Präsidentschaftswahlen in Argentinien: Votum der Verzweiflung
Javier Milei wird Präsident. Die Argentinier haben den Peronismus satt – und wählten einen „Anarcho-Kapitalisten“ als vermeintlich kleineres Übel.
A rgentinien ist gesprungen. Der selbsterklärte Anarcho-Kapitalist Javier Milei hat die Stichwahl um die Präsidentschaft deutlich gewonnen. Laut Verlierer Sergio Massa bedeutet dies einen Sprung in den Abgrund: Mehr Armut, mehr Arbeitslosigkeit und einen massiven Abbau des Staates und seiner Sozialleistungen würde das bedeuten. Doch die Mehrheit der 35,4 Millionen Wahlberechtigten hat Politiker wie Massa, den amtierenden Präsidenten Alberto Fernández oder Vizepräsidentin Cristina Kirchner so satt, dass sie am Sonntag die Angst vor dem Sprung verloren hatte.
Die Wahl zwischen Milei oder Massa war die Wahl zwischen einem freien Fall und einem kontrollierten Absturz. Mehr als 40 Prozent der Bevölkerung leben bereits in Armut. Die Jahresinflation galoppiert in Richtung 180 Prozent. Die Staatsschulden sind untilgbar, die Kassen leer. Die Zentralbank ist pleite, und die Privatwirtschaft schiebt gut 40 Milliarden Dollarschulden vor sich her, weil sie zwar in immer wertloseren Pesos schwimmt, diese aber nicht in eben nicht vorhandene Dollar eintauschen kann, um die notwendigen Importe zu bezahlen.
Mileis Triumph hat mehrere Väter und Mütter. Einer davon ist der ehemalige konservative Präsident Mauricio Macri. Kaum war seine Kandidatin Patricia Bullrich in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl ausgeschieden, begann er Wahlkampf für Milei zu machen. Seine zentrale Botschaft? Er würde dafür sorgen, dass der dialog- und kritikunfähige Choleriker Milei nicht aus dem Ruder läuft. Dazu kommt ihm mehr als gelegen, dass der politische Neuling Milei nur ein Bruchteil der geschätzten 5.000 Funktionäre stellen kann, die er als Präsident braucht, um die entscheidenden Stellen im Staatsapparat zu besetzen. Hier wird Macri helfend und kontrollierend eingreifen.
Peronisten in der Opposition
Das Wahlversprechen von Milei, dem Kirchnerismus ein Ende zu setzen, wird sich nicht erfüllen. Im Gegenteil: Die politische Polarisierung wird zunehmen. Mileis angekündigte Kahlschlagpolitik wird zu heftigen sozialen Auseinandersetzungen und Abwehrkämpfen der sich zukünftig in der Oppositionsrolle wiederfindenden Peronisten führen. Allen voran Cristina Kirchner, die in der mit weitem Abstand bevölkerungsreichsten Provinz Buenos Aires eine mächtige Hochburg hat und dort den Gouverneur stellt.
In der Außenpolitik wird sich einiges ändern. Milei hat angekündigt, dass er fest zu den USA und Israel stehen wird. Den Unternehmern hat er erklärt, dass sie weiterhin mit China und Brasilien Geschäfte machen können, dass er sich aber nicht mit Kommunisten wie Xi Jinping oder Lula da Silva an einen Tisch setzen wird. Als Marktradikaler und Klimawandelleugner wird er für die Ausplünderung und den Export der natürlichen Ressourcen keine umweltschützenden Hürden aufstellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei