Autobahn durch den Amazonas-Regenwald: Die Fremdempörung
Für die Klimakonferenz baut Brasilien eine Autobahn durch den Regenwald. Wer sich jetzt aufregt, sollte fragen: Was ist mit den Autobahnen hierzulande?
S tell dir vor, es ist Klimakonferenz – und dafür wird der Regenwald gerodet. Das geschieht gerade in Brasilien, wo der nächste Klimagipfel stattfindet: Die Regierung hat nach Belém geladen, mitten in den tropischen Amazonas. Um zu jener Konferenz zu gelangen, die das Klima schützen soll, wird für die Teilnehmenden jetzt der Kohlenstoffspeicher Regenwald gerodet, um eine Autobahn zu bauen. Ist das nicht ein Skandal?
Getreu der UN-Arithmetik wandern die Klimakonferenzen über den Planeten: Nach einem Industrieland aus Westeuropa oder Nordamerika richtet ein Staat aus Mittel- oder Südamerika den Klimagipfel aus, dann geht es nach Afrika, gefolgt von Asien, bevor ein osteuropäischer oder Nachfolgestaat der Sowjetunion Gipfelgastgeber wird. Im Westen beginnt der Zyklus dann von neuem (Glasgow war nach der Coronapandemie 2021 für die Mittel-/Südamerikaner eingesprungen).
Das ist insofern von Bedeutung, als die Gastgeber immer eine eigene Note in die Verhandlungen einbringen. In Südostasien beispielsweise wird der Fokus stark auf den Meeresspiegelanstieg gesetzt, in Afrika spielen Anpassungsstrategien eine große Rolle, in Westeuropa stehen Reduktion und Regelwerk hoch im Kurs, beispielsweise die Frage, welche Berichtspflichten die Staaten haben, damit Klimaschutz vergleichbar wird zwischen Bhutan, Bulgarien, Barbados oder der Bundesrepublik.
Präsident will illegale Abholzung beenden
Die nächste Klimakonferenz findet nach dem Willen Brasiliens nicht von Ungefähr mitten im Amazonas statt: Die Abholzung der Tropenwälder steuert immer noch weltweit etwa 20 Prozent der von Menschen verursachten Treibhausgase bei, sie sorgt für den Rückgang der Artenvielfalt und der Biokapazität – also der Fähigkeit der Natur, Sauerstoff zu produzieren, Holz, Trinkwasser, Fisch oder Humus.
Die brasilianische Regierung macht das mit der Wahl des Tagungsortes zum Thema, bei seinem Amtsantritt 2023 versprach Brasiliens Präsident Lula da Silva, die illegale Abholzung des Regenwaldes bis 2030 zu stoppen. Und dafür lässt er jetzt den Regenwald roden? Um eine Autobahn zu bauen?
Falls Sie jetzt Schnappatmung bekommen: Für eine Fußballweltmeisterschaft werden neue Fußballstadien gebaut. Für den hingebungsvolleren Kulturgenuss wird das Buchheim-Museum am Starnberger See erweitert, wurde die Elbphilharmonie gebaut. Für die Elektromobilität à la „Elon Musk made in Germany“ wurde in Brandenburg der Wald gerodet. Für den Windpark im niedersächsischen Landkreis Lüneburg sollen zehn Fußballfelder Wald fallen. Für die neue Schule auf der Werneuchener Wiese in Berlin wurden 26 Eschen gefällt – um einen Radweg anzulegen.
Zuerst Autobahn zuhause verhindern
Regenwald fällen, um auf die Abholzung des Regenwaldes hinzuweisen: Natürlich ist das kein glückliches Zeichen. 50.000 Teilnehmer werden zur COP30, zur 30. Vertragsstaatenkonferenz der UN-Klimarahmenkonvention, erwartet. Belém fehlt dafür die Kapazität, weshalb die Regierung erwägt, Kreuzfahrtschiffe in die Bucht von Marajó zu entsenden, um Übernachtungskapazitäten zu erhöhen. Und: Ja, es gibt einen Flughafen nahe Belém, Straßen zur Millionenmetropole sind aber rar.
Was sicherlich nicht rechtfertigt, extra für die Klimakonferenz eine neue Autobahn zu bauen. Das ist eine Fortsetzung des „alten Lebens“, jenes, das uns überhaupt erst das Klimaproblem eingebrockt hat. Sich darüber aufzuregen, ist aber „altes Leben“ mit anderen Mitteln: In Deutschland beginnt in diesem Jahr der Weiterbau der Autobahn A14 bei Stendal, auch die A20 bei Bad Segeberg, die A44 in Hessen oder die A45 im Sauerland sollen weitergebaut werden.
Wer sich über eine neu gebaute Autobahn im Regenwald aufregen will, sollte zuerst die Autobahn vor der eigenen Haustüre verhindern. Das wäre jener praktizierte Klimaschutz, den alle von den Klimakonferenzen immer erwarten. Die können aber immer nur so weit vorankommen, wie der langsamste Mitgliedsstaat gestattet. Deshalb braucht es Vorreiter, keine Fremdaufreger!
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