tod ist in einem Krieg nicht per se ein Verstoß dagegen. Etwa wenn der Angreifer erklärt, alles Mögliche getan zu haben, um die Zivilbevölkerung zu schützen. Und sich das Gegenteil, also eine Vernachlässigung dieser Sorgfaltspflicht, nicht hinreichend belegen lässt.
Ob das der Fall ist, will auch die Generalbundesanwaltschaft ermitteln. Darauf zielt der an Israel gesandte Fragenkatalog ab, der im Leak zu finden ist. Er fragt etwa, ob es Alternativen zu den eingesetzten Waffen gab, die einen wirksameren Schutz der Zivilbevölkerung gewährleistet hätten. Oder welche Informationen dem Militär vor oder während des Angriffs auf das Gebäude hinsichtlich der Anwesenheit von Zivilisten zur Verfügung standen.
Keine Hinweise auf Fehlverhalten
Das israelische Militär selbst ist verpflichtet, jedem „außergewöhnlichen Vorfall“ während eines Einsatzes nachzugehen. Der sogenannte Fact-Finding-Mechanism funktioniert so: Das Militär trägt Fakten zum Fall zusammen, dann entscheidet der Militärgeneralanwalt, ob eine offizielle Ermittlung oder ein Verfahren gegen Soldaten eröffnet wird.
Im Fall Kilani wird die Eröffnung eines Verfahrens von dieser Stelle im Militär abgelehnt. Der Tod der Familie sei „bedauerlich“ – aber es gebe keine Hinweise auf kriminelles Fehlverhalten seitens des Militärs, so der Militärgeneralanwalt. Die Argumentation: Das Militär habe nicht wissen können, dass sich in dem Bürogebäude abends Zivilisten aufhielten.
Das ECCHR zweifelte das später an: So habe der für das Bürogebäude verantwortliche Sicherheitsmann gegenüber einer mit dem ECCHR zusammenarbeitenden Nichtregierungsorganisation ausgesagt, dass die Familie mit einer Matratze und anderen persönlichen Gegenständen eingezogen sei. Sie habe außerdem mehrfach das Gebäude betreten und wieder verlassen.
In den geleakten Nachrichten aus dem Justizministerium findet sich eine E-Mail von Ende 2016. Adressat ist Roy Schöndorf, damals der stellvertretende Generalstaatsanwalt Israels und zuständig für internationales Recht. Es geht um ein Protokoll einer Sitzung mit Vertretern des Justizministeriums, des Außenministeriums, des Büros des Premierministers und des Militärgeneralanwalts, in der über den Kilani-Fall gesprochen wurde.
Israels Justiz lobt sich selbst
Laut dem Protokoll wurde dabei eine Strategie für die Behandlung des Falls erörtert. So sei „Roy der Meinung, dass dieser Fall eine hervorragende Gelegenheit für uns ist“, den eigenen Umgang mit solchen Fällen in ein „positives Licht“ zu rücken. Auch im Gespräch mit der taz heute bestätigt er: Der Fall sei eine Möglichkeit gewesen, die Arbeit der israelischen Justiz zu zeigen. Und betont: „Ich bin stolz auf unsere Arbeit und denke, es war eine gründliche Untersuchung.“
Im Völkerrecht gilt das sogenannte Subsidiaritätsprinzip: Wenn ein vermeintliches Kriegsverbrechen vorliegt, haben der Staat, in dem der Angriff stattfand, oder der Staat der mutmaßlichen Täter Vorrang bei den Ermittlungen. Ein Drittstaat muss zwar ermitteln, ob ein Verbrechen vorliegen könnte. Er muss aber sein eigenes Verfahren nicht fortführen, wenn in den betreffenden Staaten bereits Ermittlungen durchgeführt werden.
Als die taz zuletzt mit Roy Schöndorf zu dem Fall sprach, im Jahr 2022, hatte er gerade seine Position im Justizministerium verlassen. Die Geschichte der Kilanis kenne er gut, erklärte er damals: „Ich habe viel Zeit mit dem Fall verbracht.“ Wie viel Zeit es gewesen sein muss, wird aus den Leaks noch mal deutlich.
