FAQ zur Lage im Gazastreifen: Völkerrecht ist nicht immer menschlich

Darf Israel Kliniken angreifen? Stellt die Zerstörung von Gaza mit tausenden zivilen Opfern ein Kriegsverbrechen dar? Ein Blick ins Völkerrecht.

Zerstörte Gebäude in Rauchschwaden.

Zerstörte Gebäude in Gaza am 17. November Foto: Alexander Ermochenko/reuters

Dass Krieg und Töten legal sein sollen, ist per se ein wenig menschlicher Gedanke. Dennoch, es gibt Regeln für den Krieg. Das „humanitäre Völkerrecht“ soll Menschen schützen, die nicht an Kampfhandlungen teilnehmen, lässt aber unter bestimmten Umständen zivile Opfer zu. „Es handelt sich dabei streng genommen um einen Euphemismus“, sagt Robert Stendel vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Treffender sei der Begriff „Recht des bewaffneten Konflikts“, denn selbst unter Einhaltung der „humanitären“ Regeln sei ein beachtliches Maß an menschlichem Leid zulässig.

Darf Israel Kliniken einnehmen?

Vor allem Krankenhäuser sind im Gaza­krieg in der vergangenen Woche zwischen die Fronten geraten. Obwohl sie zuletzt zu den letzten Zufluchtsorten für zehntausende Zivilisten im Norden des Küstenstreifens wurden, drangen in der vergangenen Woche Soldaten auch in die Kliniken ein. Besonders unter dem größten Krankenhaus, der Al-Shifa-Klinik, vermutet die israelische Armee Hamas-Kommandostellen. Krankenhäuser genießen im Krieg besonderen Schutz. Sie können diesen aber verlieren, wenn sie so genutzt werden, dass sie der Gegenseite militärisch schaden.

„Eine Lagerung von Waffen oder die Nutzung als Kommandozentrale gehören dazu“, sagt Leon Seidl, ebenfalls Referent am Max-Planck-Institut. Nicht jede Kleinwaffe oder gar die Behandlung von verletzten Kämpfern aber würden den Schutzstatus einer Klinik aufheben. Bisher seien die von Israel veröffentlichten Belege, die unter anderem Sturmgewehre, Sprengsätze und Uniformen zeigen, nicht ausreichend für eine abschließende Bewertung. Zudem müsse auch bei einem Verlust des besonderen Schutzes vor einem Angriff genügend Zeit für eine Evakuierung eingeräumt werden, sagt Seidl.

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Zivilisten, Verletzte und medizinisches Personal müssten weiterhin geschützt werden. „Berichte, denen zufolge israelische Soldaten die Al-Shifa-Gebäude von außerhalb unter Beschuss genommen haben, sind in dieser Hinsicht besorgniserregend.“ Andererseits aber scheine die Operation innerhalb der Klinik nach allem, was bisher bekannt sei, gezielt und verhältnismäßig durchgeführt worden zu sein. Laut der Armee liefen die Durchsuchungen in Zusammenarbeit mit medizinischen Teams und unter Begleitung arabischsprachiger Soldaten.

Verstößt die Gaza-Blockade gegen Völkerrecht?

Seit dem Überfall der Hamas hat Israel den Gazastreifen weitgehend von der Grundversorgung mit Wasser, Lebensmitteln, Strom und Medikamenten abgeschnitten. Aktuell warnen UNO-Organisationen angesichts der rund 1,5 Millionen Vertriebenen vor einer humanitären Katastrophe. Das alleine reiche aber laut Stendel noch nicht für einen Völkerrechtsverstoß.

Dass Israel Hilfslieferungen zumindest in begrenztem Rahmen zulasse, sei ein Hinweis, dass es seiner humanitären Verpflichtung nachkomme. Treibstoff weitgehend auszunehmen, sei trotz der dramatischen Folgen für die Menschen in Gaza wegen des möglichen Missbrauchs durch die Hamas zumindest begründbar. Letztlich müsse mit Blick aufs Völkerrecht abgewogen werden: Erst wenn das Leid der Zivilisten erheblich den militärischen Nutzen überwiege, sei eine Blockade rechtswidrig.

Darf Israel Massenevakuierungen in Gaza erzwingen?

Seit dem Beginn des Krieges mussten rund drei Viertel der Bevölkerung von Gaza ihr Zuhause verlassen. Viele Palästinenser sprechen von einer zweiten „Nakba“, wie die Massenflucht und -vertreibung bei der Staatsgründung Israels 1948 genannt wird. Die Aufrufe zur Evakuierung seien laut Stendel wegen der dichten Besiedlung des Gazastreifens völkerrechtlich sogar geboten.

Andererseits gingen mit diesen Aufrufen auch Pflichten einher, etwa bezüglich der Versorgung und des Schutzes der Geflüchteten. Zahlreiche UN-Organisationen haben etwa mit Blick auf die humanitäre Situation angekündigt, die jüngst verbreiteten Aufrufe, auch Teile des südlichen Gazastreifens zu räumen, nicht mitzutragen. Unabhängig davon dürfe eine Massenevakuierung nicht zu einer dauerhaften Vertreibung führen, sagte Stendel. Andernfalls verstieße Israel gegen diverse menschenrechtliche Verpflichtungen.

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