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Autobahn durch den Amazonas-RegenwaldDie Fremd­empörung

Nick Reimer
Kommentar von Nick Reimer

Für die Klimakonferenz baut Brasilien eine Autobahn durch den Regenwald. Wer sich jetzt aufregt, sollte fragen: Was ist mit den Autobahnen hierzulande?

Die A14 in Brandenburg endet in einem Getreidefeld. Noch Foto: Kai Horstmann/imago

S tell dir vor, es ist Klimakonferenz – und dafür wird der Regenwald gerodet. Das geschieht gerade in Brasilien, wo der nächste Klimagipfel stattfindet: Die Regierung hat nach Belém geladen, mitten in den tropischen Amazonas. Um zu jener Konferenz zu gelangen, die das Klima schützen soll, wird für die Teilnehmenden jetzt der Kohlenstoffspeicher Regenwald gerodet, um eine Autobahn zu bauen. Ist das nicht ein Skandal?

Getreu der UN-Arithmetik wandern die Klimakonferenzen über den Planeten: Nach einem Industrieland aus Westeuropa oder Nordamerika richtet ein Staat aus Mittel- oder Südamerika den Klimagipfel aus, dann geht es nach Afrika, gefolgt von Asien, bevor ein osteuropäischer oder Nachfolgestaat der Sowjetunion Gipfelgastgeber wird. Im Westen beginnt der Zyklus dann von neuem (Glasgow war nach der Coronapandemie 2021 für die Mittel-/Südamerikaner eingesprungen).

Das ist insofern von Bedeutung, als die Gastgeber immer eine eigene Note in die Verhandlungen einbringen. In Südostasien beispielsweise wird der Fokus stark auf den Meeresspiegelanstieg gesetzt, in Afrika spielen Anpassungsstrategien eine große Rolle, in Westeuropa stehen Reduktion und Regelwerk hoch im Kurs, beispielsweise die Frage, welche Berichtspflichten die Staaten haben, damit Klimaschutz vergleichbar wird zwischen Bhutan, Bulgarien, Barbados oder der Bundesrepublik.

Präsident will illegale Abholzung beenden

Die nächste Klimakonferenz findet nach dem Willen Brasiliens nicht von Ungefähr mitten im Amazonas statt: Die Abholzung der Tropenwälder steuert immer noch weltweit etwa 20 Prozent der von Menschen verursachten Treibhausgase bei, sie sorgt für den Rückgang der Artenvielfalt und der Biokapazität – also der Fähigkeit der Natur, Sauerstoff zu produzieren, Holz, Trinkwasser, Fisch oder Humus.

Die brasilianische Regierung macht das mit der Wahl des Tagungsortes zum Thema, bei seinem Amtsantritt 2023 versprach Brasiliens Präsident Lula da Silva, die illegale Abholzung des Regenwaldes bis 2030 zu stoppen. Und dafür lässt er jetzt den Regenwald roden? Um eine Autobahn zu bauen?

Falls Sie jetzt Schnappatmung bekommen: Für eine Fußballweltmeisterschaft werden neue Fußballstadien gebaut. Für den hingebungsvolleren Kulturgenuss wird das Buchheim-Museum am Starnberger See erweitert, wurde die Elbphilharmonie gebaut. Für die Elektromobilität à la „Elon Musk made in Germany“ wurde in Brandenburg der Wald gerodet. Für den Windpark im niedersächsischen Landkreis Lüneburg sollen zehn Fußballfelder Wald fallen. Für die neue Schule auf der Werneuchener Wiese in Berlin wurden 26 Eschen gefällt – um einen Radweg anzulegen.

Zuerst Autobahn zuhause verhindern

Regenwald fällen, um auf die Abholzung des Regenwaldes hinzuweisen: Natürlich ist das kein glückliches Zeichen. 50.000 Teilnehmer werden zur COP30, zur 30. Vertragsstaatenkonferenz der UN-Klimarahmenkonvention, erwartet. Belém fehlt dafür die Kapazität, weshalb die Regierung erwägt, Kreuzfahrtschiffe in die Bucht von Marajó zu entsenden, um Übernachtungskapazitäten zu erhöhen. Und: Ja, es gibt einen Flughafen nahe Belém, Straßen zur Millionenmetropole sind aber rar.

Was sicherlich nicht rechtfertigt, extra für die Klimakonferenz eine neue Autobahn zu bauen. Das ist eine Fortsetzung des „alten Lebens“, jenes, das uns überhaupt erst das Klimaproblem eingebrockt hat. Sich darüber aufzuregen, ist aber „altes Leben“ mit anderen Mitteln: In Deutschland beginnt in diesem Jahr der Weiterbau der Autobahn A14 bei Stendal, auch die A20 bei Bad Segeberg, die A44 in Hessen oder die A45 im Sauerland sollen weitergebaut werden.

Wer sich über eine neu gebaute Autobahn im Regenwald aufregen will, sollte zuerst die Autobahn vor der eigenen Haustüre verhindern. Das wäre jener praktizierte Klimaschutz, den alle von den Klimakonferenzen immer erwarten. Die können aber immer nur so weit vorankommen, wie der langsamste Mitgliedsstaat gestattet. Deshalb braucht es Vorreiter, keine Fremdaufreger!

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Nick Reimer
Seit 1998 bei der taz (mit Unterbrechungen), zunächst als Korrespondent in Dresden, dann als Wirtschaftsredakteur mit Schwerpunkt Energie, Klima und Landwirtschaft, heute Autor im Zukunftsressort.
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15 Kommentare

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  • Luna stoppt die illegale Abholzung des Regenwalds - er macht es einfach legal als Beitrag zur größten globalen Nachhaltigkeitskonferenz. Chapeau, da muss man erst mal drauf kommen.

  • Die Autobahn wird ja nicht nur für die Klimakonferenz gebaut, sie steht auch nachträglich den Bewohnern zur Verfügung - Belem ist eine Millionenstadt, da ist schon Bedarf da.



    Auch Entwicklungsländern muss Entwicklung gewährt werden - die können ja nicht nur des Klima wegens rückständig bleiben...



    Es wird ja auch nicht die Autobahn wie für die Fußball WM zuletzt Stadien gebaut, die DIREKT nach der WM wieder zurückgebaut werden...



    Ich frage mich nur gerade WO die Autobahn verlaufen soll?



    Weil soweit ich mich erinnere ist der Flughafen von Belem MITTEN in der Stadt, bzw die Stadt ist drumherum gewuchert - oder gibt's da mittlerweile n neuen Flughafen außerhalb?



    Ansonsten müssen für die Autobahn mutmaßlich mehr Häuser/Hütten als Bäume weichen...

  • Wenn ich mich nicht mehr über den Bau deutscher Autobahnen UND über den Bau einer Autobahn in einem der artenreichsten Regenwaldgebiete der Welt aufregen soll, muss mir mal einer versichern, dass noch genügend Zeit bleibt, erst die Probleme vor der Haustür, und dann die im Amazonas zu lösen. Ich finde diese Idee angesichts der Gleichzeitigkeit und der Dimension der Krise des weltweiten Verlustes der Biodiversität vollkommen absurd! Die Trennlinie läuft übrigens keinesfalls zwischen "wir hier" und "die da", sondern zwischen (leider wenigen) Menschen, die begriffen haben, dass wir alle die Vielfalt auf unserem einen



    Planeten retten müssen.

  • Ich versteh den krassen Zusamemnhang zwischen Klimaschutz und Abholzen und find es absolut unmöglich das zu tun



    Aber ihre Beispiele sind dennoch nicht vergleichbar, denn zum Beispiel zum Bau der Elbphilharmonie wurde kein Baum gefällt, und das gilt auch für einige andere

  • Dass für Klimakonferenzen ganz ungeniert gerodet, geflogen, Boden versiegelt wird, ist doch mittlerweile schon eine liebgewonnene Tradition. Man muss sich ja auch mal was gönnen, die Welt rettet sich nicht vom Kleckern!