Roy Schöndorf, damals Vize- Generalstaatsanwalt Israels gegenüber der taz
Aus den Mails geht weiter hervor, dass ein Treffen mit einer Delegation der deutschen Generalstaatsanwaltschaft stattfinden soll. Im März 2017 ist es so weit. Das Ziel, so steht es in einer zuvor versendeten Mail: „Bei diesem Treffen wollen wir eine Einigung mit den deutschen Behörden erzielen, um ihnen dabei zu helfen, den Fall abzuschließen. Wir hoffen auch, dass diese Entscheidung […] mit einer positiven Stellungnahme zu den israelischen Ermittlungsmechanismen einhergeht.“
Danke für das schöne Dinner
Aus den E-Mails geht hervor: Man will den Besuchern zeigen, wie gut man selbst zu ermitteln weiß. Und ihnen einen möglichst angenehmen Aufenthalt bereiten, etwa mit einem Besuch in einem luxuriösen Restaurant in Jerusalem.
Bei dem Treffen darf die deutsche Delegation, bestehend unter anderem aus zwei Mitarbeitern der Generalbundesanwaltschaft, Ergebnisse der Untersuchung des Militärgeneralstaatsanwaltes einsehen, auch solche, die nicht öffentlich gemacht wurden. Ihnen wird die „faktische und rechtliche Basis“ der Vorgänge erklärt. Notizen dürfen sie aber nicht machen.
Auf Anfrage der taz erklärt Roy Schöndorf heute: An Details des Treffens mit den Kollegen aus Deutschland könne er sich heute nicht mehr erinnern. Er betont aber: „Sie haben viele Informationen von uns erhalten. Wir haben noch nie so viel mit einem anderen Staat geteilt.“
Aus den E-Mails lässt sich schließen: Das Treffen zum Fall der getöteten Kilani-Familie wurde wohl als erfolgreich betrachtet. Der Ton zwischen israelischen und deutschen Teilnehmern ist in weiteren geleakten Mails sehr freundlich: „Ein fruchtbarer Dialog“, heißt es da etwa oder ein „erfreuliches Treffen“. Von deutscher Seite wird sich bedankt „für die herzliche Einladung zum schönen Dinner“.
Ein Anfangsverdacht von sieben Jahren
Dass Beamte zweier befreundeter Staaten einen freundlichen Umgang miteinander pflegen, ist an sich nicht ungewöhnlich. Doch im Kontext des Falls blickt Rechtsanwalt Andreas Schüller darauf kritisch. Für das ECCHR betreute er den Fall der Familie Kilani, war dafür auch mit der Generalbundesanwaltschaft in Kontakt. Er sagt: Informationen zu sammeln, um festzustellen, ob ein Anfangsverdacht vorliegt, dauere normalerweise zwei bis drei Tage, vielleicht einige Wochen. Nicht aber sieben Jahre, wie im Fall Kilani.
Die Generalbundesanwaltschaft eröffnet zwar kein Ermittlungsverfahren, doch sie stellt die Vorermittlungen auch lange nicht ein, bis 2021. Das sorgt im Justizministerium in Israel für weitere Arbeit.
Im Herbst 2020 geht dort ein Brief der deutschen Staatsanwaltschaft ein. Darin werden teils Fragen aus dem Katalog von 2015 wiederholt, teils zusätzliche Fragen aufgeführt. In einer Mail zwischen Mitarbeitenden israelischer Ministerien steht dazu: „Wie du weißt, hatten wir im März 2017 einen intensiven Dialog hier in Jerusalem mit unseren deutschen Ansprechpartnern. Und wir dachten, das Thema liege schon hinter uns.“
Das Justizministerium beauftragt ein Rechtsgutachten einer in Deutschland ansässigen Anwaltskanzlei und fertigt ein eigenes Strategiepapier, in dem es den Fall noch mal durchgeht, an. Darin wird auch auf die verschiedenen Ermittlungsverfahren eingegangen, die in Deutschland möglich wären. Dabei werden auch Strukturermittlungsverfahren genannt.
Die politische Komponente
Deutschland hätte ein solches eröffnen können, sagt Andreas Schüller vom ECCHR. Diese werden genutzt, wenn es wenig Informationen zu einem Fall gibt, aber ein krimineller Anfangsverdacht möglich ist. Ein solches hat Deutschland etwa im Ukrainekrieg angelegt – eine Woche nach Kriegsbeginn, sagt Schüller – oder auch für den Bürgerkrieg in Syrien.
Schüller sagt: Noch nie habe Deutschland ein solches Verfahren zu Israel angelegt. Nicht im Gazakrieg von 2014 und auch nicht in dem Krieg, der dem Hamas-Überfall vom 7. Oktober 2023 folgte. Dabei steht der Vorwurf des Genozids vonseiten Hilfsorganisationen wie auch der Vereinten Nationen im Raum, und der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehle wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen Premier Benjamin Netanjahu und seinen Ex-Verteidigungsminister Joaw Gallant erlassen.
