Israelischer Kontaktmann zur Hamas: „Bereit, alle Geiseln freizulassen“

Der israelische Ex-Verhandlungsführer Baskin hat direkten Draht zur Hamas. Sie würde alle Geiseln freilassen. Unter einer Bedingung.

Angehörige von Geiseln halten Schilder mit Fotos ihrer Liebsten auf einer Demonstration in Tel Aviv

Seit fast einem Jahr kämpfen die Angehörigen der Geiseln für einen Deal, der ihre Liebsten nach Hause bringt, hier in Tel Aviv Foto: dpa

taz: Herr Baskin, wie ist der Stand der Verhandlungen um eine Waffenruhe in Gaza?

Gershon Baskin: Der Deal, über den derzeit verhandelt wird, ist schlecht. Er umfasst drei Phasen, in den ersten sechs Wochen soll die Hamas 32 Geiseln freilassen, das israelische Militär aus den bewohnten Gebieten in Gaza abziehen. Netanjahu sagt klar, dass Israel in der zweiten Phase den Krieg wieder aufnehmen könnte. Die Hamas aber unterzeichnet kein Abkommen, das den Krieg nicht beendet. Es sind zweieinhalb Monate ins Land gezogen und die Verhandler sprechen über einen Deal, der weder den Krieg beendet noch alle Geiseln nach Hause bringt. Was zum Teufel tun sie da?

taz: Die USA haben einen neuen Entwurf angekündigt.

Baskin: Einige Sprecher des Weißen Hauses haben einen Plan angekündigt, mit dem alle Geiseln freikommen würden. Das ist der Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Plan. Aber wir wissen nicht, wann sie ihn auf den Tisch legen.

taz: Im Mai haben Sie für zwei Wochen über einen geheimen Kanal mit der Hamas gesprochen. Worüber?

Baskin: Über ein Abkommen, das innerhalb von drei Wochen den Krieg beendet. Hamas lässt alle Geiseln frei, Israel zieht sich aus dem Gazastreifen zurück und gibt eine vereinbarte Anzahl palästinensischer Gefangener frei.

taz: Das sind insgesamt über 9.000. Wie viele könnte Israel im Austausch freilassen?

Baskin: Darüber habe ich mit Hamas nicht gesprochen. Das wird von den Beamten auf höchster Ebene ausgehandelt.

taz: Und die Hamas hat zugestimmt?

Baskin: Ja. Alle Offiziellen wissen nun, dass es die Möglichkeit für ein solches Abkommen gibt: Die israelischen Unterhändler, der Ministerpräsident, der Regierungschef von Katar, der Leiter des ägyptischen Geheimdienstes. US-Präsident Joe Biden, sein Sonderbeauftragter Brett McGurk und der CIA-Chef. Wichtig ist jetzt, dass es den offiziellen Weg geht: Die Israelis müssen über die Vermittler aus Katar und Ägypten fragen, ob Hamas dem Deal zustimmt. Und Hamas muss über diesen Kanal bestätigen, was sie mir bereits gesagt haben.

taz: Sie sind weder Teil des israelischen Verhandlungsteams noch Hamas-Sprecher. Was ist Ihre Rolle?

Baskin: Ich habe seit 18 Jahren Kontakte zur Hamas, zeitweise offiziell von der israelischen Seite beauftragt. Und jetzt, ohne offizielles Mandat, bin ich israelischer Staatsbürger, der versucht zu helfen.

taz: Sie stehen seit Langem in Kontakt mit einem hochrangigen Sprecher der Hamas, Ghazi Hamad. Nach dem 7. Oktober haben Sie einen Brief geschrieben, dass Sie nie wieder mit ihm sprechen werden. Nun haben Sie doch wieder Kontakt zu ihm aufgenommen. Warum?

Baskin: Nachdem ich diesen Brief veröffentlicht hatte, sagte ein guter palästinensischer Freund zu mir, dass der Brief ein Fehler war. Etwa einen Monat später schrieb ich Ghazi Hamad und sagte, dass wir helfen können, Menschenleben zu retten. Etwa drei Wochen später meldete er sich zurück, seitdem sprechen wir wieder miteinander.

taz: Wusste die israelische Regierung von Ihrem geheimen Kanal?

Baskin: Familienangehörige von Geiseln hatten mich gebeten zu prüfen, ob die Hamas zu einem besseren Deal bereit ist. Das habe ich getan. Wann immer ich mit der Hamas in Kontakt stehe, teile ich den zuständigen israelischen Beamten mit, was ich von der Hamas höre und was ich der Hamas sage. Seit Beginn des Krieges haben viele Leute den Unterhändlern in Israel vorgeschlagen, mich einzusetzen. Im Mai haben sie schließlich beschlossen, meine Beteiligung zu formalisieren. Etwa zwei Wochen lang habe ich der Hamas Nachrichten überbracht und Antworten erhalten. Doch dann bekam ich einen Anruf. Ich sollte dringend nach Tel Aviv kommen. Dort sagten sie mir, ich solle sofort aufhören. Das Büro des Ministerpräsidenten bestreitet offiziell, dass ich überhaupt irgendeine Rolle gespielt habe. Meiner Einschätzung nach haben sie Netanjahu nach den zwei Wochen mitgeteilt, dass sie mich aktiviert haben. Und Netanjahu gefiel das nicht.

taz: Warum?

Baskin: Der Grund ist für mich offensichtlich: Netanjahu möchte keine Einigung.

taz: Wie kommen Sie zu dem Schluss?