  • Natürlich haben Sie Recht ... aber ist es nicht ein bisschen überzynisch gerade für eine Klimakonferenz? Ich finde das durchaus skandalös, und die vergleichsweise Heranziehung der deutsche Autobahnen (vielleicht mal mit dem Rückbau beginnen, um den überbordenden Individualverkehr auszubremsen, statt nur den Neubau zu verhindern?) hat etwas von Whataboutism. Ist mir wurscht, wer angefangen hat. Mich interessiert, wer aufhört.



    Abgesehen davon, dass es Zoom gibt und man sich fragt, ob die Teilnehmer wirklich persönlich teils um die halbe Welt reisen müssen, stellt sich die Frage, ob man Klimafragen nicht an Orten bespricht, an denen man sich sowieso trifft, UNOmässig oder sonstwie. Nöö, es geht ja um persönliche Eitelkeiten, was könnte wichtiger sein...

  • Was die Maya geschafft haben, schaffen wir auch!

    • @Jugend:

      Wir sind viel besser als die Maya, wir schaffen das global!

  • Veremutlich hat der Autor noch nicht mitbekommen, dass sich an vielen Orten Widerstand gegen den Bau neuer Autobahnen regt. Die als unberührte Natur streng definierten Flächen betragen in Deutschland unter 2 % (z. B. Bayrischer Wald). Auf den Vergleich mit dem Regenwald einzugehen, würde deshalb meinen Intellekt beleidigen.

  • Wälder roden fürs Klima, Autobahnen bauen fürs Klima, Kreuzfahrtschiffe fürs Klima - na denn.

    Wenn heute die 100 Milliarden Euro für "Klimaneutralität bis 2025" ins Grundgesetz geschrieben werden sollten, kann ich mir schon vorstellen, wie man die verwenden kann: Irgendwann landet der Wanderzirkus der Klimakonferenzen auch mal wieder in Deutschland. Dann lässt man die Konferenz natürlich nicht an einem bereits genutzten Tagungsort stattfinden, sondern errichtet extra neue Tagungsgebäude nebst Hotels, Flugplatz, und - Verkehrswende! - statt der Autobahnanbindung einem Bahnhof mit zugehöriger neuer Bahnstrecke. Das Ganze am besten irgendwo in den Alpen, um auf das Abschmelzen der letzten Gletscher aufmerksam zu machen.

    Bei der berühmten 3. UN-Klimakonferenz von Kyoto 1997 belief sich die Zahl der Anwesenden übrigens noch auf 10.000. davon 2.300 Delegierte der Vertragsstaaten ( de.wikipedia.org/w...renz_in_Kyoto_1997 ). Inzwischen sind es laut Artikel schon 50.000 Teilnehmer. "Viel hilft viel."

  • Der Artikel erinnert mich ein bisschen an den Tesla-rechtfertigungs Artikel der hier vor kurzem erschienen ist. "Ihr dürft euch nicht aufregen, wenn ihr nicht selber im Wald wohnt" so nach dem Motto. Was natürlich blödsinn ist. Ich tue übrigens beides, ich rege mich über den Neubau von Autobahnen in Deutschland UND Brasilien auf, ist beides falsch und unnötig.



    Nur ist brasilianischer Regenwald meistens ökologisch wertvoller als deutscher Nutzwald.

  • Und nein, es ist nicht in Ordnung. Offensichtlich soll der Tagungsort Zeichen setzen. Es setzt damit genau die falschen Zeichen.



    Und nein, es ist auch nicht in Ordnung, das damit zu begründen, dass der oder die erst mal bei sich aufräumen sollen. So kommt man keinen Schritt weiter.



    Es ist kein Skandal, aber äußerst unglücklich, auf das Schützenswerte hinzuweisen, indem man es platt macht.

  • Können wir es uns leisten, den Mobilitätsbedarf einfach fortzuschreiben bis 2030, wie das auch Wissing getan hat?



    Wir brauchen einen ECHTEN Minister für Mobilität!

  • Herr Reimer, Sie haben Recht! Man muss sich das nur mal vorstellen, in Berlin soll jetzt eine Autobahn mitten durch den Bezirk Friedrichshain gebaut werden. A100 verhindern!

    • @Erwin1.:

      Ich bin sicher der Artenreichtum im Bezirk Friedrichshain ist mit dem im Amazonas absolut vergleichbar :D