Belästigungsvorwürfe und falsche Angaben: Grüne richten Gelbhaar-Kommission ein
Mit Verzögerung macht sich die Bundesspitze an die Aufarbeitung des MeToo-Falls. Als rehabilitiert betrachtet sie den Abgeordneten Gelbhaar nicht.
Als Parteichef Felix Banaszak, begleitet von der Co-Vorsitzenden Franziska Brantner, am Nachmittag schließlich doch vor die Kameras trat, war seine Stimme brüchig. Er sei „persönlich betroffen und auch erschüttert“. Hinter den mutmaßlich falschen Vorwürfen gegen Gelbhaar stecke „kriminelle Energie und Niedertracht“. Durch die „Falschaussagen zu seinen Lasten und die Berichterstattung darüber“ sei dem Abgeordneten „Schaden zugefügt worden“.
Gleichzeitig sieht der Bundesvorstand Gelbhaar aber auch nicht als vollständig entlastet an: Banaszak zufolge sind im parteiinternen Ombudsverfahren weiterhin nicht alle Vorwürfe entkräftet. „Zunächst sieben weitere meldende Personen halten an ihren Meldungen fest“, sagte er.
Die Partei sei auch ihnen verpflichtet. Weitere Details – etwa dazu, wie gravierend die in Rede stehenden Vorwürfe sind – nannte Banaszak nicht. Seine Begründung: Dies würde die vereinbarte Vertraulichkeit verletzen.
Der hausinternen Ombudsstelle entzieht der Vorstand den Fall jetzt allerdings. Stattdessen, so Parteichefin Brantner, wird eine gesonderte Kommission eingerichtet, deren Vorsitz zwei erfahrene grüne Justizpolitiker*innen einnehmen: Anne Lütkes, ehemalige Justizministerin von Schleswig-Holstein, und Jerzy Montag, ehemaliger Bundestagsabgeordneter. Brantner zufolge sollen sie einerseits die konkreten Vorwürfe aufklären und andererseits „Konsequenzen für zukünftige Verfahren“ vorschlagen.
Verfahren ohne Ordnung
Fragen für die parteiinternen Meldestrukturen wirft der Fall tatsächlich auf. Als Konsequenz aus Pädophilie-Fällen der Vergangenheit, die in den 2010er-Jahren aufgedeckt worden waren, haben die Grünen auf Bundes- und auf Länderebene Ombudsstellen eingeführt.
In konkreten Verfahren sei die „Perspektive der Betroffenen handlungsleitend“, heißt es in der Selbstbeschreibung der Ombudsstelle des Bundes. Offen ist, welche Rechte Beschuldigten in den Verfahren zustehen. Gelbhaar selbst hatte schon vor Wochen angemahnt, das eine Ombudsordnung „zwingend“ nötig wäre und eine „immanente Gefahr“ bestehe, dass die Verfahren instrumentalisiert werden.
Dass es für eine progressive Partei schwierig ist, einen angemessenen Umgang mit Belästigungsvorwürfen zu finden, zeigt aber auch ein Fall aus dem Europaparlament. Die Grünen-Fraktion dort nutzt ein weit stärker formalisiertes Verfahren als die Partei im Bund. In der Vergangenheit sah es die Möglichkeit zu weitreichenden Untersuchungen und Konsequenzen nur für Fälle vor, in denen Vorwürfe nichtanonym erhoben wurden. Als es dann im vergangenen Jahr tatsächlich anonyme Vorwürfe gegen einen deutschen Abgeordneten gab und daraus regelkonform erst mal nichts folgte, stand die Fraktionsspitze auch dafür öffentlich in der Kritik.
Wende am Wochenende
Gegen den Bundestagsabgeordneten Gelbhaar gingen im Dezember Vorwürfe bei der Ombudsstelle des Bundesverbands ein. Details erfuhr er nach eigenen Angaben erst Wochen später durch eine Anfrage des RBB, der zum Fall recherchierte. Laut einem RBB-Bericht und Gelbhaar selbst ist die Spannbreite der Vorwürfe sehr weit. Sie reichten von abstrakten Beschwerden, dass sich Personen im Beisein von Gelbhaar „unwohl“ gefühlt hätten, bis hin zu strafrechtlich relevanten Übergriffen.
Vergangene Woche zog der RBB einen Großteil seiner Berichterstattung zurück, da gravierende Vorwürfe mutmaßlich von einer grünen Bezirkspolitikerin fälschlicherweise und unter falschem Namen erhoben worden waren. Die Person, bisher Vorsitzende der Grünen-Fraktion in Berlin-Mitte und Mitarbeiterin eines Abgeordneten im Abgeordnetenhaus, gab am Wochenende bekannt, ihre Ämter niederzulegen, ihren Job zu kündigen und aus der Partei auszutreten. Der Bundesvorstand der Grünen beschloss am Montag, Strafanzeige gegen sie zu stellen.
Das Aus für Gelbhaars Karriere im Bundestag ist trotzdem besiegelt. Schon im Dezember hatte er unter Eindruck der Vorwürfe seine Kandidatur um einen neuerlichen Listenplatz zur Bundestagswahl zurückgezogen. Sein Kreisverband entzog ihm im Januar die erneute Kandidatur um sein Direktmandat. Der Vorstand des Kreisverbandes hatte ihn zuvor aufgefordert, von sich aus zu verzichten. Landes- und Bundesvorstand unterstützen das.
Direkt habe der Bundesvorstand Gelbhaar aber nicht zum Rückzug gedrängt, heißt es aus der Parteizentrale. Es habe lediglich ein Gespräch vor dem Berliner Listenparteitag gegeben, das Vorstandsmitglied Manuela Rottmann und eine Mitarbeiterin der Bundesgeschäftsstelle stellvertretend für die Ombudsstelle geführt hätten. Die Beiden hätten den Abgeordneten nur über das Verfahren gegen ihn informiert – und zu „Risiken beraten“.
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