Wer könnte Trump schlagen?

Noch ist nicht klar, ob US-Präsident Joe Biden seine Kandidatur niederlegt. Aber auch die Chancen der potenziellen Nach­fol­ge­r:in­nen sind nicht eindeutig – wir schauen auf ihre Stärken und Schwächen und nennen die drei Joker

Von Bernd Pickert

Die ganze Welt scheint sich einig zu sein: Joe Biden muss von einer erneuten Kandidatur um die US-Präsidentschaft absehen und Platz machen. Seit dem desaströsen TV-Duell mit Donald Trump ist sich zumindest die Welt der links-liberalen Medien sehr sicher: Es braucht jemand anderen, um überhaupt eine Chance zu haben, am 5. November einen erneuten Wahlsieg Trumps zu verhindern mit all den Konsequenzen für die USA und die Welt, den eine weitere Trump-Präsidentschaft haben könnte.

Auf Erfahrungswerte, wie man das macht, vier Monate vor der Wahl den Präsidentschaftskandidaten auszutauschen, können die US-Demokraten dabei nicht zurückgreifen. Joe Biden hat die angesichts mangelnder Alternativen kaum beachteten Vorwahlen, die im Juni zu Ende gegangen sind, klar gewonnen. Insofern müsste er selbst den Weg freimachen, um den Delegierten beim Demokratischen Nominierungsparteitag in Chicago Mitte August die Wahl einer anderen Person zu ermöglichen. Ob er das macht, ist in den vergangenen Tagen Gegenstand unzähliger Spekulationen, Medienberichte unter Berufung auf vertrauliche Quellen, letztlich Gerüchte.

Allerdings: Die Annahme, fast jede andere Kandidatur aus den Reihen der Demokratischen Partei habe mehr Erfolgsaussichten als Biden, kann auch nicht empirisch oder auch nur durch Umfragewerte belegt werden. Wie die meistgehandelten Alternativen – Michigans Gouverneurin Gretchen Whitmer, Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom oder auch Vizepräsidentin Kamala Harris – gegen Trump abschneiden würden, ist in den letzten Monaten von den Umfrageinstituten nur sehr sporadisch abgefragt worden – und dabei kamen Zahlen heraus, die meist noch schlechter waren als die von Biden. Das mag sich in den nächsten Tagen ändern, aber bislang ist der Glaube an den Erfolg des Wechsels eine aus der Panik geborene Wette.

Für einen erneuten Vorwahlprozess bleibt keine Zeit, also müsste irgendwie anders schnell eine Einigung auf eine neue Person erfolgen, soll es nicht beim Parteitag zu offenen Kampfabstimmungen kommen, in deren Vorfeld sich die Kan­di­da­t*in­nen gegenseitig beschädigen. Naheliegend wäre, dass Joe Biden, sollte er zurücktreten, selbst eine Nachfolge empfiehlt. Das könnte dann nur Kamala Harris sein, seine Vizepräsidentin, die er von Anfang an auch wieder mit auf dem Ticket haben wollte. Auf Harris verpflichten könnte Biden seine Delegierten allerdings nicht. Und selbst wenn sich die De­mo­kra­t*in­nen keine ausführlichen Flügelkämpfe leisten werden, weil die Verhinderung Trumps Motivation genug ist: Die in dreieinhalb Jahren Vizepräsidentschaft profillos gebliebene Harris wäre für viele eine dicke zu schluckende Kröte.

In einem außergewöhnlichen Prozedere gibt es keine Perfektion und keine Sicherheit. Nur die Angst als Triebkraft.

Die möglichen Er­satz­kan­di­da­t:in­nen

Kamala Harris

Die 59-Jährige kennt sich mit dem Wort „Erste“ aus. 2011 war die Tochter einer aus Indien stammenden Mutter und eines aus Jamaika stammenden Vaters die erste Frau und Person of Color – kurz POC – als Generalstaatsanwältin Kaliforniens, 2017 die erste Frau mit indischen Wurzeln im US-Senat, 2021 die erste Frau und POC im Amt der Vizepräsidentin der USA.

Pros

Harris steht erneut als Vizepräsidentin zur Wahl. Ein Switch von ihr an die Spitze der demokratischen Präsidentschaftskandidatur wäre zumindest weniger Getöse als jeder andere Wechsel. Sollte Joe Biden etwas zustoßen, würde sie schon jetzt binnen Minuten als neue Präsidentin vereidigt. Anders als Whitmer oder Newsom ist ihr Name auf der nationalen Bühne bekannt – eine Grundvoraussetzung für einen Wahlkampf. Und: Sie hätte, weil sie auf dem Biden-Harris-Ticket steht, direkten Zugriff auf die rund 200 Millionen Dollar aus Bidens Wahlkampfkasse. Darüber hinaus könnte es einige Wählergruppen verärgern, wenn ausgerechnet die erste Schwarze Frau diejenige ist, die als Vizepräsidentin und naheliegendste Nachfolgerin übergangen würde.