Warum ist das so? Schüller sagt: Es gebe eine Reihe von Faktoren. Zum Beispiel Ressourcen, und eine damit einhergehende Priorisierung von Fällen. Hinzu komme die politische Komponente „und die dürfte hier vermutlich ausschlaggebend sein“. Und betont: Gerade im Krieg in Gaza ab 2023 hätten solche Verfahren aber angelegt werden sollen.
Andreas Schüller von ECCHR
Zurück zum Kilani-Fall: Obwohl noch Ende 2020 ein weiterer Fragenkatalog an Israel gesendet wurde, geht im Jahr 2021 dann auf einmal alles ganz schnell: Es gibt ein Telefonat zwischen Roy Schöndorf und einem Mitarbeiter der Generalbundesanwaltschaft. Das geht aus den E-Mails hervor. Was darin besprochen wird, ist nicht bekannt.
Ein Satz für die Staatsanwaltschaft
Ein Hinweis ergibt sich aus den geleakten Mails. Dabei wird auf ein Telefonat Bezug genommen, in dem „sie Roy über ihre Bedürfnisse informierten“. Gemeint ist, so der weitere Kontext, die Staatsanwaltschaft. Demnach sei ein Satz, dass „wir der Staatsanwaltschaft keine weiteren Informationen zur Verfügung stellen können, unerlässlich, um ihm zu ermöglichen, ‚vom Baum herunterzukommen‘, sprich: die Ermittlungen einzustellen“. Und: „Anders als in anderen Ländern üblich, ist dieser Satz zusammen […] für den Abschluss der Ermittlungen unerlässlich.“
Roy Schöndorf sagt: An Details des Telefonats könne er sich nicht mehr erinnern. Doch er wolle betonen, dass die deutschen Staatsanwälte aus seiner Sicht „professionell gearbeitet und uns keinen Gefallen getan haben“.
Die Generalbundesanwaltschaft beendet kurz nach dem Telefonat ihre Vorermittlungen. Sie schreibt: Die „genaue Aufhellung der Faktenlage“ sei „unerlässlich in der zu prüfenden Situation“. Und die „vorhandenen Erkenntnisse lassen eine rechtliche Bewertung anhand der aufgezeigten Maßstäbe nicht zu“. Weitere Informationen seien nicht zu erlangen. Damit sei ein Verfahren wohl „aussichtslos“.
Auf Fragen zu den Leaks möchte die Generalbundesanwaltschaft nicht antworten. Das Jusitzministerium in Israel reagiert auf eine Anfrage der taz nicht.
Schüller sagt: Es sei normal, dass die betroffenen Staaten, in denen sich mögliche Täter aufhalten, diese Details nicht herausgeben wollen. „Dann muss man eben formal ermitteln – ob der tatverdächtige Staat das will, oder nicht.“ Rechtlich ist die Entscheidung der Generalbundesanwaltschaft zulässig. Doch Schüller sagt: „Job verfehlt.“ Man hätte mehr tun können.
Enttäuscht von Deutschland
Dass Deutschland mehr für die Aufklärung des Todes seines Vaters hätte tun können, hatte sich Ramsi Kilani schon gedacht. Die Enttäuschung, als er von dem Leak – und den darin ausgeführten engen Verbindungen – erfährt, ist ihm dennoch deutlich anzumerken.
Viel ist passiert seit dem letzten Artikel im Jahr 2022. In der Welt, aber auch im Leben von Ramsy Kilani und seiner Familie. In Deutschland: Als Aktivist wird er immer bekannter, organisiert Demos, spricht auf Veranstaltungen. Immer wieder verteidigt er dabei ein palästinensisches Recht auf bewaffneten Widerstand, auch seitens der Hamas. Deswegen wird er aus der Linkspartei ausgeschlossen.
Im Gazastreifen: Weitere Mitglieder seiner Familie sterben – die Cousine, die Frau eines Cousins. Die Familie verliert ihr Zuhause, leidet Hunger. Ob das Grab seines Vaters überhaupt noch existiert, wisse Kilani nicht, sagt er. Seine Heimatstadt Beit Lahia ist zu großen Teilen zerstört.
„Das Unrecht hält an“, sagt er, „für unsere Familie und für alle PalästinenserInnen.“
Transparenzhinweis: Der Co-Autor dieses Textes, Yossi Bartal, war 2022 für kurze Zeit beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) tätig, das den Strafantrag von Ramsy Kilani unterstützt hat. An der juristischen Bearbeitung des Falls war er nicht beteiligt.
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