Baskin: Die Hamas ist bereit, eine Vereinbarung über die Freilassung aller Geiseln innerhalb von drei Wochen zu treffen. Unter der Bedingung, dass der Krieg beendet wird. Das habe ich einem der drei führenden israelischen Verhandlungsführer über Whatsapp geschrieben. Er schrieb zurück: „Der Ministerpräsident weigert sich, den Krieg zu beenden.“ Ich fragte ihn: „Warum haben Sie Angst vor Netanjahu?“ So weit ich weiß, ist Israel keine Diktatur. Es ist die Aufgabe der Verhandlungsführer, der Regierung Optionen und Alternativen vorzulegen und nicht Ja und Amen zum Ministerpräsidenten zu sagen.

taz: Warum machen Sie Ihre Beteiligung öffentlich?

Baskin: Meine Botschaften haben zu nichts geführt, deshalb spreche ich zu den Medien. Zehntausende protestieren in Israel bereits für ein Abkommen. Die israelische Öffentlichkeit hat das Recht zu erfahren, dass die Möglichkeit besteht, alle Geiseln in drei Wochen nach Hause zu bringen. 40.000 bis 50.000 Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen sind getötet worden, die meisten von ihnen unschuldige Zivilist*innen, keine Kämpfer*innen. Der Gazastreifen ist zerstört. 2 Millionen Menschen sind obdachlos, Krankheiten breiten sich aus. Diese menschengemachte Tragödie muss enden.

taz: Wie ist die Haltung des israelischen Verhandlungsteams?

Baskin: Ich weiß es nicht. Sie sprechen nicht öffentlich. Als Beobachter kann ich sagen: Ich respektiere die drei Verhandlungsleiter. Aber ich verstehe nicht, warum sie weiterhin über ein Abkommen verhandeln, von dem sie wissen, dass sie es nicht erreichen können. Als der Mossad-Offizier David Meidan 2011 den Auftrag bekam, die Verhandlungen zu Gilad Schalit zu leiten, hat Netanjahu ihm gesagt: „Bring ihn nach Hause.“ Ich weiß, dass Netanjahu in den elf Monaten dieses Krieges kein einziges Mal zu seinen Unterhändlern gesagt hat: „Bringt sie nach Hause.“

taz: Netanjahu sagt, der kritische Punkt sei der Philadelphia-Korridor. Was halten Sie davon?

Baskin: Das ist Blödsinn. Es ist eine erfundene Geschichte. Nach Berichten von Militärkorrespondenten in Israel hat die Armee keinen einzigen Tunnel gefunden, der den Philadelphia-Korridor durchdringt und auf die ägyptische Seite führt. Der Philadelphia-Korridor besteht aus einer 14 Kilometer langen Straße, einem Zaun und Mauern, und er muss gesichert werden. Aber er kann von der ägyptischen Seite aus gesichert oder von den USA überwacht werden. Die Hamas hat mir gesagt, dass es eine ägyptische Entscheidung ist und sie sich nicht einmischen werden.

taz: Wer kann noch Druck auf Netanjahu ausüben?

Baskin: Die israelische Öffentlichkeit muss sagen: „Es reicht.“ Wir wollen, dass die Geiseln nach Hause kommen und dieser Krieg beendet wird. Und US-Präsident Joe Biden. Er kann jetzt freier agieren, weil er nicht zur Wiederwahl antritt.

taz: Die USA sagen, der nächste Vorschlag sei der letzte.

Baskin: Wenn sie es ernst meinten, würden sie nicht einfach sagen: „Friss oder stirb.“ Sie würden aufhören, diesen Krieg zu schüren. Sie würden sagen: „Wir werden euch keine Bomben mehr liefern, die ihr auf Gaza abwerfen könnt.“ Sie würden im Sicherheitsrat für einen Waffenstillstand stimmen und kein Veto einlegen.

taz: 2011 halfen deutsche Vermittler maßgeblich, einen Gefangenenaustausch zu erreichen.

Baskin: Es gab einen hochrangigen deutschen Geheimdienstoffizier, Gerhard Conrad. Er spricht Arabisch, kennt die Kultur, hatte Beziehungen zur Hisbollah und entwickelte Beziehungen zur Hamas. Er hat das Abkommen zwischen Israel und der Hisbollah geschlossen und damit den Grundstein für ein Abkommen mit der Hamas gelegt. Auch wenn er am Ende mit der Hamas weniger erfolgreich war. Seine Methode war zu deutsch für den damaligen Verhandlungsführer der Hamas. Sie haben ihn nicht verstanden. Der damalige Chef des Militärkommandos der Hamas, Ahmed Jabari, sagte Conrad schließlich, er solle gehen und nie wiederkommen.

taz: Warum ist Deutschland heute nicht aktiv in die Verhandlungsteams eingebunden?

Baskin: Ich habe mich erkundigt, ob es irgendeine Möglichkeit gibt, dass die Deutschen helfen können. Mir wurde gesagt, dass sie einfach niemanden mehr im Geheimdienst haben wie Gerhard Conrad.

taz: Es ist weniger eine politische als eine personelle Frage?

Baskin: Ja. Es ist normalerweise eine personelle Angelegenheit. Conrad war eine sehr spezielle Person. Er verstand die Sprache, die Kultur und die Mentalität. Die Regierung unter Angela Merkel ließ Conrad damals freie Hand. Sie gab ihm alle nötigen Mittel, wie einen Privatjet und ein komplettes Team. Heute ist das anders.

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