Oligarchen in Russland: Vulgäre Worte für Putin
Ein geleakter Telefonmitschnitt von zwei russischen Oligarchen offenbart, was diese wirklich vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine denken.
Doch hier unterhalten sich keine verwahrlosten, betrunkenen Männer am Rande einer Garagensiedlung irgendwo tief in der Provinz, hier reden zwei russische Milliardäre: Farchad Achmedow und Jossif Prigoschin (mit seinem berühmt-berüchtigten Namensvetter Jewgeni Prigoschin, dem Chef der brutalen Privatarmee „Wagner“, ist dieser nicht verwandt). Der 67-jährige Achmedow, im sowjetischen Aserbaidschan geboren, hat viel Geld mit Öl und Gas verdient und saß auch im Föderationsrat, dem Oberhaus des russischen Parlaments.
Prigoschin, ein Bergjude aus Machatschkala in Dagestan, hat als Musikproduzent viele russische Schlagermusiker*innen bekannt gemacht. In der Schweiz und Großbritannien besitzt er Immobilien. Der 53-Jährige hatte sich 2014 für die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim eingesetzt, auch die russische Invasion der Ukraine hat er nach dem 24. Februar 2022 öffentlich unterstützt.
Nun sprechen die Magnaten über das Desaster, das westliche Sanktionen anrichten, über die Zukunftslosigkeit Russlands, über die Ausweglosigkeit und das Zurückgeworfensein, weil Putin den Krieg in der Ukraine zu verantworten habe und kaum eine Exitstrategie daraus wisse. Sie sagen ähnliche Sätze, die sich liberal Gesinnte in Russland kaum mehr auszusprechen wagen, weil ihnen dadurch sofort ein Strafverfahren drohen würde.
Achmedow und Prigoschin aber sind Männer, die in und mit Putins System reich geworden sind, wenn auch politisch nicht einflussreich. Nach dem Auftauchen des Telefonmitschnitts vor einigen Tagen beeilte sich Prigoschin denn auch zu sagen, dieser sei „Fake“. Nach und nach aber gab er verdruckst zu, man könne im Privaten schließlich das von sich geben, was man denke. Ein Eingeständnis dessen, dass das geleakte Material echt ist. Wer es veröffentlicht hat, ist vorerst nicht bekannt.
„Wofür das alles?“
Das private Gespräch der beiden, das vermutlich im Januar geführt worden ist, gibt einen Einblick in die Stimmungslage russischer Eliten. Es zeigt, wie bewusst ihren Vertretern die derzeitige Lage in Russland ist. Verantwortlich dafür machen sie Putin, der „den Kopf da hineingesteckt hat, wo der Hintern nicht durchpasst“, wie es im Russischen heißt. „22 Jahre … Er hätte das Land aufbauen können. Alles hat er verschissen, verdammt“, sagt Achmedow fluchend.
„Wofür das alles? Angefangen, nicht beendet, verschissen. Wofür also hat der Dreckskerl das gemacht?“, fragt Prigoschin und fährt fort: „Zurückweichen kann er nicht, vorwärts geht’s auch nicht. Es wird also ein Patt, ein Zickenkrieg. Die Kakerlaken im Glas haben schon längst angefangen, sich kaputtzunagen.“ Damit verweist er wohl auf die Grabenkämpfe innerhalb der politischen und wirtschaftlichen Elite, auf angebliche Auseinandersetzungen zwischen Ministerien, staatlichen Ölkonzernen und Sicherheitsstrukturen.
Die Sätze machen deutlich, wie erniedrigt sich beide fühlen, wie ungewiss sie in die Zukunft blicken, zwischen einem Leben unter Sanktionen und einem drohenden Strafverfahren im eigenen Heimatland. Reicht eine solche Stimmung aus, um Putin zu stürzen? Im Gegenteil. Die vermögenden Kreise tragen das System weiter mit. Sie schweigen öffentlich, wahren nach außen ihre Loyalität, sie versuchen, ihre eigene Haut zu retten, die Ukraine ist vielen von ihnen egal.
Sie sind Konformist*innen wie so viele Menschen im Land. In der eigenen Küche können sie auch schon einmal schimpfen, können am Telefon alle möglichen Flüche gegen die höchsten Regierungskreise ausstoßen. In die Tat wird die Unzufriedenheit nicht umgesetzt. In der Elite nicht, auch im Volk nicht – sie sind sich in ihrer Ausweglosigkeit gleich. Die Angst würgt ihnen die Luft ab, aber sie trägt das System. Und der Krieg geht weiter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos