Die Linkspartei in der Krise: Richtung Abgrund

Die Linkspartei befindet sich in einer Existenzkrise. Der neue #Metoo-Skandal hat die Lage verschärft -, doch die Probleme reichen weiter zurück.

Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow halten Blumensträuße in die Luft

Bei ihrer Wahl im Februar 2021 träumten Wissler und Hennig-Wellsow noch von einem Aufbruch Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

BERLIN taz | Nach dem Rücktritt der Co-Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow wird die Linkspartei vorerst von Janine Wissler alleine weitergeführt. Dafür hat sich der Bundesvorstand der krisengeschüttelten Partei auf einer Sondersitzung am Mittwochabend ohne Gegenstimmen ausgesprochen. Wie lange die 40-jährige Hessin noch an der Spitze der Partei stehen wird, ist allerdings ungewiss.

Bislang ungeklärt ist, wann es zu einer Neuwahl des Bundesvorstands kommen soll, auf die sich das Gremium verständigt hat. Darüber soll am Wochenende entschieden werden. Klar ist, dass die Wahl auf einem Parteitag stattfinden soll. Der Vorschlag, dem Beispiel der griechischen Schwesterpartei Syriza zu folgen und die neue Führungsspitze per Urabstimmung von den Mitgliedern wählen zu lassen, fand nur wenige Fürsprecher:innen.

Wahrscheinlich ist, dass die Vorstandsneuwahl auf dem ohnehin für Juni geplanten Parteitag in Erfurt stattfinden wird. Als Alternative ist ein Sonderparteitag im Herbst im Gespräch. Ob Wissler dann erneut antreten wird, ist noch offen. Sie sieht sich derzeit aufgrund einer #MeToo-Affäre in ihrem hessischen Landesverband scharfen Angriffen ausgesetzt. Über ihren Ex-Partner ist Wissler in den Skandal auch persönlich involviert.

Als Wissler und Hennig-Wellsow im Februar 2021 die Führung von dem Tandem Katja Kipping und Bernd Riexinger übernommen haben, galten die damaligen Landtagsfraktionsvorsitzenden von Hessen und Thüringen als die großen Hoffnungsträgerinnen, mit der die Linkspartei in eine bessere Zukunft aufbrechen könnte. Stattdessen ist ihre Malaise inzwischen so groß wie noch nie. Ohne Zweifel befindet sich die Linkspartei in einer Existenzkrise.

Eine Partei im Kampf mit sich selbst

Es brennt an allen Ecken und Enden. Nach der 2,6-Prozent-Pleite bei der Landtagswahl im Saarland drohen Mitte Mai in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen die nächsten Desaster. Auch für die Wahl in Niedersachsen im Herbst sieht es düster aus. Im Westen könnte die Linke bald wieder Splitterpartei sein. Das erinnert an alte PDS-Zeiten – von denen im Osten hingegen nur noch geträumt werden kann.

Mit Ausnahme von Thüringen hat sie dort längst ihren Volksparteicharakter verloren. In Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt kam die Linkspartei schon bei der Bundestagswahl nicht mehr über zehn Prozent.

„Das Versprechen, Teil eines Politikwechsels nach vorn zu sein, konnten wir aufgrund eigener Schwäche nicht einlösen“, schreibt Hennig-Wellsow in ihrer am Mittwoch veröffentlichten Rücktrittserklärung. „Wir haben zu wenig von dem geliefert, was wir versprochen haben.“ Ein wirklicher Neuanfang sei ausgeblieben. Dabei sei seit Jahren bekannt, dass eine programmatische, strategische und kulturelle Erneuerung nötig sei. Ihre Rücktrittsentscheidung traf Hennig-Wellsow dem Vernehmen nach ohne vorherige Rücksprache mit Wissler. Die beiden sollen sich zum Schluss nicht mehr viel zu sagen gehabt haben.

Das Grundproblem: In allen zentralen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der jüngsten Zeit schafft es die Linkspartei nicht mehr zu vermitteln, wofür sie eigentlich steht – egal ob es um Flucht und Migration, die Klimapolitik, Minderheitsschutzrechte, Corona oder nun den Ukrainekrieg geht.

Die Linke: ein anscheinend sinkendes Schiff

Angeführt von der prominenten Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht gab und gibt es stets einen höchst öffentlichkeitswirksamen Flügel, der Parteibeschlüsse konterkariert und damit de facto belanglos gemacht hat. Das korreliert mit abstoßenden Umgangsformen untereinander, die sich mit dem Anspruch, eine Partei der Solidarität zu sein, nur schwer vereinbaren lassen. Und jetzt kommt auch auch noch #MeToo hinzu

Die Folgen sind nicht nur Wahlniederlagen, sondern auch ein personeller Aderlass. Nach allen Seiten verliert die Linkspartei derzeit Mitglieder. Aktuell gehen etliche wegen der Sexismusvorwürfe, die die Partei erschüttern.

Aber das ist es nicht alleine: Die einen treten aus wegen des Umgangs mit dem Ukraine-Krieg – entweder weil sich die Partei gegen Waffenlieferungen ausspricht, oder im Gegenteil, weil man trotzdem die friedenspolitischen Positionen verraten sieht. Andere verabschieden sich wegen des Streits um Wagenknecht – die einen, weil sie sie von der Partei schlecht behandelt sehen; die anderen, weil die Bundestagshinterbänklerin immer noch in der Partei ist. Den einen vertritt die Linke zu viel Klimaschutz, den anderen zu wenig. Und manche wollen auch einfach nicht länger an Bord eines anscheinend sinkenden Schiffes sein.

Neben persönlichen Motiven und unerfüllten Erwartungen bei der Erneuerung der Partei hat die bisherige Co-Vorsitzende Hennig-Wellsow den Umgang mit Sexismus in den eigenen Reihen als einen der Gründe für ihren Rücktritt benannt. Dieser habe „eklatante Defizite“ der Linkspartei offengelegt.

Auch auf der knapp dreistündigen digitalen Krisenssitzung am Mittwoch nahm das Thema breiten Raum ein. Seit einer Spiegel-Veröffentlichung vor einer Woche über „mutmaßliche Grenzüberschreitungen, Machtmissbrauch und eine toxische Machokultur“ schüttelt der Skandal die Partei schwer durch. Es habe eine konstruktive, selbstkritische Debatte gegeben, berichten Teilnehmer:innen. Beschlossen wurde ein umfangreiches Maßnahmenpaket zum Umgang mit solchen Vorfällen.

Dazu zählt die Einrichtung einer unabhängigen Beratungsstruktur, die aus erfahrenen Frauen aus feministischer Anti-Gewaltarbeit und Betroffenenunterstützung sowie erfahrenen Anwältinnen bestehen soll. Auch sollen Satzung, Geschäftsordnung und Bundesschiedsordnung geändert werden, um die Sanktionsmöglichkeiten für grenzüberschreitendes Verhalten von Mitgliedern zu erweitern.

„Wir bedauern die sexuellen Übergriffe in unserer Partei zutiefst und entschuldigen uns bei den Opfern“, heißt es in dem Beschluss. „Es tut uns leid, dass wir nicht früher darauf reagiert haben.“ Der Bundesvorstand stehe „an der Seite der Opfer“ und werde „transparente und vorbehaltlose Aufklärung organisieren und vorantreiben“.

Aktualisiert und ergänzt am 21.04.2022 um 16:15 Uhr. d. R.

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