Forscher über den Blog „Nachdenkseiten“: „Ein Propaganda-Instrument des BSW“

Die „Nachdenkseiten“ wandelten sich vom linken Medium zur Plattform mit Putin-Narrativen. Politikwissenschaftler Markus Linden erkärt ihre Bedeutung.

Wagenknecht im gelben Kostüm zwischen Mikrofonen

Testet auf den Nachdenkseiten gern Narrative an: Wagenknecht Foto: Florian Gaertner/imago

taz: Herr Linden, Sie beschäftigen sich seit 2014 mit Alternativmedien, darunter auch die Nachdenkseiten. Was macht Alternativmedien gefährlich?

Markus Linden: Zunächst einmal sind selbsternannte Alternativmedien, also Medien abseits der herkömmlichen Medienlandschaft, nichts Verwerfliches. Aber diese Szene hat sich in Deutschland spezifisch in Opposition zu den etablierten Medien gebildet. Die Alternativmedien sehen in ihnen ein Konglomerat zur Sicherung der Macht einer politischen Elite. Die Gefahr von Alternativmedien besteht mithin darin, dass sie immer wieder darauf angewiesen sind, diesen Gegner als vermeintliche Elite an die Wand zu malen. Es sind Antimedien.

taz: Den Nachdenkseiten wird immer wieder eine Russlandnähe attestiert. Im Juni 2022 wurde auch der ehemalige Russia-Today-Journalist Florian Warweg Redakteur.

Linden: Die Nachdenkseiten vertreten ohne Zweifel eine prorussische Agenda. Das wird verpackt, indem man kritisch gegenüber dem Westen ist und kaum über russische Kriegsverbrechen berichtet. Auf den Nach­denk­seiten gibt es keinen Pluralismus, sondern eine strikte Agenda. Es geht immer gegen den Westen und die USA. Das ist das Axiom, an dem sich die Seiten ausrichten. Jemand wie Florian Warweg setzt sich in die Bundespressekonferenz und greift partiell sogar Themen auf, die journalistisch akzeptabel sind. Aber im Endeffekt dient es nur einer spezifischen Agenda – und die ist prorussisch.

taz: Die Nachdenkseiten hinterfragen in manchen Texten auch Narrative zu den Anschlägen des 11. September. Was will man?

Linden: Man muss hierbei differenzieren. Im Gegensatz zu anderen Alternativportalen wie KenFM, das heute apolut heißt, Compact Online oder Auf1, die dezidiert Verschwörungstheorien verbreiten, geschieht das bei den Nachdenkseiten nicht so offensichtlich. Die Seiten bemühen sich, keine offensichtlichen Fake News zu verbreiten. Stattdessen arbeiten sie mit der Methodik des Fragestellens. Albrecht Müller und Oskar Lafontaine wissen ganz genau, welchen Bereich sie auf den Nachdenkseiten nicht überschreiten dürfen. Die objektiven Falschaussagen überlassen sie anderen.

taz: Marcus Klöckner verteidigt die Nachdenkseiten unter anderem in der „Berliner Zeitung“. Woher kommen die Verbindungen zu anderen Medien?

Linden: Man muss sich das so vorstellen, dass die Nachdenkseiten eingebettet sind in ein größeres Feld von Medien, die ich als Negative Öffentlichkeit bezeichnen würde. Diese bringt sich vornehmlich gegen die westliche liberale Demokratie in Stellung, indem sie zum Beispiel prorussische Argumente mit aufnimmt. Die Beziehungen zwischen den einzelnen negativen Medien sind so, dass man gar nicht mehr in einen Streit tritt. Nius von Julian Reichelt, die Berliner Zeitung oder spezifische AfD-Medien wie Compact oder der Deutschland-Kurier werden vom Rezipienten kaum noch unterschieden, obwohl es natürlich Unterschiede gibt. Bei den Nachdenkseiten findet man zum Beispiel keine rassistischen Argumentationen. Dafür aber beim Deutschland-Kurier. Die Berliner Zeitung hingegen ist ein Organ, das die Agenda der Nachdenkseiten in den Printbereich gebracht hat. Die Berliner Zeitung und die Nachdenkseiten stehen auch dem Bündnis Sahra Wagenknecht sehr nahe.

taz: Inwiefern profitiert das Bündnis davon, wenn das Portal ihre Punkte wiederkäut?

Linden: Die Nachdenkseiten sind ein klares Propaganda­instru­ment des BSW, wobei die Verbindungen nicht so direkt sind. Oskar Lafontaine schreibt zwar regelmäßig für die Seiten, aber er ist kein direkter Akteur des BSW. Man versucht, diese Verbindungen nicht zu eng werden zu lassen. Es gibt aber immer wieder Gastbeiträge oder wohlwollende Interviews vom BSW auf den Seiten. Das Portal und auch die Berliner Zeitung bilden ein mediales Vorfeld für das BSW, wo sie Agenda und Narrative setzen. Man spielt dieselbe Rolle wie Schnellroda für die AfD, nur ohne Rassismus und von links kommend.

taz: Albrecht Müller schrieb neben den Nachdenkseiten auch für „Gegenblatt“, das Debattenmagazin des Deutschen Gewerkschaftsbunds. Anette Sorg, eine Organisatorin der Seiten, engagiert sich bei ­ver.di. Die Seiten betonen oft, wie essenziell Gewerkschaften sind. Versucht das Portal, eine Nähe zu den Gewerkschaften aufzubauen?

Linden: Müller stammt aus der völlig legitimen Opposition gegen die Agenda 2010. Die Agenda war auch die Geburtsstunde der Nachdenkseiten. Damals waren viele linke Gewerkschaftler Leser der Nachdenkseiten und Ansprechpartner für diese. Spätestens um das Jahr 2010 hat aber ein Entfremdungsprozess eingesetzt, der sich schon vorher abzeichnete, weil sich die Nachdenkseiten mehr und mehr auch auf die internationale Politik konzentriert haben. Und spätestens ab 2014, mit der russischen Annexion der Krim, wollten die offiziellen Gewerkschaften nichts mehr mit den Nachdenkseiten zu tun haben. Jetzt versuchen die Seiten aber wieder mit einer naiven Friedensrhetorik, die die ideologische Agenda von Putin völlig ignoriert, an die Gewerkschaften ranzukommen. Die Gewerkschaftsführungen sind zwar dagegen, aber teilweise haben die Nachdenkseiten Erfolg damit. Eine direkte Verbindung zu den Gewerkschaften sehe ich aber aktuell nicht. Anette Sorg war aber kürzlich auch Teilnehmerin der Gründungsversammlung des BSW in Rheinland-Pfalz.

taz: Warum grenzen sich die angeblich linken Seiten nicht stärker von der AfD ab?

Linden: Weil beide ein Teil der negativen Öffentlichkeit sind. Diese Agenda macht die Nachdenkseiten zu einem Querfrontmedium. Die Seiten sagen zwar, dass sie nichts mit der AfD zu tun haben, gleichzeitig teilen sie viele Punkte. Das zentrale Thema der AfD, die Migrationspolitik, bespielen die Seiten aber überhaupt nicht. Das Portal konzentriert sich vollkommen auf die Außenpolitik und betont hier die AfD-Parallelen. Damit zeigen sie, dass sie für eine Querfrontstrategie offen sind.

taz: Sie sagten in einem Vortrag im September 2023, dass das Portal nicht in den Berichten des Verfassungsschutzes steht. Was ist der richtige Umgang mit dem Portal?

Linden: Von journalistischer und wissenschaftlicher Seite ist es wichtig, darüber aufzuklären, was die Nachdenkseiten überhaupt sind. Es muss auch erklärt werden, wie dort ein falsches Bild der Wirklichkeit verbreitet wird. Im Endeffekt ist es ja so, dass das BSW und insbesondere seine Protagonistin Sahra Wagenknecht die dort aufkommenden Narrative antestet, um sie in der Öffentlichkeit hoffähig zu machen. Das muss man offenlegen und diskursiv unterbinden. Dass die Seiten aber in den Berichten des Verfassungsschutzes auftauchen werden, denke ich nicht. Es ist eine Gratwanderung. Solange sie nicht direkt Verschwörungstheorien verbreiten und eine direkte extremistische Agenda vertreten, wird es schwer, sie dort aufzulisten. Trotzdem muss die Öffentlichkeit darüber aufgeklärt werden, dass auf den Seiten Putins Narrative eins zu eins verbreitet werden.

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