Sylt: Empörung über Naziparolen im Partyclub

Ein Video zeigt, wie junge Leute in einem Luxusclub auf der Insel rassistische Sprüche grölen. Kanzler Scholz verurteilt das als „ekelig“. Was sind das für Menschen, die das tun?

Niemand schritt ein: Im Pony Club in Kampen grölten Gäste „Ausländer raus“. Foto: Georg Wendt/dpa

Von Jean-Philipp Baeck
und Anne Fromm

Ohne Ton hätte es fast ein unschuldiges Urlaubsvideo sein können. Von einer Luxusparty auf Sylt samt Sonnenuntergang und Schampus. Doch die Aufnahme, die seit einigen Tagen kursiert, hat einen Ton. Die jungen Leute, die da zu Gigi D’Agos­ti­nos Song „L’Amour toujours“ tanzen, grölen Sätze, die bundesweit für Empörung sorgen: „Ausländer raus, Deutschland den Deutschen.“ Ein Mann hebt dabei den rechten Arm, wippt mit der Hand und formt mit zwei Fingern einen Oberlippenbart – offensichtlich ein Hitlergruß.

Die Stimmung der Gruppe ist ausgelassen. Alle lachen, wiegen sich im Takt. Aufgenommen wurde das Video am Pfingstsonntag im Außenbereich des Edelclubs Pony in Kampen auf Sylt. In den sozialen Medien geht es seither viral, schnell kursierten Namen vermeintlich Beteiligter. Medien berichten bundesweit, in Schleswig-Holstein soll es im Landtag Thema werden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete die Parolen als „ekelig“.

Dass zu dem Song „L’Amour toujours“ ausländerfeindliche Parolen gesungen werden, hat sich zu einem hässlichen Trend entwickelt. Bekannt wurde die rechte Vereinnahmung des Party­hits im Oktober 2023, als eine Gruppe Männer auf dem Erntefest im vorpommerschen Bergholz bei dem Gesang gefilmt wurden. Seither häufen sich die Vorfälle, deutschlandweit. Auch auf Sylt war über Pfingsten der Fall im Pony nicht der einzige: Im benachbarten Luxusschuppen Rotes Kliff wurde ebenfalls die Parolen zu dem Song gegrölt, wie die Betreiber mitteilten.

Das Pony-Video sorgt allerdings für besonders breite Empörung. Weil es verdeutlicht, dass rassistische Äußerungen kein Phänomen allein von Saufnazis oder Dorfprolls sind – und vielleicht auch, weil sich die sogenannte Mitte heimlich entlastet fühlt: Hier grölen keine Normalverdiener, sondern Leute, die zum Klischee einer reichen Oberschicht passen. Die protzt, prahlt, feiert – und wohl meint, sich auch Rassismus leisten zu können.

In dem Edelclub auf Sylt schreiten andere Gäste oder Mitarbeiter nicht ein. Niemand widerspricht. Betreiber Tim Becker sagte der taz, dass an dem Pfingstwochenende bis zu 500 Gäste im Club gewesen seien. „In der Situation ist es unmöglich für die Türsteher oder Barleute, das rauszuhören.“ Einige hätten die Gäste wiedererkannt, die die Parolen riefen. Sie erhielten nun Hausverbot. Mehrere Namen wurden der Polizei übergeben und Anzeige erstattet. Am Sonntag erklärten die Clubbetreiber, dass sie als Reaktion darauf nun beleidigt würden und Morddrohungen erhielten.

Wegen der Szenen aus dem Video laufen Ermittlungen wegen Volksverhetzung. Mehrere mutmaßlich Beteiligte haben ihren Job verloren. Die taz hatte unter anderem die Person identifiziert, die auf dem Video den Hitlergruß zeigte. Deren Arbeitgeber, die Werbefirma Serviceplan Group, erklärte am Freitag, den Mann entlassen zu haben. Laut Bild bat der Mann mittlerweile um Entschuldigung. Er habe einen „ganz schlimmen Fehler“ gemacht, sich der Polizei gestellt und schäme sich.

Auch eine Frau, die in der Aufnahme groß zu sehen ist, verlor ihre Anstellung. Im Netz konnte man professionelle Model­fotos von ihr finden. Auf ihrem Linked-In-Profil, das mittlerweile nicht mehr abrufbar ist, hatte sie unter anderem angegeben, für die Influencerin Milena Karl zu arbeiten. Karl hat auf Ins­ta­gram über 800.000 FollowerInnen und veröffentlichte am Freitag ein Statement, dass sie die Frau entlassen haben. „Ich bin selbst Migrantin, und als werdende Mutter steht alles, was in diesem Video zu sehen ist, für eine Gesellschaft, in der ich mein Kind nicht großziehen möchte“, erklärte Karl.

Recherchen der taz geben ein noch klareres Bild von dem Milieu und der Gruppe, die da unterwegs war. Es sind Unternehmensberater, Influencer, Werber, Manager, Wirtschaftsdozenten – aus München, Coburg, Hamburg. Die Sylt-Ausflüge scheinen Tradition zu haben. Der taz liegen zwei weitere Videos vor, die ihre Sylt-Urlaube dokumentieren, eines aus diesem Jahr, eines von 2023. Beide Clips wurden direkt aus dem Netz entfernt, nachdem das Skandalvideo die Runde machte. Der taz liegen Sicherungen vor.

Eine Aufnahme hat die Frau, die in dem Skandalvideo in Großaufnahme zu sehen ist, bei Tiktok veröffentlicht. Es zeigt sie unter anderem bei Reitausflügen, im Strandkorb vor dem Restaurant Sansibar, beim Party machen. Der Champagner fließt in Strömen. In mehreren Szenen wiederzuerkennen: ein Mann aus München, der sich bei Instagram selbst „Fashion-Influencer“ nennt, sein Kumpel sowie eine weitere Frau – alle drei sind auch auf dem Skandalvideo zu sehen und grölen mit.

Der Fall zeigt, dass rassistische Parolen nicht nur von Saufnazis oder Dorfprolls kommen

Der Fashion-Influencer hatte ein eigenes Sylt-Video auf Instagram hochgeladen, das laut einem der Mitreisenden aus 2023 stammt. In schnellen Schnitten rafft es den vergangenen Pfingsturlaub zusammen: von der Anreise mit dem Flieger übers Vergleichen ihrer Rolex-Uhren bis zum Tanzen auf der Terrasse des Pony. Fast immer mit dabei: eine kleine Bayern-Fahne, die die Gruppe mit an den Strand trägt oder in der Bar auf ihren Tisch stellt. Damals ebenfalls teil der Reisegruppe: ein Lokalpolitiker der CSU. Er distanzierte sich auf Anfrage der taz von den Parolen und erklärte, noch nie in seinem Leben im Pony Club oder in Kampen gewesen zu sein.

Nach taz-Informationen gehörte zu der Gruppe auch ein Mann, der Manager bei Vodafone Deutschland und Dozent an der Uni Coburg ist. Er ist auch in dem aktuellem Skandalvideos in einem Luxus-Kapuzenpullover zu sehen, Neupreis: über 1.000 Euro. Als die rassistischen Parolen gerufen werden, steht der Mann daneben und wippt zur Musik. Er singt nicht mit, schreitet aber auch nicht ein. Auf Anfrage der taz wollte sich der Man nicht äußern. Seine Arbeitgeber erklärten, den Fall zu überprüfen.

Auf Sylt ist indes für kommenden Sonntag eine Demo angekündigt: für Punks, DemokratInnen und alle, die ihre Partys lieber ohne Nazis feiern.