Kein Rücktritt von Aiwanger

Der Chef der Freien Wähler zeigt Reue, aber wittert eine Kampagne

Von Konrad Litschko
und Tanja Tricarico

In der Flugblattaffäre lehnt der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger weiter seinen Rücktritt ab. In einem Statement am Donnerstagnachmittag in seinem Ministerium sprach der Chef der bayrischen Freien Wähler von einem „abscheulichen Pamphlet“, das in seiner „Schultasche gefunden wurde“. Auch habe er Fehler gemacht. Er bereue dabei „zutiefst, wenn ich durch das Pamphlet Gefühle verletzt habe“. Seine „aufrichtige Entschuldigung gilt allen NS-Opfern“. Zuvor war insbesondere auch von Holocaust-Überlebenden deutliches Unverständnis geäußert worden. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, hatte sich im Münchner Merkur schockiert gezeigt. „Das zerstört so viel Vertrauen“, sagte Knobloch.

Gleichzeitig erklärte Aiwanger, die Vorwürfe lägen 36 Jahre zurück. Das antisemitische Flugblatt habe er nicht verfasst. „Ich war nie ein Antisemit, ich war nie ein Menschenfeind.“ Auch habe er nie den Hitlergruß gemacht oder Hitlerreden eingeübt. An menschenfeindliche Witze könne er sich nicht erinnern. „Sollte dies geschehen sein, so entschuldige ich mich in aller Form.“ Erneut sprach Aiwanger von einer Kampagne. Dies sei „nicht akzeptabel“ und schaffe ein Zerrbild. „Das bin nicht ich, das ist nicht Hubert Aiwanger.“ Ein Sprecher versicherte, dass Aiwanger den 25-Fragen-Katalog von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) „zeitnah“ beantworten werde. Zuvor war der Druck gestiegen. Auf Antrag der Opposition sollte der Landtag am 7. September zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Einziges Thema: „Vorwürfe und offene Frage betreffend den stellvertretenden Ministerpräsidenten und Staatsminister Aiwanger im Zusammenhang mit einem Flugblatt mit antisemitischem Inhalt“. Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann sagte nach Aiwangers Erklärung: „Die Menschen in Bayern warten seit Tagen, dass sich Hubert Aiwanger angemessen zu den schwerwiegenden Vorwürfen erklärt. Eine Entschuldigung bei den Opfern des NS-Regimes und ihren Nachfahren war überfällig. Ausreichend ist die heutige Stellungnahme in meinen Augen nicht.“

Der Grünen-Politiker Erik Marquardt äußerte sich auf X: „Aiwanger hatte sogar gute Chancen, die Nazi-Affäre halbwegs unbeschadet zu überstehen. Meistens zeigt sich aber erst in der Reaktion auf Krisen, wer den Herausforderungen als Minister gewachsen ist. Viel deutlicher als er kann man in der Krisenkommunikation nicht scheitern.“

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte Aiwanger aufgefordert einen 25-Fragen-Katalog zu beantworten, um die Causa aufzuklären. Die Süddeutsche Zeitung hatte am Samstag berichtet, Aiwanger stehe im Verdacht, 1987/88 am Burkhart-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg ein antisemitisches Flugblatt verfasst zu haben. Aiwanger bestritt, Autor des Textes zu sein. Er bezeichnete die Inhalte des Flugblattes als „ekelhaft und menschenverachtend“. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe meldete sich sein Bruder Helmut Aiwanger zu Wort und erklärte, er habe das Flugblatt verfasst. Die CSU regiert in Bayern derzeit gemeinsam mit den Freien Wählern. Söder will die Koalition fortsetzen. In Bayern wird am 8. Oktober ein neues Parlament gewählt. (mit dpa, rtr)