Cons

Harris‘ Popularitätswerte lagen in den vergangenen Jahren gleichauf oder noch unter denen von Joe Biden. In den dreieinhalb Jahren als Vizepräsidentin war von ihr herzlich wenig zu sehen, dafür aber von Streit mit ihrem Büro im Weißen Haus zu hören. Biden hatte ihr die Aufgabe zugewiesen, sich um Migrationsfragen zu kümmern – heute einer der wichtigsten Talking Points der Trump-Rechten. Und: Ihr ständiges Lachen geht vielen auf die Nerven. Bernd Pickert

Gavin Newsom

Der aus San Francisco stammende Sohn eines Rich­ter*innen­ehe­paars ist seit 2019 Gouverneur von Kalifornien. Der 56-Jährige vertritt viele linksliberale Positionen, setzte sich früh für die Ehe für alle ein, für strengere Waffengesetze, gegen die Todesstrafe, für die Legalisierung von Marihuana und eine Krankenversicherung für alle.

Pros

Newsom kann Wahlen gewinnen und auch Gegenwind aushalten. Er überstand ein Absetzungsreferendum in Kalifornien deutlich und wurde bei der nächsten Wahl als Gouverneur wiedergewählt. Er wird seit Jahren als zukünftiger Präsidentschaftskandidat gehandelt, hat sich aber nie vorgedrängelt. Er greift die Positionen trumpistischer Politiker*innen offensiv an. Anfang des Jahres lieferte sich Newsom, moderiert von Fox-Anchor Sean Hannity, ein TV-Duell gegen den erzkonservativen Gouverneur Ron DeSantis aus Florida, der sich noch um die republikanische Präsidentschaftskandidatur bewarb. Die Frische, Schlagfertigkeit und Argumentationskraft, die Newsom an den Tag legte, würden sich viele gegen Trump wünschen.

Cons

Kalifornien. Kalifornien stimmt in Präsidentschaftswahlen immer demokratisch, wer von dort kommt, kann also kein spannendes Wählerpotenzial mitbringen. Und: Für MAGA-Trumpisten ist Newsom natürlich so etwas wie das Abziehbild einer woken Elite, die von den Sorgen der arbeitenden Bevölkerung keine Ahnung hat. Sind das unüberwindbare Widerstände für eine Präsidentschaftskandidatur? Nein. Machen sie Newsom angreifbar? Ja. Im Übrigen könnte Gavin Newsom nicht mit Kamala Harris auf einem Ticket stehen, weil beide aus Kalifornien sind. Auch nicht ideal.Bernd Pickert

Gretchen Whitmer

Sie ist tief in Michigan verwurzelt – biografisch und politisch. Als Kind einer Anwaltsfamilie aus der Landeshauptstadt Lansing machte sie nach ihrem Rechtsstudium Karriere bei den Demokraten: Seit 2019 ist Whitmer Gouverneurin des wichtigen nördlichen Swing State, davor war sie Senatorin und Abgeordnete im Repräsentantenhaus in Michigan.

Pros

Ihr Alter. Die 52-Jährige sagte der New York Times kürzlich, sie würde 2028 gerne jemanden aus der Generation X im Rennen sehen, war aber noch bescheiden genug, nicht sich selbst vorzuschlagen. Whitmer bezeichnet sich selbst als Progressive und setzt sich überzeugend für das Recht auf Abtreibung ein. 2023 sorgte Whitmer für die Abschaffung eines gewerkschaftsfeindlichen Gesetzes in Michigan – und sie plädiert für ein strengeres Waffenrecht. Sie hat mit dafür gesorgt, dass der 2016 von Donald Trump gewonnen Swing State Michigan 2020 wieder demokratisch wählte.

Cons

Vor allem: Auf nationaler Bühne ist Whitmer vielen unbekannt – und das in wenigen Monaten zu ändern, ist schwierig. Und trotz progressiver Allüren steht Whitmer der single-payer-healthcare – also einer Bürgerversicherung für alle – skeptisch gegenüber; damit ist sie Linken suspekt. Kritisch beäugt wird Whitmer auch von der großen arabischen Minderheit in Michigan, die sich angesichts von Bidens Israel-Unterstützung im Gazakrieg von den Demokraten abwenden. Zwar versuchte Whitmer wohl privat auf die arabische Community zuzugehen, sagte öffentlich aber: „Ich unterstütze Israel uneingeschränkt.” Leon Holly

Die Joker

J. B. Pritzker

Der Milliardenerbe und Gouverneur von Illinois wird beim Demokratischen Nominierungsparteitag im August in Chicago Gastgeber sein. Sein Name wird immer wieder gehandelt – aber nicht sehr ernsthaft.

Foto: Pete Mariner/imago

Michelle Obama

Die frühere First Lady hat immer wieder erklärt, dass sie nicht zur Verfügung steht. Und dennoch ploppt ihr Name immer wieder auf, je verzweifelter die Demokrat:innen im Kampf gegen Trump werden.

Foto: Michael Reynolds/Pool via CNP/imago

Pete Buttigieg

Mit 42 der Youngster unter den Schattenkandidat:innen. Wollte 2020 Präsidentschaftskandidat werden, wurde dann Verkehrsminister. Schwul, progressiv, eloquent – aber unerfahren.