Nach Angriff auf Kinderklinik in Kyjiw: Fassungslosigkeit und Wut
Das Entsetzen ist groß nach dem russischen Großangriff auf eine Kinderklinik in Kyjiw. Derweil haben die Behörden einen Tag der Trauer ausgerufen.
![Ein Mann steht mit dem Rücken zur Kamera und blickt auf Trümmer einer Klinik Ein Mann steht mit dem Rücken zur Kamera und blickt auf Trümmer einer Klinik](/picture/7109090/624/35767582-1.jpeg)
Trümmer und Trauer nach dem Angriff auf die Kinderklinik in Kyjiw am 7. Juli Foto: Madeleine Kelly/Zuma Press/imago
KYJIW taz | Die Fahnen vor dem Bürgerbüro wehen auf Halbmast. Die Kyjiwer Behörden haben nach dem russischen Luftangriff am Montag auf die Stadt den Dienstag zum Trauertag erklärt. Wer weiterfahren will, in Richtung der bombardierten Kinderklinik Ochmadyt, muss viel Geduld an diesem heißen Sommertag mitbringen. Kilometerlang stauen sich die Fahrzeuge. Hermetisch hat die Polizei den Bereich vor der Klinik abgeriegelt. Vorbeifahren ist nur mit Sondererlaubnis möglich. Alle anderen Autos werden über eine Umleitung in die Stadtmitte geleitet.
Mehrere Dutzend Menschen harten geduldig vor dem Klinikgelände unter der prallen Sonne aus. Sie winken denen zu, die aus der Klinik herauskommen. Sie halten Getränke, Blumen oder Kinderspielzeug in der Hand. Sie sind einfach nur gekommen, weil sie nicht glauben konnten, was sie gehört hatten, weil sie fassungslos sind, dass sich das Ganze vor Ort noch schlimmer anfühlt als im Internet. Alles starrt gebannt auf den Eingang des Klinikgeländes. Doch das darf nur betreten, wer eine Erlaubnis hat.
Und wer bis zum Betreten des Klinikgeländes noch gehofft hat, vielleicht mit den Anblick von ein paar zersplitterten Fensterscheiben davonzukommen, wird erneut geschockt. Die Klinik ist ausgebombt. Verkohlt sind die Fassaden, ein Gebäude ist völlig zerstört, die Fenster klaffen wie schwarze Löcher. Emsig räumen Feuerwehrleute Schutt zur Seite, baggern einen kleinen Krater zu. Irgendwo steht ein mit Müll überdeckter Operationstisch. Daneben liegen einige Matratzen.
Als „schwarzen Tag für die Ukraine“ bezeichnet das Portal nv.ua den 8. Juli. Diese Angriffe auf die Ukraine seien die schwersten seit Jahresbeginn gewesen. Landesweit seien 40 Menschen ums Leben gekommen, 31 davon in Kyjiw, über 190 verletzt worden.
War der Beschuss der Klinik Vorsatz?
Das Kinderkrankenhaus, so Präsident Wolodymyr Selenskyj, sei mit einem Marschflugkörper des Typs X-101 angegriffen worden. Diese sehr treffsichere Waffe ist von der Flugabwehr kaum auszuschalten. Und so drängt sich der Verdacht auf, dass die Kinderklinik vorsätzlich beschossen wurde.
Auf Instagram hat auch Alla Pugatschowa, seit Sowjetzeiten Primadonna der russischen Rockmusik, ihre Abscheu vor dem Angriff auf die Kinderklinik geäußert. „Gott ist geduldig, aber alles hat seine Grenzen“, textet sie neben dem Bild einer Mutter, die ihr blutendes Kind in den Armen hält.
In der ukrainischen Geschäftswelt zeigt man sich solidarisch mit der Kinderklinik. Man habe alle Krankenwagen der Kinderklinik zur Verfügung gestellt – kostenlos, lässt die Privatklinik Dobrobut wissen. „Das neue Gebäude für Toxikologie und Dialyse wurde zerstört. Zum Zeitpunkt des Beschusses waren Operationen im Gange, und auch Ärzte wurden verletzt, natürlich steht Dobrobut in dieser Situation nicht abseits“, erklärt Dobrobut-Chef Vadym Shekman auf Facebook.
![Eine Bombe hat den Operationssaal zerstört. Am Boden liegen Schutt und kaputte Gegenstände Eine Bombe hat den Operationssaal zerstört. Am Boden liegen Schutt und kaputte Gegenstände](/picture/7109090/624/357623271-2.jpeg)
Zerstörter OP-Saal einer Kinderklinik in Kyjiw Foto: Evgeniy Maloletka/ap
Dreizehn kleine Patienten aus der Kinderklinik hat Dobrobut nach eigenen Angaben aufgenommen und steht bereit, weitere Opfer des Luftangriffs zu behandeln, so Shekman. Der Mobilfunkbetreiber Kyjiwstar, die Musikband Okean Elsy, das Einkaufszentrum Epizentr, das Ölunternehmen Ukrnafta und die Oligarchen Viktor und Olena Pintschuk wollen Millionen spenden.
Auch im ostukrainischen Krywyi Rih herrscht am Dienstag Trauer. Dort wurden elf Bewohner der Stadt am Montag bei einem russischen Angriff getötet, weitere 59 verletzt. Umgekehrt wurden im russischen Gebiet Belgorod am Montag nach amtlichen Angaben drei Menschen getötet und 19 verletzt.
Leser*innenkommentare
Ciro
Wir müssen weiter die Verteidigung unterstützen. Das kostet Geld, aber wie Selenski schon sagte, sein Land bezahlt mit Blut.
Tomphson
Es macht mich richtig fertig und traurig! Der Bandit aus dem Kreml, dürfte und sollte sich nie wieder sicher fühlen - egal wo er sich irgendwann mit seinem Reichtum verkriechen tut. Ich frage mich fast täglich, wieso er eigentlich immer noch als Präsident bezeichnet wird?! Und es ist übrigens ein internationaler Skandal, das RUS weiterhin im Sicherheitsrat mit einem Veto-Recht, defacto alles blockieren kann!
Rinaldo
Putins Faschismus muss besiegt werden. Falls nicht, hieße das:
1) Kapitulation vor der Aggression Putins mit Besatzung, Vertreibung, Diktatur, Mord und Totschlag für die ukrainische Bevölkerung und einen jahrelangen Partisaneenkampf.
2) Millionen von ukrainischen Flüchtlingen mehr im Westen, was zur Destabilisierung der westlichen Demokratien bis hin zu rechtsextremen Regierungen führen würde
3.) Zum o.g. Faschismusbegriff empfehle ich das Buch von Paul Mason: "Faschismus und wie man ihn stoppt".
Es zeigt darin eine Unmenge an Definitionen auf und nicht nur eine: Diktatur, mystisch-völkisches Denken, Rassismus, Revisionismus/Imperialismus, Gewaltbereitschaft, Massenbewegung gehören im Allgemeinen dazu. Auf Putins System treffen all diese Begriffe zu.
M.M. nach wehrt sich die Linke gegen den Begriff Faschismus in Bezug auf Russland, da sie sonst ganz andere Konsequenzen im Kampf gegen Putin ziehen müsste, nämlich eine konsequente Verteidigung der Ukraine in einem antifaschistischen Kampf.