Antisemitismusdefinition der IHRA: Berliner Bekenntnispflicht
Der Berliner Senat will Förderungen in Zukunft an ein Bekenntnis zur IHRA-Antisemitismusdefinition knüpfen. Das ist unbedingt notwendig.
A b sofort beabsichtigt die Berliner Senatskulturverwaltung, Fördermittel aus dem Kulturhaushalt des Landes Berlin an die Bedingung zu knüpfen, dass Antragstellerinnen eine Antisemitismus-Klausel unterschreiben. Grundlage hierfür stellt die Arbeitsdefinition von Antisemitismus der IHRA (International Holocaust Rememberance Alliance) dar.
Darauf folgte das Erwartbare: Der offene Brief von Berliner Kulturschaffenden, die weiterhin Israel kritisieren wollen, ohne sich Antisemit*innen schimpfen lassen zu müssen. Im Brief selbst: Ängste vor dem Verlust von Meinungs- und Kunstfreiheit sowie vor dem Verlust von Diversität und juristisches Klein-Klein über die Eignung der IHRA-Definition als Förderklausel. Was fehlt: selbstkritische Positionen zu den regressiven und judenfeindlichen Tendenzen der Berliner Kulturszene oder ein klares Bekenntnis dazu, dass Israel ebenso existieren darf wie jedes andere Land. Stattdessen verweist der Brief auf die „Jerusalem Declaration on Antisemitism“. Der Grund: ihre vermeintlich größere Offenheit für Israelkritik.
Es bleibt dennoch die Frage: Würden die Protestierenden überhaupt der Implementierung irgendeiner Antisemitismus-Definition zustimmen? Dies bleibt zu bezweifeln: „Wir sind gegen diese Hierarchisierung von Diskriminierungsformen und (Auf-)Spaltung marginalisierter gesellschaftlicher Gruppen und halten dies für gefährlich“, heißt es im offenen Brief.
Doch genau hier liegt das Problem: Wer Antisemitismus lediglich als weitere Form der Marginalisierung betrachtet, hat weder dessen Wirkungsweise noch dessen Wirkmächtigkeit verstanden. Antisemitismus umfasst oft die Anschuldigung, „die Juden“ betrieben eine gegen die Menschheit gerichtete Verschwörung. Dies schlägt sich nicht selten in der Dämonisierung und Delegitimierung des Staates Israel nieder. Genau darauf baut die Definition der IHRA auf.
Braucht es also eine Arbeitsgrundlage wie die der IHRA? Ja. Wird eine solche Klausel antisemitische Tendenzen in der Berliner Kulturszene vorbeugen? Wahrscheinlich nicht. Ist sie dennoch notwendig? Zweifellos.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen